Komplette Le Pin Vertikale

Dieses Glück wird nur ganz wenigen Weinfans je zu teil werden, alle bisher produzierten Le Pins in einer wahrscheinlich weltweit einmaligen Vertikale. Möglich gemacht hat dieses großartige Erlebnis René Gabriel. Eine Probe wie Weihnachten also, und wie an Weihnachten selbst gab es auch hier zwei Feiertage.

Erwartungsvoll trafen wir uns am ersten Probenabend an der Hotelbar des Parkhotel Delta in Ascona am Lago Maggiore. Mit dabei auch Le Pin Besitzer Jacques Thienpont. Mit 2001 Singerriedel von Hirtzberger bekamen wir dort mehr als nur einen vorzüglichen Apero serviert. Wie gut ein solcher Wein ankommt, wie hoch er einzuschätzen ist, lässt sich schon alleine daran ablesen, wie schnell sich die Gläser leeren. Oft wird nur vorsichtig und verhalten an Glas genuckelt. Es gibt ja hinterher noch etwas Besseres. Doch die Teilnehmer dieser Probe schienen ein untrügliches Gespür dafür zu haben, dass hier einer der Weine des Abends im Glas war. In atemberaubendem Tempo leerten sich die Gläser, und die Kellner kamen mit dem Nachschenken kaum nach. Das war einfach ein Wein, der bei aller Kraft eine sensationelle Frische und Finesse zeigte, sehr mineralisch, komplex, feinste Marille, druckvoll und sehr aromatisch am Gaumen, noch Potential für lange Jahre 96/100.

Kein Geld hatte Jacques Thienpont im Mai 1979, als er Le Pin mit damals mal gerade 1 ha Reben erwarb, keine neuen Barriques und auch keine Maschinen. Wie sollte er auch wissen, dass aus diesem Vorläufer der modernen Garagenweine mal eine weltweit extrem gesuchte Ikone werden sollte. Sein Erstlingswerk, der 1979 Le Pin, hatte durchaus noch eine gesunde Farbe, in der Nase alter Pappkarton oder, wenn man es gnädiger ausrückt, er roch wie ein 100 Jahre altes Weinbuch. Am Gaumen spielte sich trotz ganz dezenten Anflügen von Süße nicht mehr viel ab. Einfach säuerlich und weitgehend hinüber 82/100. Schon bei 1980 Le Pin merkte man dann aber, dass da ein engagierter Winzer am Werke war, der aus diesem wohl sehr hochwertigen Terroir ein Maximum rausholte. Feine, elegante Maulbeernase und viel rote Johannisbeeren, erstaunlich dicht und intakt noch die Farbe, am Gaumen eher kompakt und etwas kurz im Abgang, aber für den schwachen Jahrgang insgesamt höchst erstaunlich und immer noch mit viel Genuss zu trinken 87/100. Auch 81 zählt ja nicht gerade zu den Überfliegerjahren, doch ging das junge Chateau mit dem 1981 Le Pin schon auf die Überholspur. Die Nase dieses faszinierenden Weines war erst etwas laktisch, baute aber enorm aus, wurde immer himbeeriger und einfach burgundisch schön, auch am Gaumen so fein und elegant mit einem leicht exotischen Touch 92/100. Kluge Menschen, wie z.B. der Jörg Müller auf Sylt, kauften bereits damals von den nur 3500 Flaschen was sie kriegen konnten. 1983 Le Pin hatte in der Nase feine, süße Beerenfrucht, einfach sehr sexy-schön mit feinem Schmelz, auch am Gaumen ein sehr feiner, eleganter Wein mit etwas Süße 91/100.

Nichts erwartet hatte ich von 1984 Le Pin, doch selbst in diesem miesen Jahr entstand ein trinkbarer Wein, der sich noch erstaunlich hält. Gut, da sind die typischen, grünen Töne unreifen Lesegutes, aber da ist gleichzeitig auch eine erstaunliche Süße. Süßes Gras also, haben die damals Hanf mit vergoren? Am Gaumen wirkt dieser Le Pin etwas ungenerös, ist aber immer noch gut trinkbar 85/100. Bis 87 wuchs das Gut auf 1,8 ha an und die Zahl der Flaschen kletterte etwas. An 1987 Le Pin kann ich mich noch sehr gut aus früheren Verkostungen in der ersten Hälfte der 90er erinnern. War das ein dekadentes Geschoss, locker auf 96/100 Niveau. Inzwischen ist er nur noch ein Schatten seiner selbst mit etwas staubiger Nase, viel Tabak, wenig Süße, aber immer noch mit reichlich Charme und beachtlichem Standvermögen 87/100. Eine explosive Schoko- und Pralinennase hatte 1988 Le Pin, ein verrückter, für den Jahrgang erstaunlich offener 88er, eher etwas auf der leichteren Seite, aber hocharomatisch 93/100. 1989 Le Pin wirkte zu Anfang deutlich reifer, süßer in der Nase, Mokka mit viel Zucker, am Gaumen sogar leicht gezehrt. Und als ich ihn gerade abschreiben wollte, drehte er plötzlich wie schon im letzten Herbst auf der 89*89 Probe auf und baute ungeheuer aus, wurde fruchtiger, fülliger üppiger. Der hat ein zweites Leben und noch Kraft für 20+ Jahre 94/100.

Ein blind ausgeschenktes 94er Quartett aus üppigen Großflaschen begleitete den Hauptgang unseres Menüs. 1994 Cheval Blanc aus der Doppelmagnum war der schwächste der Runde. Den rettete schließlich nur ein immer stärker werdender Korkton vor der sicheren Blamage. Dieser Cheval Blanc ist nun mal ein eckiger, rustikaler Kraftprotz ohne jeden Charme. Wenig Freude bereitete auch der aus der Magnum ausgeschenkte 1994 Gazin. Ein tanninbetonter Wein mit leicht grünen Noten in der eher anstrengend wirkenden Nase, entwickelte sich kaum im Glas und war auch etwas kurz im Abgang 89/100. 1994 Lafleur zeigte sich aus der Doppelmagnum recht offen und zugänglich, wunderbar komplexe, kräuterige, süße, schokoladige Nase, am Gaumen kraftvoll mit spürbaren Tanninen, aber auch hier einfach schokoladig-lecker mit feiner Süße, erinnerte an die großartige Imperial 2007 bei René Gabriels Petrus-Probe auf Muottas Muragl 95/100. Noch eine Ecke drüber 1994 Le Pin aus der Doppelmagnum, der zur Freude von Jacques Thienpont auch die Publikumswertung klar gewann. Da war soviel Süße und Fülle, aber auch noch ungeheure Kraft, dekadent die immer mehr süße Himbeeren zeigende und noch von Röstaromen geprägte Nase, einfach eine gewaltige, berauschende Droge, dieser noch nie so gut getrunkene Wein 96/100. Fünfter im Bunde war der als Tischwein ausgeschenkte 1994 La Conseillante aus der Imperiale. Noch sehr junge, dichte Farbe, in der Nase rotbeerige Frucht, aber auch der verschwitzte Turnschuh, am Gaumen fleischig, kräftig und noch ganz am Anfang, ein Charakterwein mit Ecken und Kanten, der sich wunderbar trank und rasch leer war 91/100.

Wurde der 2001 Le Pin in Wien beim KuK Hofzuckerbäcker Demel gemacht? Der zeigte in der spektakulären Nase eine derartige, süße, orgastische Fülle mit Schoko und Nougat ohne Ende. Am Gaumen überwog trotz Süße und reifen, weichen Tanninen die Eleganz und ein unvergleichlicher Charme 96/100. Einen 2003 Le Pin hat es übrigens nicht gegeben, da die Trauben in der Sommerhitze eher zu Rosinen mutierten. Probleme hatte ich mit 2004 Le Pin. Wo war da die Freude? Der präsentierte sich so zurückhaltend und verschlossen. Aber nach den Erfahrungen mit 1994 und auch 84 würde ich diesen Wein nicht abschreiben. Da kommt wohl in 10 Jahren noch mal was. Wahnsinnsstoff der 2005 Le Pin. Wird das der neue 82er? So ein süßes, üppiges, aber blutjunges Konzentrat, ein 95er mit Turbolader, wirkte ungemein sexy, aber noch mit soviel Reserven. Möglich, dass er sich demnächst noch mal etwas verschließt. Richtig brillieren wird er dann in 10 Jahren und sich statt der heutigen 96+/100 wohl um die Maximalwertung bewerben. Wer ihn trotzdem heute trinken möchte, sollte 1. rechtzeitig dekantieren, 2. ein sehr großes Glas nutzen, optimal das Riedel Sommelier, und 3. unbedingt mich mit einbeziehen. Sehr gute Anlagen zeigte auch 2006 Le Pin. Gut, der ist auf der einen Seite noch verschlossen mit tiefer, undurchdringlicher Farbe. Und dann wirkt er durch das deutlich spürbare Holz sehr röstig, vanillig und modern. Aber das wird sich geben. Hat sicher Potential für 92+/100.

Martin Dalsass, der beste Koch des Tessins erwartete uns am zweiten Abend in seinem Restaurant Santabondio in Sorengo-Lugano. Hier wurden wir nicht nur hochklassig bekocht. Es gab mit der 15 Liter Nebuchadnezar 1998 Petit Village auch reichlich Mengen eines sehr spannenden Tischweins. Pflaumig, schokoladig mit Kaffee und Rüstnoten, sehr fleischig, dicht und auch etwas rustikal, lakritzig im Abgang. Kann sicher noch zulegen, und war aus diesem herausragenden Pomeroljahr auch ein guter Sparringspartner für die Le Pins auf 90/100 Niveau. Gut möglich, dass diese Riesenflasche billiger war als so manche Le Pin Eintel.

Nur 2100 Flaschen gab es als Folge der massiven Frostschäden von 1991 Le Pin. Von denen habe ich seinerzeit für jeweils gut 70 € 6 Flaschen erworben und bis 2000 mit viel Vergnügen auf 91+/100 Niveau geleert. Das war gut so, denn dieser Le Pin ist inzwischen deutlich über den Höhepunkt. Die Nase ist noch ganz ok, aber am Gaumen spielt sich nicht mehr viel ab 82/100. Dem 1992 Le Pin merkte man deutlich an, dass es seinerzeit nicht nur im Sommer sondern auch während der Ernte viel regnete, helle, reife Farbe mit deutlichen Brauntönen, etwas diffuse Nase mit deutlichem Stinker, am Gaumen unreif, grün und auch schon ziemlich gezehrt wirkend 83/100. Der Einäugige unter den Blinden war der sehr gut trinkbare 1993 Le Pin. Der war sehr fein und fruchtig mit einer Yogurette-Himbeernase, am Gaumen recht schlank 88/100. In diesem Flight ein klares 3:0 für den Tischwein.

Eher ein kleiner Medoc als ein großer Pomerol war 1996 Le Pin mit viel Paprika 87/100. Da hatten die Reben wohl zu sehr unter Hitzestress gelitten. Leider korkig war 1997 Le Pin. Schade, dieser erstaunlich kräftige, sicher sehr gut zu trinkende Wein(ich habe den Kork rausgeblasen und den Le Pin natürlich getrunken) ist ein guter Le Pin aus kleinem Jahr und sicher noch ein paar Jahre 90/100 wert. Entschädigt wurden wir mit dem grandiosen 1998 Le Pin, der auf einen Schlag die eher grenzwertigen, vorherigen Le Pins vergessen ließ. Was für eine süchtig machende Weindroge mit süßer Traumnase, in der sich Pralinen, Kokos, Nougat, aber auch Eukalyptus und Minze fanden. Auch am Gaumen exotisch, üppig und süß, ein großartiger Kalifornier aus Bordeaux 97/100.

Trotz eines leichten Flaschenfehlers machte der 1999 Le Pin viel Spaß. Ein feiner, rotbeeriger Wein, sehr sexy und dabei finessig und elegant mit süßem Schmelz. Bringt aus perfekten Flaschen sicher noch etwas mehr als 92/100. Wie ein jüngerer 98er mit deutlich mehr Struktur wirkte der großartige 2000 Le Pin. Klar war auch der exotisch, üppig, süß und füllig, aber da war (noch) mehr Klasse als bei 98 und ein gutes Tanningerüst. Aus den jetzigen 96+/100 könnten durchaus mal 98-99 werden. Für das doch eher schwierigere Jahr gut gelungen ist 2002 Le Pin, ein pflaumiger, geradliniger, klassischer Pomerol mit feiner Schokonote und schöner Länge am Gaumen 94/100.

Und dann kam im nächsten Flight die Legende, 1982 Le Pin aus der Magnum, einer der teuersten und gesuchtesten, leider auch meistgefälschten Weine der Welt. Gut SFr. 20.000 dürfte der Marktwert dieser echten Magnum heute sein. War sie das wert? Das ist wohl eher eine rhetorische Frage. Ein grandioser Wein auf dem absoluten Höhepunkt ist dieser 82er Le Pin, für den es eine ganz simple Beschreibung gibt, die 1982 Pichon Comtesse in Bestform aus Pomerol. Wieder diese süchtig machende, schmelzige Nase mit der Exotik eines 59er Mouton, aber auch wie ein hypothetischer Blend aus Comtesse und Bryant Family, exotisch, erotisch, süße Fülle, sich ständig wandelnd und neue Facetten zeigend, dabei unglaublich elegant und harmonisch. Klare 100/100 für einen der ganz großen Weine unserer Zeit. Den hier aus dieser Magnum trinken zu dürfen war alleine die Reise nach Ascona wert. Kommt in jedem Fall in meine Top 100. Unterschiedliche Meinungen gab es zu 1985 Le Pin aus der Magnum. Mir gefiel dieser eher elegante, schlankere, feine Wein recht gut mit seiner süßen, generösen Litschi-Nase und den roten Johannisbeeren, feine Süße auch am Gaumen 95/100. Eine wunderbare, flüssige Praline dann 1995 Le Pin aus der Magnum, einfach sexy, exotisch, süß, anmachend, immer noch mit viel Röstaromen, aber am Gaumen auch totaler Harmonie und Länge 95/100. Ja, ich kam jetzt so richtig in einen Le Pin Rausch.

Zweimal durften wir noch und das nicht nur aus großen Schlucken, sondern wenn man wie wir strategisch günstig saß, auch noch zum Nachnehmen. 1986 Le Pin aus der Doppelmagnum war für den in Pomerol ja nicht gerade berauschenden Jahrgang eine sehr positive Riesenüberraschung. Einfach eine Traumnase, wiederum offen, sexy, erotisch und exotisch mit verschwenderischer Süße. Nur am Gaumen war dieser Riese auf verdammt hohem Niveau etwas austrocknend 96/100. 1990 Le Pin aus der Doppelmagnum war schon fast eine Perversion von Le Pin, so süß, so intensiv. Dürfte in der 1tel jetzt perfekt sein und muss in diesem großen Format wohl noch etwas zu sich finden, ist aber einfach ein geiler, exotisch-erotisch-üppiger Saft. Wenn Rotwein wirklich der Sex des Alters ist, dann hatte ich jetzt einen Dreier mit ganz tollen Bräuten im Glas 97+/100.

Ich kann sie verstehen, die Nabobs dieser Welt, dass sie sich mit riesigen Scheckbüchern um die wenigen Flaschen Le Pin streiten. Dieser großartige Wein, der ein beachtliches Stand- und Alterungsvermögen aufweist, ist jede Sünde wert. Eine einmalige Vertikale war das und ein wohl kaum wiederholbares Weinerlebnis. Wie schön, dass es Menschen wie den René gibt, die dieses Erlebnis mit anderen teilen.