Ingwer tötet Rotwein

Eine feine Probe war das, zu der ich da bei meinem Weinfreund Willi Krähling an den Möhnesee eingeladen war. Nette Leute, eine tolle Atmoshäre und ein erstklassiges Menü schufen den richtigen Rahmen für einen gelungen Abend. Zwei begnadete Hobbyköche, Michael Scholz und Martin Mangold, brannten ein wahres kulinarisches Feuerwerk ab. Doch war es dann genau eines dieser Gerichte, das einigen unter uns den Spaß am Wein verdarb. Eine geniale Kürbis-Ingwer Consommé war so reichlich mit dicken Ingwerstücken versetzt, dass sich deren Gaumen davon nicht mehr erholte. Die nachfolgenden Rotweine erschienen deutlich säurelastiger, als sie eigentlich waren. Besonders traf es die Kandidaten unter uns, die zuwenig Wasser oder gar keins tranken. Ich hatte selbst damit kein Problem. Bei Proben versuche ich grundsätzlich, Wein und Wasser mindestens in gleichen Mengen zu trinken. Besonders nach frecher gewürzten Speisen spüle ich den Gaumen richtiggehend mit Wasser aus. Auch Weißbrot neutralisiert ganz gut. So hatte ich nicht nur weitgehend ungetrübten Weingenuss. Ich konnte mich auch bei den besseren Weinen zusätzlich aus den Gläsern geschädigter Nachbarn bedienen. Der Ingwer hatte also auch etwas Gutes für sich.

Eingestimmt auf einen feinen Abend wurden wir mit einer alten Flasche Krug Private Cuvée, die wohl aus den 50ern stammte und auch die Aufschrift "französischer Schaumwein" trug. Güldene Farbe, nur noch dezente Perlage, mehr Wein als Champagner, aber mit schöner Aromatik und den Brottönen reifer Champagner, einfach wunderschön 91/100.
Zwei Schwergewichte aus Österreich standen sich im ersten Flight des Abends gegenüber. Ein gewaltiger Wein ist 1997 Ried Kellerberg Riesling Smaragd von F.X. Pichler. Der hatte nur ganz zu Anfang einen leichten Petrolton, der aber rasch verflog. In ihrer Jugend sind die Kellerberg-Rieslinge oft sehr wuchtig. Jetzt nach fast 10 Jahren präsentierte sich dieser Wein bei aller Nachhaltigkeit ausgesprochen fein und elegant. Der wirkte noch so frisch mit guter Säure, hoher mineralischer Dichte, feinen Kräuternoten, irrer Länge und Komplexität am Gaumen und tollem Standvermögen. Da sind sicher noch 10+ Jahre Potential 94/100. Eher am Ende der Genussreife schien da schon der 1997 Das Beste vom Riesling von Malat zu sein. Reife Farbe, feine Honigtöne, etwas Petrol, Marille pur, immer noch gute Säure, am Gaumen füllig mit viel Kraft, aber mit der Zeit kamen bei diesem eher halbtrockenen Wein auch störende Nebentöne, Gummi, alter Fahrradschlauch 90/100.
Eine Frechheit war dann im nächsten Flight ein 1996 Batard-Montrachet von Charles Bondeau-Danne. Der hatte wieder diesen üblen, oxidativen Ton vieler Weißer Burgunder aus den 90ern, darunter eine leicht dropsige, diffuse Note. Das Oxidative wurde immer schlimmer, dieser erschreckende Burgunder-Mist war praktisch nicht trinkbar. Grandios dagegen ein 1996 Kongsgaard Chardonnay. Da ging richtig die Sonne auf. So ein muskulöser, kräftiger, perfekt strukturierter Chardonnay mit druckvoller, würziger Aromatk, komplex, dicht, nussig. mineralisch mit Schmelz ohne Ende. Straft die Mär vom buttrigen, kalifornischen Chardonnay, der innerhalb der ersten 2-3 Jahre getrunken gehört, Lügen. Hier ist keinerlei Eile geboten. Bei diesem großen Wein der auch mit Würde die Bezeichnung Montrachet tragen könnte, sind noch locker 5+ Jahre drin 96/100.
Bordeaux gegen Kalifornien hieß das Thema der ersten Rotweinflights. Seine besten Zeiten hatte der 1986 Wildhorse Cabernet Sauvignon wohl bereits länger hinter sich. Der Cabernet aus Paso Robles von einem erst 1982 angelegten Weinberg zeigte Holunder ohne Ende, aber auch Paprika, Pepperoni und etwas Zedernholz, dazu auch ohne Ingwer massive Säure. Zum Essen wurde er etwas gefälliger 86/100. Sehr überrascht war ich vom 1986 Ahlgren Cabernet Sauvignon Bates Ranch. Was habe ich über diesen Wein Mitte der 90er geflucht! So ungenerös und zugenagelt war er damals. Jetzt war da eine expressive, wunderbare Aromatik, herrliche Frucht, rote Johannisbeere, karamellisierte Champignons, Dill, reifes, süßes Tannin, da kam richtig Freude auf 93/100. Leider konnte man das von der 1986 Pichon Comtesse de Lalande nicht behaupten. Das war jetzt schon die dritte, platte 86er Comtesse innerhalb von 2 Wochen. Dichte Farbe zwar, aber wenig Frucht, viel trockenes Tannin, flach am Gaumen, ein erdiger Terroirwein 89/100. Wenn da nicht noch ein Wunder passiert, wird dieser Wein mit seinem massiven Tanningerüst die Weinwelt auf fragliche Art noch 30 Jahre als halbtotes Monstrum verunsichern.
Dreimal großer Stoff im nächsten Flight. Der zugänglichste war der 1986 Silver Oak Napa Valley. Wunderbare Frucht, rote Johannisbeere, Kirsche, süße amerikanische Eiche, leichte Karamelltöne, immer noch gutes Tanningerüst, einfach schön zu trinken, zeigt keinerlei Schwächen und hat sicher noch Potential für ein gutes Jahrzehnt 95/100. Mit superdichter, junger Farbe kam 1986 Chateau Montelena ins Glas. Der wirkt jetzt nach 20 Jahren immer noch so jung. Ein unglaublich konzentrierter Wein mit Eukalyptus und Minze, aber auch mit massiven Tanninen und entsprechendem Biss. Dürfte sich als sehr langlebig erweisen 94+/100.1986 Haut Brion tat sich da naturgemäß verdammt schwer. Klar, auch das ist ein großer Wein, aber einer, der sich im Schneckentempo entwickelt. Nur zögerlich kamen, nachdem der massive Anflug von Brettamycose sich etwas verflüchtigt hatte und auch Nicht-Kloakenfans ihre Nase ins Glas halten konnten, erste Ansätze von Tabak, Teer und Jod. Aber er ließ in dieser Flasche sehr wenig raus. Frucht war völlig Fehlanzeige. Ich hoffe nur, dass wir es hier nicht mit einer weiteren Version des 86-Comtesse-Syndroms zu tun haben, denn ich habe den 86er Haut Brion in den letzten Jahren schon mehrfach deutlich offener und schöner erlebt. Normalerweise müssten da gut 96/100 im Glas sein, heute waren das nicht mal 90/100.
Bescheiden wurde es dann im nächsten 2er Flight, obwohl der aus Magnums serviert wurde. Der 1987 Morgan Carmel Valley Cabernet Sauvignon war ein in Ehren gereiftes, kleineres Weinchen mit feiner Süße 86/100. Damit übertraf er sogar noch den 1987 Clinet. Der ließ mit Wehmut an alte Zeiten denken. In den Neunzigern war das ein sehr leckerer, schokoladiger Merlot mit hohem Spaßfaktor auf 90/100 Niveau. Wir bekamen jetzt nur noch das gezehrte Gerippe 85/100.
Das war dann auch die perfekte Überleitung zu einem Flight, den ich nur aus grausam bezeichnen kann. Drei große Namen, die in einem eigentlich sehr guten Weinjahr nichts Anständiges hinbekommen haben. Es soll auch gute Flaschen vom 1970 Mouton Rothschild geben, und ich habe sogar schon welche getrunken. Das Gros der Flaschen ist aber so, wie das was vor uns stand. Mit dichter, junger Farbe versucht der Wein krampfhaft, von der hohen, flüchtigen Säure abzulenken. Hilft bloß nicht. Das ist und bleibt ein hoffnungslos überbezahlter, ungeneröser Säuerling 83/100. Nicht viel besser der monolithische 1970 Pape Clement 84/100. Auch 1970 Leoville las Cases zeichnete sich nur durch eine unfreundliche Mischung aus harten Resttanninen und viel Säure aus. Da taugte auch die Ingwer-Suppe nicht als Entschuldigung.
Deutlich gaumenfreundlicher ging es dann weiter. Drei 59er standen vor uns. 1959 Vina Real von CVNE war ein noch recht jung wirkender Wein mit typischer Rioja-Aromatik, recht kraftvoll und konzentriert mit guter Säure und feiner Süße 91/100. Gut zu trinken auch 1959 Beauséjour (Duffau-Lagarosse). Gefällig mit feiner Süße, aber auch kräftiger Säure, es fehlt etwas an Struktur und Rückrat 90/100. Auch hier dürfte es wie bei so vielen Chateaus das Problem zu junger Reben nach den 56er Frösten gegeben haben. Beausejour hat erst in den 80ern wieder die Klasse erreicht, die das Gut noch 1953 und 55 hatte. Der mit Abstand schönste Wein des Flights war ein 1959 La Fleur Petrus in einer belgischen Grafé-Lecoq Abfüllung. Ein großer, reifer Pomerol wie man ihn sich wünscht, süß, füllig, üppig und mit genügend Kraft für sicher noch 10 weitere Jahre 94/100.
Als Abschluss spendierte uns der Gastgeber noch einen 1952 Latour aus seinem Geburtsjahr. Der 52er hat zu Unrecht immer im Schatten von 53 gestanden. Während der 53er inzwischen über den Höhepunkt hinaus ist, dürfte 52 auf mindestens ähnlichem Niveau noch gut 5-10 Jahre viel Trinkfreude bereiten. Ein klassischer Latour mit noch verdammt junger Farbe und der typischen, leicht bitteren Walnuß-Aromatik 94/100.