Pingus Impressionen

An meinen ersten Pingus kann ich mich noch gut erinnern. Im Herbst 1996 hatte ich diesen neuen spanischen Wunderwein bei einem Weinhändler in Subskription erworben, 3 Flaschen 95er zum damals atemberaubenden Preis von 250.- DM pro Stück zur Auslieferung 2 Jahre später. Wahre Wunderdinge waren von dieser neuen Droge berichtet worden.
1999 anläßlich einer Best Bottle mit guten Freunden hatte ich meine erste Flasche Pingus dabei. Während der Probe wurde mein Gesicht immer länger. Zu gut war all das, was da vorgelegt wurde. Vom legendären 25er YGAY über 1990 Margaux bis zur 82er Comtesse waren reichlich Traumweine vertreten. Ausgerechnet ich, der ich doch für gut gereifte, ältere Gewächse bekannt bin, saß jetzt hier mit meinem Newcomer und wartete, zunehmend nervöser werdend, auf meinen Einsatz.
Meine (An-)Spannung wich erst, als ich den Pingus aufmachte und dekantierte. Was da aus der Flasche schoß, war schier unglaublich. Schwarz wie Ägyptens Nächte, pures Konzentrat, irre Dichte und Süße. Ein Wein, der erst einmal sprachlos machte. Auch den Gastgeber, der schnell mit einem 90 Latour versuchte, diesem unerhört lauten, dramatischen Neuling Paroli zu bieten. Keine Chance. Dieser 1995 Pingus war an diesem Abend ein unbestrittenes, einmaliges 100 Punkte Weinerlebnis.

Soviel zu meinem ersten Pingus-Erlebnis. Ein zweites Erlebnis dieser Art hatte ich am 13. Februar 2004 auf einer kleinen Best Bottle. Pingus-Importeur Michael Unger hatte mir eine erste Flasche des 2001 Pingus überlassen und mich gleich vorgewarnt:" Der läßt im Moment noch nichts raus. Aber probier s selber aus". Das habe ich dann spontan gemacht. Der Pingus wurde rechtzeitig vor der Probe bei mir zuhause erst ausgiebig mit meiner Spezialluftpumpe(ein irres Weihnachtsgeschenk meiner Gattin, stelle ich demnächst an anderer Stelle vor) belüftet und dann dekantiert und anschließend zurück in die Flasche gefüllt. Was da beim Dekantieren an Aromen aus der Flasche schoß, war schier unglaublich und machte große Lust auf dieses Hammerteil. Von wegen läßt nichts raus! Das war hedonistische Weinanmache in Vollendung. Während der Probe dann später im Glas sehr dichte Farbe, konzentrierte Frucht, stramme, aber sehr reife Tannine, hörte am Gaumen garnicht mehr auf, eine Legende im Werden - 99/100. Mithalten konnte da in unserer Probe nur später ein 2001 Termanthia. Der begann im Glas als ganz konzentriertes, dichtes Teil, nicht mit überkonzentrierter üppiger Frucht, wie viele spanische Neuschöpfungen, sondern eher wie der 86er Mouton in seiner damaligen kurzen Trinkphase, explodierte dann mit der Zeit förmlich im Glas mit dekadenter, geiler Frucht, wird sicher 10+ Jahre zur vollen Trinkreife brauchen und 50+ Jahre altern - 99/100.

Wenn Sie jetzt meinen, der Weinterminator spinnt und schmeißt mit viel zu hohen Bewertungen um sich, dann bin ich Ihnen wohl eine Erklärung schuldig. Grosse, junge Weine haben meist in ihrer frühen Jugend ein kurzes Trinkfenster, in denen sie sich in oft unglaublicher Topform präsentieren. Wenn man dieses Fenster erwischt, kommt es zu solch Trinkerlebnissen der außerirdischen Art, wie ich sie mit Pingus 95 und 2001 hatte. Erwischt man es nicht, fragt man sich bloß, was der Rezensent da im Glas hatte.


Am 12. Dezember 2003 gab es im Schloss Lehrbach die Gelegenheit, in Anwesenheit von Peter Sissek und von diesem kommentiert alle bisherigen Pingus und Flor de Pingus Jahrgänge zu probieren. Das habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Quasi im Vorprogramm gab es vier Jahrgänge Hacienda Monasterio. Peter Sissek ist für dieses Weingut als Berater und Weinmacher tätig. In Ribera del Duero hat das Gut derzeit von 110 Hektar 68 Hektar unter Reben stehen. Der Hacienda Monasterio ist seit 1996 eine Cuvée aus etwa 80 % Tinto del Pais(Tempranillo), 10-15 % Cabernet Sauvignon, 5-10% Merlot und je nach Jahrgang 5% Malbeck. Aus der Rolle fiel dabei die unangenehm nach altem Faß schmeckende 1998 Reserva Especial, um den ich einen Bogen machen würde. Den größten Trinkgenuß derzeit bot die 1996 Reserva mit einer intensiven Lakritznase und dem Aroma von eingelegten Pflaumen 90/100. Knapp dahinter die dichte, maskuline 2000 Crianza mit einer intensiven Lakritz- und Rumtopfnase 89/100. Das größte Potential hat sicher die 1999 Reserva. Mit verhaltener Nase und bissigen Tanninen wirkte sie aber sehr verschlossen und bot wenig Trinkvergnügen. Richtig umgehauen hat mich keiner der vier Monasterios. Wenn ich da an die wunderbaren 94er und 95er Reservas denke. Die hatten deutlich mehr Frucht und machten mehr Spaß.

Erstaunlicherweise verkostet sich der Flor de Pingus in seiner Jugend deutlich schwieriger als Pingus selbst. Ich hatte sowohl mit 96 als auch mit 99 in den ersten Jahren Probleme, weil die Weine sehr wenig rausließen. Etwa vier Jahre sollte man den Flors geben, dann fangen sie an, richtig Spaß zu machen. Die 2002er Fassprobe des Flor de Pingus präsentierte sich in Lerbach sehr finessig, elegant und feminin. Wer hier aufgrund der Tatsache, dass in 2002 kein Pingus erzeugt wurde und die Weine in den Flor wanderten ein Hammerteil erwartet hat, der dürfte sicher enttäuscht sein. Mir gefiel vom Potential her der sehr konzentrierte 2001er besser. In der Probe wirkte er noch etwas verschlossen. Ich nehme an, dass er ab Mitte nächsten Jahres deutlich offener sein wird. Sehr schön, aber mit deutlichem, animalischen Stinker (Brettanomyces?) der 2000er. Schon sehr weit der 1996er, der momentan fast wie ein reiferer Medoc wirkt. Im Moment den größten Trinkgenuß bietet der 99er. Ich hatte seinerzeit für einen Weinfreund 99er mitbestellt. Der nahm in dann aber nicht ab und ich wusste zunächst nicht, wohin damit. Seit der Wein sich im letzten Jahr geöffnet hat, weiß ich s ab ins nächste Glas! Trinkvergnügen pur mit reichlich süßer Frucht und dabei guter Struktur, jetzt sicher auf 92/100 Niveau.

Beim 98er Pingus merkt man deutlich das kleine, für Pingus nicht sonderlich erfolgreiche Jahr, zu Anfang leicht grüne Noten, macht sich aber im Glas, wird gefälliger, süßer, wird aber nie ein großer Pingus 91/100. Da gefiel mir der im Vergleich dazu gestellte 97er deutlich besser. Der ist zwar auch kein ganz großer Wein und hat nur wenig Alterungspotential, macht aber momentan unglaublich viel Spaß. Fleischig, saftig, lecker - aber ohne richtige Struktur, in den nächsten 3-5 Jahren mit großer Freude weggenießen 94/100. Mit € 100 war der 97er seinerzeit übrigens noch ein durchaus bezahlbares Pingus-Erlebnis. Ich habe eine Woche nach der Probe aus eigenem Bestand noch mal eine Flasche getrunken, ein hedonistisch leckerer, toller Stoff - 95/100.
Im zweiten Flight standen sich 2001, 2000 und 1999 gegenüber. Der 99er war sehr fruchtig, mit einer traubig-süßlichen Nase, dazu sehr würzig, fast wie Glühwein. Durch die üppige, konzentrierte Frucht spürt man die massiven Tannine kaum. Trinkt sich bereits sehr schön, hat aber sicher noch Potential für 2 Jahrzehnte 96/100. Der 2000er ist ein wunderbarer, gefälliger Pingus, der einfach alles hat, in der Nase Minze und im positiven Sinne medizinal 95/100. 2001 zeigte sich als irres, konzentriertes, leicht animalisches Teil, das langfristig sicher mit 95 mithalten kann 98/100.
Als letztes kamen dann 95 und 96. Der 96er präsentierte sich etwas zivilisierter als 95, aber was für ein Stoff! Noch ganz am Anfang, konzentrierte Frucht, Schwarzkirsche, dazu Kaffeetöne, tolle Länge am Gaumen 96/100. Der 96er wurde damals nach den ersten Fassproben als absoluter Überflieger und größer als 95 gehandelt. Das hat sich nicht bewahrheitet. Ich ihn bisher 5mal getrunken. Meine erste Begegnung mit dem 96er Pingus war im Herbst 1999 auf einer Best Bottle, auf der er nicht vorher abgesprochen gegen den 95er stand. Da lagen schon Welten zwischen dem tintig-schwarzen, sehr dichten, tanninigen 96er und dem deutlich konzentrierteren, mit noch mehr Frucht ausgestatteten Mörderteil aus 95. Interessant waren auch Vergleiche mit kalifornischen Weinen. Im November 2000 war der 96er Pingus gegen 96 Harlan auf sehr hohem Niveau ein ganz armer Wicht. Mit einem perfekten 91er Caymus Special Selection aus der Magnum konnte er dagegen im Sommer 2001 auf wiederum extrem hohem Niveau gut mithalten.
Meine inzwischen vierte Begegnung mit dem 95er Pingus hier in Lerbach verlief längst nicht so spektakulär wie zumindest die ersten beiden. Der 95er war immer noch ein großer, gewaltiger Wein, junge, dichte Farbe, sehr konzentriert mit dicht gepackter Frucht und unendlicher Länge am Gaumen. Sicher einer der großen Weine unserer Zeit, doch den Kick meiner beiden ersten Pingus 95-Erlebnisse, diese unwiederbringlichen Momente, wo man gar nicht anders kann, als die 100-Punkte-Karte zu zücken, der kam diesmal nicht 98/100. Bestätigt hat sich das auf einer weiteren Probe Anfang Juli. Auch dort war 95 Pingus ein großer, komplexer, intensiver Wein, der aber schon ziemlich reif und vor allem sehr ernst wirkte. Auf gut Deutsch: der Lack ist ab - 96/100. Da machen Jahrgänge wie 96 derzeit erheblich mehr Spass. Das muss nicht heißen, daß der 95er Pingus keinerlei Zukunft mehr hat. Vielleicht verschließt er sich nur und kommt in 10 Jahren auf andere, reifere Art noch mal groß raus.
Eines weiß ich genau. Von den nächsten großen Pingus-Jahrgängen(2003!!!) werde ich, soweit ich davon Flaschen bekomme, die Hälfte jeweils jung auf der Suche nach dem ersten Kick trinken. Die andere Hälfte bleibt liegen. Peter Sissek selbst zuckte auf meine Frage, wie denn Pingus wohl altern wird, nur mit den Schultern. Ich möchte es rausfinden.

Bleibt die Frage, ob der Pingus sein Geld wert ist und man ihn wirklich kaufen sollte. Lassen wir mal die unergiebige, aber ständig geführte Diskussion darüber, ob ein Maybach Sinn macht, wenn doch ein preiswerter gebrauchter Kleinwagen auch vier Räder hat, beiseite.
Pingus ist ein Weinerlebnis, das sich gönnen sollte, wer ihn sich leisten kann und welchen findet. Letzteres ist in Deutschland (noch) einfacher als z.B. in Spanien. Dort nimmt man ihr Auto auf Pingus in Zahlung oder verkauft Ihnen zwangsweise einen halben Laden voll Gerümpel mit. Da haben wir es hier mit einem einigermaßen bestückten Importeur wie Unger deutlich leichter. (WT/Juli 2004)