Raritätenprobe 2004

Für beste Grundlage war gesorgt. Franz Josef Schorn kochte wieder weltmeisterlich auf. Jörg Müller hatte seine legendären Gänselebertörtchen mitgebracht und Käsepabst Gerhard Waltmann steuerte nicht nur ein fulminantes Käsebrett bei, sondern auch einen in Alaska selbstgeangelten Silberlachs. Vinologisch bestens betreut wurden wir gleich von 2 Top Sommeliers, René Baumgart aus Hamburg und seinem Partner Michael Dankwart aus Berlin, beide absolute Profis und Experten im Umgang mit alten Flaschen. Beide stehen übrigens gerne für größere Proben zur Verfügung. Kontakt unter (baumgartrene@aol.com).

Los ging s mit 1964 Wehlener Sonnenuhr feinste Auslese S.A. Prüm. Goldgelb, intensive Wachstöne, reife, gelbe Früchte, nicht besonders süß, ein finessiger Wein, der einfach Spaß macht 91/100.

Immer wieder erstaunt mich, welches Alterungspotential Grüne Veltliner haben können. Pfeffrig, knackige Säure, auch nach 40 Jahren noch sehr frisch wirkend, so präsentierte sich 1964 Grüner Veltliner Kremser Herzoghof. Mit der Zeit entwickelte er eine feine Honignase 90/100. Sehr viel reifer startete der im Vergleich dazu getrunkene 1934 Graves Blanc T. Vial & Fils. Mattes Goldgelb, zunächst deutliche Reife zeigend, angenehme Bitternote, baute mit Luft wunderbar im Glas aus. Entwickelte Boytritis-Ton, dann kamen intensive Aromen von gebrannten Mandeln und frischem Brioche. Für einen 70 Jahre alten Wein höchst erstaunlich 93/100.

Als nächstes kam "das große Bernsteinzimmer", ein Flight mit vier mehr oder weniger bernsteinfarbenen, gut gereiften Süßweinen. Die tiefdunkle Farbe war auch alles, was bei 1864 Suduiraut auf das für einen Wein biblische Alter hindeutete. Keinerlei oxidative Töne, malzige Bitternote, Hustensaft im besten Sinne, Walnüsse, dezente Schokonote, irrer Abgang, einfach sensationell für das Alter 97/100. Erstaunlich frisch für das Alter war auch 1914 Bonnezeaux Domaine Terrebrune. Helles Braun, gute, schon fast knackige Säure, feine Süße 92/100. Der zu Anfang leichte Korkton des 1924 Raymond Lafon wurde nicht nur gut von der angenehmen Bitternote überdeckt, er verschwand auch schnell. Übrig blieb eine schöne Süße, Lakritz und Karamell ohne Ende 93/100. Der 1944 Chateau d Yquem wäre auch als ganz große Beerenauslese durchgegangen, so perfekt balanciert war er durch die gute Säure. Kräftiges Braun, schwarze Nüsse, dekadent lecker mit schöner Süße, ohne in irgendeiner Form klebrig zu wirken 97/100.

Sehr viel Ähnlichkeit hatten die nächsten vier Weine, trotz 30 Jahren Unterschied zwischen dem ältesten und dem jüngsten. Alle vier hatten fast die gleiche Farbe, ein schönes dichtes Rot mit leichtem Orangenrand. Sie ähnelten sich in der Stylistik und hatten eine kräftige Säure, alle noch jung wirkend mit viel Zukunft, brauchten viel Luft. Sehr lang am Gaumen war 1934 Marques de Murrietta Castillo YGAY und entwickelte eine feine Süße 93/100. Der Bordeaux-affinste war 1944 Imperial Gran Reserva CVNE, sehr weich, finessig, lang am Gaumen, der Säureärmste des Flights. Höchst erstaunlich für eine "einfache" Reserva war 1954 Marques de Murrietta Reserva, feine Frucht, Zedernholtöne 92/100. Sehr jung und fordernd 1964 Marques de Murrietta Castillo YGAY, baute sehr schön im Glas aus und hat sicher noch 50+ Jahre vor sich 94/100.

Kalifornische Weine waren früher keinen Deut schlechter, nur weniger alkoholisch. Das stellte ein 74er Flight eindrucksvoll unter Beweis. 1974 Heitz Martha s Vineyard war wie immer sehr kraftvoll und dicht, wirkte insgesamt jünger, Minze, Eukalyptus und nach 3 Stunden Fenchel pur. Verdammt großer Stoff 98/100. Doch er fand für mich seinen Meister in 1974 Mayacamas Cabernet Sauvignon. Ein kompletter, großer Wein, superdichte Farbe, irre Kraft. In der Nase frisch gemahlener schwarzer Pfeffer, feine Minze, erdige Töne, Lakritz. Sehr langer Abgang. Entwickelte mit der Zeit Tabaknoten und großen provencalischen Kräutergarten und war selbst nach 7 Stunden im Glas immer noch taufrisch 99/100. Ein echter Showstopper und zu Anfang der beste des Flights war 1974 Mondavi Cabernet Sauvignon Reserve. Geiler Wein, Schmelz ohne Ende, feine Süße, endlos lang am Gaumen, mit Minze und etwas Eukalyptus. Wurde nach längerer Zeit im Glas etwas breiter und langweiliger 97/100. Leid tun konnte einem da nur der 1974 Vega Sicilia Unico, der völlig unter die kalifornischen Räder kam. Trotz betörender Nase und schöner Entwicklung im Glas ging er in diesem Superflight völlig unter 95/100.

Der folgende Solitär, 1914 Lanessan, hatte eine Wahnsinnsnase, wie ich sie indieser Form noch nie erlebt habe. Intensivstes Mokka ohne Ende! Am Gaumen wirkte er etwas kurz und leicht gezehrt, aber auf was für einem Niveau. Wirkte locker 50 Jahre jünger. 100 Punkte-Nase, 90 Punkte-Gaumen, machen wir doch der Einfachheit halber 95/100 draus.

Ein einmaliges Erlebnis auch der nachfolgende Wein, ein 1869 Margaux. Trotz miserablen Füllstandes entpuppte er sich als immer noch gut trinkbar. Sehr reife Farbe, Laub, Waldboden Pilze, aber auch immer noch den Charme und die Aromatik eines Margaux zeigend. Kaum störender, ganz leichter Essigton. Natürlich ist bei einem solchen Wein eine gewisse Ehrfurcht vor dem Alter Teil des Gesamterlebnisses, aber warum auch nicht.

Harte Arbeit: das Entkorken des 1869

Harte Arbeit: das Entkorken des 1869

Hier kommt 1869 Margaux in die Karaffe

Hier kommt 1869 Margaux in die Karaffe

Es heißt ja, dass jeder Bordeaux-Fan irgendwann beim Burgunder landet. Wären alle Burgunder so schön wie unser 1904er Doppelpack, könnte ich damit leben. Ein Traumflight mit Weinen ohne Alterston, immer noch gewisse Frische zeigend, geprägt von toller Süße, unglaublicher Länge, dabei wunderbar seidig irre! Der 1904 Richebourg von Chanson auf Wahnsinnsniveau der größere, etwas molligere 100/100. 1904 Corton von Bourdillat männlicher, kräftiger, ohne die Generösität des Richebourg 97/100.

Eine sensationell dichte, kräftige Farbe hatte 1934 Haut Brion. Deutliche Ledernoten, entwickelte mit der Zeit die klassische Graves-Nase mit Tabak und Cigarbox, groß und lang am Gaumen 96/100. Längst nicht so schön wie die Zwillingsflasche vor 5 Jahren 1934 Petrus in einer belgischen Händlerabfüllun. Zwar ging der Liebstöckelton mit der Zeit weg. Es blieben doch die deutlichen Reifetöne in der Farbe und am Gaumen. Mit der Zeit entwickelte sich dann am Gaumen eine feine Süße, der Wein wurde burgundischer, schmeichlerischer 91/100. Sehr aromatisch, dicht und lang war 1934 Vina Bosconia von Lopez de Heredia. Ein ganz großer Spanier mit kräftiger, tragender Säure, lebt sicher noch ewig 95/100.

Der zweite 34er Flight wurde von der Runde als 64er Flight aufgenommen, so schön und fast altersfrei präsentierten sich die drei Weine auf hohem Niveau. 1934 Lynch Bages hatte eine intakte, dichte Farbe, feine Süße und nicht unangenehme Rustikalität 93/100. 1934 Margaux war sehr feinduftig und elegant, ein sehr delikater, charmanter Margaux, dem aber etwas mehr Kraft sicher nicht geschadet hätte 92/100. Ein ganz großer, kompletter Wein mit toller Frucht wiederum 1934 Lanessan 95/100.

Danach hatten es die "richtigen 64er" echt schwer. Die Meßlatte war verdammt hoch angesetzt. 1964 Cheval Blanc hatte damit kein Problem. Pure Seide, ein ganz großer, langer Wein 95/100. Bei 1964 Figeac störte in der Nase der leicht strenge, typische Figeac-Ton, der einem bei Figeac immer das Gefühl gibt, der Wein sei korkig. Weiß der Kuckuck, was die da im Keller treiben. Am Gaumen war der Wein mit einem schönen Schokoton deutlich gefälliger als in der Nase 91/100.

Vielfach liest man in der Literatur, der Jahrgang 1964 sei auf dem absteigenden Ast. Das mag ja für weite Teile des Medoc stimmen. Mit Sicherheit aber nicht für Pomerol, wo eine Reihe sehr gut gelungener Weine mit noch beachtlichem Alterungspotential erzeugt wurden.
Sehr schön und deutlich besser als alle Flaschen, die ich bisher davon hatte, 1964 l Evangile 92/100. Klassisch-kräuterig 1964 Lafleur, sehr lang mit tollem Tanningerüst, ein Wein mit noch sehr viel Zukunft 95/100. Ein fantastisch geiles, schokoladiges Teil der 1964 Petrus. Vollgepackt mit dekadenter Frucht, Kaffee und Röstaromen. Wein-Hedonismus pur 97/100.
An den Spekulationen darüber, wie lange er noch hält und ob nicht irgendwann doch flüchtige Säure durchkommt, möchte ich mich nicht beteiligen. Es war ohnehin meine letzte Flsche.

Im zweiten 64er Pomerol-Flight wieder sehr schön 1964 Gazin, voll auf dem Punkt mit immer noch dichter Farbe 92/100. Klarer Sieger des Flights und fast auf einem Level mit Petrus zu natürlich nur einem Bruchteil des Preises 1964 Le Gay 96/100. So etwas nennt man Geheimtip. Aromatisch, groß und lecker war wieder 1964 Trotanoy, ein sehr fleischiger Wein mit kräftiger Farbe 93/100. Insgesamt zeigten sich die 64er Pomerols in bestechend schöner Form. Sie dürften jetzt den Zenit erreicht haben, auf dem sie sicher noch ein paar Jahre bleiben. Ich würde sie aber so, wie wir das gemacht haben, jetzt trinken. Noch schöner werden sie nicht.

Zum Abschluß der 64er Runde dann noch zwei Weine vom linken Ufer. 1964 Latour war ein sehr zugänglicher, fast samtiger, völlig atypischer, aber sehr schöner Latour 93/100. 1964 Montrose in einer englischen Army&Navy Abfüllung war wie so viele Montrose, eckig, staubig, rustikal, aber wenigstens trinkbar 90/100.

Den Schlußpunkt einer anstrengenden, langen, aber sehr schönen Probe bildete ein 1954 Red Port aus der Massandra Kollektion, ein finessiger Himbeerport mit schöner Säure 92/100.