Burgunder aus der "Guten Alten Zeit"

Eins vorweg: In Frankreich sagt man, es gibt zweierlei Menschen, die Burgunder und Bordeaux. Ich bin ganz klar ein Bordeaux. Mit Burgundern konnte ich nie viel anfangen. Zu der Zeit, als ich Anfang der 80er mit Weintrinken begann, war aus Burgund hauptsächlich grottenschlechtes Zeugs aus den 70ern und 80ern auf dem Markt. Nach Herzenslust wurde im Burgund Dünger auf die Weinberge gekippt und geerntet, was der Weinberg hergab. So schmeckten dann auch die Weine, dünn und substanzlos. Und wenn wie so oft auch noch zum Ausgleich die Unterstützung von Herrn Chaptal gesucht wurde, diffus und pappig süßlich. Und so machte ich wie fast alle meiner Weinfreunde um Burgund einen zunehmend größeren Bogen. Als mein Interesse für ältere Weine stieg, bekam ich natürlich auch mal ältere Burgunder in die Finger bzw. an den Gaumen. Die waren ganz anders als das, was ich bisher kannte. Hier tat sich eine völlig neue Welt auf. Weine mit einer faszinierenden Aromatik, die unbedingt von nun an auch an meinen Gaumen gehörten. Broadbent spricht von 1959 als dem Ende einer Ära in Burgund. Inzwischen hat sich auch in Burgund viel getan und etliche seriöse Winzer knüpfen mit sorgfältiger Weinbergs- und Kellerarbeit sowie deutlich reduzierten Erträgen wieder an alte Zeiten an. Bernd Philippi brachte es bei unserer Probe auf den Punkt: "Burgunder kannst Du bis 1959 kaufen und ab 1989". Das tut zwar dem ein oder anderen gelungen 71er Unrecht, trifft aber im Prinzip den Nagel auf den Kopf. Nicht dass früher etwa in Burgund nicht auch rumgeferkelt wurde. Da wurde gepanscht, mit Rhonewein gearbeitet, der Jahrgang nicht so genau genommen. Schwarze Schafe gab es in Burgund schon immer. Dort sind wohl zum Ende des Mittelalters etliche Raubritter sesshaft geworden. Doch die Weine der guten Winzer bieten schon eine geschmackliche Welt, in die auch kompromisslose Bordeaux-Trinker einmal eintauchen sollten.

Burgunder aus der "Guten Alten Zeit" hatten wir zu unserer diesjährigen Prowein 2005 Probe als Thema ausgeguckt. Wie immer im Restaurant Schorn, das zur Prowein fast so eine Art Nabel der Weinwelt ist. Am Tisch neben harmlosen Weinfreunden wie mir auch seriöse deutsche Rotweinprofis wie Bernd Philippi, Paul Fürst, Joachim Heger und Gunter Künstler.

Nach einem ordentlichen Begrüßungsschluck eines für mich überraschend gut gelungenen 2003er Spätburgunders aus der Doppelmagnum von Gunter Künstler ging es gleich ab in die Weingeschichte.

Beim ersten Wein, einem 1945 Chambertin von Noirot-Carrière, glaubte ich erst, den 45er Vieux Chateau Certan vom Vortag im Glas zu haben. Eine ähnliche Mischung aus Medizinaltönen, Hustensaft und zu lange gezogenem Tee. Das änderte sich mit zunehmender Luft. Der Wein schliff sich ab, wurde gefälliger und entwickelte sich zu einem perfekten Burgunder mit sehr viel Kraft 95/100. Der 1937 Beaune 1er Cru von Masson-Dubois hatte eine erstaunlich junge Farbe, nicht sehr dicht, aber klar, brilliant ohne Brauntöne. Wirkte auch am Gaumen eher wie ein 15 Jahre alter Pinot. Ein zeitlos schönes, unkaputtbares Weindokument aus einem der größten Jahre, die das Burgund je gesehen hat 93/100. Der 1929 Latricières Chambertin von Faiveley war ein großer, noch sehr kraftvoll und jung wirkender Burgunder. Bei aller Power aber auch sehr fein und delikat mit einer faszinierenden Aromatik, nahe an der Perfektion 98/100.
Als Pirat zwischen all den Burgundern gab ein 1928 Chateau Cabonnieux aus Bordeaux keine schlechte Figur ab. Dichte, junge, kaum zu glaubende Farbe ich habe diesen Wein schon mehrfach , auch aus Chateau-Beständen getrunken, sicher das Größte, was Carbonnieux je erzeugt hat. In der Nase etwas verschlossen wirkend. Am Gaumen Kraft ohne Ende, Teer, Lakritz, immer noch spürbare Tannine, wenig Frucht. Ein großer Wein, in Flaschen wie dieser sicher 94/100 wert, und doch hatte ich das Gefühl, dass ihm die Burgunder irgendwie die Luft abschnürten.
Wir blieben in 1928 mit einem 1928 Hospice de Beaune ohne weitere Lagenbezeichnung des belgischen Handelshauses Lafite aus Brüssel. Kaffee, Mokka, Wahnsinnsfarbe. Dieser Wein war eindeutig "rhonisiert", sicher nicht typisch(außer für manche, damals nicht unübliche Machenschaften), machte aber trotzdem viel Spaß 91/100. Eigentlich schade, dass alte Rhone-Weine immer nur als Deckweine in Burgundern auftauchen, nicht aber als einzelne Weine. Ich weiß von vereinzelten Exemplaren, dass auch und gerade Rhone-Weine verdammt gut altern können und auch hochbetagt noch eine gute Figur abgeben.
Völlig anders und absolut authentisch ein 1928 Pommard von Leon Violland. Ein reifer Pinot mit feiner Säure, sehr finessig, elegant, entwickelt leichte Kaffeetöne. Ein feiner Wein, der lange am Gaumen bleibt 92/100.
Dann standen zwei 49er Burgunder gegeneinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Grausam ein 1949 Chambertin von Raoul Clerget. Alte Flasche, neues Etikett, neuer Korken ohne Korkbrand. Der Inhalt mit metallischer Nase, Jod, am Gaumen stark astringierend, wird zunehmend säuerlich. Mit 80/100 noch sehr gut bedient. Ganz anders dagegen ein einfacher 1949 Aloxe Corton von Albert Brenot. Ganz feiner, delikater, eleganter Top-Burgunder mit irrer Länge am Gaumen. Vielschichtig, feine Süße, einfach ein kompletter, großer Wein 97/100.
War der folgende Wein wirklich einer der wenigen Überlebenden des grausamen Jahres 1925, das in Burgund nur eine kleine Ernte harter, astringierender Weine hervorbrachte. Der 1925 Gevrey Chambertin von Pierre Feger hatte eine tolle, dichte Farbe, eine kräftige Säure, wirkte etwas spitz, wäre aber für den Jahrgang einfach eine Sensation 90/100. Nicht das das eine gefakete Flasche gewesen wäre. Nur haben es Winzer in Bordeaux und Burgund früher nicht immer ganz so genau mit den Jahrgängen genommen und einen Wein aus einem schächeren Jahr schon mal mit einer besseren Vorjahresqualität aufgebessert.
Dann kam der nächste Weinriese. Der 1919 Hospice de Beaune von Guichard Potheret & Fils hatte eine helle, aber sehr klare Farbe. Störende Nebentöne(alter Fahrradschlauch) verfliegen rasch, unendliche Eleganz, in der Nase kommt die bei alten, großen Burgundern so häufig anzutreffende Sauerkirsche, auch am Gaumen ganz feine, reife Säure 98/100. Aus Burgund muss man sich die Jahrhundertjahrgänge 1906, 1911, 1915 und 1919 merken. Da wurden reihenweise langlebige Legenden produziert.
Dann kam ein etwas merkwürdiger 1945 Beaune Cuvée le Blanc Grand Vins Bureau de Bienfaisaner von Bichot. Ein gefälliger, poliert wirkender Wein, völlig daneben, ohne Charakter, sehr süß 84/100. Nicht genug Zeit haben wir vielleicht einem 1934 Clos des Lambrays von Cosson gegönnt. Der besaß in der Nase einen schönen Minzton, hatte am Gaumen aber viel Säure und wirkte ungenerös 89/100.
Zum Schluss hatten wir zwei Traumweine aus dem Riesenjahr 1915. Quicklebendige, 90 Jahre alte, sehr beeindruckende Zeitzeugen. Was da im zweiten Kriegsjahr unter wahrscheinlich unsäglichen Mühen erzeugt wurde, verdient nicht nur wegen der überragenden Qualität Hochachtung. Und es war ein Frauenwein, denn die Männer waren im Krieg. Chapeau, meine Damen!
Als Nicolas-Version hat es ein 15er Clos Vougeot unter meine persönlichen TOP 100 geschafft. Der 1915 Clos Vougeot Chateau de la Tour von Morin stand dem kaum nach, ein finessiger Traumburgunder, der am Gaumen kaum aufhörte 97/100. Er fand aber seinen Meister in einem 1915 Clos des Fêves von Chanson. Das war Wein und Burgund in absoluter Perfektion, feinduftig, elegant und so irre nachhaltig und lang. In Worte lässt sich so ein Monument kaum fassen, aber in eine nackte Zahl 100/100. Und leider wird dafür ein anderer Wein meine TOP 100 verlassen müssen.