Der Bordeaux 1988 Hammer

Vierzehn neugierige Weinnasen hatten sich in der Schweiz im gemütlichen Weinkeller einer Trattoria zu einer Probe versammelt, die man getrost als denkwürdig bezeichnen kann. Baschi Schwander hatte eine 1988 Bordeaux Probe auf die Beine gestellt mit 23 Gewächsen. In einer kurzen, launigen Begrüßung hieß er auch die Herren Ratzinger und Schwarzenegger zu dieser Verkostung willkommen. Gemeint waren der (Wein)Pabst René Gabriel und meine Wenigkeit, der (Wein)Terminator.

Schwer getan haben wir uns wohl alle lange Jahre mit diesem letzten, klassischen Bordeaux-Jahrgang. Massive Tannine trübten bisher den Genuss. Da gehörten schon viel Erfahrung und Weitblick zu, den Jahrgang nicht abzuschreiben. Ich erinnere mich noch genau, wie mir vor zwölf Jahren Sotheby s Weinchefin Serena Sutcliffe, die Grande Dame der Weinszene, eben genau diesen Jahrgang 1988 ans Herz legte. Das wird mal ein ganz Großer, so ihr freundschaftlicher Rat, deck Dich damit vernünftig ein.

Wie recht sie damit hatte, sollte sich im Laufe der Probe erweisen. Licht, aber auch viel Schatten im ersten Fünferflight. Von recht guter Statur 1988 Montrose. Immer noch ein dichtes, tanninbeladenes Muskelpaket, etwas pelzig auf der Zunge, bei dem zeitweise leicht grüne Elemente spürbar wurden. Aber da war neben einem leichten Stinker auch schöne, beerige Frucht und eine gute Länge am Gaumen. 90/100 waren da insgesamt im Glas, in 10 Jahren könnten es bei diesem Langstreckenläufer durchaus noch mehr werden. Ein in dieser Flasche noch recht verschlossenes Kraftpaket war auch 1988 Cos d Estournel. Etwas weicher und gefälliger als Montrose, doch noch Jahre von der Trinkreife weg. Gut, dass ich diesen Wein in der letzten Zeit häufiger nicht nur aus reiferen Flaschen trinken durfte, sondern vor 1 Jahren auf René Gabriels großer Cos-Probe auch aus einer spektakulären Imperiale. So brauche ich nicht viel Fantasie um mir vorzustellen, das aus den 92/100 in dieser Probe mal 95+/100 werden. Der reifste Wein der gesamten Probe war 1988 Leoville Barton, der auch in der nicht sonderlich dichten Farbe schon erste Reifetöne zeigte. Traumhaft schön die feinduftige, elegante Nase. Am Gaumen eher etwas kurz und schon leicht auf dem Abstieg wirkend 90/100. Nicht ungewöhnlich für einen Barton aus den 80ern, auch wenn Leoville Barton Fans jetzt wieder aufschreien werden. Nicht klar kam ich mit 1988 Talbot. Auch der ließ in der Farbe erste Reifetöne erkennen. Die zu Anfang recht schöne, feinduftige Nase wurde mit der Zeit immer mehr von Brettamycose dominiert. Am Gaumen war der Talbot eher ein ziemlich herber Säuerling 83/100. Durchaus möglich, dass das einfach nur eine schlechte Flasche war. Allerdings fand ich den Talbot schon bei der 88er Ankunftsprobe vor 18 Jahren ziemlich unterirdisch. Daneben leider auch 1988 Ducru Beaucaillou. Was könnte das für ein schöner Wein sein ohne den für diese Ära typischen Ducru-Fehlton, dieses ärgerliche Aroma nassen Pappkartons, das einen Großteil der Ducrus zwischen 1985 und 1990 verhunzt. Natürlich gibt es vereinzelt immer mal wieder Ausnahmeflaschen, die diesen ekligen Ton nicht haben, doch diese hier war leider die Regel, nicht die Ausnahme.

Nach verhaltenem Start ging es zumindest in einem Teil des zweiten Flights etwas mehr zur Sache. Erst ganz am Anfang ist 1988 Trotanoy, ein feiner, nachhaltiger Wein mit schöner Minznase. Wird zurecht immer als Medoc aus Pomerol bezeichnet, denn von der Stilistik her ist er meist eher linkes als rechtes Ufer. Ein Wein mit noch viel Potential, der sich auch noch deutlich steigern kann 93/100. Unbedingte Kaufempfehlung. Ja war denn schon wieder Weihnachten? Lebkuchengewürze reichlich brachte 1988 Ausone in der faszinierenden Nase. Die entschädigte dann für den eher etwas anstrengenden Ausone-typischen, etwas medizinalen Eindruck am Gaumen 90/100. Leider nicht in Bestform präsentierte sich auch 1988 Canon-la-Gaffelère. Das Erstlingswerk des charismatischen Stefan Graf Neipperg habe ich in den letzten 3 Jahren mindestens sechsmal mit konstant 93/100 im Glas gehabt. Da muss diese Flasche hier, medizinal, jodig, am Gaumen kompakt mit hoher Säure, einfach ein Ausreißer gewesen sein 87/100. Und dann war da noch der schon fast bemitleidenswerte 1988 Cheval Blanc. Einfach nur streng in der Nase und am Gaumen mit wenig Substanz. Ein spröder Wein, bei dem die Hoffnung auf Besserung und ein Wunder zunehmend schwindet 86/100. Ganz anders dagegen 1988 Angelus, der sehr deutlich zeigt, was in 88 auch in St. Emilion möglich war. Der präsentierte sich so offen, so sexy, mit reichlich Kaffee und Schokolade, aber auch kräuteriger Würze und etwas Minze. Hatte ich noch nie so offen, weich und mollig im Glas, einfach unglaublich lecker mit sicherlich noch Potential für mindestens ein weiteres Jahrzehnt 94/100.

Und dann kam der große Augenöffner-Flight, viermal Pauillac vom Allerfeinsten. Konnten das denn schon die Premier Crus sein? Warum brachte der gute Baschi die denn jetzt schon mitten in der Probe? Die Qualität der vier Weine, die da vor uns standen, war einfach überragend. Und da wir blind verkosteten, hatten auch vermeintliche Außenseiter ihre große Chance. Ich weiß, dass nicht nur Journalisten, sondern auch viele Weinfreunde nach Aufdeckung eines Flights die Punkte wieder nach unten korrigieren, wenn da ein Außenseiter zu gut abgeschnitten hat. Aber warum eigentlich? Weil nicht sein kann was nicht sein darf? Ich hatte beim 1988 Pontet Canet blind 96/100 im Glas und von denen hat sich dieser großartige Wein jeden einzelnen redlich verdient. Klar das war kein Schmusewein, so wie ja auch 88 kein Schmusejahrgang ist. Aber wir hatten hier einen wunderbaren Bordeaux-Klassiker vor uns, rauchig, würzig, fleischig und speckig, mit schier unglaublicher Statur und viel Tiefgang, dazu noch das gewaltige Potential eines großen Weines, der erst ganz am Anfang eines langen Weinlebens steht. Ein positiver Ausreißer? Und was war dann mit dem Nachbarglas, dem ich ebenfalls 96/100 geben durfte/musste? Ausgerechnet 1988 Clerc Milon, ein Wein, den in diesem Jahrgang nun wirklich niemand auf der Uhr hat. Aber auch das so ein überzeugender, großer Wein, weiter als Pontet Canet, Wärme ausstrahlend, sogar richtiggehend mollig mit viel Pferdestall in der Nase und sehr schöner Länge am Gaumen. Beide Weine hatte ich noch nie im Glas, und ich wäre auch sicher in einem Restaurant nie auf die Idee gekommen, einen davon zu bestellen. Und jetzt bin ich auf der Pirsch, so wie wohl alle anderen Teilnehmer der Probe auch. Wenn überhaupt noch verfügbar, dürften Pontet Canet und Clerc Milon immer noch zu einem Spottpreis zu haben sein. Suchen werde ich auch nach dem äußerst gelungenen 1988 Lynch Bages. Unglaublich, wenn ich den mit dem belanglosen, überteuerten Schlabbersaft vergleiche, den ich gestern auf der Prowein als 2005 Lynch Bages im Glas hatte. Das hier ist ein gewaltiger Wein mit Kraft ohne Ende, aber auch einer sehr betörenden Nase. Sehr dicht und ohne jedes Alter wie bei allen anderen Weinen dieses Flights die Farbe. Massiv immer noch das Tanningerüst und damit auch die potentielle Lebensdauer. Von diesem 95/100 Elixier muss unbedingt noch was in meinen Keller. Ich habe den 88er Lynch Bages bisher bei mehr als einem Dutzend Begegnungen nur einmal gemocht, 1990 bei der Arrivage-Probe. Alle anderen Flaschen danach waren ziemlich anstrengend. Aber mit diesen gewaltigen 88er Tanninen ist es wie mit der winterlichen Schneedecke in den Bergen. Es dauert eine ganze Weile, bis das Zeug abgeschmolzen ist, aber dann wird alles um so prächtiger. Großes Potential hat auch der derzeit immer noch von tanniniger Herbe geprägte 1988 Pichon Baron. Ein sehr fleischiger Wein mit pflaumiger Frucht, sehr maskulin wirkend und in der 1tel (meine eigenen halben Flaschen sind schon etwas weiter) nach viel Luft und weiterer Lagerung schreiend 91+/100.

Im nächsten Flight wieder eine große Überraschung, 1988 Palmer. Während alle Welt hinter 83 und 89 hinterher rennt, entwickelt sich hier völlig unbemerkt in aller Seelenruhe ein großer klassischer Palmer. Eine einfach geile, schmelzige Nase hat er heute schon, am Gaumen wirkt er noch etwas kompakt und verschlossen, aber das wird sich in den nächsten Jahren geben. Ein potentiell großer Palmer, der jede Suche wert ist 92+/100. Wir haben später noch in kleinem Kreis einen 89er Palmer getrunken. Auch der noch etwas verschlossen und qualitativ nicht über dem 88er. Völlig neben den Schuhen stand leider 1988 Rausan-Ségla. Kork war so ziemlich der einzige Fehler, den dieser Wein nicht hatte, schade. Nicht unbedingt in Bestform war auch 1988 Haut-Bailly, den ich deutlich besser kenne. Wirkte sehr kompakt, verschlossen und anstrengend, Freude kam wenig auf. Das schien aber weniger ein Flaschenproblem zu sein als eines des Stadiums, das dieser Wein derzeit durchläuft. Ich habe zuhause spontan noch eine Flasche aufgerissen, auch die derzeit absolut charmefrei und wie in der Probe eher bei 88/100. Da bleibt nur das Prinzip Hoffnung. Im vierten Glas vermutete ich erst einen Piraten. Diese rauchig-mineralische Eukalyptusbombe konnte doch eigentlich nur ein großer Heitz Martha s Vineyard sein. Locker 97/100 brachte dieser komplexe, unglaublich lange Stoff ins Glas. Er entpuppte sich als 1988 Haut Brion, schon länger einer meiner Geheim-Favoriten. Im Trio 88/89/90 liegt dieser Wein preislich weit abgeschlagen auf dem dritten Platz. Qualitativ hat er aber inzwischen den 90er abgehängt und pirscht sich verdächtig nahe an den unbezahlbaren 89er ran. Eigentlich hätte ich eine ähnliche Performance auch von 1988 La Mission erwartet. Aber die Flasche war eindeutig fehlerhaft, wirkte fruchtlos und leicht oxidativ. Schade, auch 88 La Mission gehört zu den großen Weinen dieses Jahrgangs.

Im letzten Flight kamen dann die vier Premier Crus aus dem Medoc ins Glas. Deutlich fehlerhaft war leider 1988 Latour, vor allem in der Nase, die an den Ducru-Fehlton erinnerte. Die gewaltige Konzentration dieses Weines am Gaumen zeigte aber, dass da in guten Flaschen ein großer Latour entsteht. Sehr verschlossen
1988 Margaux, der aber schon ahnen läßt, was da in 5-10 Jahren mal draus wir. Ein potentiell großer Klassiker, der sich weiterhin im Schneckentempo entwickelt, Potential für 94+/100. Sehr konzentriert mit toller Länge am Gaumen 1988 Lafite Rothschild, insgesamt derzeit aber immer noch etwas verschlossen und rustikal wirkend. Da waren heute 92/100 im Glas, 2-3 könnten innerhalb der nächsten 10 Jahre noch hinzukommen. Der Star des Abends aber war 1988 Mouton Rothschild. Wie oft habe ich mich in den letzten 18 Jahren schon über diesen Wein geärgert, der einfach nicht singen wollte. Und jetzt plötzlich geht hier in unglaublicher Form die Post ab. Hedonismus pur, hat alles, was man von einem großen, immer noch recht jungen Mouton erwartet, üppig mit faszinierender Röstaromatik und gewaltiger Statur, ein irres Teil 98/100. Um Klassen besser als 89/90 dieses Gutes und für Jahrzehnte ein würdiger Herausforderer von 1982 und 1986, noch dazu jetzt immer noch fast zum Schnäppchenpreis.

1988 ist der letzte, klassische Bordeaux-Jahrgang. Weine, gemacht für die Ewigkeit mit gewaltiger Tanninstruktur. Aber auch Weine für die Erben. Mich erinnert dieser Jahrgang immer etwas an 1928. Was mögen wohl die Erwerber von 1928 Latour gedacht haben, einem Wein, der erst nach über 50(!) Jahren so langsam trinkreif wurde? Geduld ist also erforderlich und sicher auch etwas Glück. Tannine alleine machen keinen großen Wein. Die Frucht muss mitspielen, sonst trocknet der Wein aus. Deshalb verbietet sich auch der kritiklose Kauf beliebiger 88er Bordeaux, trotz der derzeit immer noch sehr günstigen Preise. Aber wer hier dir richtigen Weine erwischt, der erlebt aus eigenem Keller irgendwann die unglaubliche Faszination langsam gereifter, klassischer, großer Weine. Von den neueren, modern vinifizierten Jahrgängen wird das in dieser Form kaum noch einer bieten.