ProSchorn 2012 Kick Offf Best Bottle

Drei Tage ist Düsseldorf in jedem Jahr der Nabel der Weinwelt. Kein Stein fällt da mehr zu Boden. Gut 40.000 Fachbesucher aus aller Welt sorgten in diesem Jahr bei der ProWein dafür, dass es praktisch unmöglich war, noch irgendwo ein Bett in einem Hotel oder einen Tisch in einem der angesagten Restaurants zu bekommen. ProWein ist aber auch ProSchorn, meine eigene, kleine Veranstaltung im Restaurant Schorn. Jeweils begrenzt auf 12 internationale Weinnasen läuft hier an drei Abenden ein Kontrastprogramm zur Messe mit gereiften Raritäten. Den Auftakt machte in diesem Jahr eine außergewöhnliche Kick Off Best Bottle.

In bestechender Form die 2002 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Auslese #6 von Fritz Haag aus der Magnum. Das war die Leichtigkeit des Seins, wie sie nur Altmeister Wilhelm Haag auf die Flasche brachte, sehr elegant, filigran, luftig mit feinem Süße-/Säurespiel, baute enorm im Glas aus und war sehr lang am Gaumen 93/100. Etwas druckvoller, kräftiger, fülliger und nachhaltiger die 1988 Wehlener Sonnenuhr Auslese von JJ Prüm, ebenfalls aus der Magnum, die mit tiefem Goldgelb ins Glas floss. Wunderbare Honignase, schmelzige Fülle, immer noch sehr präsente Säure, komplex und lang am Gaumen, sicher noch mit einem halben Jahrhundert Zukunft 94/100.

Danach hat eigentlich kein trockener Weißwein eine Chance. Auch der 1989 Hermitage Blanc von Chave tat sich zu Anfang schwer. Furztrocken, florale Nase, leicht medizinal, Lakritz, getrocknete Kräuter, erdig, mineralisch, wenig Säure, aber enorme Kraft. Baute im Glas aus und schrie förmlich nach fester Begleitung, die er perfekt in einem göttlichen Hummerraviolo auf Hummerschaumsuppe fand. Solo getrunken kam ich da kaum über 90, in der Kombination waren es dann 93/100.

Alte Riojas wirken oft etwas gemüsig, es sei denn, es sind große Riojas wie der nachfolgende, den wir blind mehrheitlich nach Pomerol steckten. Erste Reifetöne hatte der 1952 Berberana Gran Reserva in der recht hellen Farbe, schokoladige Lindt-Nase mit viel Kaffee, am Gaumen immer noch kräftig, aber auch leicht austrocknend 93/100. Deutlich jünger, nicht nur in der dichten, fast altersfreien Farbe wirkte im anderen Glas der 1954 Vina Real Reserva Especial von CVNE. Ein ungemein kräftiger, nur zu Anfang etwas kompakter Wein, der mit Luft enorm ausbaute und einen gewaltigen Druck am Gaumen entwickelte, die perfekte Rettung für alle in 1954 Geborenen mit sicher noch zwei Jahrzehnten Zukunft 94+/100.

Eigentlich hätte der 1947 Clos St. Denis von André Guy einer der Weine des Abends sein müssen, aber die Flasche hatte wohl einen Fehler. Sehr helle, bräunliche Farbem ältlich strenge Nase, am Gaumen das große Liebstöckel-Festival, dazu Kaffee, Kakao und sogar Süße, in guten Flaschen sicher jede Suche wert. Wirkte wie ein typisches Ebay-Schnäppchen, bei denen man ja nie so richtig weiß, ob sie wirklich aus Opas kühlem Keller stammen oder nicht doch aus Omas Wohnzimmer-Vitrine. Die Entdeckung des Abends war der 1969 Ermitage Cuvée des Moines von Marius Chierpe. Jugendliche Farbe, die knackige Frucht der Kalifornier aus den 80ern, Blaubeere, Brombeere, Kirsche, insgesamt noch so jung in der Anmutung, Minze, Süße, Kraft, Länge, gewaltige Struktur, noch ganz am Anfang einer langen Entwicklung, konservative 96/100. Hätte ich gerne in 10-20 Jahren noch mal im Glas, dann mit 97-98/100. Jede Suche wert.

Mit zweimal 1953 Ducru Beaucaillou ging es weiter. Sehr überzeugend wieder die R&U Variante, ein sehr feiner, eleganter, pikanter, klassischer Ducru, reif aber ohne Schwächen und Alterstöne 93/100. Korkig leider im anderen Glas die Eschenauer-Version.

Tief, sehr tief hatten die Teilnehmer unserer Best Bottle in den Keller gegriffen. So auch mit dem 1904 Certan de May in einer alten Burgunderflasche. Der hatte noch eine voll intakte, sogar brilliant wirkende Farbe, immer noch schöne, himbeerige Frucht, war pikant mit "süßer Säure", noch so lebendig und aromatisch am Gaumen, machte Spaß ohne Ende und ging als großer Burgunder durch 97/100. Leider war das Alter des Gruaud Larose nicht feststellbar, den wir danach ins Glas bekamen. Ein Etikett fehlte völlig, und auf dem kleinen, für die Zeit um die Jahrhundertwende typischen Korken war der Jahrgang nicht lesbar. Lediglich die Sarget-Kapsel deutete zumindest darauf hin, dass der Wein in jedem Fall aus der Zeit vor 1918 stammen musste, denn die Sargets verkauften Gruaud Larose nach dem ersten Weltkrieg. Sehr alt auch das Glas der Flasche. Hell die Farbe des Weines, ein reifer, aber sehr feiner, eleganter Tropfen mit schöner Süße, sehr elegant und burgundisch im besten Sinne, ohne spürbares Alter 94/100. Klar hat es den Genuss nicht getrübt, aber es wäre schon interessant gewesen zu wissen, aus welchem Jahr um die Jahrhundertwende der stammte. Ergänzung: das kommt davon, wenn man sich im Keller vergreift. Der Gruaud ohne Jahrgang liegt immer noch im Keller. Im Glas hatten wir einen 1889 Gruaud Larose.

Zumindest gefühlt besser hatte ich den 1950 Pontet Canet schon im Glas. Aber sicher trug auch das überragende Weinumfeld mit dazu bei, dass dieser kernige, rustikale, gut gereifte Pauillac mit seiner hohen Säure nicht vorne mitspielen konnte, baute zudem mit der Zeit im Glas ab 88/100.

Natürlich brachte Oliver Speh, der den Job wieder perfekt machte, die vorher eingesammelten Flaschen in einer klug zusammengestellten Reihenfolge blind ins Glas, So gab es keine falsche Erfurcht vor großen Namen. Wer richtet schon sehend und wissend einen 1955 Cheval Blanc hin, eigentlich ein 100/100 Kandidat. Aber das hier aus einer optisch einwandfreien Chateauabfüllung wirkte eher wie ein deutscher Spätburgunder, Rosenblätter, erdige Noten, etwas korpulent und füllig, sehr süß. Kein schlechter Wein(91/100), aber mit Cheval Blanc wie ich ihn kenne, hatte das nichts zu tun. Deutlich besser der Wein im anderen Glas, sehr kraftvoll mit Dichte und Länge, für mich eher Latour als Cheval, aber es war ein 1950 Cheval Blanc in einer französischen Händlerabfüllung von Jean Terrioux 95/100.

Spannend können einfache, ältere Händlerabfüllungen sein, ist da noch oft auch großer Stoff drin. So füllten die Audys seinerzeit einige renommierte Namen ab, z.B. Latour-à-Pomerol. Und in dieser Flasche 1947 Pomerol von Audy war mit Sicherheit nichts Kleines drin. Das war reifer, großartiger Pomerol mit süßem Schmelz 95/100. Und was macht man mit einer Vandermeulen-Flasche ohne Etikett(Korkbrand gibt es da nicht)? Aufmachen natürlich. Da war nicht nur eine immer noch sehr dichte Farbe, sondern auch jede Menge Kraft, Fülle, Jugend und Freude. Wir tippten auf 1952 Ausone 94/100.

Durchaus auf Petrus-Niveau bewegte sich der 1952 La Fleur Petrus. Der war reif mit generösem, weichem Schmelz, wunderbarer Süße und immer aromatischem Druck am Gaumen, dazu gute Säure und entsprechende Struktur 95/100. Grandios auch der immer noch so junge, dichte, kräftige, edel-rustikale 1950 l Angelus Pomerol, der immer noch ein deutliches Tanningerüst zu haben schien 94/100. Hat übrigens mit Angelus aus St. Emilion nichts zu tun und scheint heute als Domaine nicht mehr zu existieren.

Immer wieder ein Erlebnis sind reife Chateau Musars aus dem Libanon. Und wenn dann noch, ohne sich abzusprechen, zwei aus der Runde die gleiche Idee hatten und jeweils einen anderen Jahrgang mitbrachten, dann entsteht so ein Traumflight. Prächtig entwickelt hat sich 1977 Musar, den wir aus einer perfekten Flasche trinken durften. Spannung, Würze, Kraft, Fülle, Süße und ein sehr weit gespannter Aromenbogen, kein Zeichen von Alter und ein endloser Abgang 95/100. Noch eine Ecke drüber, noch tiefgründiger, komplexer die ebenfalls praktisch altersfreie Aromenbombe namens 1960 Musar, ein gewaltiger Wein, auch der mit tollem Abgang 97/100. Wie schön, dass die Weinjahrgänge bei Musar mit Europa nichts gemeinsam haben. All die Benachteiligten aus z.B. 56, 60 oder 77 finden hier Traumweine aus ihrem Geburtsjahr, die keinen Vergleich zu scheuen brauchen.

Laktisch die Nase des 1959 Canon aus einer Händlerabfüllung, immer noch gute Frucht, aber auch viel Säure, wirkte zunächst auf hohem Niveau etwas unausgewogen, baute dann aber mächtig im Glas aus und entwickelte im Abgang eine feine Süße 91/100. Die massive Säure hat mich früher bei 1959 Léoville Poyferré immer sehr gestört. Die hat er jetzt immer noch, präsentiert sich aber insgesamt deutlich ziviler und zugänglicher mit sehr schöner Frucht und jugendlicher Frische, könnte, wenn die Frucht überlebt und die Säure weiter abbaut, sogar noch zulegen 92/100.

Die Hälse an den anderen Tischen, an denen viele bekannte Namen aus der Weinwelt saßen, wurden immer länger. Kein Wunder, jagte doch hier bei uns in dieser Ausnahme Best Bottle ein Höhepunkt den nächsten. Zwei Legenden waren jetzt als Solitäre angesagt. Den Anfang machte 1925 Marques de Riscal Reserva. Wenn zu Anfang der 52 Berberana der Pomerol aus Rioja war, dann hatten wir jetzt den Petrus aus Rioja im Glas. In der Nase die große Mokka und Milchkaffeeoper, weich mit generöser Süße, setzt sich am Gaumen mit undendlichem Schmelz und gewaltiger Länge fort, perfekt gereift, aber ohne Alterstöne, ein Riese, bei dem jedes Glas zu klein ist 97/100.

Legendär ist der 1907 Heidsieck Diamant Bleu, der 1997 aus einem Frachter vom Boden der Ostsee geborgen wurde. 1916 war der Frachter Jönköping mit wertvoller Fracht auf dem wege nach Russland, und wurde von einem deutschen U-Boot versenkt. Cognac und Wein überlebten nicht, aber die Champagnerflaschen hielten am kühlen Meeresboden dicht. Als die etwa 2000 Flaschen geborgen waren, stürtzten sich reiche Sammler aus aller Welt darauf. Zum Teil wurden abstruse Auktionsergebnisse erzielt. Ich hätte nie gedacht, dass ich dieses ultrarare Teil jemals auf die Zunge bekäme. Doch Jürgen Drawert (Cave du Connoisseur Berlin) stiftete aus dem unermesslichen Fundus seiner Weinhandlung, in der es auch noch alte Riscals und Musars gibt, eine einigermaßen gefüllte Flasche. Sehr gewöhnungsbedürftig die Farbe, die eher an Schlick aus dem Wattenmeer erinnerte als an Champagner. Faszinierend aber die Aromatik, Sylter Auster mit Algen Espuma und dazu eine unglaubliche Süße. Manchmal gehört ja zum Genuss alter Weingreise viel Fantasie, Ehrfurcht und Demut, aber der hier schmeckte einfach verdammt gut. 93/100 sind für den reinen Genuss locker angebracht. Für dieses einmalige Erlebnis reichen 100/100 nicht aus.

Kann man nach solch einer Granate überhaupt noch etwas anderes trinken. Natürlich kann man, wenn 1989 Haut Brion im Glas ist. Immerhin hat auch der inzwischen 23 Jahre auf dem Buckel und ist auf dem weg zur Legende. Und wir hatten Glück. Der Haut Brion zeigte sich aus dieser Flasche noch nicht so verschlossen, wie ich ihn im letzten Jahr mehrfach erlebt habe. Das war vielleicht nicht mehr ganz das jugendliche 100-Punkte Feuerwerk, mit dem dieser Gigant so oft begeistert hat, aber 99/100 sind ja auch ein Wort. Die letzte Abschiedsvorstellung vor einer längeren, verschlossenen Phase? Wir waren dabei.

Blutjung noch der dichte, kräftige 1995 Haut Brion mit mächtigen Tanninen und viel Säure, rauchig, teerig mit Tabak, Cigabox und sehr pikanter, rotbeeriger Frucht die Nase, etwas monolithisch und kräftig der verschlossene Gaumen, da sind etliche Jahre warten angesagt 94+/100. Immer noch voll da der kraftvoll elegante 1982 l Arrosée, diese faszinierende Mischung aus Comtesse und Grand Puy Lacoste mit unendlichem Schmelz, mit feinduftiger Eleganz und Länge, einfach Weinfreude pur 95/100.

Nicht voll spürbar waren die 17 Jahre Unterschied zwischen 1995 Phelps Insignia und 1978 Beaulieu Reserve George de Latour, die sich beide auf gleich hohem Niveau tranken. Der Insignia war ein präsentes, junges Riesenteil mit gewaltiger Frucht und der dazugehörigen Struktur 96/100. Aber auch der etwas klassischere Beaulieu wirkte immer noch so jung mit Minze, Leder, guter Frucht und immer noch viel Kraft am Gaumen 96/100.

Hatten wir das alles getrunken? Mir ging es saugut, aber ich wollte ins Bett. Doch der Weg dahin führte noch über eine allerletzte Flasche, einen gewaltigen, zupackenden, immer noch so jungen 1986 Gruaud Larose, der sich in 10 Jahren mal mit dem 82er des Gutes spannende Duelle um den besten Gruaud liefern wird 96+/100.

Und wie ging es mir am nächsten Morgen? Absolut fantastisch. Ältere weine sind einfach bekömmlich. Ich schlafe sehr gut danach und fühle mich am nächsten Morgen topfit.