ProSchorn 2012 Reife Burgunder

Fast schon Tradition hat dieser ProWein/ProSchorn Montag, an dem ich seit einigen Jahren in kleiner Runde befreundeter Winzer aus aller Welt reife Burgunder öffne. Mit zwei Weißen Burgundern, die Hubi Scheidt mitgebracht hatte, starteten wir in diesem Jahr in den dritten ProSchorn Abend. Sehr gut entwickelt hat sich 2001 Puligny Montrachet Les Combettes von der Domaine Leflaive, ein eleganter, harmonischer, puristisch schöner Burgunder mit gerösteten Haselnüssen in der Nase, feine Kräuternote, sehr mineralisch, präzise strukturiert, immer noch mit reichlich Zukunft 94/100. Die dichtere Farbe hatte der 2001 Meursault Poruzot von Moret-Blanc, würzige Fülle, Kraft, brauchte viel lUft, um sich zu entfalten 92/100.

Als Traum-Apero und perfekte Champagner-Alternative ging ein 1959 Bouzy Rouge von Pierre Paillard durch. Feine himbeerige Frucht, tolle Säure und Frische, sehr elegant, schlank, erfreulich leicht, animierend 92/100.

Nicht nehmen lasse ich mir in jedem Jahr zwei ausgefallene Rateweine. In diesem Jahr war das eine 1954 Kalterer See Auslese von Josef Brigl. Trotz schlechtem Füllstand immer noch trinkbar mit tiefer Farbe, Kaffee und altem Basamico in der Nase, am Gaumen immer noch Kraft, Süße, Walnuss und eine recht hohe Säure, die ihn etwas Richtung Madeira schob 84/100. Erstaunlich schön und deutlich lebendiger im anderen Glas ein 1955 Marienthaler Trotzenberg Spätburgunder bestes Fass von Johann Jakob Hostert aus Rech an der Ahr. Helle, aber voll intakte Farbe, immer noch gute Frucht, ein sehr feiner, eleganter Wein, der im Glas enorm ausbaute und burgundisch wirkte 92/100. Die Ahr war also auch früher schon mal gut.

Mit dem früher ist das so eine Sache. Wer tut sich heute als echter weinfan noch freiwillig einen Beaujolais an, es sei denn, er hat Sehnsucht nach Kopfschmerzen. Dabei wurden früher in den Lagen des Beaujolais nicht nur auch Pinot-Reben angepflanzt, sondern zum Teil auch phänomenale, langelebige weine erzeugt. Ein solches Exemplar hatten wir mit dem schier unglaublichen 1923 Brouilly von Pasquier-Desvignes im Glas. Mit reichlich Süße, Fülle, Kraft, Struktur und burgundischer Pracht und Fülle war das in der Anmutung ein riesengroßer Burgunder ohne spürbares Alter und eine echte Offenbarung 98/100.

Absolut großartig präsentierte sich auch der 1945 Chambertin von Faiveley aus meiner besten(3 cm) Flasche, Eleganz pur mit sehr druckvoller Aromatik, ein stimmiger, harmonischer, immer noch sehr kräftiger und am Gaumen sehr langer Ausnahme-Burgunder 99/100. Dicht auch die Farbe des 1945 Clos St. Denis von André Guy, reichlich Kraft, Fülle, generöse Süße, Säure und gute Statur, allerdings trübte ein leicht pilziger Kellerton den Gesamteindruck 94/100.

Unsterbliche, große Weine wurden in Burgund in den Jahren 1911, 1915 und 1919 erzeugt. Zwei Exemplare aus dieser Periode hatten wir jetzt im Glas. Der 1915 Chambertin Vieux Ceps von Bourdillat in der Abfüllung für das Vieux Restaurant Weber in Paris hatte eine helle, aber sehr klare Farbe, wirkte sehr fein und elegant, aber auch enorm druckvoll am Gaumen mit schöner Extraktsüße. Einfach zeitlos wirkte dieser Wein, dessen immer noch großartige Struktur und gute Säure noch ein längeres Leben garantieren - 97/100. Noch eine Ecke drüber der schlichtweg atemberaubende 1915 Chambertin von Maire & Fils, der heiß wirkte mit sehr reifer Frucht und Kaffeenoten, ein faszinierendes Kraftpaket, das den Gaumen voll auskleidet mit unglaublicher Länge, dabei sehr finessig, Burgund geht nicht besser 100/100.

Immer noch jung die Farbe des irgendwann vor 10-20 Jahren neu verkorkten 1934 Savigny-les-Beaunes Dominodes von Albert Ponelle, der noch so jung und dicht wirkte, mit enormer Kraft, aber auch Süße und feinem Spiel 96/100. Enttäuschend dagegen ein 1937 Bonnes Mares von Alexis Collas & Freres aus diesem sonst so überragenden Burgunder Jahrgang. Man spürt zwar die vergangene Größe dieses trüben und leicht säuerlichen Weines, doch er baut rasch ab und verabschiedet sich im Glas 86/100.

Grosses Flaschenglück dann wieder beim 1959 Richebourg von Bichot, den ich noch nie so gut im Glas hatte. Klar, auch 1959 war in Burgund ein Ausnahmejahrgang und der vielleicht letzte, richtig große des letzten Jahrhunderts. Die besten dieser weine haben eine eorme Strahkraft und wirken immer noch so jung, so dicht und so fruchtig wie dieser hier. Ein herrlich-würziger süßer Wein mit enormer Fülle, getragen von guter Säure und perfekter Struktur, baut enorm im Glas aus und schaltete dabei den Nachbrenner ein. Dreimal habe ich meine Bewertung hoch gesetzt und bin zum Schluss bei 98/100 für diesen Ausnahmestoff gelandet. Gegen diese noch geradezu jugendliche Fruchtigkeit wirkte die Nase des 1949 Richebourg von Louis Gros etwas Verhalten, aber auch hier ging am Gaumen die Post ab. So ein dichtes, fülliges, unendlich langes Konzentrat mit generöser Süße, mit Pracht und Fülle, ja, Glück kann man wirklich trinken 97/100.

Es mag despektierlich klingen und nicht in die eingeführte Weinsprache passen, aber dieser 1947 Nuits St. Georges Cailles von Morin, den ich extra für meinen Freund Jörg Müller mitgebracht hatte, war ein echter Leckerschmecker mit generöser Süße und Fülle, ausladend mit der Üppigkeit des heißen Jahrgangs, aber doch auch mit toller Struktur, ein Wein zum eimerweise saufen 97/100.

Eher leise die Töne beim eleganten 1959 Vosne Romanée von S.A. Leroy, einem sehr stimmigen Wein mit wunderschönem Schmelz 94/100. Eindeutige Grand Cru Qualität hatte der 1959 Vosne Romanée von Protheau & Fils, ein kraftvoll auftretender Ausnahmeburgunder mit Kaffee, Schokolade und einfach geiler Frucht, enorme Fülle und passend zur gewaltigen Struktur die immer noch sehr dichte, junge Farbe 97/100. Kein Wunder, dass Martha Gantenbein da strahlte. Aus ihrem Geburtsjahr ist jeder gut geratene Burgunder ein Fest.

Das enorme Flaschenglück blieb uns auch bei den nächsten beiden Senioren hold. Warum habe ich diesem schlichtweg atemberaubenden 1929 Romanée St. Vivant von Henri de Bahézre nur 99/100 gegeben? Wo der doch alles hatte und von allem auch noch mehr, Jugend(!), Frucht, Dichte, Struktur, Spiel, Süße, Schmelz und eine sensationelle Strutur und Länge. Es lag im Nachbarglas, in dem sich der Wein des Abends befand, ein 1929 Clos Vougeot von Ropiteau Frères. Der schien die ewige Jugend gepachtet zu haben und wirkte gut 50 Jahre jünger, nur, dass es heute solche Weine nicht mehr gibt, das war einfach Perfektion, ein Wein zum Niederknien, Faszination pur mit allen Zutaten eines Jahrhundert-Burgunders 100/100.

Sentimentale Momente noch zum Schluss. Ich hatte einen 1926 Pommard Cuvée la Pierre du Roy von Louis Violland mitgebracht aus dem Geburtsjahr von Gunter Künstlers Vater. Der stammte gleichzeitig auch aus dem Geburtsjahr von Joachim Hegers Vater. Es muss ein besonders gutes Jahr gewesen sein, nicht nur für große Menschen, sondern auch für große Weine. Ein sehr feiner, hoch eleganter, sehr stimmiger Wein mit herrlicher, schmelziger Süße, legt sich wie Seide auf den Gaumen und bleibt lange haften 98/100.

Großes Flaschenglück haben wir an diesem Abend gehabt und unwiderbringbare Weinerlebnisse. Aber sind alte Burgunder automatisch gut? Beileibe nicht, auch da gibt es viel Mist und reichlich herbe Enttäuschungen. Nur große Lagen habe ich für diese Probe gewählt, die dann aus großen Jahrgängen und nur in sehr gutem Zustand(3 - 5 cm Schwund). Und doch gibt es einen großen Unterschied zwischen Burgundern vor 1960 und danach. Zum einen wurden die Weine früher oft nicht entrappt und mit Stengeln vergoren. Das sorgt für eine höhere Säure, mehr, aber etwas härtere Tannine und für eine größere Lebensdauer, machte die Weine aber längst nicht so früh trinkbar. In der heutigen Zeit, wo die Weine auf frühe Trinkreife und für die frühe Verkostung durch die großen und kleinen Parkers dieser Welt getrimmt werden, undenkbar. Und noch einen gravierenden Unterschied gibt es. Gegen Ende der 50er begann man wie in Bordeaux hemmungslos Kunstdünger in die Weinberge zu schütten. Das hat die Böden nachhaltig zerstört und die Reben deutlich geschwächt. Erst Ende der 80er setzte da ein intensiveres Umdenken ein. Aber selbst mit Biodynamie kann es Jahrzehnte dauern, bis ein versauter Boden wieder voll da ist. Aus all diesen Gründen liebe ich die großen, reifen Burgunder. Nur findet man sie kaum noch. Für ein paar ProSchorns sollten meine über lange Jahre gesammelten Bestände noch reichen. Dann zehre auch ich von der Erinnerung.