Pichon Comtesse und Pichon Baron

Mit einem grandiosen Vergleich reiferer Jahrgänge von Pichon Comtesse und Pichon Baron ging der Probenmarathon 2009 zu Ende. Elke Drescher, die charmante Inhaberin von Rare Bordeaux Weine, hatte zu diesem sehr gelungenen, von René Gabriel launig kommentierten Event in das noble Sterne-Restaurant von Familie Steinhauer in Bad Neuenahr eingeladen.

Von Zwillingen spricht man heute oft bei den beiden, nur von einer Straße getrennten Weingütern, deren offizielle Namen Chateau Pichon Comtesse de Lalande und Chateau Pichon Baron de Longueville lauten. Obwohl sie vor fast zwei Jahrhunderten mal zusammengehörten, unterscheiden sie sich deutlich in Stil und Charakteristik. Die Comtesse ist in der Regel der weichere, subtilere, femininere Wein. Der Baron ist insbesondere in der Jugend markanter, robuster, männlicher. Diese Unterschiede verwischen sich natürlich etwas, wenn die Weine altern. Elke Drescher hatte über eine Reihe von Jahren die Weine für diese spannende Vertikale gesammelt, wozu auch viele der früher üblichen Händlerabfüllungen gehörten. Jede dieser Flaschen erzählte in der Probe ihre eigene Geschichte, und meine Bewertung dieser Weine bezieht sich eben auf genau diese Flasche. Generalisierende Aussagen wie "die 28er Comtesse ist ein xx/100 Wein" sind eigentlich fahrlässig. Große Unterschiede gibt es häufig nicht nur unter den unterschiedlichen Händlerabfüllungen. Unterschiede gibt es auch bei den Chateauabfüllungen. Nicht nur, weil fassweise abgefüllt wurde, sondern auch, weil sich manchmal die Abfüllung über einen längeren Zeitraum erstreckte, und damit die Weine wie bei den verschiedenen Händlerabfüllungen unterschiedlich lange im Fass lagen. Nimmt man dazu noch Herkunft und Lagerung der jeweiligen Flasche, so ergibt sich bei aller Jahrgangs-Typizität eine gewaltige Breite dessen, was man da ins Glas bekommen kann. Enttäuschungen sind ebenso vorprogrammiert wie Überraschungen.

Stirnrunzeln gleich beim ersten Highlight, der als sehr noblen Tischwein vorgesehenen 1978 Pichon Comtesse in der Imperiale. Darauf hatte ich mich besonders gefreut, verbinde ich doch mit der 78er Comtesse nicht nur etliche, persönliche Erinnerungen. Es ist auch normalerweise ein absolut großartiger Wein, der aus der Impi an alte Glanzzeiten erinnern müsste. Leider nur müsste, denn der Gau eines jeden Gastgebers trat ein, die Impi hatte Kork. Da half leider auch der beliebte Trick mit der Frischhaltefolie nicht Der nahm zwar etwas vom Korkgeschmack weg, brachte aber die fehlende Frucht nicht zurück. Wie schön für unsere Gastgeberin, dass sich viele davon nicht schrecken ließen. Die schütteten diesen Wein im Laufe dieses Abends hemmungslos in sich rein, als gäbe es kein Morgen. Da erkennt man halt den geübten Etikettentrinker.

Fragil war die 1924 Pichon Comtesse und zeigte auch eine reife Farbe. Nicht unangenehm roch sie nach altem Holzfass, am Gaumen waren saure Drops. Doch neben der hohen Säure war da am Gaumen auch eine generöse, schöne Süße, die beide eine perfekte Balance eingingen. Ein faszinierendes Süße-/Säurespiel und damit perfekte Fortsetzung des Aperos (2004 Wehlener Sonnenuhr Kabinett von JJ Prüm), den wir uns im kleinen Kreis vorher aus der fulminanten Steinheuer-Karte gegönnt hatten, und wieder eines dieser großartigen Altweinerlebnisse aus dem sonst eher unspektakulären Jahrgang 1924 89/100. Absolut intakt und dicht die Farbe der 1928 Pichon Comtesse, sehr fein die Nase mit Kaffee, Schokolade und dunklem Karamell, elegant und fein am Gaumen, lediglich eine leicht spitze Säure irritierte etwas. In guten Flaschen wie dieser sicher ein Comtesse-Klassiker für noch viele Jahre 92/100. Einfach nur alt und ziemlich anstrengend mutete die 1934 Pichon Comtesse in einer nicht näher identifizierbaren Händlerabfüllung an. Doch mitten in all diesem Muff fand sich doch tatsächlich noch ein überraschendes Stück Schokolade. Insgesamt erinnerte dieser Wein aber doch eher an ein uraltes, verstaubtes Schloss mit Bewohnern jenseits der 90, geben wir trotzdem gnädige 81/100.

Sehr fein und elegant die Nase der immer noch recht kraftvollen 1945 Pichon Comtesse mit viel roter Johannisbeere. Der säuerlich und gezehrt wirkende Gaumen kam da leider nicht mit. Nichts gegen Grapefruit, aber bitte bei einem jungen Weißwein und nicht hier 86/100. Am 1945 Pichon Baron in einer französischen Händlerabfüllung von Jean Lasserre überzeugte am meisten die deutlich jünger wirkende, dichte Farbe. Die Nase wirkte alt und anstrengend, der Gaumen ziemlich sauer und ungenerös mit sehr harten Resttanninen. Die Nase wurde mit Luft und Zeit besser, der Gaumen leider nicht 83/100. Damit zeigten beide Weine sehr anschaulich, dass auch ein Jahrhundertjahrgang wie 1945 noch längst Kein Garant für großartige Weinerlebnisse ist. Begeisternd wieder einmal die 1953 Pichon Comtesse. Wunderbare Nase mit feiner, schokoladiger Süße und burgundischer Fülle, einfach Comtesse pur, auch am weichen, schmusig-eleganten Gaumen ist und bleibt das wohl noch eine Weile eine perfekt gereifte Traum-Comtesse 95/100. Völlig hin war dagegen leider 1953 Pichon Baron in einer französischen Händlerabfüllung, Magginase, viel Klebstoff, pilzig, muffig 72/100.

Und dann kam ein Traumflight, Baron und Comtesse aus den beiden Superjahren 59 und 61. Für diesen Flight alleine lohnte schon die Fahrt nach Bad Neuenahr. Weich, süß, sehr fein und schmelzig die 1959 Pichon Comtesse in einer französischen Händlerabfüllung von Roger Joanne, dabei eher etwas auf der leichteren Seite, elegant und tänzlerisch am Gaumen 94/100. Der 1959 Pichon Baron in einer französischen Händlerabfüllung von de Luze hatte mit üppigen, pflaumigen, süßen Frucht gewisse Ähnlichkeiten mit dem 90er, allerdings zeigte er am Gaumen auch die prägnante 59er Säure 93/100. Ohne Zweifel der Wein des Abends dann 1961 Pichon Comtesse. Stundenlang riechen könnte ich an dieser irren Nase mit ihrer samtig-weichen Fülle, der wunderbaren Frucht und Süße, die an einen großen Chambertin erinnern. Am Gaumen setzt sich das mit unendlichem Schmelz fort und weckt dieser seidig-opulenten, süßen Fülle Erinnerungen an den legendären 61er Petrus 98/100. Hatte ich noch nie so gut im Glas(aber noch als Magnum im Keller!). Da kam der 1961 Pichon Baron nicht mit, der von der gesamten Anmutung her 20 Jahre älter als diese außerweltliche Comtesse wirkte. Etwas rustikaler, kraftvoller, reifer Cabernet pur mit schöner Süße, der leichte Muffton verschwand rasch 93/100.

Erstaunlich schön und kräftig 1962 Pichon Comtesse, malzig und mit süßem Schmelz, hält sich sehr gut und dürfte ein Tipp für all diejenigen sein, die in zwei Jahren ihren 50er feiern 91/100. Da kam die 1964 Pichon Comtesse aus diesem schwierigen Jahr nicht mit. Ein feiner, aber kleiner Wein, weich, schön zu trinken, nur war er halt nie richtig groß. Dazu hat er einfach zuviel Säure und zuwenig Substanz 86/100. Mit etwas Wehmut und Erinnerung an alte Zeiten, vor allem im Düsseldorfer Caveau habe ich die 1981 Pichon Comtesse getrunken. Gut 50mal hatte ich diesen Wein in den 90ern mit konstant 93-95/100 im Glas, oft auch als erfolgreichen Pirat in hochkarätigen Bordeaux-Proben. Doch diese Glanzzeiten dürften in der 1tel mittlerweile vorbei sein. Florale Nase, Paprika, etwas grasige Töne, am Gaumen deutlich schöner, sehr mineralisch und sehr guter Abgang 88/100. Als Großflasche(im letzten Frühjahr auf René Gabriels großer Magnum-Probe 94/100) immer noch eine Suche wert. Sehr enttäuschend hingegen 1981 Pichon Baron in einer Ginestet-Abfüllung, der wohl auch nie große Zeiten gesehen hat, metallisch, feuchter Putzlappen, trinkbar ja, aber doch ziemlich grenzwertig 81/100.

Ein großartiger Wein war auch wieder die 1982 Pichon Comtesse mit guter Struktur, mit viel Schmelz und verschwenderischer Süße, nur sind halt die göttlichen 100/100 Zeiten fürs Erste vorbei 96/100. Sehr fein, erotisch, mit viel rotbeeriger Frucht, aber auch mit deutlicher Säure die 1985 Comtesse 92/100. Korkig leider die 1986 Pichon Comtesse.
Unentschieden ging für mich das Duell 1989 Pichon Comtesse gegen 1989 Pichon Baron aus. Erstaunlich weit aus dieser Flasche die Comtesse, trotzdem sehr frisch mit feiner Frucht, viel Eleganz und perfekter Struktur, eine Langstrecken-Comtesse, die mal an 53 anknüpfen könnte 94/100. Sehr füllig und üppig mit einer überbordenden Frucht, die aber auch Zeichen von Überreife zeigte, der Baron. Baut der inzwischen ab? Ich meine, dass er nur wie viele 89er auch, derzeit durch ein Tal geht. In ein paar Jahren wird dieser Wein, der immer noch ein gutes Tanningerüst und eine gute, stützende Säure besitzt, wieder brillieren und noch mehr als die heutigen 94/100 zeigen. Das 89er Duell dieser beiden Weine wird spannend bleiben und in etlichen Jahren sicher auf höherem Niveau stattfinden.

Bliebe noch der großartige, als Solitär aus der Magnum ausgeschenkte 1990 Pichon Baron nachzutragen. Dichte, jugendliche Farbe, opulente, süße Frucht und Fülle, ein echtes Prachtstück von Wein mit exotisch üppiger, kalifornisch anmutender Frucht und der Struktur eines großen Bordeaux, kraftvoll und sehr lang am Gaumen, einfach hedonistisch schön, da ist jedes Glas zu klein - 96/100.