Feine Weine in feiner Runde

Selten sind sie, die Proben, bei denen ein erfahrener Sammler seinen Keller öffnet und ganz unprätentiös in kleiner, feiner Runde edle Raritäten für sich sprechen lässt. So schätzte ich mich umso glücklicher, dass ich im November 2005 in eben so einem Kreis dabei sein durfte. Kein Rummel, keine Promis, keine Journalisten, kein befracktes Personal und schon gar keine befrackten Gäste und auch kein fulminantes Gala Diner. Einfach nur schöne, zum Teil extrem alte Weine dieses Wein-Connoisseurs, genossen in dessen unauffälligem Wohnzimmer in Gesellschaft netter Weinfreunde.
Los ging es mit zwei trockenen Weißweinen. Sehr, sehr reif wirkte der 1990 Clos St. Hune von Trimbach, reife, goldene Farbe, Petrol ohne Ende, kenne ich deutlich besser und jünger 88/100. Im Vergleich dazu ging die 1990 Kallstädter Saumagen Auslese trocken "R" von Philippi eher als 3-4 Jahre alter Wein durch. Trotz der seinerzeit 6.5g Restzucker wirkte er am Gaumen furztrocken mit einem Wahnsinns-Extrakt und irrer Säure. Lediglich in der Nase zeigte sich eine dezente Extraktsüße. Was muß das in seiner Jugend für ein unnahbarer Brocken gewesen sein 93/100.
Die Liebe des Hausherren gilt den edelsüßen Weinen. So verwunderte es kaum, dass er uns zunächst eine 2001 Öberhäuser Brücke Versteigerungsauslese von Dönnhoff aus der Doppelmagnum präsentierte. Natürlich war das vinologischer Kindermord, obschon dieser Wein auch trotz oder gerade wegen seiner Jugend eine große Faszination ausübte. Dabei waren es nicht die satte Frucht, die hohe Mineralität, die feine Süße, die knackige Säure, der Wahnsinnsextrakt, die gewaltige Struktur oder die irre Länge, die diesen Wein auszeichneten. Vielmehr war es das perfekte Gleichgewicht zwischen all diesen für sich hervorstechenden Komponenten, das diesen Wein so einmalig machte 96+/100 und große Zukunft. Ganz pragmatisch stellte der Gasgeber die immer noch ansehnlich gefüllte Flasche anschließend auf die Terrasse. Um Mitternacht, bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt, genehmigte ich mir mit ein paar Weinfreunden davon draußen noch jeweils einen großen Schluck. Ein großer restsüßer Wein, fast eisgekühlt bei entsprechender Umgebungstemperatur, das hatte schon was!
Wie eine "1" stand eine 1959 Rauenthaler Gehrn Spätlese Cabinet der Staatsweingüter noch im Glas. Klassische Rheingau-Nase, keinerlei Firne, eher leichtgewichtig, nur noch dezente, kaum spürbare Restsüße, immer noch mit viel Genuß zu trinken 89/100. Überlebt hatte auch eine 1950 Bad Kreuznacher Rosengärtchen Spätlese von Anheuser & Fehrs aus einem eher schwierigen Jahr. Tief-güldene Farbe, kaum noch Säure, die Süße komplett aufgezehrt, aber immer noch gut trinkbar 81/100.
So eingestimmt, kam natürlich niemand von uns auf das Alter des nächsten Weines. Güldene Farbe, in der Nase und am Gaumen Akazienhonig, wenig Säure, aber leicht säuerlich wirkend, etwas Möbelpolitur, baute im Glas sogar noch etwas aus. Für das Alter war dieser kleine, aber unsterbliche 1850 d Yquem aus einem schwächeren Jahr mit wenig Edelfäule einfach sensationell. Die geschmacklich gerechtfertigten 90/100 werden einem solchen Methusalem eigentlich nicht gerecht.
Aus einem größeren Jahr mit deutlich mehr Edelfäule stammte der 1875 d Yquem. Kräftige, dunklere Farbe wie Coca Cola, etwas unangenehme Nase mit stechendem Ton, am Gaumen Fülle, wird immer Hustensaft-ähnlicher, Optipect mit Codein, Aceton-Note, Bittermandeln, tolle Länge 94/100. Danach kam mit 1928 d Yquem ein ganz großer, kompletter Yquem aus einem großen Sauternes-Jahr ins Glas. Ein überwältigender Stoff mit tiefgüldener Farbe, korinthiger Süße und einer Fülle, die den ganzen Gaumen tapezierte. Hatte eine irre Länge und blieb ewig lang am Gaumen 98/100.
Alte, Weiße Burgunder können sehr schön sein. Der hier war es leider nicht. Der 1947 Batard Montrachet von P. de Marcilly Frères aus einer schlechten Flasche mit 9 cm Schwund sah aus wie ein naturtrüber Apfelsaft und wirkte irgendwie nachvergoren. Klar, trinken konnte man ihn noch, aber er war doch verdammt säuerlich und schon sehr gezehrt 76/100. Wer das Risiko eines solchen, eher unterirdischen Burgunders scheut, sollte einen Bogen um ältere Flaschen machen, wobei die Füllmenge nicht entscheidend ist. Dann entgehen Ihnen Enttäuschungen, aber auch faszinierende Höhepunkte. Und wenn am Tisch unter Ihren Gästen Meckerfritzen sind, die meinen, ihre Anwesenheit verdiene nur perfekte Weine, dann sollten sie die auf eine Beaujolais Primeur Verkostung einladen, aber nicht auf eine Raritätenprobe mit alten Weinen.
Einen Sprung in die Neuzeit machten wir mit einem 1990 Grand Puy Lacoste aus der Magnum. Der wirkte aus der Großflasche noch verdammt jung und etwas kompakt mit kräftiger junger Farbe. Klar, da war die klassische GPL-Machart mit reichlich scharzer Johannisbeere, ein sehr feiner Wein mit unendlicher Eleganz und Finesse. Aber da kommt sicher noch mehr. Gut 6mal habe ich ihn schon aus der Halben getrunken, deutlich offener und druckvoller auf 95/100 Niveau. Aus dieser, zu früh getrunkenen Magnum waren mehr als 92/100 nicht drin. Auch die nachfolgende 1982 Pichon Comtesse de Lalande konnte trotz "dicker Schrift" nicht voll überzeugen und machte einen etwas verhaltenen, leicht verschlossenen Eindruck 95/100. Mir ist das kurz darauf im Dezember noch mal passiert. Ich hoffe, die Zeit des Comtesse-Wunders neigt sich nicht langsam dem Ende zu.

Auf den großen, zeitlichen Rücksprung wäre ich beim nächsten Wein nie gekommen. 1899 Montrose wäre von der Farbe auch als 60er durchgegangen. Am Gaumen war er reif und doch nicht reif zugleich. Ein klassisch eckig-sperriger, leicht säurelastiger Montrose eben. Da kann mir auch die Ehrfurcht vor dem Alter nicht mehr als 88/100 entlocken.
Seine Glanzzeiten hat 1955 Haut Brion lange hinter sich. Reife, aber immer noch dichte Farbe, wenig Nase, kein Cigarbox, dafür am Gaumen eine wunderbare Süße, das letzte Aufbäumen eines einstmals großen Weines. Baute aber im Glas rasch ab, und die Säure nahm Überhand 90/100. Aus der 1tel würde ich diesen Wein nicht mehr länger liegen lassen und ihn ohne zu dekantieren bald trinken.
Da war 1929 Haut Brion schon ein ganz anderes Kaliber. Er wirkte insgesamt jünger und deutlich kräftiger als der 55er. An seiner typischen, intensiven Malaga-Süße habe ich ihn sofort erkannt. Unglaublich dichte Farbe, in der Nase leichte Schärfe, frisch gemahlener weißer Pfeffer, Teer, Tabak. Am Gaumen war dieser Weinriese so lang, so füllig, da konnte man richtig drauf kauen 97/100.
Und was wäre das für ein Wein: sehr dichte, junge Farbe, viel Säure, Mokkapraline, Bitterschokolade? Auf der Flasche stand 1900 Haut Brion. Leider war es ein deutliches Fake, eine dieser immer mehr Überhand nehmenden Weinfälschungen. Zugegebenermaßen ein geschmacklich zwar deutlich zu junges, aber doch sehr gut trinkbares Falsifikat, vom Gastgeber vorher eindeutig als solches erkannt und angekündigt.

Dann der Höhepunkt des Abends, ein 1878 Beychevelle. Der war nicht nur echt, sondern auch in bestechender Form. Klar, da war die alte reife Farbe und auch die Aromatik eines in Ehren gereiften Weines, Kaffeetöne, Mokka. Was diese Legenden aus wurzelechten Reben aus der Vorreblauszeit aber auszeichnet, ist diese unendliche, spielerische, traumhafte Eleganz. Alter Wein, wie er besser kaum sein kann. Als ob Wilhelm Haags Urgroßvater früher im Bordelais gewirkt hätte 100/100.
Beim 1959 Palmer war ich mir nicht sicher. Hat der noch Potential, oder trocknet er langsam aus? Ich meine, eher Letzteres. Klar, da war eine junge Farbe, gute, etwas stahlig wirkende Frucht, aber auch reichlich Säure. Wirkte erdig, kräftig und sehr kompakt 90/100.
Dann kamen zwei Burgunder in Händlerabfüllungen, bei denen man den Abfüller nicht mehr identifizieren konnte. Der 1900 Beaune hatte eine sehr reife Farbe, die Nase war weniger schön und zeigte eine deutliche Schärfe, dafür am Gaumen Kraft ohne Ende und eine irre Länge 94/100. Trüb war der 1898 Beaune und hatte dazu ein wahnsinniges Depot. Auch hier am Gaumen eine massive Kraft, dazu Kaffeearomen und deutliche Lakritztöne. Im Burgund hat man früher nicht nur die Weine anders ausgebaut. Man hat, insbesondere bei Händlerabfüllungen, auch teilweise reichlich Gebrauch von sogenannten Deckweinen aus südlicheren Gefilden gemacht. Bei diesem 1898er war sicher eine Menge Rhone mit drin. Wobei dann auch letzterer von sehr hohem Niveau gewesen sein muß, denn dieser Wein-Methusalem war einfach faszinierend 98/100.

Sehr gut auch ein 1945 Clos Vougeot l Heritier-Guyot. Immer noch junge, dichte Farbe, so süß mit pflaumiger Frucht, erinnerte mich an große, deutsche Spätburgunder 93/100.
Als Reparaturwein gab es nach dieser spannenden Weinzeitreise mit vielen Auf und Ab noch einen 2004 Schloß Lieser Niederberg Helden Spätlese aus der Magnum. Der war zwar nicht groß und eher etwas rustikal, mit reifer, dicker Birne und kräftiger Säure, erfüllte die ihm zugedachte Rolle aber prima 88/100.