Die Pontet Canet-Überraschung

Ältere, gereiftere Weine waren das Thema dieser spontanen Probe Anfang Mai im Restaurant Schorn. Zwei 89er Auslesen eines unbekannteren Winzers kredenzte uns Franz Josef Schorn zu Anfang. Sehr gut zu trinken die 1989 Trittenheimer Apotheke Goldkapsel Auslese von Franz Josef Steffen. Schöne fruchtig-mineralische Fülle, immer noch gute Säure, hoher Extrakt, nur dezente, gut eingebundene Säure und angenehme 8% Alkohol 89/100. Reifer, weiter, dabei im Vergleich etwas rustikal und plump wirkend die 1989 Mehringer Zellerberg Goldkapsel Auslese des selben Erzeugers 85/100.
Wie gut altert eigentlich Eiswein? Darauf gab die 1971 Bernkasteler Badstube Eiswein Auslese des Weingutes der Pfarrkirche eine überzeugende Antwort. Etwas irritierende, an ältere Yquems erinnernde, dunkel-güldene, aber brilliante und klare Farbe. Immer noch rassige Säure als ideales Pendant zur deutlichen Süße, klare, reintönige Frucht, Frische, apfelig, Orangen, Karamell, Crême Brulée und angenehme Bitternote im Abgang. Entwickelte sich enorm im Glas, legt immer mehr zu und zeigte keinerlei Schwächen 94/100. Überzeugend auch eine 1983 Erbacher Marcobrunn Auslese von Langwerth-Simmern. Ging mit ihrer reintönigen, klaren, petrolfreien Frucht, der Mineralität und der knackigen Säure zu Anfang als Moselwein durch. Nur die satte, gelbe Frucht, die reife Ananas, passte nicht so recht an die Mosel. Immer noch jugendlicher Faszinationsstoff, absolut stimmig und harmonisch. Von Süßwein konnte man auch hier nicht sprechen, denn Süße und Säure ergänzten sich hier eher zu einem sehr gelungenen, feinherben Ganzen 92/100.
Verdammt alt danach ein 1964 Lanson Champagne. Altrosa die Farbe, dezentes Restmousseux, deutliche Sherrytöne, hohe Säure, leicht pilzig, aber nicht uninteressant, vor allem zum Essen 83/100. Sehr erstaunt hat mich ein 1986 Hermitage von Chave. Der war in Farbe und Aromatik schon so reif und weit, dass ich ihn für deutlich älter hielt. Aber 1986 war halt an der Rhone ganz im Gegensatz zum Medoc ein eher kleines Jahr mit schnell reifenden Weinen. Sehr kräuterig und süß, am Gaumen weich, rund und geschmeidig 90/100. Gehört getrunken.
Eher grenzwertig schon ein 1921 Santenay von Guichard-Potheret & Fils. Helle, sehr reife Farbe, in der Nase sehr käsig, am Gaumen mit deutlicher schon Richtung Essig gehender Säure. Da gefiel ein 1959 Nuits-St.Georges von Masson-Dubois doch deutlich besser. Ein immer noch kraftvoller Wein, weich und reif zwar, mit viel Kaffee, aber voller Charme und mit feiner, generöser Süße 94/100.

Träumen war danach angesagt mit drei legendären Weinen aus einer anderen Zeit. Ricola pur brachte der sehr kräuterige, süße 1955 Lafleur in einer belgischen Händlerabfüllung. Ein Traumwein mit viel Lakritz, erstaunlich weich und gefällig um Gaumen, für Lafleur fast schmusig, aber mit unglaublicher Länge und dabei sehr tiefgründig und komplex. Hätte sich perfekt vor ein paar Wochen auf der großen Lafleur Best Bottle in den vorderen Rängen eingereiht 99/100. Deutlich weiter als die vor Jahresfrist bei "Braui meets Schorn" getrunkene, immer noch zu junge Chateau-Abfüllung und deutlich mehr zeigend.
Schlichtweg sensationell im anderen Glas wieder diese superdichte, konzentrierte und immer noch junge Farbe des 1950 Cheval Blanc aus einer perfekten(bn) belgischen Händlerabfüllung. Brauchte Luft ohne Ende, um sich voll zu entfalten. Wir hatten ihn schon gut eine Stunde vorher dekantiert, aber das war für diesen Riesen immer noch deutlich zu wenig. Ein leichter Kellermuffton trübte zu Anfang leicht den Genuss, doch der verschwand mit der Zeit. Immer mehr kam da ein ungemein druckvoller, aromatischer Kraftprotz zum Vorschein, der mit der Zeit immer eleganter, finessiger und komplexer wurde mit mehr und mehr seidiger Eleganz und irrer Länge am Gaumen. Eigentlich hätte ich es besser wissen sollen. In guten Flaschen wie dieser kommt da mit viel Zeit und Geduld Perfektion ins Glas, ein Cheval Blanc, der sich hinter keinem anderen Wein dieses Chateaus verstecken muss. So mussten wir uns halt mit 97/100 bescheiden. Nur unser Freund Uwe war schlauer und hielt den Abend über immer wieder sehr glücklich lächelnd seine Nase ins Glas. Er hatte sich den Cheval, der erst nach Stunden im Glas zur Höchstform auflief, aufgehoben.
Ein einmaliges Erlebnis auch der dritte im Bunde, ein 1945 Pontet Canet in einer perfekten Cruse-Abfüllung. Für einen großen Heitz Martha s Vineyard wurde er zunächst am Tisch gehalten. Ähnlich dem 45er Mouton, an den er deutlich erinnerte, hatte dieser konzentrierte, kräftige Ausnahmewein viel Eukalyptus und Minze, war immer noch mineralisch mit perfekter Statur, viel Tiefgang und Länge. Sicher der mit Abstand größte Pontet Canet, den ich je im Glas hatte und ein deutliches Zeichen dafür, was auf diesem Terroir möglich ist 98/100. Allerdings gehört halt auch ein Ausnahmejahrgang wie 1945 dazu. Da kann ich über Parkers 96-98+/100 für den 2008er nur schmunzeln, zumal andere Verkoster diesen Wein mal gerade mit 88-90/100 bedenken - oder sollte ich dem 45er vorsichtshalber 108/100 geben?

Völlig anders neben diesem klassischen Kalifornier aus Pauillac im anderen Glas ein 1997 Phelps Insignia. Das war natürlich eine andere Welt, aber was für ein traumhaft leckerer, sehr fruchtiger Wein, Cassis pur mit intensiver Fruchtsüße, cremige Frucht, einfach süß und sexy mit viel Schmelz, dabei aber nicht aufdringlich und sehr balanciert - 95/100.
Von der Farbe noch einen Tick dichter und dunkler als der 71er zu Anfang unserer Probe kam dann colafarben ein 1996 Oberhäuser Brücke Eiswein von Dönnhoff ins Glas. Ein Tier von Wein war das mit explosiver Aromatik, ein gewaltiges Konzentrat mit einer Wahnsinnssäure, sehr mineralisch, kandierte, süße Früchte, gewaltiger Extrakt, schlichtweg atemberaubend und trotz der dunklen Farbe immer noch so jung 97/100. Übrigens gibt es von diesem Eiswein drei Versionen. Wir tranken die mittlere, mit 210 Öchsle gelesene. Die Top-Version hatte 250 Öchsle. Mit Vorbehalt ist da natürlich die Bewertung des Weines im anderen Glas zu sehen, wurde der doch von diesem Monstrum schier erschlagen. Aber die 1988 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Auslese lange Goldkaspel #16 von Fritz Haag sang mal wieder nicht. Goldgelbe Farbe, leicht wässrige Nase, auch am Gaumen nicht wirklich anmachend 88/100.
Mit zwei weiteren Rotweinen beschlossen wir diesen Abend. Völlig daneben war leider ein 1993 Chambolle Musigny Les Fuées von Jacques Frederic Mugnier mit einer fürchterlichen, kloakigen Nase. Beeindruckend hingegen der gewaltige 1999 Coteaux du Languedoc La Porte du Ciel vom Chateau Negly. Das, was dort von 85 Jahre alten Rebstöcken mit einem Minimalstertrag von 10-12hl/Hektar geerntet wurde ist ein unglaubliches, extrem lakritziges Konzentrat mit dicht gewobener, pfeffriger Frucht 94/100. (wt05/09)