Das Unger Weihnachtstasting

Ein Klassiker ist es inzwischen, das Unger Weihnachtstasting. Jedes Jahr im Dezember brennen die Ungers in Deutschlands schönstem Probenraum ein Feuerwerk großer Weine mit zahlreichen Überraschungen ab.

Erwartungsvoll waren wieder 24 Weinnasen nach Frasdorf gekommen und hatten an der festlich geschmückten, langen Tafel Platz genommen. Welche Raritäten würden die Ungers heute aus dem Keller hervorzaubern? Begrüßt worden waren wir mit einem 1990 Dom Ruinart Blanc de Blancs Grand Cru. Der wirkte noch recht jugendlich mit heller Farbe und deutlichem Mousseux, eher auf der eleganten Seite, mineralisch mit etwas verhaltener, stahliger Frucht und leicht harzig im Abgang 88/100.

Mit drei weißen, blind servierten Weinen starteten wir in die eigentliche Probe. Hell die Farbe des 1978 Laville Haut Brion, generös die nussige, mandelige Nase, mineralisch und mit Zitrusfrüchten, schlank mit guter Säure am Gaumen, ein eleganter Wein, der noch keinerlei Schwächen zeigt 92/100. Völlig anders der nicht gerade wohlfeile 1978 Haut Brion Blanc. Schon ins Güldene gehende, reife Farbe, in der Nase deutliche Alterstöne und ziemlich oxidativ wirkend, auch am Gaumen trotz aller Kraft einfach nur alt und schwermütig wirkend, erinnerte in seiner oxidativen Art etwas an ältere, weiße Riojas, ohne allerdings deren Vielschichtigkeit zu erreichen 87/100. Noch schwächer 1978 Domaine de Chevalier, in der Nase Acetaldehyd, Bohnerwachs und Zitronensaft aus dem Blechkanister, am schon sehr gezehrten Gaumen etwas Trockenfrüchte, Feigen, wirkte insgesamt unharmonisch und deutlich über Höhepunkt 85/100. Wer braucht solche Weine? Niemand. Der Grund für ihren Anbau dürfte vor allem darin liegen, dass die Chateaus gerne bei ihren Events einen eigenen Weißwein anbieten und den dann natürlich ähnlich teuer verkaufen wie ihre Roten. In der heutigen, arbeitsteiligen Welt ist das ziemlicher Schwachsinn. Weißwein sollte dort angebaut werden, wo er nicht, wie in Bordeaux, schon sehr früh geerntet werden muss, um halbwegs die Säure zu retten, sondern dort, wo er vernünftig ausreifen kann.

Mit dem ersten Rotweinflight befanden wir uns in Kalifornien. 1987 war dort im Gegensatz zu Bordeaux ein sehr guter Jahrgang. 1987 Phelps Eisele hatte eine intensive, reife Minznase, war ledrig, animalisch, mineralisch mit etwas Eukalyptus, am Gaumen kernig, rustikal, kräftig und lang. Ein Wein, der sich nur im Schneckentempo entwickelt, immer noch ein gutes Gerüst etwas trockener Tannine hat und so manchen der modernen Eiseles noch überleben könnte 93/100. Reif wirkte 1987 Opus One, in der Nase etwas Brett, ein Pferd samt Sattel und zunehmend schöne Brombeerfrucht, am Gaumen weich, gefällig, fruchtig, elegant. Ein feiner, aber kein wirklich großer Wein 92/100. Eigentlich hätte ihm 1987 Dominus die Rücklichter zeigen müssen, aber das war leider keine gute Flasche. In der Nase zu Anfang Essigstich und flüchtige Säure, am Gaumen ein kerniger Charakterstoff. In besseren Flaschen ist das je nach Reife und Lagerung ein überzeugender Langstreckenläufer, der gut ins Medoc passen würde auf 93+ - 95/100 Niveau. Ein Spaßwein par Excellence war der 1987 Beringer Chabot Vineyard. Jugendlich-saftig, sogar vanillig, pfeffrig, die fröhliche Nase, am Gaumen sehr süß, fruchtig, viel Säure, spielerisch und etwas an Shiraz erinnernd 92/100.

Schlichtweg sensationell war ein 1977 Phelps Insignia aus der Magnum. Reife, feine, verführerische Nase mit Tabak, Schokolade, Zedernholz, Kaffee und dunklen Beeren, eher an einen großen Bordeaux als an Kalifornien erinnernd, am Gaumen seidig, süß, mit unendlichem Abgang und längst noch nicht am Ende 97/100. Sicher eine Suche wert, auch wenn der nicht immer so gut sein wird, wie aus dieser Ausnahmeflasche. Leider hatten wir dieses Flaschenglück bei 1977 Musar nicht, der sich ziemlich unterirdisch präsentierte. Ein leichter Stinker mit Liebstöckel und Bohnerwachs in der Nase, dazu ein leichter, aber deutlicher Korkton. Ein eindeutig fehlerhafter, freudloser Wein, der sich jeder Bewertung entzog. Nicht fehlerhaft sondern einfach nur grottenschlecht war 1977 Latour aus der Magnum. Was der in einem solchen Flight und auf dieser Probe zu suchen hatte, erschließt sich mir nicht. Grasig-unreife Nase, frisch gemähter, nasser Rasen, auch am Gaumen dünn, metallisch, unreif, geht nur für unverbesserliche Etikettentrinker - 79/100. Wie gut, dass nebendran der göttliche 1977 Sassicaia stand. Ein reifer, großer Sassicaia, der in dieser Form noch lange nicht am Ende ist, süße, rotbeerige Frucht, Milchkaffee, Leder, Exotik, Schoko, Nougat, einfach eine wilde, spannende Nase, auch am Gaumen süß, gefällig, fruchtig, exotisch und vielschichtig, dabei immer noch so jung und vibrierend 96/100.

So ziemlich voll in die Hose ging der nächste Flight. Alte Monfortinos sind ohnehin ein heikles Thema. Wer die noch dazu gut zahlenden Gästen ausschenken möchte, sollte nicht nur sicher über Zustand und Herkunft sein, sondern möglichst auch vorher die ein oder andere Flasche probiert haben. Sonst sieht das Resultat so aus: 1945 Monfortino Riserva von Giacomo Conterno hatte eine sehr helle, bräunliche Farbe, die wohl das Resultat deutlicher Farbausfällung ist. Ekelhaft auch die Heizölnase dieser wohl irgendwann misshandelten Flasche. Ähnlich die Farbe bei 1958 Monfortino Riserva, nur dass sie hier auch noch trüb war. Wer die grenzwertige Aceton-Nase schön reden wollte, sprach von "Anklängen" an Nüsse und Marzipan. Den Trinkversuch habe ich wie schon beim 45er schnell abgebrochen.
Auch der 1969 Monfortino Riserva stammte trotz dunklerer Farbe aus der Barolo-Geisterbahn. Völlig daneben nicht nur in der Nase, untrinkbar. Unwillkürlich musste ich bei diesen Weinen an eine Ebay-Auktion vor wenigen Tagen mit einem 45er Monfortino denken, in der es wörtlich hieß: "Etikett, Füllstand und Kapsel in einem erstaunlich guten Zustand, siehe Fotos .Die Flasche stammt aus einer Erbschaft und wurde in einem Schrank entdeckt. wie lange sie da schon stand können wir nicht sagen."
Gut, dass wenigstens der 1971 Monfortino Riserva wohl in keinem Schrank gestanden hat. Kräftige Farbe, in der medizinalen Nase Jod, Heftpflaster, Teer und Kräutertinktur, kräftig am Gaumen mit guter Säure und sehr langem Abgang, dabei schöne, lakritzig-kräuterige Süße 95/100.

Viele volle Gläser und ratlose Gesichter am Tisch, doch es sollte noch schlimmer kommen. Sehr positiv beim 1968 Vega Sicilia Unico nur die intakte, dichte Farbe, sehr schwierig die Nase, laktisch, überlagerter Yoghurt, nasser Hund, am Gaumen kurz und sauer. Hatte mit den beiden Flaschen diesen Weines, die ich den letzten Monaten auf begeisterndem 99/100 Niveau getrunken habe, allenfalls das Etikett gemeinsam. Keine Bewertung. Morbide die Nase des 1968 Beaulieu Private Reserve George de Latour mit Bohnerwachs und Möbelpolitur. Während die Nase mit der Zeit etwas besser wurde und sogar Anklänge von Minze zeigte, entwickelte sich der Gaumen um so fürchterlicher. Einen Trinkversuch habe ich schnell abgebrochen. Keine Bewertung. In Glas Nr.3 ein einfacher 1968 Ridge Cabernet(kein Monte Bello) mit belangloser, anstrengender Altweinnase, die eher schon Richtung Verwesungsgeruch ging. Keine Bewertung. Und last not least noch ein einfacher 1968 Inglenook Cabernet mit grenzwertiger Altweinnase, säuerlich, viel Liebstöckel, wurde immer käsiger, auch am Gaumen alt und deutlich über den Zenit. Trinkbar war er noch, Genuss brachte er keinen. Ich habe dem nicht ganz so Blinden unter den Blinden (für Einäugig reichte es nicht) großzügige 76/100 gegeben. Eindeutiger Sieger in diesem Flight war #5, das Wasserglas. Letzteres übrigens stets prompt gefüllt von den netten Servicemädels, die uns mit einem bezaubernden Lächeln perfekt umsorgten.

Und dann sollte sicher der Höhepunkt des Abends kommen, drei große Namen aus 1947 in Vandermeulen-Abfüllung. Der schönste der drei war 1947 Cheval Blanc, sehr dichte Farbe, gefällige Nase, die immer portiger wurde, am Gaumen schöne, mollige Süße und Opulenz, aber auch gute Säure 94/100. Während da noch gewisse Ähnlichkeiten bestanden, war der 1947 Petrus nicht als solcher zu erkennen. In der Nase Minze und Eisenkraut, aber auch eine irritierende Kokosnote, am Gaumen trocken und ziemlich kurz 89/100. Der 1947 Margaux hatte eine etwas seltsame, saure Nase, die mit der Zeit etwas minziger wurde, am Gaumen deutlich schöner, kräuterig, lakritzige Süße, enorme Kraft 93/100. Eine Klasse drüber das Depot, das ich mir später noch genehmigt habe. Das gab einen faszinierenden Rückblick auf das, was da mal in der Flasche war. Natürlich gab es, als aufgedeckt worden war, worum es sich bei den drei Flaschen handeln sollte, große Diskussionen am Tisch über die Echtheit der Flaschen. Ich habe mir die sechs Flaschen(2 von jedem Wein), die von den Ungers vor 10 Jahren von einer mir bekannten, renommierten Quelle aus Belgien erworben worden waren, genau angesehen. Alle Flaschen waren, da bin ich mir sehr sicher, von Glas, Etikett und Kapsel her Original Vandermeulen Flaschen. Bei Cheval und Margaux bin ich mir auch ziemlich sicher, dass drin war, was drauf stand, bei Petrus aber nicht. Da würde mich nicht wundern, wenn die beiden Flaschen vor langen Jahren ausgetrunken wurden, und die Etiketten dann auf irgendeinen kleineren Vandermeulen Wein wanderten. Da die Vandermeulen-Korken nicht Namen und Jahrgang zeigen, ist das kaum nachzuprüfen.
Bleiben wir deshalb mal bei den anderen Weinen, die ich schon recht häufig trinken durfte und meist konstant mit 100/100 bewertet habe. Wieso waren die hier jetzt soviel weiter und soviel schlechter? Da sind drei Dinge wichtig, Zustand, Herkunft und Alter. Laut Michael Unger waren die Flaschen in einem altersgemäßen, guten Zustand, wahrscheinlich irgendwo zwischen ms" und us". Nicht alle Belgier wohnen aber in großen Schlössern mit tiefen Kellern. Viele Vandermeulen-Flaschen stammen aus weniger optimalen Kellern, wo z.B. im Nebenraum die Heizung rumpelte. Das muss man nicht unbedingt deutlich am Füllstand erkennen. Denn wenn es im Sommer im Keller weitgehend konstant 16 Grad sind, und im Winter die Heizung im Nebenraum für eine ähnliche Temperatur sorgt, ergibt das auch eine gewisse Konstanz, aber auf zu hohem Temperaturniveau. Und dann sind diese Weine ja nun inzwischen 65 Jahre alt. Für ein Jahr mit opulenten, früh trinkreifen Weinen ist das enorm alt. Da ist es kein Wunder, wenn selbst die großen Namen anfangen, zu schwächeln. Wir werden uns wohl von dem Gedanken verabschieden müssen, die nächsten 20 Jahre weiter große 47er zu trinken. Jetzt sind dann halt die 82er dran. Auch die werden im nächsten Jahr bereits 30. Ich selbst habe noch kleinere Bestände von nahezu perfekten Vandermeulen-Flaschen, vor 18 Jahren aus optimaler Lagerung in Belgien erworben. Eine solche Flasche mit Füllstand "bn" habe ich gleich am Tag nach der Probe aus dem Keller geholt und zum Essen mitgenommen. Klar war das eine völlig andere Liga, so unendlich elegant und trotz aller Kraft so fein und finessig, Margaux pur mit ungeheurem, aromatischem Druck, viel Schmelz und generöser Süße, schlichtweg ein Traum - 99/100. Aber da waren inzwischen auch deutliche Reifetöne in der Farbe und nach gut 2 Stunden im Dekanter fing der Margaux ganz leicht an zu schwächeln. Meine letzten Flaschen werde ich deshalb in den nächsten Jahren genießen und nur eine für 2017 aufheben, wenn mein Freund Jörg Müller(Sylt) 70 wird.

Alles sprach beim letzten Flight nur über die Vandermeulens, dabei war der größte Wein im vierten Glas, ein 1974 Mayacamas Zinfandel Late Harvest. Was für ein gewaltiges, explosives Teil, ein süßer, generöser, sehr gut zu trinkender, kräuteriger, portiger Hustensaft mit wunderbarer Länge am Gaumen, der heftige Alkohol gut verpackt 97/100. Gefiel mir noch deutlich besser als die erste Flasche dieser Rarität, die wir 2008 als Abschluss einer großen Unger-Probe tranken.

Ich konnte die Kombination des letzten Flights kaum glauben und habe sie später gegoogelt. Da habe ich tatsächlich eine Empfehlung für Jahrgangschampagner und Comté gefunden. Aber da waren wohl weder die reiferen Champagner-Elixiere gemeint, die wir hier ins Glas bekamen, noch der reife, sehr intensive und würzige Comté Reserve, für den alleine es lohnen würde, bei den Ungers einzubrechen. Beides zusammen war anstrengend, also habe ich den Genuss voneinander getrennt. Ein großer, reifer Champagnertraum war 1976 Dom Perignon, reif, weich, schmelzig, generös mit verschwenderischer Fülle und immer noch gutem Mousseux 96/100. Sehr viel eleganter und feiner war der ebenfalls reife, weiche 1976 Roederer Cristal, der aber hier zwischen dem hedonistischen Dom Perignon und dem Kraftbolzen Krug fast erdrückt wurde 94/100. 1976 Krug war ein kraftvoller, dramatischer, typischer, großer Krug ohne Alter mit großartiger Struktur, aber auch mit cremiger Textur und viel Brioche 96/100. Nur mit 1976 Taittinger Comtes de Champagne kam ich zu Anfang nicht klar, was weniger an der Größe des Glases lag, als wohl vielmehr an einem Rest Spülmittel. Also ab ins große Bordeauxglas und welch Wunder aus dem seifigen Ton wurde eine betörende Waldhimbeernase. Ein sehr feiner, hoch eleganter, sublimer Champagner, tänzerisch am Gaumen mit wunderbarer Länge, immer noch jugendlich wirkend 95/100.

Als kleines Supplement schob der Hausherr dann noch einen 1974 Mondavi Cabernet Sauvignon Reserve ein, der sich in absoluter Bestform zeigte. Herrliche Nase mit Minze, Eukalyptus, Zedernholz, Leder und ätherischen Noten, gewaltiger Druck und Länge am Gaumen, dabei sehr balanciert und elegant in totaler Harmonie. Einer der ganz großen Weine aus diesem legendären Kalifornien-Jahrgang - 97/100.

Als Abschluss gab es zum Bratapfel noch einen 1947 Guiraud aus Sauternes. Ich hätte ihn nur trinken sollen, nicht dran riechen. Dann wäre mir diese fürchterliche Mischung aus Kork und Hallenbad erspart geblieben. Der Gaumen war deutlich besser mit verhaltener Süße, Kumquats, Karamell, wenig Opulenz und etwas flach im Abgang 90/100.

Ja, ich gebe zu, ich hatte sehr gemischte Gefühle nach dieser Probe. Diese Mischung aus zum Teil unglücklich zusammengestellten Flights und viel Flaschenpech hat den Gastgeber sicher nicht weniger getroffen als uns, die für dieses Event ja nicht nur eine weite Anreise hatten, sondern auch tief in die Tasche greifen mussten. Um so überraschender klang dann am nächsten Morgen beim Frühstück für einige meine Antwort auf die Frage, ob ich denn da nächstes Jahr etwa wieder hin führe. Die Antwort war ein klares Ja und die Begründung eine ganz simple. Wer die Ungers kennt, weiß, dass sie diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen werden und im nächsten Jahr ein Feuerwerk abbrennen werden, von dem man noch lange sprechen wird.