Leisis dicke Dinger

Was für ein Tag, was für ein Fest, was für große Weine! Leisi, wie der Bruno Leisibach von seinen Freunden genannt wird, war 40 Jahre alt geworden. Und um das zu feiern, lud er 15 Weinfreunde nach Luzern ins Central ein. Ich durfte dabei sein und habe den weiten Weg nicht bereut. Es war ein Wochenende, wie es sie auch am Vierwaldstättersee nicht allzu oft gibt. Wolkenloser Himmel, frühlingshafte Temperaturen, die Berge oben noch verschneit, im Tal blühte es überall.
Kann ein Tag schöner anfangen, als mit diesem traumhaften Blick von meinem Zimmer im Winkelried in Stanstad über den See, mit einem Kaffee draußen auf der Terrasse? Just an diesem Tag ging dazu das erste Kursboot von Stanstad nach Luzern. Allein für diese Fahrt über den See hätte die Anreise schon gelohnt.
Ziel war in Luzern unweit des Bahnhofs das Central. Hier werkelt eine Truppe, die ihr Handwerk bei Werner Tobler in der Braui gelernt hat. Und viel haben die bei Werni gelernt, der mächtig stolz mit am Tisch saß. Was da auf den Teller kam, war große Klasse. Da muss ich unbedingt wieder hin.

Dreierlei von der Seezunge - einfach göttlich!

Dreierlei von der Seezunge - einfach göttlich!

Und dann die Weine. Es gibt ja Proben, wo sich bis zu 18 Leute eine Flasche Wein teilen müssen. Das mag ja für rein analytische Veranstaltungen angehen, nicht aber für ein schönes Weinfest. So gab sich der Leisi nicht mit Normalflaschen ab. Schon zur Begrüßung wurde eine großartige Magnum geköpft, eine 1999 Wallufer Walkenberg Auslese trocken von J.B. Becker. Eigentlich als Apero reinste Verschwendung. Wer erleben wollte, was bei diesem genialen Wein abging, der musste sich voll drauf konzentrieren. Ein gewaltiger Soff, dicht, komplex, zupackend, sehr mineralisch mit toller Struktur, zeigte mit dem letzten Schluck eine feine Fruchtsüße. Hätte sicher gut drei Stunden Karaffe vertragen und kann in guten Kellern ohne weiteres noch ein oder gar zwei Jahrzehnte liegen 93+/100.
Und dann bekamen wir mit schon recht reifer Farbe den Tischwein eingeschenkt, 1990 Figeac aus der praktischen Jeroboam. Da war genug drin, um diesen Wein im Verlaufe des Mittags/Nachmittags immer mal wieder nachprobieren zu können. Am besten gefielen mir die ersten Schlucke dieses Weines, der auch in der Nase und am Gaumen zwei Jahrzehnte reifer wirkte. Figeac-Klassiker wie 50 oder 59 haben deutlich mehr Kraft und Dichte. Dafür war dieser hier sehr fein, elegant mit reichlich Zedernholz und generöser Süße. Leider kam nach längerer Zeit diese grenzwertige, korkig wirkende Figeac-Nase stärker hervor. Da fiel meine anfängliche Bewertung von 95/100 deutlich und die Lust auf weiteres Nachverkosten nahm zusehend ab.
Insgesamt 12 rote Magnums in Dreierflights hatte der Leisi zu unserem Menü vorgesehen. Mit reifen Bordeaux ging es los. Seine Herkunft konnte der 1978 Ducru Beaucaillou nicht verbergen. Das war klassischer, gereifter St. Julien vom Feinsten mit viel Zedernholz, Tabak und Leder, natürlich auch noch mit guter Frucht, bleibt nicht nur stabil im Glas, sondern baut enorm aus, da ist noch massig Leben für etliche Jahre drin 94/100. Eigentlich kenn ich den schon oft getrunkenen 1979 Margaux nur als Finessenmeister. Aus dieser Magnum hier war er deutlich reifer, auf dem Punkt und zeigte sich als geiler Saufwein, schokoladig mit reifen Beerenfrüchten und schöner Fülle 95/100. Gut startete auch 1983 Leoville Poyferré, einer der besten Medocs des Jahrgangs, doch leider machte sich hier ein mit der Zeit immer stärker werdender Kork bemerkbar.

Der Leisi, das ist der in der Mitte

Der Leisi, das ist der in der Mitte

Viel diskutiert wurde am Tisch der nächste Flight. Waren das jetzt gute, typische Flaschen? Hätten sie besser sein müssen? Oder waren sie noch zu jung? Wahrscheinlich war es eine Mischung aus all dem. Und dazu hätte diesen Weinen sicher etwas mehr Zeit in der Karaffe gut getan. Ich bin kein Freund übermäßig langen Dekantierens, aber hier wäre mehr auch wirklich mehr gewesen. Von 1989 Montrose habe ich schon von saugut bis grottenschlecht alles im Glas gehabt. In den besseren Flaschen ist das ein Wein, der für weniger Geld hält, was der 90er verspricht. Diese Magnum hier lag irgendwo im Mittelfeld. Wunderbar aromatisch die Nase, viel Zedernholz, frische Kräuter, sehr ausgewogen, lang und balanciert, aber irgendwo sang dieser Wein nicht richtig, 89 Montrose geht noch deutlich besser 94/100. Nicht so richtig in Form war auch 1989 Leoville las Cases mit leicht animalischer Nase, Zedernholz, Paprika, aber auch rotbeeriger, süßer Frucht, insgesamt recht schlank, etwas anstrengend und schwierig 93/100. Und dann meckern wir doch auf hohem Niveau noch eine Runde weiter. 1990 Leoville las Cases zeigte ebenfalls nur einen Teil dessen, was er drauf hat. Statt der süßen, geilen Frucht, mit der dieser Wein sonst punktet, waren da gekochte Früchte, Anklänge von Rumtopf, viel Kräuter. Entwickelte sich mit der Zeit enorm im Glas und baute aus, doch 90 Las Cases geht deutlich größer 94/100. Immerhin leerten sich alle drei Magnums in Rekordgeschwindigkeit. Ganz so schlimm kann es also nicht gewesen sein.

Mit dem nächsten Flight war endlich auch Baschi in seinem Element. Baschi, das ist der Erfinder und Veranstalter der inzwischen schon fast legendären American Beauty. Und drei solcher Beauties bekamen wir hier aus der Magnum vorgesetzt. Jeder dieser drei Weine war auf seine Art einzigartig. 1991 Dominus zeigte sich als großartiger, moderner Bordeaux aus Kalifornien, nicht mehr der ewige Potentialsieger, sondern deutlich offener, Minze, Kräuter, Ledersattel, sehr druckvolle Aromatik, wurde mit der Zeit süßer und generöser, Zukunft ohne Ende 97/100. Nein, mein Tischnachbar, der Stefan, konnte mit diesen Weinen nichts anfangen. Dabei ist gerade der 1992 Caymus Special Select so ein ausnehmend schöner Wein, Hedonismus vom Allerfeinsten, mit süßer, geradezu erotischer Frucht, verschwenderisch mit viel Schmelz und enorm druckvoller Aromatik, die kalifornische Version der 82er Pichon Comtesse, nicht marmeladig oder nuttig-plump, nein, hier kommt eine faszinierende Leichtigkeit dazu und eine präzise Struktur, ein Wein zum hemmungslos beidhändig trinken 99/100. Freude ohne Ende brachte auch der grandiose 1994 Phelps Insignia ins Glas, ein faszinierender Wein mit reichlich Frucht, Süße, Struktur und Länge 96/100.

Grosse Weine aus grossen Flaschen

Grosse Weine aus grossen Flaschen

Zur lockeren, fröhlichen, gelösten Stimmung passten auch die letzten drei Magnums. Einfach bestechend der 1997 Ornellaia, den ich noch nie so gut im Glas hatte. Gefiel mir von den dreien mit Abstand am besten, üppig die süße, würzige, kräuterige Nase, auch am schokoladigen Gaumen verschwenderische Süße, aber mit mehr Struktur und nicht so dick wie bei den heutigen Ornellaias, dabei noch so jung, jede Suche wert 97/100. Hatte die Magnum 2001 Ornellaia mal im Schaufenster gelegen oder einen Winter auf der Heizung verbracht? Eigentlich ist das ein großer Wein, nicht weit vom 97er entfernt, aber bei dieser Flasche hier stimmte nur die sehr dichte Farbe. Konzentriert war der Ornellaia auch, aber die malzige Guinessnase und die zunehmenden, balsamischen Noten irritierten schon, baute im Glas ab 90/100. 2004 Ornellaia war ein geiles, pralles Tel, das an Aalto PS erinnerte, ein konzentrierter Superstoff mit immensem Sexappeal, dazu mit irrer Frucht und Fruchtsüße, trinkt sich einfach gut und ist durch die gute Struktur nicht überladen oder sättigend 96/100.

Sollte es das schon gewesen sein, wo wir doch gerade erst richtig in Fahrt kamen? Doch der gute Leisi hatte vorgesorgt und noch ein paar weitere, dicke Dinger in der Hinterhand. Den reifen, sehr gut entwickelten 1982 Talbot mal in großen Schlucken und mit viel Großflaschenbonus aus der Doppelmagnum trinken zu dürfen, das war ein echtes, weiteres Highlight. Der war noch so jung, so hochklassig und spielte perfekt den Zwilling des 82 Gruaud 96/100. Kein Wunder, dass da alle drüber herfielen, als gäbe es ab morgen keinen Wein mehr auf der Erde. Extrem jung auch 1989 Pichon Baron aus der Doppelmagnum, mit jugendlicher, sehr dichter, undurchdringlicher Farbe, in der Nase und am Gaumen noch ein Weinbaby, aber mit prächtigen Anlagen 94+/100. Mein letztes, gut gefülltes Glas bei diesem feucht-fröhlichen Geburtstagsweinfest war ein großartiger 1997 Ridge Monte Bello aus der Magnum. Während viele 97er Kalifornier schon deutliche Reife zeigen, war der noch sehr jugendlich mit gewaltigem Potential, ein Monte Bello für zwei weitere Jahrzehnte 95+/100.

Glutrot der Abendhimmel auf dem Rückflug. Was war das für ein toller Tag. Leisi, ich freue mich schon auf Deinen 50. Geburtstag. Sehr gerne wieder im Central. (wt 04/2011)