BBB - Braui Best Bottle

15 seit langem verdiente GaultMillau Punkte leuchten seit diesem Herbst endlich über der Braui. Da leuchteten natürlich auch Werner Toblers Augen. Mit einem herrlichen Menü verwöhnte uns dieser sympathische Küchen-Zampano wieder und zeigte dabei, dass er auch locker für 16/20 gut ist.
Schön war es, viele meiner lieben Schweizer Weinfreunde wiedersehen zu dürfen. Ein Jeder hatte tief in den Keller gegriffen, um diese Best Bottle hier zu einem Erlebnis werden zu lassen.
Kaum Freunde fand allerdings der als Apero gereichte 2001 Uhlen R von Heymann Löwenstein. Reifes Goldgelb und viel Kerosin in der ebenfalls reifen Nase. Flugzeugfans hätten daran ihre helle Freude gehabt. Mit der Zeit verflog das Kerosin und machte einer pfeffrigen Würze Platz, die an reife, ältere Grüne Veltliner erinnerte. Am Gaumen war der Uhlen dicht mit cremiger Textur, durchaus auch mit Kraft und Länge, aber wo war die Frische dieses doch noch gar nicht so alten Weines geblieben? Entwickelte mit der Zeit etwas Süße und Honigtöne, wirkte aber durch die kaum spürbare Säure etwas breit und langweilig. Das war nicht der Uhlen, wie ich ihn kenne, sondern eher ein gelangweilter Sechzehnjähriger in einer Grundschulklasse 88/100. Eine danach geöffnete, zweite Flasche war etwas frischer, offener mit mehr Säure und pikanterer (Dörr-)Frucht, konnte aber auch nicht voll überzeugen 89/100.
Und schon ging es in die Rote Abteilung. Unglaublich, was da gleich als erster Flight auf den Tisch kam. Nur hatte dieser "Schweizer Einstieg" natürlich ein großes Problem. Die drei Granaten hatten eigentlich nicht genug Zeit und Luft bekommen. Bei 1990 Leoville Poyferré war das nicht ganz so offensichtlich. Der war recht offen, sehr generös und fein, rotbeerig, viel Leder und immer noch gutes Tanningerüst mit schöner Süße sowohl in der Nase als auch am Gaumen. Hätte nicht gedacht, das frisch gesammelte Waldbeeren aus einer alten Ledertasche soviel Freude machen 94/100. Nicht in bester Form war 1990 Leoville las Cases. Der hatte zwar eine sehr schöne Nase mit reifer Brombeere und viel pflaumiger Frucht, am pikanten, frischen und recht fülligen Gaumen störte jedoch eine große Ladung Paprika 89/100. Den kenne ich eigentlich nur eine ganze Klasse besser ohne diese irritierenden, grünen Töne. Sehr jung auch noch 1990 Angelus, nicht nur in der dichten, undurchdringlichen Farbe. Süßes Cassis, frisch gemahlener Schwarzer Pfeffer, ein saftiger, leicht exotisch wirkender Wein mit toller Struktur und immer noch mächtigem Tanningerüst. Baute enorm im Glas aus und wäre zwei Stunden früher dekantiert sicher für 95/100 gut gewesen. So blieb uns leider nur die Fantasie.
Mit dreimal Angelus, jeweils in 20jährigem Abstand, ging es dann im nächsten Flight weiter. Mit 1955 Angelus, so wie ich ihn kenne und auch schon häufig getrunken habe, hatte der nächste Wein nichts zu tun. Trotzdem war das ein höchst interessantes, am Tisch durchweg sehr hoch bewertetes, atypisches, liköriges Getränk. Schwarzbraune Farbe mit deutlichem Wasserrand, sehr nussig, alter Balsamico, Malaga, Maroni, schmeckt nach Nocino, dem Nußlikör auf Grappa-Basis. Als Angelus könnte man diesem Stoff keine 80/100 geben, als hochinteressantes Getränk ist er dagegen sogar für 94/100 gut. Keinen Pfifferling hätte ich verwettet auf 1975 Angelus, doch der erwies sich als erstaunlich gut. Ziemlich helle, aber intakte Farbe, in der Nase süße Himbeere, sehr fein, am Gaumen burgundisch und fast filigran, etwas austrocknend. Ein feiner und für Angelus in dieser eher dunklen Phase des Chateaus höchst erstaunlicher Wein 92/100. Grandios natürlich 1995 Angelus. Deutlich offener und präsenter wirkend als 90, reichlich Cassis und etwas Minze, jetzt trotz gutem Tanningerüst in einer bestechenden Frühform 95/100.
Ärgerlich im nächsten Flight der Kork bei 1988 Mouton Rothschild. Das wäre wohl einer der Weine des Abends gewesen. Nicht von schlechten Eltern dagegen 1988 Léoville las Cases, dem der Mouton sonst sicherlich die Schau gestohlen hätte. Sehr minzig mit toller Frucht, inzwischen erstaunlich offen, dabei sehr harmonisch mit geradezu seidiger Textur 94/100. Auch dieser Wein war wie Mouton jahrelang völlig zugenagelt und ist so in Vergessenheit geraten. Wie schön, dass meine seinerzeit für lächerliche € 25 pro Flasche subskribierte OHK noch zu ist. Aber auch für reichlich mehr ist dieser Wein jetzt wieder eine unbedingte Kaufempfehlung. Einfach nicht glauben konnte ich dann den nächsten Wein. Wir verkosteten natürlich blind, und alle Bewertungen, die ich hier wiedergebe, stammen aus der Zeit VOR dem Aufdecken. Ich habe bewusst keine späteren Korrekturen vorgenommen, auch nicht beim dritten Wein. In jeder Beziehung ein Tier von Wein war das, was da vor mir stand. Animalisch, sehr kraftvoll, dichte, junge Farbe, viel Leder und Tabak, sehr lang am Gaumen. 22mal habe ich mich zuhause schon aus halben Flaschen über die lausige Form dieser 1994 Pichon Comtesse de Lalande geärgert, nicht anders bei Proben aus größeren Formaten bis hin zur Doppelmagnum(2008). Und dann jetzt diese unglaubliche Performance auf 96/100 Niveau. Passiert ist mir ein ähnliches, nie wieder reproduzierbares Erlebnis vor Jahren schon mal mit 1991 Latour. Da kann ich nur hoffen, dass von den 1teln in meiner verbliebenen OHK auch ein paar auf diesem Level sind. Übrigens entsprachen meine 96/100 nicht irgendwelcher, alkoholisierter Glückseeligkeit, sondern waren zufällig exakt der Schnitt unserer Runde.
Faszination pur dann ein 1933 Chames Chambertin in einer auch äußerlich perfekten Schweizer Baur-au-Lac Abfüllung. Erstaunlich dichte Farbe, in der generösen, weichen Nase reife Tomate, rosinig-malzige Süße, am Gaumen erst etwas kompakt mit kräftiger, tragender Säure, entfaltet sich dann aber zügig im Glas und baut unwahrscheinlich aus, wird runder, weicher, gefälliger mit malziger Süße, fast schwereloser Eleganz und traumhafter Länge am Gaumen 97/100. Parallel dazu noch eine Comtesse-Überraschung, 1975 Pichon Comtesse de Lalande. Vor allem die Nase dieses Weines war ein Traum. Reif, süß, generös mit feinem Schmelz, einfach betörend. Da kam der Gaumen nicht ganz mit. Hier war das reifer, alter Wein, etwas kurz und schon leicht gezehrt, aber immer noch ein sehr schönes Altweinerlebnis. Das sah nicht nur ich so und lag mit meinen 93/100 nur knapp unter dem Schnitt der Runde(93,1/100).
Eine schlechte Flasche hatten wir leider beim sonst so zuverlässigen 1966 Haut Brion erwischt. Da war nur noch die Farbe dicht und gesund, ansonsten viel Liebstöckel, Oxidation und noch etwas frisch gedeckter Apfelkuchen, am Gaumen eher kurz und etwas säuerlich, schade 86/100. Dafür hatten wir mit 1966 Cheval Blanc Glück. Wieder diese betörende, unnachahmliche Cheval-Nase, sehr fein und minzig, wurde mit der Zeit immer süßer, Schwarztee mit 7 Stück Zucker 94/100.
Und schon waren wir wieder in der Neuzeit. Völlig Barolo-untypisch, dafür aber genial lecker präsentierte sich der süße, füllige, üppige 2000 Barolo Campe Virsu von Spinetta 94/100. Das mag stückweit auch daran gelegen haben, dass diese Weine oder fast alle Weine besser mit Essen schmecken. Schließlich ist dieses göttliche Elixier ja nicht für morgentliche Spucker gemacht, sondern als Begleitung schöner Speisen. Und da der gute Werner Tobler wieder auf hohem Niveau kochte, schien sich das auf die Weine zu übertragen. Hatte ich da nicht beim 2004 Ornellaia diese wunderbaren, gut zum Wein passenden Seetaler Trüffel auf dem Teller? In jedem Fall drehte dieser Ornellaia unglaublich auf. Einfach ein geiles, pralles Teil mit irrer Frucht und Fruchtsüße, dazu mit sehr guter Struktur. Mag sein, dass wir ihn jetzt hier mit 97/100 in einer perfekten Phase erwischt hatten. Ich hatte blind auf einen großen jungen Kalifornier getippt. In jedem Fall ließ sich bei soviel Freude im Glas der üble Essigstich des eindeutig fehlerhaften 1996 Vega Sicilia Valbuena #5 verschmerzen.
Eine arme Wurst war 1994 Vega Sicilia Unico im nächsten Flight. Wurde er doch von zwei außerweltlichen Giganten schier erdrückt. Der sprang nicht so offensichtlich aus dem Glas, kam eher nobel, distinguiert und vornehm zurückhaltend daher. Ein sehr feiner, eleganter Wein, mineralisch, mit kräftiger Säure, viel Hollunder und reifen Kirschen. Baute mit der Zeit sehr schön aus und wurde deutlich süßer und üppiger 94+/100. Ein Wein, der Zeit und Luft braucht und sicher noch eine gute Zukunft hat. Von Anfang an voll da war hingegen 1995 Harlan. Der war so süß, so üppig, mit soviel Schmelz, einfach ein gewaltiges Fruchtkonzentrat mit darunterliegender Mineralität und guter Struktur. Mich hat in dieser Flasche etwas die dekadente Süße und Zugänglichkeit dieses vollreif erscheinenden Weines irritiert, deshalb "nur" 97/100. Seinen Meister fand dieser Harlan in einem 2000 Lamarein Lagrein von Josephus Mair. Noch nie gehört? Ich auch nicht. Ein ultrararer, extrem gesuchter Wein, der sich nur auf ganz wenigen Weinkarten und in wohl noch weniger Kellern findet. Ich konnte dieses schier unglaubliche Geschoß blind kaum zuordnen und notierte mir als ersten Eindruck "ein gewaltiger kalifornischer Spanier aus Italien". Als ob jemand eine Melange aus den besten Weinen dieser drei Gebiete gemacht hätte. So dicht, so üppig mit tollen Konturen, dabei eine Art Weinchamäleon, das sich im Glas auf höchstem Niveau ständig änderte und stets neue Facetten zeigte, ich war schier sprachlos 98/100. Josephus Mair, dessen ebenfalls im Betrieb noch tätiger Vater stramm auf die Hundert zugeht, erzeugt diesen Wein aus teils getrockneten Lagrein-Trauben, die wiederum bei extremer Begrenzung der Erntemengen erzeugt wurden. Ich glaube, da muss ich unbedingt mal hin, auf dieses Weingut Unterganznerhof in Südtirol.
Das Trommelfeuer der Weingranaten ging weiter. Mich erinnerte das etwas an das Finale bei einem großen Feuerwerk, fast zuviel, um diese geballt auftretenden Eindrücke gebührend aufzunehmen und zu verarbeiten. Was soll ich zu einem schlichtweg perfekten 2001 Heitz Martha s Vineyard noch groß sagen? Das ist einfach eine traumhaft minzige, von viel Eukalyptus geprägte Wiedergeburt des 74er Martha s, ein schlichtweg atemberaubender Wein mit perfekten Strukturen aus dem neu bepflanzten Rebberg mit Jahrhundertpotential 98/100. Noch einen Tick drüber 2003 Aalto PS, den ich noch nie so offen und so gut im Glas hatte. Einfach eine dekadente, dicke, geile Weinsau, süß, üppig, sehr dicht, aber auch perfekt strukturiert und mit gewaltiger Mineralität. Ging an diesem Abend locker als Zwilling von 2001 und 2004 durch 99/100. Unter allen großen Weinen der Welt hat der Aalto PS immer noch das mit Abstand beste Preis-/Leistungsverhältnis. Hier gibt es einfach, wie die Amerikaner sagen, "the most Bang for the Buck". Der aus der Magnum ausgeschenkte 2003 Ornellaia kam da auch nicht ansatzweise mit. 2003 war überall in Europa ein sehr heißes Jahr. Aber wo der geniale Weinmacher von Aalto, Mariano Garcia, trotzdem Struktur und Frische erzielte, wirkt der üppige Ornellaia wie die meisten Italiener dieses Jahrgangs marmeladig, üppig, alkoholisch und etwas diffus, Rumtopf auf zugegebenermaßen hohem Niveau 93/100.
Nach dem überraschenden Schweizer Einstieg kam dann auch noch ein gewaltiges Schweizer Ende. Zwei weitere, heftige Magnums sollten dafür sorgen, dass kein Auge trocken blieb und kein Durst ungelöscht. 2003 Quinta Sardonia war wieder ein verrückter, hedonistisch-üppiger Wein, der spontan anmachte und mit seiner irren Aromatik fast aus dem Glas sprang. Satte, reife Frucht, Brombeere, schwarze Johannisbeere, aber auch Lakritz, sehr mineralisch und würzig, immer noch viel Röstaromen, pure Lebensfreude in flüssiger Form für relativ wenig Geld und in etwa auf einem Level mit dem normalen Aalto - 95/100. Auf ähnlichem Niveau der 2000 Sole die Padri von Spadafora aus Sizilien, ein leicht exotisch wirkender, großer Syrah, der gekonnt die Brücke zwischen Rhone und Australien schlägt 95/100.

In der Gesamtwertung unserer Runde lag übrigens Harlan mit einem Schnitt von 97,7 auf Platz 1 vor Aalto PS mit 97,2, dem Charmes Chambertin mit 96,9 und dem Heitz mit 96,6.

Was für ein prächtiger Weinabend. Spitzenweine, Spitzenküche, Spitzenstimmung. Dem Andy, dem Baschi, den beiden Brunos, dem Gregor, dem Matthias, dem Paul, dem Thomas, dem Toni und last not least unserem Gastgeber Werner Tobler sei herzlich gedankt, dass ich hier dabei sein durfte. Auf Rotweinwolke Sieben bin ich ins Bett geschwebt, habe bestens geschlafen, bin früh morgens bei herrlichem Sonnenschein mit klarem Kopf aufgewacht und war topfit. Ob eine Probe wirklich gut war, stellt sich immer erst am nächsten Morgen raus. Diese hier war saugut.