Ganz Central

Ich hätte nicht gedacht, dass ich in diesem sympathischen Lokal in Luzern so schnell wieder aufschlagen dürfte. Aber eine spontane Schweiz-Reise führte bei meinen Schweizer Weinfreunden zu einer spontanen Best Bottle. Es gibt Schlimmeres.

Gleich mit einem Novum startete diese Probe. Gewohnt bin ich von ähnlichen Veranstaltungen nicht nur das Problem, die Probe überhaupt voll zu kriegen. Es sind aber die kurzfristigen Absagen, die am meisten nerven. Aus der Schweiz kenne ich das nicht. Wer zusagt kommt. Stattdessen gab es diesmal sogar eine kurzfristige Zusage. Lynch Baschi, eigentlich verhindert, bat ganz kurzfristig darum, auch teilnehmen zu dürfen. Wenn ich noch mal als Weintrinker auf die Welt komme, dann bitte als Mittelschweizer. Bei diesem lustigen Völkchen fühlt sich meine Weintrinkerseele sauwohl.

Als Apero gab es aus der Magnum eine 2007 Terlaner Riserva Nova Domus von der Cantina Terlan, eine Cuvée aus Chardonnay, Pinot Bianco und Sauvignon Blanc. Der erste Eindruck war zuviel Holz und zuwenig Luft, entwickelte sich aber, wurde etwas fruchtiger, vanillig, mineralisch, kräuterig mit guter Säure, blieb aber insgesamt etwas eindimensional mit deutlicher Holznote 87/100.

Sehr jung in der Anmutung immer noch die 1988 Pichon Comtesse de Lalande. Dichte, jugendliche Farbe, die Nase etwas verhalten, Tabak, Zedernholz, wenig Frucht, Paprika, am kraftvollen Gaumen recht kompakt und astringierend mit sürbarem, deutlichem Tanningerüst 90+/100. Reif und voll da hingegen der 1971 Latour aus einer Flasche, die deutlich weiter war als alle bisher getrunkenen, teerig, tabakig, trüffelig die Nase, am Gaumen reif mit zwar deutlicher Säure, aber auch wunderschöner Süße, ein wunderbar gereifter Latour mit langem Abgang 93/100.

Auch der nächste Zweierflight brachte einen reifen und einen zugenagelten Wein. Ein gewaltiges, jugendliches Konzentrat mit jugendlicher Farbe war der 1986 Leoville las Cases. Süße, dunkle Früchte und Rumtopf ohne Ende in der herrlichen Nase, am Gaumen mächtige Tannine für ein sehr langes Leben 93+/100. Dieser Leoville las Cases hat immer noch das Zeug zur Legende, aber wer den aus kühlen Kellern noch erleben möchte, sollte gesund leben. Und wer derzeit vor hat, für 2010 eine Hypothek auf sein Haus aufzunehmen, sollte mit solch einem Wein mal ausprobieren, wie sich solche Tanninmonster nach 25 Jahren anfühlen. Absolut großartig hingegen und eine der Überraschungen des Abends 1979 La Mission Haut Brion. Feine Frucht, pfeffrig, Paprika, viel ätherische Noten, Tabak, am Gaumen deutliche Säure, aber auch wunderschöne Süße, ein sehr aromatischer, einfach runder, wunderschön zu trinkender Wein, der sich noch etliche Jahre halten dürfte. Hatte ich noch nie auch nur annähernd so gut im Glas 94/100.

Als geiler, schokoladiger Vollblutmerlot entpuppte sich mal wieder 1989 Gazin. Der ist zugänglich, macht enormen Spaß, hat aber trotzdem genug Rückrat für noch mindestens 15 Jahre 95/100. An die große Heitz Martha s Vineyardprobe der Ungers erinnerte der fleische, muskulöse, rauchig-mineralische 1988 Haut Brion, Tabak, Teer, ein Hauch Exotik, Eukalyptus, massives Tanningerüst, schon gut antrinkbar, aber in 10 Jahren kommen da locker drei Punkte mehr ins Glas 94+/100.

Die Stimmung war prächtig, das Essen auch. Ein Dreierflight war jetzt angesagt. War er nun korkig, dieser 1990 Pape Clement oder nicht? Ich war mir da nicht so ganz sicher und hatte das Gefühl, dass er in meinem Glas mit der Zeit besser wurde. Aber es war in jedem Fall nicht die große Klasse, die dieser Wein sonst zeigt. Erstaunlich fett, reif und üppig war 1990 Clerc Milon mit schöner Süße, nicht der komplexeste aller weine, aber mit sehr viel Trinkvergnügen 92/100. Großartig einmal mehr der "einfache" 1994 Caymus Cabernet Sauvignon, feine, fast puristisch schöne, rotbeerige Frucht, Eukalyptus, Minze, altes Sattelleder und etwas Schokolade, am Gaumen elegant, feingliedrig mit schöner Süße, Bordeaux mit einem Schuss Kalifornien 95/100.

Perfekt der Weinservice der Central-Crew, die aus unseren Flaschen für uns blind die Flights zusammenstellte. Das Beste hatten sie für den Schluss aufgehoben. Ewig lang hat bisher 1991 Dominus gebraucht, dieser großartige Bordeaux made in California, Zedernholz ohne End, dicht gewirkte Frucht, Minze, gewaltige Struktur und immer noch massive Tannine, immer noch so jung dieser Riese für 30+ Jahre, der aber mit gewaltigem aromatischem Druck schon mal seinen Anspruch auf den Titel Wein des Jahrgangs anmeldet 96+/100. Ob den noch jemand im Keller hat, wenn er endlich voll da ist? Ganz großes Kino ohne Wartezeit hingegen der 1990 Grand Puy Lacoste, ein süßer, komplexer Bordeaux-Traum zum hemmungslos jetzt genießen 96/100. Extrem dicht die Farbe des 1994 Vega Sicilia Unico, gewaltiges Fruchtkonzentrat mit hohe Mineralität, dicht, komplex, sehr kraftvoll mit hoher Säure- und Tanninstruktur, wirkte etwas wie ein unnahbares Monstrum, das noch für 5-10 Jahre in Ruhe gelassen werden möchte. 95/100 kamen trotzdem ins Glas, aber es könnten wie beim Dominus mit den Jahren noch eine Ecke mehr werden.

Eigentlich waren wir durch, aber es gab ja auch noch Dessert, und da waren auch noch ein paar Reserveflaschen. Also Korken raus und rein in die Gläser. Ein Hammerteil war der simple 2010 Südtiroler Lagrein vom Unterganzerhof, lakritzig, dicht, süß, hatte einfach mit dazu noch reichlich Babyspeck von allem zuviel. Ein Glas hiervon ist bei sehr wohlfeilen € 9,20 für die ganze Flasche einfach ein Traum, aber mehr möchte ich davon nicht haben 93/100. Süß, reif, lecker mit guter Säure der 2003 Terra de Zambujeiro, der aber die Konzentration und Dichte des großen Weines fehlt 90/100. Und dann war da noch ein süßer, schokoladiger, weicher, reifer 2006 Pöckl Merlot, der sich wunderbar trank 91/100. (wt 05/2011)

Empty bottles - happy faces

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