Ausgefallene Probe

Eine schöne Magnum-Probe hatte Franz Josef Schorn für diesen Abend vorgesehen. 16 Magnums für 16 Jungs, begleitet von einem tollen Menü. Klar war ich angemeldet und spürte schon Tage vorher einen verstärkten Speichelfluss. Und dann kurz vorher die Horrormeldung: Probe in den Herbst verschoben. Da gab es jetzt nur eins. Ein paar Flaschen aus dem eigenen Keller holen und das Heft selbst in die Hand nehmen.

Man muss die Feste feiern wie sie fallen. Und wenn sie ausfallen, feiern wir sie trotzdem. So ersetzten wir an diesem milden Frühsommerabend Schorns Magnums in kleinerer Runde durch feine 1tel und genossen dazu ein nicht minder feineres Menü des großen Meisters. Zwei junge Kabinettstücke waren zu Anfang angesagt. Reinsetzen könnte ich mich in den 2007 Meddersheimer Rheingrafenberg Riesling Kabinett von Hexamer. Ein hochgrädiger Wein, der locker auch als Spätlese durchgeht. Fruchtig, mit feinem Süße-/Säurespiel und guter Mineralität, könnte stilistisch auch von der Mosel stammen 89/100. Zeigt deutlich, wie groß der Jahrgang 2007 ist, wenn der Winzer so engagiert und talentiert ist wie der Nahe-Shooting Star Harald Hexamer. Und gleich der nächste Wein zeigte, dass auch der beste Jahrgang nichts nützt, wenn der Winzer einen Durchhänger hat. Ein halbes Grad Alkohol mehr hatte der doch recht blasse 2007 Serriger Schloß Saarstein Riesling Kabinett. Ansonsten hatte er einfach von allem deutlich weniger, ein recht schlank geratener, wenig ausdrucksstarker Wein, dem man das große Jahr nicht anmerkt 85/100.

Nicht klar kam ich mit dem nächsten Weißen, einem 2006 Durbacher Plauelrain Riesling Spätlese trocken "Achat" von Laible. Der wirkte sowohl in der Farbe als auch in der Nase und am Gaumen deutlich älter. Überreifer Apfel, Zitrusaromen, deutliche Bitternote, dazu etwas korpulent und alkoholisch wirkend 84/100. Stammte von einem seriösen Weinfreund. Ich hätte sonst auf eine misshandelte Schaufensterflasche getippt. Die Geister schieden sich dann bei einer 1975 Riesling Spätlese der WG Wachau. Riesling muss jung, frisch und knackig sein, den hier mag ich nicht. So das kurze, knackige Statement eines erfahrenen Weintrinkers in unserer Runde. Klar war das kein Jüngling mehr(gilt übrigens für beide, den Wein und den, der ihn nicht mochte). Aber ein durchaus spannendes Altwein-Erlebnis, wenn man so etwas mag. Dunkles Goldgelb in der immer noch brillianten Farbe, in der Nase Alterstöne mit etwas Petrol, aber auch immer noch immer viel Frucht, vor allem Quitte, baute im Glas nicht ab sondern aus, wobei die stabile Säure am Gaumen das Gefühl von Frische aufkommen ließ. Ein Wein zum kauen, der wie viele ältere Weine mit Essen noch besser zur Geltung kam 88/100. Wenig Freude machte danach ein wohl noch viel zu junger 2004 Chablis Grand Cru Les Clos von William Fêvre. Der war völlig zugenagelt und wirkte grasig-grün. Da sind wohl etliche Jahre Warten angesagt 81++/100.

Den Weinhimmel auf Erden bescherte uns dann eine 1966 Ürziger Würzgarten feinste Auslese von Nicola Clüsserath. Leicht rauchige, verschwenderische Nase mit nur ganz feinem Petrol, am Gaumen immer noch viel Frucht und eine feine, von der ebenfalls noch reichlich vorhandenen Säure perfekt balancierte Säure. Blieb mit seiner cremigen Textur und dem hohen Extrakt ewig lang am Gaumen 94/100. Sollte Ihr eigenes Credo bisher lauten: ich mag alles außer süß, dann entgeht Ihnen etwas. Ältere Auslesen, insbesondere von der Mosel sind nicht süß im eigentlichen Sinne, eher sind es wunderbar ausgeglichene Weine, die eine totale Harmonie verströmen, perfekt zum Essen passen und mit ihrem niedrigen Alkoholgrad fast reuelosen Genuss ermöglichen.

So, wie andere Leute keine alten Weißweine mögen, mag ich keine Barbarescos. Und genau aus diesem Grund hatte mir mein Freund Georg kürzlich diese Flasche zukommen lassen, quasi als eine Art Missionierungsversuch. Und der war mehr als nur gelungen. Unglaublich, was da bei diesem 1989 Barbaresco Sori Tildin von Angelo Gaja aus der Flasche kam. Sehr dichte Farbe ohne Alter, schon die Nase zeigte eine grandiose Wucht und Fülle, massig Teer und dunkle Früchte, aber auch eine sehr kräuterige Aromatik, am Gaumen ein massives Tannin- und Säuregerüst, wobei die Säure weich und die Tannine erstaunlich reif sind. Ein sehr komplexer, spannender Wein, so eine Art Mischung aus Lafleur und La Mission mit einem Schuss Vega Sicilia Unico. Gehört sicher zum Besten dessen, was ich bisher aus dieser Region getrunken habe 97/100. Wird spielend noch zwei Jahrzehnte altern, kann aber nicht mehr besser, nur noch anders werden. Eigentlich hätte das der Wein des Abends sein müssen, doch es folgte darauf ein Weinerlebnis wie vom anderen Stern.

Schlichtweg perfekt war der 1945 Echezeaux von André Guy. Immer noch voll intakte Farbe, die da rubinrot vor uns im Glas funkelte. Süchtig machende, reife Pinot-Nase, am Gaumen unglaublich dicht und hocharomatisch mit gewaltigem Tiefgang. Ein Wein, der von allem alles hat und in totaler Harmonie ein irres Weinerlebnis bietet. Besser geht Wein nicht, höchstens anders. Für ein solches Monument gibt es da waren wir und am Tisch einig nur eine Bewertung 100/100. Unwillkürlich gehen die Gedanken zurück an dieses, lange vor meiner Zeit liegende Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg zuende ging. Es gab kaum Arbeitskräfte, keine Spritzmittel und auch keine technologisch aufgerüsteten Keller. Und es gab auch beine schlaumeiernden Önologen, die der Natur hier bei ihrem Meisterstück ins Handwerk fuschen konnten. Mit kräftigen Frösten in März und April war die Grundlage für eine natürliche Begrenzung der Erntemenge geschaffen. Ein heißer, trockener Sommer führte dann zu einer kleinen Ernte hochwertigsten Lesegutes, sowohl in Burgund als auch in Bordeaux. Frauen und alte Männer waren es überwiegend, die sich dieses Wunders der Natur annahmen. Das spektakuläre Ergebnis hatten wir an diesem Abend im Glas. Anders sicher, als ein 1945 Mouton Rothschild, aber sicher mit diesem auf Augenhöhe.

Klar konnte einem da jeder nachfolgende Wein nur leid tun. Egal, wir machten weiter mit einer Flasche Cheval Blanc, erkennbar nur auf der Kapsel. Etikett war keines mehr vorhanden, und auch auf dem schwarzen Korken war kein Jahrgang feststellbar. Die Farbe ein sehr reifes, dichtes Braun, etwas trüb mit deutlichem Wasserrand, die Nase mit einem irritierenden Kohl-Aroma, kalter Grünkohl. Am Gaumen war immer noch Kraft, auch etwas Süße, aber auch ein stark oxidativer Ton und vermehrt flüchtige Säure. Ein großer Cheval Blanc war das wahrscheinlich nie, vermutlich aus der Zeit Ende der Dreißiger, Anfang der Vierziger Jahre.
Der Name Gallo hatte für mich stets einen Klang wie z.B. Paul Masson. Beides bekannte, amerikanische Label für recht dürftige Massenplörre. Die Art von Weinen, mit denen man auf amerikanischen Inlandsflügen zum Wassertrinker erzogen wird. Doch dieser 1978 Gallo Sonoma County Limited Reserve war anders. Ein Klassiker aus der Zeit, in der in Kalifornien noch gute Bordeaux gemacht wurden. Trotz deutlicher Eukalyptus und Minze, zu denen sich dunkle Schokolade, Kräuter und etwas Schwarztee gesellten, hätte dieser noch recht jung wirkende Wein auch aus dem Medoc kommen können. Einfach ein sehr gelungener, feiner Tropfen mit immer noch guter Tannin- und Säurestruktur 92/100. Am nachfolgenden 1966 La Lagune hat mich eigentlich nur die ziemlich dichte und deutlich jünger wirkende Farbe begeistert. Die gaukelte einen Wein vor, den wir leider nicht im Glas hatten. Erste Alterstöne in der nicht gerade animierenden Nase, am Gaumen Peperoni, bittere Tannine, absolut charmefrei 85/100. So hatte er sich vor gut 10 Jahren schon einmal auf einer Drwawert-Probe gezeit. Könnte sich also auf diesem niedrigen Niveau noch eine Weile halten. Höchst erstaunlich die Nase des 2003 Blaufränkisch Joiser Kirschgarten von Umathum, so ätherisch und intensiv nach Kirschwasser (Schnaps) riechend. Habe ich in dieser Form noch nie erlebt. Am Gaumen sehr schlank und verhalten, feinfruchtig mit fordernder Säure 86/100.
Aus dem Charakterfach dann ein noch recht jugendlich wirkender 1964 Le Gay. Ein sehr eigenständiger Wein mit dichter, junger Farbe, in der Nase animalisch und mit der kräuterigen Würze eines Lafleur, etwas Tabak, am Gaumen hohe Säure, brennt fast etwas am Gaumen. Und leider fehlte in dieser Flasche auch etwas der schokoladige Schmelz, mit dem die Zwillingsflasche vor 4 Jahren noch ein würdiger Sparringspartner für 1964 Petrus war 90/100.

Für mich gibt es ein klares Fazit des prächtigen Abends, das ich gleichzeitig als Tipp weiterreichen möchte: wenn demnächst mal wider irgendwo eine Probe ausfällt, einfach stattdessen mit ein paar Freunden eine spontane, ausgefallene Probe machen.