Gründonnerstag Best Bottle

Tradition hat sie, unsere Best Bottle bei Schorn am Gründonnerstag. Diesmal war es eine muntere 10er Runde, die sich gegenseitig vorösterliche, vinophile Freuden bereiten wollte. Franz Josef Schorn merkte man die anstrengenden Prowein-Tage nicht an. Er gab Gas ohne Ende und verwöhnte uns aufs fürstlichste mit einem großen Menü.
Ungewöhnlich der Begrüßungsschluck, ein 1977 Erbacher Marcobrunn Kabinett von Schloß Reinhartshausen. Reife, schon ins Güldene gehende Farbe, auch sehr reife Nase mit Petrol und deutlicher Boytritis. Am Gaumen immer noch spürbare Restsüße, aber auch eine markante, apfelige Säure, die diesem Wein aus dem Unjahr 77 noch eine erstaunliche Frische verlieh 87/100.Weiter ging es mit einem 1995 Dürnsteiner Kellerberg Riesling Smaragd von F.X. Pichler, den aufgrund seiner pfeffrigen Würze am Tisch eigentlich alle für einen Grünen Veltliner hielten. In der Nase mineralische Würze, aber auch etwas alter Fahrradschlauch, am Gaumen mineralische Dichte, gute Statur und eine kräftige, an weiße Pampelmouse erinnernde Säure 91/100. Die Weine von F.X. Pichler gefallen mir eigentlich jung deutlich besser, ganz im Gegensatz z.B. zu den Weinen von Hirtzberger, die sehr gut altern.
Dank des erfahrenen Oliver Speh als Sommelier konnten wir die Probe komplett blind durchführen. Er bestimmte die Zusammensetzung der Flights und deren Reihenfolge. Das war ganz prickelnd, denn niemand wusste, ob er jetzt nicht gerade mit vernichtender Kritik seinen eigenen Wein hinrichtete.
Deutlich nagte der Zahn der Zeit bereits an einer 1975 Saarburger Antoniusbrunnen Auslese von Forstmeister Geltz.. Reife Farbe, in der gewöhnungsbedürftigen Nase erst Tapetenkleister, dann immer mehr Möbelpolitur, am Gaumen wenig Süße, deutlich gezehrt, reichlich morbider Charm 84/100.
Mit zwei Kaliforniern startete der Rotweinteil des Abends. Ungewöhnlich reif und auch alt die erste Anmutung des 1993 Beringer Private Reserve, der eigentlich noch eine dichte Farbe ohne Alter hatte. Insgesamt wirkte dieser Wein deutlich weiter als ich ihn kenne, so dass ich ihn blind zunächst in die 60er schickte. Im Glas baute der Beringer mit der Zeit deutlich aus, wurde voluminöser, kräftiger mit immer mehr Eukalyptus 93/100. Schwierig auch 1991 Dominus, ein großer Wein mit gewaltigem Potential, der aber wohl noch 10 Jahre Geduld erfordert. In der recht verschlossenen Nase wenig Frucht, etwas Brettamycose, nasser Hund, am Gaumen schiere Kraft, aber wenig Freude 91++/100. Oft habe ich 91 Dominus schon in Proben erlebt. Schade ist bei Weinen wie diesem nur, dass sie wahrscheinlich dann, wenn sie anfangen, richtig Spaß zu machen, leider bereits weitgehend ausgetrunken sind.
Völlig neben den Schuhen stand danach ein 1990 Clos des Papes, einfach nur anstrengend und sich jeder Bewertung entziehend. Das muss ein Flaschenproblem gewesen sein, vielleicht verbunden mit einem schleichenden Kork, denn eigentlich ist das ein großer Wein. Trotz aller Zugänglichkeit immer noch recht jung wirkend der 1991 La Landonne von Rostaing. Rauchig, Holzkohle, Lakritz und Veilchen, die typischen Fleischnoten, ein großer, klassischer Côte Rotie mit guter Struktur 94/100. Eher etwas enttäuscht war ich vom 1994 La Mouline von Guigal. Der hat seine besten Zeiten längst hinter sich und nicht mehr viel Zukunft. Trinkt sich derzeit immer noch recht schön mit reichlich Karamell in der Nase und am Gaumen, aber ein guter La Mouline kann eigentlich mehr 91/100. Hoffentlich nur in einem doch reichlich diffusen Zwischenstadium war 1997 Mondavi Reserve. Dichte junge Farbe, sehr süß, üppig mit wenig Struktur, mehr Australien als Kalifornien 90/100. Da müßte eigentlich in ein paar Jahren noch etwas mehr kommen, aber die Klasse der älteren Mondavi Reserves hat er wohl nicht.
Immer noch jugendlich, recht dicht mit guter Frucht 1995 Palmer, kann aber von der Struktur und dem Potential her den großen Palmers aus den 80ern das Wasser nicht reichen. Dürfte sich bald wieder für einige Zeit verschließen 92/100. Und dann kam leider - mal wieder 1989 Palmer. Leider deshalb, weil das in 10 Jahren mal ein riesengroßer Wein sein wird, vorausgesetzt, er wurde bis dahin nicht komplett im jetzigen, eher freudlosen und von harschen Tanninen geprägten Stadium ausgetrunken.

Nein, es lehnte sich niemand aus dem Fenster und behauptete, dass die beiden nächsten Weine identisch waren. Doch genau das war der Fall, eine 1961 Lascombes Magnum, auf zwei Karaffen aufgeteilt und in unterschiedliche Gläser eingeschenkt. Ein beliebtes Spiel, um die Urteilsfähigkeit der Gäste zu testen. Ziemlich reife Farbe mit leicht rostigem Braunrand, viel malzige Süße und faszinierende Länge, aber in der Nase auch eine leicht bittere Chicoré Note, die sich mit mehr Luft verstärkte. Ein Wein, der bei aller Klasse bereits gefährlich lebt 92/100. Deutlich besser kenne ich den nachfolgenden 1970 Lynch Bages. In der Nase statt der gewohnt intensiven Minze nur etwas Wrigley Spearmint. Am Gaumen verdunstete dieser garantiert abgangsfreie Wein völlig. Nahm mit mehr Luft den zaghaften Versuch, sich etwas zu entfalten, blieb aber eine große Pleite. Auch das kann eigentlich nur ein Flaschenproblem gewesen sein, denn 1970 Lynchbages ist in guten Flaschen nach wie vor ein großer Wein. Eine sehr dichte Farbe hatte 1988 La Mission. Grasig-grün die Nase, in der Paprika den Tabak überdeckte, insgesamt recht verschlossen und anstrengend 87/100. Hier hatten wir genau das umgekehrte Problem. Die Flasche war einfach zu gut und der La Mission damit noch nicht weit genug. Je nach Lagerung sind beim La Mission, der das Potential zu einem großen Wein hat, noch gut 5 Jahre Wartezeit angesagt.
Große Klasse war 1966 Imperial Gran Reserva von CVNE. Reife Farbe mit deutlichen Brauntönen zwar, aber absolut runzelfrei am Gaumen. Sehr süße Nase, dunkles Toffee, Kaffee, Schmelz ohne Ende, jetzt auf dem Punkt, aber sicher noch mit Reserven für lange Jahre 95/100. Die CVNE s aus den 70ern und den Jahrzehnten davor, egal ob Imperial oder Vina Real sind nicht nur immer noch erstaunlich preiswert, sie sind eigentlich auch immer eine Bank. Überzeugend auch wieder 1966 l Arrosée in der Chateauabfüllung. Klare, junge Farbe, sehr mineralisch, Tabak, Leder, feine, rotbeerige Frucht, insgesamt noch recht jung wirkend, schlanker als die Barrière-Abfüllung und dieser auf hohem Niveau nicht gewachsen, sicher noch bis zu 20 Jahre haltbar 91/100.
Kein großer Wein, aber ein sehr feiner, 1934 Lafite Rothschild, immer noch mit etwas rotbeeriger Frucht, sehr elegant, fast etwas verspielt wirkend mit feiner, filigraner Aromatik und dezenter, malziger Süße. Von diesem Wein soll es großartige und grausame Flaschen geben. Wir lagen wohl genau in der Mitte. Eher in der grausamen Ecke waren wir dann mit einem 1949 Romanée St. Vivant von A. Gloria. Sehr helle Farbe, säuerliche Orangennote, eigentlich untrinkbar, doch mit der Zeit wurde er im Glas etwas milder, weicher und süßer, wirkte himbeerig-oxidativ. Immerhin war er jetzt ohne allzu große Schmerzen trinkbar, von Genuss konnte aber keine Rede sein 79/100. Völlig entgeistert starrte danach der edle Spender eines 1928 Haut Bailly auf sein Glas. Konnte das wirklich sein Wein sein? Leider war er es wirklich. In guten Flaschen, von denen ich schon zwei trinken durfte, ist das ein Riese, aus dieser hier war es nicht mal ein Zwerg. Unglaublich dichte Farbe, aber völlig madeirisiert und untrinkbar. Lediglich die Nase mit viel Espresso konnte man sich noch etwas schönreden.

Deutlich schöner wurde es dann mit einem 1947 Grand Poujeaux in einer dänischen Abfüllung von Kjaer&Sommerfeldt. Auch der war reif mit einer relativ hellen Farbe, zeigte aber weder in der Nase noch am Gaumen erkennbare Schwächen. Feine, karamellige Süße, sehr aromatisch, elegant und absolut delikat. Die gute, stützende Säure dürfte ihn noch eine ganze Weile am Leben erhalten 92/100. Das Glas daneben auf ähnlichem Niveau und ebenfalls 92/100 wert, doch völlig anders in der Stilistik und ein grandioses Weinerlebnis. Mit diesem 1910 Marques de Riscal Reserva kann ich einen empfindliche Lücke in meinen Jahrgangs-Übersichten füllen. Mein erster 1910er, und was für ein Wein! Sensationelle Farbe, erst etwas sperrig und von der deutlichen Säure dominiert, baut unwahrscheinlich im Glas aus, wird dichter, komplexer mit karamelliger Süße, ein großer, alter Rioja.

Noch zwei schöne Überraschungen dann im letzten Flight. 1947 Cantenac Brown in einer englischen Abfüllung von Christopher&Co hatte eine reife, helle Farbe, immer noch eine delikate, rotbeerige Frucht, war sehr schmeichlerisch und elegant, eben so, wie man sich einen reifen Margaux vorstellt 92/100. Im Nachbarglas dann ein weiteres, faszinierendes Zeitdokument, ein 1928 Fleurie, von Sichel&Fils Frères abgefüllt für die Weinkellerei Geisenheim. Auch der wurde getragen von einer kräftigen Säure, hatte aber noch soviel Frucht. Überraschend schön alleine schon die extrem fruchtige Nase, bei der man meinte, in eine große Tüte Fruchtbonbons hineinzuriechen 92/100. Mit heutiger Beaujolais-Plörre hat das nichts gemeinsam.

Der vielleicht beste Wein unserer Verkostung dann ganz zum Schluss, 1950 La Gomerie. Ein echter Herzblutwein, eigentlich vorgesehen für meinen nächsten, runden Geburtstag, den er bei dieser tollen Statur locker erreicht hätte. Dichte Farbe mit kaum Alter, wunderbare Nase, Süße, Eleganz, Länge, ein komplexer, großer, sehr vielschichtiger und noch ungemein lebendiger Wein - 96/100.

Reichlich Höhen und Tiefen haben wir an diesem Abend genossen. Aber das ist ja gerade das spannende insbesondere bei älteren Weinen. Da bewahrheitet sich immer wieder der Spruch "Es gibt keine großen Jahrgänge und keine großen Weine, sondern nur große Flaschen". Wer die unendliche Faszination gereifter, älterer Gewächse erleben möchte, muss auch das Risiko zahlloser Totalausfälle eingehen.