Legendäre Lafite Rothschild Probe

Eine geniale Lafite Rothschild Probe hat René Gabriel im Oktober in Klosters veranstalte, 50 Jahrgänge dieses ultrararen und ultrateuren Premier Cru bis ins vorletzte Jahrhundert hinein, zum Teil sogar aus Großflaschen. Nachdem viele Sammler ihre Keller geplündert und ihre Lafites meistbietend in den Fernen Osten verkauft haben, war diese einmalige Probe zumindest in Europa wohl die letzte ihrer Art.

Die Einmaligkeit dieser Probe, für die es eine Warteliste gab, die zweimal um den Globus reichte, war mir wohl bewusst. Und doch bin ich irgendwo mit leicht gemischten Gefühlen nach Klosters gefahren. Vertikalen auch berühmter Chateaus sind so eine Sache. Es gibt nur ganz wenige Chateaus in Bordeaux, die selbst in schwächeren Jahren noch eine anständige Qualität abliefern. Und gerade bei Lafite gab es reichlich empfindliche Lücken. Die Spekulanten weltweit hat das nicht gestört. Ganz nach dem Motto "die Chinesen schütten ja eh Cola rein" wurde selbst der größte Dreck noch zu horrenden Preisen gehandelt. Das hat sich inzwischen etwas beruhigt. Die Lafite-Preise haben auf allerdings immer noch völlig überzogenem Niveau einen ersten Dämpfer erhalten. Das könnte durchaus der Beginn einer längeren, nachhaltigen Preisentwicklung nach unten sein. Chinesen sind halt doch nicht so blöd, wie manche Leute zu glauben meinten.

Aber wie groß ist Lafite wirklich? Vor der Reblaus erzeugte Lafite legendäre, sehr langlebige Weine, den letzten im Jahre 1878, gleichzeitig der älteste Wein dieser Probe. Danach folgte eine sehr lange, irreguläre Phase, in der Lafite nur selten seinem Ruf gerecht wurde. Unterbrochen von einer Handvoll sehr guter Jahrgänge gab es viel dünnes, dürres Zeugs. Das änderte sich erst mit dem Jahrgang 1975. Baron Eric de Rothschild hatte die Leitung des Gutes 1974 übernommen und in der Folge den Winemaker ausgetauscht und mit Professor Peynaud zusätzlich einen sehr kompetenten Berater eingestellt.

Im Walserhof, lange das Winterquartier der englischen Königsfamilie, fand der erste Teil der Probe statt. Hier verwöhnte uns Armin Amrein mit einem schönen Menü.
Einen Mix aus den letzten beiden Phasen des Chateaus hatten wir mit dem ersten Flight des ersten Abends im Glas. Wie kann jemand, der einigermaßen dicht im Kopf ist, für 1970 Lafite Rothschild viel Geld ausgeben? Das Jahr war gut, bei manchen Weinen, z.B. bei Latour, sogar groß, nur bei Lafite halt nicht. Die getrockneten Rosenblätter, die man in der Nase der filigranen Lafites häufiger findet, lagen hier schon eine Weile auf dem Komposthaufen, dazu ein alter Pappkarton, am Gaumen viel Säure, ruppiges Resttannin und ein kurzer Abgang 80/100. Ganz erstaunlich aus einem vermeintlich schwächeren Jahr dagegen 1972 Lafite Rothschild. Die sehr helle Farbe ließ nicht viel erwarten, doch die Nase war erstaunlich süß und generös mit delikaten, roten Waldfrüchten, der Gaumen mit viel Säure schon deutlich schwieriger, aber immerhin brachte dieser wein noch eine ganze Portion Trinkgenuss 85/100. Ich konnte es kaum glauben. Sollte ich jetzt plötzlich zum Lafite-Fan werden? Gewundert hatte ich mich früher bei den wenigen Malen, die ich zusammen mit Michael Broadbent verkosten durfte. Wenn ich froh war, dass mein halbvolles Glas endlich abgeräumt wurde, behielt er den Lafite, wollte sehen, wie er sich weiter entwickelt. In der Tat ist Lafite auch in kleineren Jahren ein Wein, der Zeit im Glas braucht. Durch seine fast zarte, filigrane, elegante Art hatten es die Weine vor den 90ern ohnehin stets in Vergleichsproben schwer, wenn sie mit irgendeinem Hammerteil zusammen in einem Flight standen. Eine große Überraschung war 1973 Lafite Rothschild aus diesem doch grenzwertigen Jahr, ein erstaunlich fruchtiger und sehr gut trinkbarer Lafite, ein kleiner, aber sehr feiner, eleganter Wein, sogar mit schöner Länge, der im Glas nicht abbaute 89/100. Bester Wein dieses ersten Flights war 1976 Lafite Rothschild, dessen Farbe noch keinerlei Alter zeigte, sehr mineralisch, der Bleistift von Mouton, viel altes Sattelleder, Zedernholz, kräuterig, immer noch erstaunlich kräftig mit guter Länge, besser als alles, was ich in den letzten Jahren von diesem Wein im Glas hatte 93/100. Sehr fein, filigran, elegant und in der Nase zu Anfang deutlich schöner als am Gaumen der 1978 Lafite Rothschild, der sich im Glas gut entwickelte und eine feine Süße zeigte 92/100.

Die erwarteten Untiefen waren im ersten Flight des Abends ausgeblieben, aber das holten wir mit dem nächsten Flight ausgiebig nach. Immerhin noch passabel trinkbar war 1952 Lafite Rothschild, ein großer Pilzteller mit etwas Tabak, hell in der Farbe, dünn am Gaumen und kurz im Abgang, dürfte deutlich über den Höhepunkt hinaus sein 83/100. Trinkbar auch noch der roséfarbene 1956 Lafite Rothschild, der in der Nase an einen lange nicht gelüfteten Kuhstall erinnerte, Fruchtreste, sehr schlank und am Gaumen etwas dürr wirkend 82/100. Untrinkbar war 1957 Lafite Rothschild, zwar mit recht dichter, bräunlicher Farbe, aber mit sehr oxidativer Nase und am Gaumen mit letzter Todessüße. Ziemlich dünn, aber wenigstens trinkbar der aus der Magnum ausgeschenkte 1958 Lafite Rothschild, in der Nase noch etwas rote Frucht, Tabak, Kräuter und ein dezenter Hauch Minze, am Gaumen flach, dünn, nichtssagend mit noch etwas Süße 81/100. Fürchterlich 1963 Lafite Rothschild, ein ebenfalls untrinkbarer Zwilling des 57ers. Da hielt ich mich dann zum Essen lieber an den Tischwein, einen aus der Imperiale ausgeschenkten 1993 Lafite Rothschild. Der wirkte zu Anfang noch recht jung mit dichter Farbe, Röstaromatik, Mokka, Kraft und generösem Schmelz, aber auch Pauillac pur mit reifer Paprika, bleibt trotzdem elegant. Mit Impi-Bonus kamen da zu Anfang gut und gerne 93/100 ins Glas, doch baute der Lafite leider mit der Zeit ab, und am Ende des zweiten Glases war ich nur noch bei 90/100. Mit 1teln wäre ich bei diesem Wein vorsichtig.

Fünf spannende Magnums erwarteten uns im nächsten Flight. Legendär ist 1953 Lafite Rothschild, der auch hier seiner Rolle aus einer perfekten Magnum weitgehend gerecht wurde. Ein sehr komplexer, dichter, großer Wein, immer noch so jung, minzig, viel Zedernholz, rote Früchte, druckvoll am Gaumen mit leicht malziger, generöser Süße, reif, aber trotzdem altersfrei, sehr elegant und im besten Sinne burgundisch, sehr nahe an der Perfektion 98/100. Großartig auch der immer noch so junge, fleischige, dichte, kräftige und am Gaumen lange 1979 Lafite Rothschild 93/100. Dieser Spätstarter hat noch Potential für etliche Jahre. Eine sehr positive Überraschung auch 1980 Lafite Rothschild, an dessen guter Form sicher das größere Format nicht unschuldig war. Eine filigrane, schlanke, elegante Zedernholz-Oper ohne Schwäche, auch am Gaumen überzeugend und in dieser Form sicher noch mit Potential für 5+ Jahre 91/100. Viel Phantasie war gefragt bei 1986 Lafite Rothschild. Ein extrem dichter, konzentrierte Powerstoff mit Tannin ohne Ende, ein Powerwein für die Zeit nach 2025. Wer davon hat, legt ihn im Keller in die hinterste Ecke neben 1986 Mouton, lebt bitte gesund und erfreut sich dann in 15 Jahren am faszinierenden Duell zweier 100/100 Kandidaten. An die 89*89 Probe in Flims musste ich beim 1989 Lafite Rothschild denken, von dem der gute René damals eine perfekte, begeisternde Jeroboam öffnete. Auch dieser 1tel hier ein klarer 100/100 Kandidat, 1er Cru in Perfektion und deutlich offener als 86, süchtig machende Nase mit konzentrierter, rotbeeriger Frucht und verschwenderischer Süße, dazu die unnachahmliche Eleganz großer Lafites, eine moderne Version des 53ers mit unendlicher Länge am Gaumen 98+/100. Wer den ohne Not nach China verkauft, ist selber Schuld. Ein Wein, der trotz des hohen Preises jede Suche und Sünde wert ist.

Durchaus kein schlechter Wein und noch erstaunlich frisch der 1987 Rothschild, bei dem vor allem die feinduftige Nase überzeugen kann, am Gaumen fehlt es etwas an Konzentration, reif, aber ohne grüne Noten und sicher noch etliche Jahre gut trinkbar 86/100. Als großer Spanier aus Bordeaux ging 1975 Lafite Rothschild durch, wirkte heiß in der Nase Rioja ließ grüßen mit viel Zedernholz, Kräuter, Leder und schöner Süße, am Gaumen beachtliche Länge, rustikal im besten Sinne und kernig, meine bisher beste Flasche dieses Weines 94/100. Wahrscheinlich wurden die 75er vom linken Ufer mit ihrer hohen Säure und den sperrigen Tanninen zu früh abgeschrieben. Da wird es in den nächsten Jahrzehnten(!) noch so manche Überraschung geben. Keine Hoffnung dagegen mehr habe ich bei 1992 Lafite Rothschild, einem dürren, fruchtlosen, grünen Gesöff ohne Charme, das nur durch einen Korkton vor großer Blamage gerettet wurde. Untrinkbar war für mich 1995 Lafite Rothschild, der nicht nur eine sehr junge Farbe hatte, sondern auch Säure und Tannin ohne Ende. Da können im jetzigen Stadium nur Gaumenmasochisten mit einem Fortgeschrittenen-Lehrgang im Etikettentrinken gefallen dran finden. Mir bleibt da die Erinnerung an eine wunderbare Doppelmagnum damals in der jugendlichen Fruchtphase dieses Weines 2001 beim Weingipfel in Arosa und die Gewissheit, dass hier eine modernere Variante des 75ers auf 95+/100 Niveau entsteht, die aber noch etliche Jahre weggelegt gehört. Ähnliches gilt für 1996 Lafite Rothschild, ein gewaltiges Konzentrat, das an eine modernere Version des 86ers erinnert. Die professionellen Kaffeesatzleser dieser Welt von Gabriel bis Parker sehen diesen Wein alle bei der Perfektion. Irgendwo zwischen 95 und 100/100 wird er sich wohl in 15 Jahren mit Trinkreife einpendeln. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob das wirklich eine moderne Lafite-Legende wird, oder ob dieser Wein eher Frankenstein sche Züge annehmen wird. Schließlich hat man in dieser Zeit auf vielen namhaften Chateaus heftig mit dem Konzentrator experimentiert, das aber natürlich immer totgeschwiegen.
Was den reinen Trinkgenuss angeht, habe ich mich an diesem Abend eh für die 1996 Pichon Comtesse aus der Imperiale entschieden, einen göttlichen Wein in erster Trinkreife. Kostet als Impi wahrscheinlich kaum mehr als die 1tel Lafite, und bei der Rechnung dreifacher Trinkspaß mit achtfacher Menge zum gleichen Preis muss ich sicher nicht lange nachdenken.

René Gabriel in Spendierlaune

René Gabriel in Spendierlaune

Den zweiten Abend verbrachten wir im Restaurant unseres Hotels Alpina. Hier bewies der vom GaultMillau seltsamerweise herunter gestufte Christian Kaiser, dass er sich auch hinter einem Walserhof nicht verstecken muss.
1878 war das letzte, gute Weinjahr bevor Reblaus und Mehltau über die Bordelaiser Weinberge herfielen. Und mit dem 1878 Lafite Rothschild, dem gleichzeitig ältesten Wein der Probe, starteten wir in den zweiten Abend. Legendär sind die Weine aus der Vorreblauszeit, doch auch diese leben nicht ewig, schon gar nicht in low shoulder Risikoflaschen wie dieser unbekannten Händlerabfüllung hier. Dunkles Braun die Farbe, natürlich war dieser Lafite alt, reif und deutlich über den Zenit, aber noch lange nicht gebrechlich. Der Gaumen mit feiner, malziger Süße deutlich besser als die mit der Zeit etwas seifig werdende Nase, weich, wenig Säure, elegant und immer noch erstaunlich trinkbar. Punkte können solch einem zeitgeschichtlichen Monument, dem man mit Ehrfurcht begegnet, eigentlich nicht gerecht werden. Trotzdem, vom reinen Genuss her waren es 80/100. Eine Riesenüberraschung dann 1887 Lafite Rothschild aus dem ersten Jahrgang, in dem in Bordeaux nach der Reblaus-Katastrophe wieder ordentliche Weine geerntet wurden. Dieser hier bot einen erstaunlichen Trinkspaß. Die zu Anfang staubig-muffige Nase wurde immer besser und zunehmend kräuteriger mit Anklängen von Lakritz und Fernet, am Gaumen erstaunlich generös und lang mit feiner Süße, baute im Glas nicht ab, sondern legte enorm zu 92/100. Groß die Flaschenunterschiede bei 1934 Lafite Rothschild mit einer Variantenbreite zwischen großartig und grausam. Wir bewegten uns hier eher am unteren Ende. Trüb die Farbe, oxidativ die ältliche Nase, am Gaumen viel Säure, deutlich auf dem Abstieg 82/100. Eine recht helle, aber immer noch klare und brilliante Farbe hatte 1937 Lafite Rothschild. Fein und fruchtig die Nase mit erdigen Noten, Torf und Tabak, am Gaumen ein filigraner, schlanker, eleganter Lafite, die gute Säure vermittelt immer noch den Eindruck gewisser Frische 85/100. Der 1939 Lafite Rothschild war zu Anfang ein nur mit Schmerzen trinkbarer Säuerling, der mit Luft zulegte und deutlich trinkbarer wurde 81/100. 1928 war eigentlich ein großes Weinjahr, doch bei Lafite muss da im Keller einiges schief gelaufen sein, denn der Wein wurde pasteurisiert. Wir bekamen pro Tisch jeweils ein kleines Glas des 1928 Lafite Rothschild aus einer nicht optimal gefüllten Flasche, was allerdings für diese säuerliche Liebstöckelmischung mehr als reichte. Trinkbar zwar, aber kurz, klein und auf dem Abstieg. Mit meinen großzügigen 78/100 liege ich noch sensationelle 10 Punkte über Parker.

Und dann kam ein perfekter, stimmiger Flight mit großen, klassischen Lafites in totaler Harmonie. Kein Blockbuster wie auf anderen Chateaus der 1945 Lafite Rothschild, aber was für ein betörender, feiner, hoch eleganter Wein, in der Nase kräuterig mit feiner Süße und Minze, am Gaumen einfach rund mit generöser Süße, viel Minze und Menthol 95/100. Kein langes Leben mehr dürfte der 1947 Lafite Rothschild haben. Das zeigten die deutlichen Steinpilznoten in der ansonsten von Kaffee dominierten Nase, in der man auch das heiße Jahr spürte, am Gaumen generös, voll da, aber auch elegant mit guter Säure 93/100. Schlichtweg sensationell der 1948 Lafite Rothschild, der wie eine Eins im Glas stand. Herrliche, gefällige, feinfruchtige Nase, auch am Gaumen sehr elegant mit delikater, zarter Frucht, burgundisch im besten Sinne mit beachtlicher Länge 96/100. Sehr viel reifer in der Anmutung war 1949 Lafite Rothschild, reif die Farbe, reif die malzig-süße Nase, auch der Gaumen sehr malzig und an Guiness erinnernd. Und doch fand ich diesen Wein absolut harmonisch, stimmig und wunderbar zu trinken 94/100. Und dann war da noch mein Geburtsjahrgang, 1950 Lafite Rothschild. Unerklärlich, wo der die süße Popcornnase her hatte. Waren wir denn hier im Kino? Am Gaumen viele Kräuter, mineralisch, elegant, sehr lafitig, im Abgang immer mehr Minze, baute enorm im Glas aus, höchst erstaunlich 93/100.
Dazu kam als erster Tischwein 1994 Lafite Rothschild aus der Doppelmagnum. Der gute René hatte wirklich die Spendierhosen an. Kräftig war dieser Wein, etwas ruppig und rustikal, passend zum Jahrgang halt, kein großer, schon gar kein eleganter Lafite, die Zeit mag es richten 88+/100.

Ziemlich daneben war 1955 Lafite Rothschild aus einer wahrscheinlich misshandelten low shoulder Flasche. Sehr hell die Farbe, extrem wässrig die dünne Nase mit Spuren von Bakkelit und Resten von Erdbeersyrup, am Gaumen schwierig mit viel Säure 81/100. So schmecken halt Auktionsschnäppchen. Wer mehr hinlegt, bekommt in besseren Flaschen einen reifen, komplexen, schmeichlerischen Lafite mit feiner Süße auf 95/100 Niveau. So durfte ich ihn vor ein paar Jahren bei einem guten Freund genießen. Und dann meckern wir mal auf ganz hohem Niveau. Superdicht die junge Farbe des 1959 Lafite Rothschild, ein gewaltiges Konzentrat in der Nase und am Gaumen, das eher an modernere Lafite erinnerte, als an die klassischen Lafites der damaligen Zeit, vielleicht ein modernes Remake des legendären 1870 Lafite, Minze, Eukalyptus, frische Kräuter, satte, pflaumig-portige Frucht, Süße, mehr Kraft als Finesse, gewaltige Länge, und doch fehlte bei diesem Wein, den ich schon mehrfach mit 100/100 im Glas hatte, der letzte Kick. Deshalb "nur" 97/100. Deutlich heller in der Farbe 1961 Lafite Rothschild, in der generösen, süßen Nase viel Kräuter, Minze, Tabak und auch der Hauch Eukalyptus, den große, ältere Bordeaux mit Kaliforniern gemeinsam haben, am Gaumen elegant, sehr fein und stimmig, mehr Lafite als der 59er 95/100. Ein deutlicher Abstieg dann 1962 Lafite Rothschild, in der diffusen Nase billiges Industrie-Erdbeeryoghurt, am Gaumen gezehrt mit deutlicher Säure. Wie schön, dass jetzt der nächste Gang unseres Menüs kam. Damit ging er deutlich besser und brachte es auf 86/100. Solo ist dieser Wein eher schwierig. Sehr reif die Nase des 1966 Lafite Rothschild, einem perfekten Kandidaten für die Reise nach China. In der Nase der große Rundgang über mit Wochenmarkt mit viel grünen, unreifen Noten und Paprika, am Gaumen dürr, austrocknend, Apotheker-Lakritze ohne Süße 83/100. Und dann war da noch der nächste Tischwein, 1990 Lafite Rothschild aus der Jeroboam. Das war ein hochkonzentriertes Weinbaby mit Babyspeck satt und massig Röstaromatik, dioe Struktur eines großen Pauillac und die geile 90er Exotik, zu Anfang vor allem in der Nase sehr verhalten. Ließ insgesamt weniger raus als der 89er, wird sich mit dem aber in 10 Jahren um die Krone streiten. Auch das hier ein Wein mit durchaus 100/100 Potential. Wer den hat und noch nicht als China-Paket versandfertig gemacht hat, sollte das auch tunlichst unterlassen und ihn wirklich nur verkaufen, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Solche Weine kommen nicht jedes Jahr auf den Markt und als Lafite in dieser einmaligen Kombination aus schon fast üppiger, leicht exotischer Aromatik, großartiger Struktur und der klassischen, nobler Eleganz älterer Lafites vielleicht nie mehr 95+/100. Und den dann noch, obwohl zu früh, in großen Schlucken aus zwei großzügig gefüllten Gläsern trinken zu dürfen, das hatte was. Bewirb Dich als Weihnachtsmann, lieber René, und besuch mich dann jedes Jahr mit solch einer Flasche.

Ja, mir ging es verdammt gut an diesem Abend, große Weine, auch genug davon, lauter nette Leute und eine heitere, gute Stimmung im Raum. Da konnte ich dann auch locker solche Weine wie 1981 Lafite Rothschild verschmerzen. Dessen einziger Fehler bestand darin, dass er überhaupt abgefüllt wurde. In der verhaltenen Nase kalter Rauch und etwas Tabak, am Gaumen streng mit harten Tanninen, macht einfach keinen Spaß 80/100. Es soll etwas bessere Flaschen davon geben. Ich kenne ihn aber nur so. Doch die Entschädigung dafür kam gleich im nächsten Glas, 1982 Lafite Rothschild in einer fantastischen kaum-zu-glauben Form. Bisher war das immer ein sperriges Monstrum, dem ich keine große Zukunft gegeben habe und schon gar nicht Parkers 100 Punkte. Und jetzt stand da vor mir ein völlig anderer, geradezu erotischer Wein mit erstaunlich offener, süßer Nase und herrlicher Frucht. Klar, am Gaumen war da neben der großen Zedernholzoper noch ein mächtiges Tanningerüst, aber auch hier erste Zeichen von Öffnung und unter den Tanninen lugt immer stärker die Frucht hervor 96/100. Grund zur Hoffnung also. Der 1982er könnte vielleicht doch noch mal ein richtig großer Wein werden. Aber ich bezweifle doch sehr, dass er jemals so gut wird, dass er seinen aberwitzigen Preis rechtfertigt. Dann doch lieber 1983 Lafite Rothschild. In dieser Probe war das leider ein ziemlicher Ausfall. Aber ich habe diesen sehr eleganten Bilderbuch-Lafite in den letzten Jahren mehrfach mit 95/100 im Glas gehabt. Auch der natürlich inzwischen zu teuer, aber im Vergleich zum 82er noch geradezu ein Schnäppchen. Wen Sie den noch irgendwo fair kalkuliert auf einer Weinkarte entdecken, bitte nicht bestellen sondern mir sagen. Ich fahre dann hin und trinke ihn. Überrascht war ich von 1984 Lafite Rothschild. Sehr dicht und praktisch altersfrei noch die Farbe, von kühler, zurückhaltender Eleganz die Nase mit den unreifen, grünen Noten des Jahrgangs, aber auch mit einer leichten Napa-Affinität mit Minze und Eukalyptus, am Gaumen immer noch deutliche Tannine 84+/100. Aber da ist auch immer noch spürbares Potential. Ich hatte den Jahrgang völlig abgehakt, aber einige, große Weine, wie z.B. Mouton, Margaux oder dieser Lafite könnten in 10 Jahren nach abschmelzen der etwas harschen Tannine durchaus noch mal für eine Überraschung gut sein. Austrinken? Nein, weglegen. Das gilt hoffentlich auch 1985 Lafite Rothschild, einen absolut charmefreien, schwierigen, astringierenden Wein der Sorte "will, aber kann nicht". Wer genau wissen will, wie man den englischen Fachbegriff "austere" übersetzt, sollte die Nase in diesen Wein halten, da ist die flüssige Übersetzung drin 86(+?)/100. Ein großer, klassischer Bordeaux hingegen 1988 Lafite Rothschild mit guter Frucht, mächtigen Tanninen, gewaltiger Struktur und natürlich auch Ecken und Kanten. Den kann man jetzt schon nach längerem Dekantieren angenießen oder ihn auch noch dreißig Jahre liegen lassen. Der wird immer besser und dürfte die meisten seiner Besitzer locker überleben 94+/100.

Als letzten Flight bekamen wir noch 5 moderne Lafites ins Glas. Auch bei Lafite gab es Mitte der Neunziger eine Zäsur. An den Reben hat sich nichts geändert, aber an der Kellertechnik und der Art der Weinbereitung. Die modernen Lafites sind fruchtiger, zugänglicher und auch kräftiger. Bestes Beispiel dafür ist 1998 Lafite Rothschild, ein moderner, konzentrierter Lafite der neuen Generation, gewaltige Frucht, tolle Struktur, erste Süße, Kraft und Länge, voll trinkbar 95/100. Das gilt noch mehr für den aus der Magnum ausgeschenkten 1999 Lafite Rothschild. Der wirkte reif, erstaunlich zugänglich, süß, trüffelig, leicht portig mit feinem Schmelz und hohem Suchtfaktor, groß 96/100. Ein noch sehr jugendlicher Riese im Werden hingegen 2000 Lafite Rothschild, ein dichtes, kräftiges, gewaltiges Konzentrat mit präzisen Konturen, bereits jetzt deutlichem Charme, bleibt ewig am Gaumen und hat großartiges Potential 97+/100. Ein Wein auf dem weg zur Legende, wofür er noch gut 10 Jahre brauchen wird, um auf diesem Niveau dann Jahrzehnte zu bleiben. Absolut großartig und deutlich trinkreifer der 2002 Lafite Rothschild, ein betörender, feiner, sehr eleganter Lafite, ein modernes Remake des 83ers mit enormem Druck am Gaumen und guter Säurestruktur 96/100. Und dann war da noch dieser gewaltige 2005 Lafite Rothschild, der vor Kraft kaum Laufen konnte. Kam völlig verschlossen ins Glas und brauchte ewig, mit der Zeit spürte man dann das enorme, süße Fruchtkonzentrat, aber auch das mächtige Tanningerüst. Ein Wein, der sicher 2 Jahrzehnte zur Entfaltung braucht, meine Erben werden sich freuen. Wo der dann mal im Jahre 2035 zwischen 95 und 100/100 liegen wird, ist heute reine Kaffeesatzleserei.

Werde ich jetzt endgültig Lafite-Fan? Das ist eine rein theoretische Frage. Lafite ist mit der Qualität der jüngeren Jahrgänge dort angekommen, wo vor 10 Jahren der Preis lag. Für ein Chateau mit der ja nicht gerade kleinen Produktionsmenge von 500.000 Flaschen(300.000 Grand Vin, 200.000 Carruades) ist das beachtlich. Aber für die heutigen Lafite-Preise bin ich weder reich noch bekloppt genug. Da ist es dann sehr schön, wenn es solche perfekt inszenierte Proben-Juwele wie diese hier gibt. René Gabriel darf mich für die nächste Lafite Probe in wie viel auch immer Jahren hiermit als angemeldet betrachten.

Auf den Punkt brachte die Probe mit einem köstlichen, launig vorgetragenen Gedicht übrigens Weinfreund Stevie Trarach:

- - - DER ERSTE FLIGHT - - -

Der René sich nicht lange ziert
von seinem alten Wein probiert
René, beim Trinken hat er Mut
sagt, die sind sehr alt, doch gut

An Farben sagt er alles drin
von Rot geht es nach bräunlich hin
und nach des René Farbenlehre
sieht's aus, als wenn es Süßwein wäre

Doch Farben weg in Kopf hinein
bemerkt man Süße, die ganz fein
der Gaumen toll, man sieht, man liebt sich
der Wein von Achtzehn-Achtundsiebzich

Kleine Erwartung viel Genuss
Große Erwartung wäre Stuss
cremig süßes Holz am Gaumen
Nachgang schmeckt nach Frühstückspflaumen

Neun Jahre später viel mehr Wein
Die Nase muss wohl Soja sein
Balsamico, geschälte Nuss
so schmeckt er wie er schmecken muss

"Primeur" zu kaufen, er sich weigert
darum hat er ihn ersteigert
er dachte Achtzehn-Sieben'Achtzich
dieser Wein, ich glaub', der macht Sicht

Der Vierunddreißig, wie man sieht
schmeckt nach Schuhcreme und morbid
Der René äußert, mit viel Wissen,
dieser Wein, der ist maskulin

Siebenunddreißig in den Mund
schmeckt intakt und nach Burgund
Erdbeerreste, feine Säure
der nächste Wein, das ist der Neu're

Am Gaumen jodig, nicht das Wahre
in der Flasche Siebzig Jahre
haben wir, auch wenn's nicht schmeckt
vor der Flasche doch Respekt

Und die Conclusio ziehen wir
ein toller Abend wir danken Dir

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René Gabriels eigene, ausführliche Notizen (nicht nur) dieser Probe befinden sich hinter einer Paywall. www.bxtotal.com ist seine neue Website, die für SFR 98.- pro Jahr abboniert werden kann. Dafür gibt es den quasi tagesaktuellen Inhalt seines ehemaligen Bordeaux-Standardwerkes Bordeaux Total, ausführliche En Primeur Berichte aus Bordeaux und eben zahllose Probenberichte wie den von der Lafite Probe. Wer seinen Wein bei Aldi kauft und nichts über € 2.99 in sein Glas lässt, hat sicher auf René s Seite nichts verloren. Ab vierstelligem Bordeaux-Jahresumsatz in Wein(dafür reicht schon eine Flasche 1er Cru in der Subskription) macht aber eine noch knapp zweistellige Investition in diese Website sicher Sinn.