Best Bottle am Herlisberg

Wie in Abrahams Schoß fühlte ich mich im Kreise meiner Schweizer Freunde. Eine Best Bottle war angesagt, diesmal nicht in der Hochdorfer Braui(deren Wirt hatte sich für ein verlängertes Wochenende ins Burgund verdrückt), sondern im wunderbar gelegenen Wirtshaus Herlisberg bei Sepp und Liselotte Niederberger. Dort konnten wir in einer milden, lauen Sommernacht draußen sitzen und in einer Art mediterran-alpinen Atmosphäre lukullischen Genüssen frönen.
Schon fast traditionell der Begrüßungsschluck, ein 2002 Königsbacher Idig GG von Christmann. Zwei unterschiedliche Flaschen, die erste etwas verhaltener, die zweite deutlich offener, doch mit Zeit und Luft verwischten sich die Unterschiede. Der Idig ist und bleibt ein spannungsgeladener Wein mit erstaunlicher Frische, knackiger Säure, hoher Mineralität und reichlich gelben Früchten. Wird mit der Zeit generöser, ausladender und entwickelt fast so etwas wie burgundischen Schmelz. Wer mehr als die 93/100 bekommen möchte, die sich bei uns mit der Zeit im Glas entwickelten, sollte größere Gläser nehmen und den Wein eine gute Stunde vorher dekantieren. Wir bekamen in frisch aus der kalten Flasche in das, was man in der Gastronomie Weisweingläser nennt, eine Affenschande, bei der uns sicher gut 3 Punkte Weingenuss verloren gingen.
Wie gut und spannend der Idig wirklich ist, zeigte dann der nächste Wein, der 2005 Were Dreams von Jermann, den wir aus der Magnum tranken. Ein großer Name, ein hoher Preis und auf zugegebenermaßen hohem Niveau Chardonnay-klassische Langeweile. In fruchtigen Nase etwas Gummibärchen, am Gaumen Bittermandeln, füllig, stoffig, aber eben nicht spannend, gutwillige 90/100. Besser zum Essen, aber für mich überbewertet und überteuert.
Völlig daneben lag nicht nur ich, sondern der überwiegende Teil des Tisches beim ersten Rotwein-Flight. Aber das lag wohl nicht nur an uns, sondern auch an den Weinen. Beide kenne ich nur deutlich besser und anders. 1998 Vinattieri war in der Nase recht animalisch, viel Leder, ein Pferd samt Sattel, am Gaumen säurebetont und in der Aromatik Richtung Italien deutend, kurz und schlank im Abgang, auf einen reifen Merlot wäre hier wohl keiner von uns gekommen 86/100. Nicht viel anders beim 2001 Castello Luigi. Stank zu Anfang wie die Hölle. Dichte Farbe, wurde balsamischer, schweißiger, mit der Zeit kam auch etwas Bitterschokolade, blieb aber anstrengend. Mit der Zeit steigerte er sich etwas, aber kein Vergleich zu dem großen "Pomerol", den ich bei diesem Wein im vorigen Jahr mehrfach im Glas hatte 89/100.
Spannend der Vergleich der nächsten beiden Weine. Bei Ornellaia hat es mit dem Jahrgang 1998 so eine Art Stilbruch gegeben, einen neuen Winemaker, eine neue Stilistik. So war denn 1998 Ornellaia in seiner ganzen Anmutung sehr jung mit kalifornisch wirkender Frucht und Farbe, gute Struktur, mineralisch, salzig, üppig, internationale, sehr zugängliche Machart. Erstaunlich für das nicht gerade überragende Jahr und unwillkürlich musste ich an chemische Haltbarkeitsmacher denken, an Silikonbrüste und an andere Dinge, die der Natur einen anderen Verlauf geben. Trotzdem in jedem Fall ein gut "gemachter" Wein 93/100. Gut 5 Jahre älter wirkte im Vergleich der 1997 Ornellaia aus diesem großen Italien-Jahrgang. Ein kompletter, großartiger Wein, ein hedonistisches Nasen- und Gaumenfest, auf dem Punkt und dabei so schmelzig und einfach irre lecker 95/100. Würde ich aber in den nächsten Jahren trinken.
Erst zwei Wochen zuvor hatte ich auf René Gabriels großer Lynch Vertikale den 1998 Lynch Bages im Glas, damals sehr offen, fruchtig und sexy. Jetzt präsentierte sich derselbe Wein als sehr dichtes, verschlossenes Konzentrat mit Tanninen ohne Ende und superdichter Farbe. Unter der massiven, dicken Schale versteckt etwas Minze und fast verschämte, pflaumige Frucht, echte Trinkreife bei dieser Flasche noch in weiter Ferne 90+/100. Gerade diese Vielfältigkeit macht das Weintrinkerleben so spannend, aber auch verdammt trickreich. Wer Wein XY in einem Restaurant begeistert genießt, nicht wissend, dass der dort seit ein paar Jahren bei 18 Grad lagert, und dann zuhause in den eigenen, kalten Keller steigt und exakt den gleichen Wein anschließend total verschlossen im Glas hat, wird ähnlich staunen wie ich, als der Lynch Bages aufgedeckt wurde. Etwas offener, zugänglicher und weicher war der im Vergleich getrunkene 1998 Mouton Rothschild. Aber auch der mit nicht nur sehr dichter, junger Farbe, sondern ebenfalls mit massivem Tanningerüst. Da sind bei gut gelagerten Flaschen wie dieser sicher noch 5 Jahre Wartefrist angesagt 92+/100.
Sehr gegensätzlich die nächsten beiden Weine. Sehr jung in der Anmutung und sich gerade erst ein Stück öffnend der 1996 Les Forts de Latour. Junge Farbe, immer noch jugendliche Cassis-Frucht, etwas Minze, tolle, präzise Struktur, kräftige Tannine als Garant für längeres Leben. Da waren heute gut 90/100 im Glas. In ein paar Jahren, wenn ich an meine eigene Kiste gehe, könnten da gut und gerne noch mal 1-2 dazu kommen. Keinen Tag zu lange warten sollte dagegen, wer den schier unglaublichen 1990 Croix du Casse im Keller hat. Ein perfekter, großer, gereifter Pomerol auf dem absoluten Höhepunkt mit unglaublichem, schokoladigen Schmelz und malziger Süße, aber auch sehr druckvoller Aromatik am Gaumen. Ich kenne dieses großartige Erlebnis eines perfekt ausgereiften Weines eigentlich nur von erheblich älteren Gewächsen und habe auch hier auf einen deutlich älteren Wein getippt 96/100. Angesichts der sehr reifen Farbe würde ich diesen Wein nur noch aus erster Hand und allerbester Lagerung nachkaufen. In allen anderen Flaschen ist die Gefahr sehr groß, dass er längst hin ist.
Deutlich jünger die beiden nächsten 90er. 1990 Lynch Bages war ein prachtvoller Wein mit hohem Hedonismus-Faktor. Kräftig und füllig mit reifer Frucht, Fruchtsüße und toller Struktur. Lakritzig und mineralisch am Gaumen. Ein 90er mit Zukunft 94/100. Einen Flaschenfehler musste dagegen 1990 Pichon Baron gehabt haben. Der wirkte völlig untypisch verhalten, fein, elegant und erstaunlich leicht. Wo da sonst Tina Turner im Glas rockt, sang plötzlich ein kleines Mädchen Volkslieder.
Als Solitär kam danach ein 1953 La Pointe auf den Tisch. Der erinnerte stark an den 90 Croix du Casse, nur, dass er halt 37 Jahre älter war. Auch das ein reifer, großartiger Pomerol mit erstaunlich generöser, druckvoller Aromatik 95/100. Der wesentliche Unterschied zum Croix du Casse dürfte darin bestehen, dass sich der La Pointe in gut gelagerten Flaschen noch eine ganze Weile auf diesem Niveau halten dürfte.
Und dann kam wieder viel Zukunft ins Glas, vorausgesetzt, die Fantasie spielte mit. Überhaupt nicht nach Bordeaux war uns beim 1998 Figeac. Sehr dicht und nicht nur blutjung, sondern auch dieses Blutaroma, an dem man eigentlich blind die nördliche Rhone erkennt. Etwas stahlige Frucht und massive Tannine prägen diesen Wein, der erst ansatzweise zeigt, was er drauf hat. Aber es werden wohl noch gut 10 Jahre ins Land gehen, bis dieser vielleicht größte Figeac seit den 50ern in voller Blüte steht. Bis dahin wird er sich noch mehrmals häuten und immer wieder anders schmecken 92+/100. Ich werde wohl auf die Suche nach diesem Wein gehen. Nicht mehr suchen muss ich 1994 Dominus. Davon habe ich genügend im Keller. Nur lasse ich die derzeit noch genauso in Ruhe, wie ich das mit den 98er Figeac tun werde. In seiner Fruchtphase, die Dominus, der vielleicht Bordeaux-affinste aller Kalifornier, auch hatte, war das ein Riese auf 99/100-Niveau. Ich erinnere mich noch gut, wie er 1998 gegen 94 Harlan erst ganz knapp auf der Zielgeraden nur 2. Sieger wurde. An diesem Abend zeigte er sich als gewaltiges Konzentrat mit irrer Dichte, das nur zaghaft erste Zugänglichkeit andeutete 94++/100.
Eigentlich auch in die Kategorie der Weine, denen man noch Zeit geben sollte, gehört 1982 Gruaud Larose. Zumindest gilt das, wenn der Wein wie diese Flasche hier aus perfektem Keller stammt. Man spürt das Potential dieses großartigen Weines und seine großartigen Anlagen, aber da er noch dazu erst kurz vorher dekantiert wurde, kann die Begeisterung, die dieser Wein eigentlich verdient, nicht so recht entstehen 90++/100. Übrigens hatte ich den Gruaud einen Abend später aus anderem Keller recht zugänglich und betörend mit 96/100 im Glas. Einen Fehler schien der recht fruchtlose, stahlig-kompakte 1982 Grand Puy Lacoste zu haben. Da war wohl ein schleichender Kork im Spiel.
Dafür war im nächsten Flight 1989 Grand Puy Lacoste um so schöner. Wunderbare, rotbeerige Frucht, gute Struktur, schmeichelnd und kräftig zugleich, Grand Puy vom Feinsten mit Potential für noch lange Jahre 94/100. Übrigens ein Wein, der lange gebraucht hat, deshalb nicht viel Ansehen genießt(auch wenig Parker-Punkte) und deshalb immer noch einigermaßen günstig zu bekommen ist. Auf ähnlichem Niveau der prächtige 1985 Palmer, den ich noch nie so jung, dicht und komplex getrunken habe, ein kleiner 61er Palmer mit noch viel Zukunft 94/100.
Bei der Probenzusammenstellung mussten sich Bruno und Dani gedacht haben, dass am Schluss, wenn die Burschen abschlaffen, nur noch schweres Gerät hilft. Das kam dann zunächst als Solitär in Form eines 2001 Hermitage von Chave auf den Tisch. Ein gewaltiges, extrem junges Geschoss mit reichlich würziger, pfeffriger Frucht, rauchig, mineralisch, ziemlich bissige Tannine, da sind wohl ab 2015 mal bis zu 95/100 im Glas, die man an diesem Abend aber nur erahnen konnte.
Als letzter Flight dann die Abteilung Blutjung. Eigentlich kein Fehler bei 2005 Cos d Estournel. Auf Cos werden nicht nur seit einigen Jahren spektakuläre Weine erzeugt. Cos gehört auch zu den Weinen mit sehr ausgeprägter, intensiver Fruchtphase. Wer einen großen Cos in dieser Phase nicht trinkt, muss ewig warten, bis der wieder dieses Niveau erreicht. Das war bei 82 so, bei 90 auch und bei 2005 wird es nicht anders sein. Eigentlich hatte ich das, was hier geradezu explosiv aus dem Glas schoss, noch nicht erwartet. Die 2005 tranken sich bei der Arrivage auf Grund ihrer massiven Tannine doch recht schwierig. Doch Cos schien an diesem Abend mal wieder der erste von den großen Bordeaux zu sein, der in diese einfach geile, jugendliche Fruchtphase einsteigt. Satte, schwarzbeerige, würzige Frucht, machte Vorfreude auf die vielen Brombeeren, die bald überall wieder hängen, faszinierende Röstaromatik, gut maskierte, reife Tannine, seidig wirkende, perfekte Struktur und viel Spannung, in dieser Phase einfach unwiderstehlich 96/100. Da war leider 2005 Flor de Pingus ein armer Wicht gegen. Ich war noch nie ein Fan dieses zu dick und zu alkoholisch geratenen Weines, der an den grandiosen 2004er aus eigenem Hause auch nicht ansatzweise rankommt. Aber im direkten Vergleich mit dem grandiosen(und leider hoffnungslos überteuerten) Cos wurde dieses fast etwas korpulent wirkende, schokoladige, alkoholische Geschmacksmonster geradezu demaskiert 92/100.
Noch mal zum Thema Fruchtphase. Ich wurde oft gefragt, wie lange die dauert. Da gibt es leider nur eine ziemlich dämliche Antwort drauf: bis sie zu Ende ist. Das ist je nach Wein und Jahrgang völlig unterschiedlich, und es gibt praktisch kaum Vorwarnung.