Feine Weine am Herlisberg

Schade, dass der Luzerner Hausberg Pilatus meist von Wolken verhüllt war. Er sah so tief verschneit einfach wunderbar aus. Nein wir sprechen nicht von Weihnachten, sondern von der ersten Juli-Hälfte. Ideale Rotweinstimmung also. Meine Schweizer Weinfreunde Gregor Biland und Thomas Hess hatten mich zu einer feinen Weinprobe ins Wirthaus Herlisberg eingeladen. Sehr gut bekocht genossen wir in diesem heimeligen Gasthaus einen schönen Abend in netter, geselliger Runde.

Im ersten Flight standen drei Jahrgänge Chaos von Le Terazze, einer Cuvée aus 50% Montepulciano, 25 % Syrah und 25 % Merlot. Für mich war es die erste Begegnung mit diesem Edel-Italiener, der wie so viele auf der Welle international gemachter Weine mitschwimmt. Spröde und oxidativ wirkte der 99er, baute im Glas ab, besaß zu kräftige Säure, machte wenig Spaß, zerfiel förmlich im Glas 74/100. Auch der 98er baute mit der Zeit im Glas ab, war insgesamt reif, karamellig, aber auch mit viel Säure, leicht rosinig und wirkte etwas anstrengend 85/100. Lediglich der 2000er konnte einigermaßen überzeugen. Er war recht schön zu trinken mit viel frischer Sauerkirsche, einem deutlichen Vanilleton und guter Säure 89/100.

Dann kam ein Dreierflight Ornellaia, bei dem wir leider etwas Pech hatten. Der 99er war mit einem üblen Kork ein Totalausfall. Sehr schade, denn 99 war eigentlich ein gutes Ornellaia-Jahr. Zwar hatte sich mit Inhaberwechsel und neuem Weinmacher der Stil von Ornellaia etwas Richtung neue Welt gewandelt, aber der 99er, den ich schon mehrfach getrunken habe, ist trotzdem ein guter Wein, den ich meist mit 92/100 bewertet habe. Für mich ist aber der 98er deutlich größer. Einer der Bordeaux-affineren Nobel-Italiener mit dichter Farbe, Teer, dunklen Früchten und etwas Trüffel, dabei hedonistisch, üppig und einfach lecker 95/100.
Eine schlechte Flasche hatten wir wohl auch beim 97er erwischt. Sonst ein süchtig machender Schmeichler in der Klasse des 98ers, zeigte er sich animalisch, kräuterig und machte nicht viel Spaß 89/100.

Einen Ausfall gab es leider auch im nächsten Flight. Der 85er St. Pierre schmeckte wie so viele Ducrus aus den 80ern nach altem Pappkarton. Das üble Bordelaiser Holzschutzmittel-Problem. Man hatte es nie an die große Glocke gehängt und Kunden einfach zehntausende dieser tickenden Weinzeitbomben untergejubelt. Eine Unverschämtheit!
Ganz erstaunlich gemacht hat sich der 88er Ducru Beaucaillou. Ich hatte mir nie viel aus diesem Wein gemacht und dummerweise vor ein paar Jahren meine Bestände verkauft. Sattelleder, etwas schweißig, Tabak, sehr fein, elegant, ohne echte Persönlichkeit, aber einfach schön zu trinken 91/100. Auf vielen Weinkarten finden sich noch 88er, an die sich niemand rangetraut hat. Jetzt ist die richtige Zeit, zumal bei diesem vernachlässigten, chronisch(auch von mir) unterbewerteten Jahrgang meist noch die Preise stimmen.
Großer Weingenuss war wieder 78 Ducru Beaucaillou. Zwar zeigte die reife Farbe mit deutlichem Orangenrand, dass er nicht mehr ewig lebt. Die nächsten 5 Jahre macht er aber sicher noch viel Spaß mit Tabak, feiner, reifer Cabernet-Würze und beachtlicher Länge am Gaumen 92/100. Wenn man bedenkt, dass so was kaum mehr kostet als aktuelle Ducrus in der Subskription!

Weiter gings mit Mouton aus der Alten und Neuen Welt. 1998 Mouton Rothschild war ein schöner, junger Cabernet, aber kein klassischer, junger Mouton mehr. Puristen mögen ja über diese geilen Röstaromen mäkeln, wie sie junge Moutons meist boten. Aber das war das, was diese Weine in ihrer Jugend so unwiderstehlich machte. Selbst Moutons aus kleineren Jahren wie 91, 92 und vor allem 93 waren so Genussmittel im besten Sinne. Der 98er spielt natürlich in einer anderen Liga. Ein superkonzentrierter Stoff mit massiven Tanninen. Da ist Geduld angesagt. Heute sind da nicht mehr als 91/100 im Glas. Wer 10 Jahre wartet, wird pro Jahr mit einem weiteren halben Punkt fürs Warten belohnt.
Hedonismus pur und ideal, um die Wartezeit auf den Mouton zu verkürzen ist der 1998 Almaviva. Reife, satte Kirsche, üppige, satte, reife Frucht mit feiner Süße, einfach hedonistisch lecker 93/100. Den kann man sicher auch noch ein paar Jahre aufheben, aber warum?
Der 1999 Almaviva zeigt schöne Aromen von Zimt und reifer Brombeere, hat eine kräftige Säure, kann aber derzeit mit dem grandiosen 98er nicht mit 91/100.

Im nächsten Flight tauchten durch zwei in die Probe geschmuggelte Piraten gleich Weine aus drei unterschiedlichen Anbaugebieten auf. Enttäuscht war ich vom 1993 Providence. Von diesem ambitionierten neuseeländischen Wein, dessen Winzer nicht weniger als eine hypothetische Symbiose von Cheval Blanc und Petrus anstrebte, habe ich in den letzten Jahren gerade vom 93er mit großer Begeisterung sicher ein halbes Dutzend Flaschen getrunken. Doch diese Flasche jetzt roch seltsam nach Brausebonbons, hatte flüchtige Säure und wirkte etwas fehlerhaft. Nur am Gaumen zeigte sich immer noch eine feine Süße, schade, aus, vorbei, muss weg 88/100.
Da war 1998 Sassicaia schon von ganz anderem Kaliber. Frisch-fruchtige Nase mit weißem Pfeffer und Johannisbeeren, feine Süße und irrer Schmelz am Gaumen 93/100. Endlich mal wieder ein schöner Wein von diesem Gut, das in den letzten Jahren eigentlich nur noch Mittelmaß zu allerdings stolzen Preisen produziert.
Sehr gut entwickelt hat sich auch 1988 Vieux Chateau Certan, ein großer, kräftiger Wein, bei dem eine dezent grüne Note kaum stört. Viel Schokolade, toller Abgang 94/100.

Danach gab s dreimal Kalifornien. Für 1998 Opus konnte ich mich nicht sonderlich begeistern. Parfümiert-süßliche Frucht, astringierende Säure, dabei eher leichtgewichtig und kurz am Gaumen 88/100.
Sehr schön 1998 Moraga. Etwas rauchige Nase, wie frisch ausgetretenes Feuer, Paprika ohne Ende, massiv Sauerkirsche, kräftige Säure 92/100.
Als ganz klassischer Bordeaux ging 1997 Moraga durch, Zedernholz, Dörrfrüchte, kräftige Säure und am Gaumen auch etwas dürr wirkend, ein Langstreckenläufer 93/100.

Klasse war ein zum Abschluss gereichter 1960 Taylor Vintage Port. Da kam flüssiges Marzipan aus dem Glas, superlecker 95/100.
Eher gewöhnungsbedürftig da schon der 1937 Caillou Crême de Tête. Zu viel Crème Brulée hatte der einen deutlichen Lebertranton. Den mag ich heute genauso wenig wie früher 86/100.

Leider hatte ich meinen Schweizer Freunden den Milchtrick verraten, den sie vor der Probe umsetzten. So entwickelten Sie nicht nur ein unglaubliches Fassungsvermögen, sondern auch eine große Standfestigkeit. Ich wollte ins Bett, wurde aber noch an die Bar geschleppt, wo hemmungslos die schöne Weinkarte des Wirtshauses(gästefreundliche Preise!!!) geplündert wurde.
Erinnern kann ich mich noch an einen 1953 Cantemerle. Ein wunderbar gereifter Charmeur, in dieser nicht ganz optimalen Flasche schon leicht über den Höhepunkt hinaus, aber immer noch mit feiner Süße am Gaumen und langem, schönem Abgang. Den würde ich gerne mal aus einer topgelagerten Magnum trinken.
Was dann ins Glas kam war nicht etwa ein doppelter Expresso mit 7 Löffeln Zucker und einem Pflümli, sondern ein 1997 Grange. Mir schon fast zuviel und etwas zu aufdringlich, und dann auch noch gleich in Form von 2 Flaschen. Ein irres Konzentrat auch 1997 Mas la Plana von Torres. Möchte ich gerne noch mal nüchtern am Anfang eines Abends trinken. Gegeben haben soll es dann auch noch einen Tessiner Merlot, den 2000er Quattromani. An den kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern. Gut, dass dann irgendwann auch bei den Gastgebern die Wirkung der Milch nachließ.

Die stolzen Gastgeber

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