Cheval Blanc die Zweite

Zum Weintrinken ausgerechnet nach Bochum? Aber ja, wenn Uwe Bende ruft, wenn es große Cheval Blanc aus längst vergangenen Zeiten gibt und wenn das dann noch im wunderschönen Gartenzimmer des Stadtpark Restaurants stattfindet.

Zur Vorgeschichte dieser außergewöhnlichen Probe habe ich ja schon mal etwas geschrieben. Uwe Bende hat sie veranstaltet, weil er bei Elke Dreschers Cheval Blanc Probe keinen Platz bekam. Und weil der gute Uwe nicht nur ein großartiger Gastgeber ist, sondern auch ein Gentleman, hat er die liebe Elke gleich mit eingeladen. Und wer Uwe Bende kennt, weiß, dass es hier immer noch ein Vor-, ein Zwischendrin- und ein Danachprogramm gibt. Schließlich versteht er seine Rolle als guter Gastgeber auch so, dass hier keinesfalls jemand verdursten darf.

Das Vorprogramm war zweigeteilt. Im Rahmen eines Stehkonvents schlürften viele der Teilnehmer schon ab 17 Uhr diverse, gereifte Rieslinge. Da wir später eintrafen, habe ich nur noch einige der Weine kurz verkostet und gebe hier ein paar Spontaneindrücke wieder. Gut gefiel mir die kernige, immer noch sehr lebendige 1990 Walluffer Walkenberg Spätlese trocken von J.B. Becker. Noch eine Ecke drüber die 1990 Niersteiner Brudersberg Riesling Spätlese trocken von Heyl zu Hernsheim, der man trotz eines leichten Korks die große Klasse anmerkte. Warum hat das Weingut keiner mehr auf der Uhr? Weil deren sehr mineralische Rieslinge einfach deutlich mehr Zeit brauchen als die Masse der polierten GG s? Zu (extrakt)süß war mir die 1999 Hochheimer Hölle Spätlese trocken von Künstler, die um Längen von der großartigen, trockenen 99er Auslese des Gutes entfernt ist. Aber Künstlers Hölle gehört eh nicht aus der Flasche in ein Probierglas gegossen, sondern dekantiert und dann in ein großes Bordeaux- oder besser noch Burgunderglas. Nicht klar kam ich mit dem hochgelobten 2004 Mittelheimer St. Nikolaus Riesling 3 Trauben von Peter Jacob Kühn. Dafür gefiel mir sein Oestricher Doosberg Riesling trocken 3 Trauben umso besser. Das war mit seiner kräftigen, mineralisch-kräuterigen Art eigenständiges, spannendes Riesling-Kino.

Der zweite Teil des Vorprogramms startete dann mit einem tiefen Griff in Uwe Bendes Wein-Asservatenkammer. Die Lage war auf dem leicht zerfledderten Etikett des 1936 Siefersheimer nicht mehr zu erkennen. Vielleicht war es Höllberg oder Heerkretz, eine der beiden heutigen Parade-Lagen des Gutes Wagner-Stempel. Auch die Rebsorte ließ sich nicht identifizieren. Die Farbe ähnelte altem Cognac, medizinal die Nase, auch am Gaumen eher bittere Medizin, mehr "interessant" als Genuss 80/100. Abgefüllt wurde der Wein aus dem Jahrgang der Berliner Olympiade von einer Kölner Weinkellerei Schmutzler. Eine tiefe, aber brilliante Farbe hatte auch der 1959 Meursault von Pierre Léger, ein sehr würziger, immer noch wunderschön zu trinkender Wein mit markanter Bitternote am Gaumen, gute Länge, kein Alter 92/100. Ziemlich müde wirkte dagegen der 1959 Chateau de Meursault vom Comte de Moucheron, dem auch die Spannung fehlte 87/100.

Bereits zum dritten Mal kam ich Glücklicher danach in den Genuss des ältesten, noch existierenden deutschen Spätburgunders. Der anscheinend "unkaputtbare" 1872 Assmannshäuser Spätburgunder zeigte sich wieder von seiner besten Seite. Tiefes, reifes Braun, intensive Kaffeenase, hohe Säure am Gaumen, wirkte zu Anfang etwas gezehrt, baute aber enorm im Glas aus. Erstaunlich, wie viel Kraft dieser Wein noch hatte. Die immer noch hohe Säure, die diesen Wein in den ersten Jahrzehnten sicher untrinkbar gemacht hatte, hielt ihn am Leben. Das Depot schließlich zeigte sogar noch Frucht. Über Stunden entwickelte sich der Assmannshäuser im Glas weiter, und meine Bewertungen kletterten und kletterten, bis schließlich bei 91/100 nichts mehr im Glas war. Ein echtes Gänsehaut-Erlebnis. Nur noch von historischem Interesse der sehr gezehrte 1890 d'Issan aus Margaux, der hauptsächlich aus flüchtiger Säure bestand. Ein Traum schließlich der immer noch so vital wirkende 1928 Cheval Blanc aus einer Chateauabfüllung mit dichter Farbe, betörender, immer noch fruchtiger Nase, feiner Süße am Gaumen und Schmelz ohne Ende, nur einem Hauch flüchtiger Säure und toller Länge - 97/100. Einfach ein fast zeitloses Weinmomument. Und gleichzeitig ein perfekter Einstieg in ein Cheval Blanc Feuerwerk, das seinesgleichen suchte.

Aus Händlerabfüllungen kamen dann drei weitere Cheval Blanc Legenden. Solche Händlerabfüllungen sind inzwischen mit Vorsicht zu genießen. Aber wer wie Uwe Bende und Elke Drescher die entsprechende Erfahrung hat und außerdem die dazugehörige Sorgfalt an den Tag legt, kann so einwandfreie, fälschungsfreie Weinerlebnisse garantieren wie auf beiden Cheval Blanc Proben. Der bessere, weil langlebigere "47er" war wieder der schlichtweg sensationelle 1948 Cheval Blanc. Sehr dicht die Farbe dieses einfach kompletten, großen Weines, der Süße und Opulenz mit Dichte und fantastischer Struktur vereinigte 100/100. Einmalig auch das sehr schokoladige Depot dieses Weines, in dem sicher auch ein guter Teil 47er mit drin war. Sehr reif nicht nur in der Farbe war 1949 Cheval Blanc. Auch am Gaumen spürte man, dass inzwischen der Zahn der Zeit an diesem einstigen Monument nagte. Dabei blieb er aber immer noch so fein, so elegant, so weich und so schmelzig 96/100. Erstaunlich dicht auch die Farbe des 1952 Cheval Blanc, der mit seiner Kraft und der immer noch erstaunlichen Frucht sogar die Rolle des jugendlichen Helden spielte 96/100. 1952 ist ein völlig zu Unrecht vernachlässigtes Weinjahr, das in vielen Bordeaux Appellationen noch Überraschungen bereithält.

298 von theoretisch 300 möglichen Punkten gab es im Flight des Abends. 1947 Cheval Blanc war ein großer, kompletter Wein, vielleicht etwas verhalten in der Nase, in der opulenten Dichte nicht ganz an 48 heranreichend und mit Sicherheit bei aller unbestrittenen Größe nicht auf dem Niveau der überirdischen Chateauabfüllung, die ich schon häufiger trinken durfte 98/100. Trotzdem war das eine großartige Flasche und ein herausragendes Erlebnis. Schließlich galt der 47er Cheval schon Anfang der 50er als voll trinkbar, und ein solches, mittlerweile 60jähriges Trinkfenster geht irgendwann auch mal zu. Eine deutliche Spur drüber der perfekte 1950 Cheval Blanc, der einfach alles hatte. Dichte, Süße, Fülle, Struktur, Kraft, eine teaumhafte Nase und einen unendlichen Abgang 100/100. Hat in guten Flaschen wie dieser sicher noch eine längere Zukunft. Auf gleichem Niveau, wenn auch nicht so kräftig und dafür feiner der 1955 Cheval Blanc in einer Chateauabfüllung, einfach ein betörender Traum-Cheval mit immer noch herrlicher Frucht und diesem unnachahmlichen Cheval-Parfüm, mit feiner Süße und Eleganz pur, ein unglaublich stimmiger und harmonischer Wein mit enormem Tiefgang 100/100.

Einziger Totalausfall der Probe war 1953 Cheval Blanc aus einer Händlerabfüllung mit flüchtiger Säure ohne Ende. Schade, denn in sehr guten Flaschen kratzt auch dieser Wein an der Perfektion. Großartig 1959 Cheval Blanc aus einer Chateauabfüllung mit Struktur, Rasse, Klasse, Kaffee, Süße und Länge 97/100. Ein Wein, der immer noch Langstreckenpotential besitzt. In den besten Flaschen flirtet er, so wie 2008 auf René Gabriels großer Cheval Blanc Probe, mit der Perfektion und ist einer der größten 59er überhaupt. Deutlich feiner, sehr mineralisch, hoch elegant und finessig der ebenfalls großartige 1961 Cheval Blanc 96/100. Sehr variabel kann 1961 Cheval Blanc sein, den ich schon sehr grottig im Glas hatte. Diese Chateauabfüllung hier gehörte zu den besten, bisher getrunkenen Flaschen.

Mit einem 64er Quartett endete die Cheval-Parade. Allerdings konnte ich bei der belgischen Händlerabfüllung den Jahrgang nicht glauben. Dieser sehr dichte, portige, süße Cheval erinnerte eher an eine ältere Vandermeulen-Abfüllung aus den 40ern oder 50ern, ein großer Wein, aber kein 64er. Leicht dünn und verwässert wirkte die französische Händlerabfüllung 1964 Cheval Blanc von Delattre mit einer Hustensaftnote im Abgang 90/100. Sehr schön die 1964 Cheval Blanc Chateauabfüllung mit wunderbarer Nase, Unterholz, Trüffel, Waldboden, sehr finessig und elegant mit druckvoller Aromatik am Gaumen 94/100. Sehr achtbar schlug sich auch der Pirat, eine Chateauabfüllung 1964 La Dominique aus St. Emilion, ein feiner, eleganter Wein, reif mit malziger Süße 91/100.

Als Tischweine zum schönen Menü hatten wir jeweils aus der Magnum 1986 l Arrosée und 1989 Grand Mayne. Der l Arrosée, einer der Preis-/Leistungssieger des Jahrgangs 1986, wirkte mit tiefdunkler Farbe noch sehr jung mit stabilem Tanningerüst. Gegenüber den reifen Cheval-Boliden war das fast eine Art Kulturschock. Ein aus der Magnum noch so frischer, junger Wein mit guter Frucht und etwas Minze, kräftig und edel-rustikal am Gaumen wirkend, sicher 92+/100. Da ist noch Potential für etliche Jahre. Elegant, finessig, mit feiner Zedernholz-Würze und schmelziger Süße der reif wirkende Grand Mayne 92/100. Beide Weine hätten es eigentlich verdient gehabt, gegen 1986 und 1989 Cheval Blanc anzutreten. Cheval Blanc wäre in beiden Fällen wohl nicht unter den Siegern gewesen. Und da ich zwischendrin eher scherzhaft nach einem Weißen rief, kam ich auch noch in den Genuss eines 2003 Idig GG von Christmann. Der war weich, rund, saftig und reif mit hohem Genussfaktor, aber etwas wenig Struktur. Der gehört bald getrunken, denn da fehlt einfach die Säure 92/100.

Vom Nachprogramm, das dann sicherlich spät noch an der Bar des Hauses endete, habe ich nur einen Teil mitgemacht. Sehr eindrücklich in Erinnerung geblieben sind mir aber zwei Van Volxem Weine, die Roman Niewodniczanski mitgebracht hatte. Ein echter Preis-/Leistungssieger ist der 2011 Wiltinger Braunfels, der für wenig Geld eine volle Ladung dieses großen Jahrgangs ins Glas bringt. Voll auf BA Niveau eine absolut großartige 2005 Scharzhofberger Auslese mit der Roman recht erfolgreich auf Egon Müller Terroir wildert.

Rundum wohl fühlte ich mich nach dieser sehr gelungenen Probe. Zweimal durfte ich jetzt innerhalb kurzer Zeit diese einmaligen Chevals trinken, die zum Besten gehören, das im letzten Jahrhundert in Bordeaux erzeugt wurde. Und wenn ich trotzdem beim Einschlafen eine Sorgenfalte auf der Stirn hatte, dann war es die Angst davor, dass sich Uwe Bende und Elke Drescher demnächst zusammentun. Ich finde es viel schöner, wenn sie wie beim spannenden Thema Cheval Blanc Konkurrenzveranstaltungen aufziehen, und ich dann auf beide darf.