Das Wasser im Munde

Wenn mein Freund Bernd zu einer seiner Proben einlädt, läuft mir spontan das Wasser im Mund zusammen. Handelt es sich doch hier nicht nur um einen großen Weinsammler, sondern auch um einen begnadeten Hobbykoch auf Sterneniveau.

Tagelang hatte der gute Bernd nicht nur an der Zusammenstellung seiner Probe herum gedoktort. Er hat dazu auch ein großes, achtgängiges Menü kreiert, entsprechend eingekauft und vorbereitet. Nur selbst final gekocht hat diesmal nicht. Dafür hatte er einen jungen Spitzenkoch engagiert, der lange in der Sternegastronomie, u.a. bei Dieter Müller, gearbeitet hatte. Der setzte Bernds Ideen gekonnt um. Der Hausherr kümmerte sich derweil um perfekte Weinkultur.

Irritiert hat mich einzig der Begrüßungsschluck, ein 2006 Mardelskof Riesling Großes Gewächs von Pfeffingen. Der wirkte etwas strukturlos und diffus-süßlich, recht ausladend und korpulent, alkoholisch und mit Karamell statt Frucht. Nicht unbedingt das, was ich unter einem gelungenen Riesling verstehe 86/100. Deutlich besser gefiel mir die 2003 Niederhäuser Hermannshöhle von Dönnhoff als trockene Spätlese. Ein sehr eleganter, finessenreicher, mineralischer Wein, dem man das Überreife, Üppige des Jahrgangs nicht anmerkt 93/100. Erheblich fetter war im direkten Vergleich der ebenfalls gut gelungene 2003 Riesling Morstein GG von Klaus Keller mit guter, aber sehr reifer Säure 92/100.

Im ersten Rotweinflight dann ein betörender 1997 Phelps Insignia, sehr fruchtig, intensive Fruchtsüße, cremige Textur, einfach sexy mit viel Schmelz, dabei aber nicht aufdringlich und sehr balanciert 95/100. Während die Insignias von Phelps grundsätzlich gut altern, wäre ich mir da beim 97er nicht so sicher. Ich würde den lieber in den nächsten Jahren austrinken. Fehlerhaft muss dagegen der 1997 Solaia gewesen sein, den ich nur deutlich besser und anders kenne. Aus dieser Flasche hier kam er zwar wunderbar ins Glas, baute dann aber mit rasender Geschwindigkeit ab, wurde medizinal, metallig, fischig und war auch am Gaumen völlig daneben.

Konstant auf recht hohem Niveau hält sich 1978 Leoville las Cases. Auch an diesem Abend kam er wieder als kräftiger, komplexer Wein mit guter Farbe ins Glas, ein hochwertiger Leoville las Cases der klassischen Machart, der sicher noch ein Jahrzehnt gut überdauern wird 92/100. Ein Traum war die 1978 Pichon Comtesse de Lalande. Das war einfach Comtesse in Perfektion, seidige Eleganz, feine Süße, tolle Länge am Gaumen, reif, aber in guten Flaschen noch lange nicht am Ende 95/100.

Danach standen zwei Weine gegeneinander, die ganz vorne im Rennen um den Wein des Jahrgangs liegen und beide noch ein paar Jahre brauchen. 1983 Palmer zeigt immer deutlicher, dass hier, allerdings im Schneckentempo, der Nachfolger des legendären 61ers heranwächst. Ein sehr aromatischer, eleganter Wein mit delikater Frucht, Zedernholz und burgundischen Konturen, aber auch noch massiven Tanninen 95+/100. Zumindest derzeit einen deutlichen Tick drüber 1983 Margaux. Das ist wieder die klassische Eisenfaust im Samthandschuh, ein schlichtweg atemberaubender, kompletter Wein, der auf unnachahmlicher Art und Weise Eleganz und unbändige Kraft miteinander verbindet 98+/100. Wohl dem, der die Entwicklung diese beiden, faszinierenden Weine über die nächsten 3 Jahrzehnte aus eigenem Keller verfolgen kann.

Das gilt natürlich auch für den Vergleich von 1989 La Mission Haut Brion und 1989 Haut Brion, den wir an diesem Abend dank unseres spendablen Gastgebers vornehmen konnten. Beide Weine eindeutige, moderne 100/100 Legenden. Klar ist da die Frage, wer vorne liegt, rein akademischer Natur. Aber wo wir diese Riesen nun mal im Glas hatten, wurde schon heftig diskutiert, welches jetzt nun der bessere Wein sei. Beide Weine waren nur etwa eine Stunde vorher dekantiert worden, was für derartige, junge Boliden doch etwas kurz ist. Auf einem Irrsinnsniveau lag für mich La Mission leicht vorne, wobei Haut Brion deutlich länger brauchte, im Glas dann aber mächtig aufholte. Mich erinnerte das an den Vergleich von 1961 La Mission und Haut Brion, dem ich schon mehrere Male beiwohnen durfte. Auch hier war es eher Geschmacksfrage, für welchen der beiden Weine man sich entschied, La Mission stets der aromatischere, elegantere, Haut Brion der kräftigere, nachhaltigere. In jedem Fall gehört diese Paarung mit zum spannensten dessen, was man auf den Tisch bringen kann und sollte damit eigentlich mindestens einmal zum Pflichtprogramm eines jeden Weintrinkerlebens gehören. Die beiden 89er sind legitime Nachfolger der immer noch vitalen 61er und dürften sich sicher noch 2-3 Jahrzehnte für solche Duelle anbieten.

Nach diesem unzweifelhaften Höhepunkt der Probe ging es auf hohem Niveau weiter. 1989 Grand Puy Lacoste tritt immer mehr aus dem Schatten des hochbewerteten 90ers. Ein sehr feiner, eleganter Wein mit dichter Farbe, intensiver rotbeeriger Frucht, kleidet wunderbar den Gaumen aus - 94/100. Immer noch ein absoluter Geheimtipp für kluge Bordeaux-Käufer. Nicht so fein, dafür deutlich kräftiger mit opulenter, satter Frucht und einem nach wie vor strammen Tanningerüst 1989 Lynch Bages. Einer der schönsten, jüngeren Lynch Bages mit gewaltigem Potential 95/100.

Interessant auch der Vergleich von 2000 Pavie und 2001 Pavie. Wer nur nach Parker Punkten kauft und trinkt, landet hier garantiert beim falschen Wein. 2000 Pavie ist ein Riese und gehört zu den größten Jungweinen, die ich je im Glas hatte. Nur zeigt er sich derzeit und wohl noch mindestens für die nächsten 5, wenn nicht 10 Jahre total verschlossen. Klar spürt man die gewaltige Substanz dieses Weines, nur kommen momentan auch beim besten Willen nicht mehr als 92++/100 rüber. Nur einen Bruchteil kostet 2001 Pavie, bringt aber derzeit erheblich mehr Trinkspaß ins Glas. Da ist schiere Lebensfreude, offene, dekadent leckere Frucht, üppig, tolle Röstaromatik, frische Kräuter, sehr nachhaltig und lang, ein gewaltiges Geschoss, das am Gaumen richtig zupackt 96/100.

Der letzte Flight führte uns noch mal nach Kalifornien. Ein Trauerspiel leider wieder 1994 Shafer Hillside Select. Immer noch superdichte Farbe, Kraft und jugendliche Anmutung. Aber ähnlich wie der 95er singt dieser Wein derzeit nicht. Wo ist die süße, hedonistische Frucht geblieben, wo der üppige Schmelz? Statt Lebensfreude eher Schwermut, etwas dumpf und verschlossen wirkend mit dunklen Früchten. Immer noch massive Tannine, wirkt etwas bitter am Gaumen. Großen Bordeaux billigt man ja auch zu, dass sie sich verschließen, warum also nicht auch einem solchen Edel-Kalifornier? Sollte das allerdings nicht ein Zwischenstadium sein, sondern das Ende, dann habe ich ein Problem im Keller. Vor fünf Jahren notierte ich zu diesem Wein "derzeit sehr verschlossen, in fünf Jahren wieder probieren". Na, dann legen wir halt noch mal fünf Jahre drauf. Wie ein reifer Kalifornier aus dem Superjahrgang 94 schmecken kann, zeigte dagegen der an diesem Abend schlichtweg überragende 1994 Caymus Special Selection. Den habe ich zuletzt 1998 im Glas gehabt und seinerzeit völlig unterschätzt. Inzwischen wirkt er reif, sehr offen mit herrlicher Frucht, süß mit Karamelltönen, aber auch etwas Eukalyptus und Minze, immer noch kraftvoll, dicht, komplex und sehr lang am Gaumen. Muss sich hinter den außerweltlichen 91 und 92 nicht verstecken 97/100.