Riesenweine aus Miniflaschen

Das geht wohl nur in Bochum, eine große Raritätenprobe am Karnevalssamstag, an einem Tag, an dem der Rheinländer entweder im Karnevalsfieber ist, oder an fernen Gestaden weilt. Auch ich natürlich und so habe ich diese Megaprobe verpasst. Aber ich hatte Glück im Unglück.

Karneval finde ich eigentlich Klasse, auch wenn der rheinische Pappnasenkarneval nicht unbedingt mein Ding ist. Vor allem stört mich das dazugehörige Wetter. Warum ist der Karneval in Rio so toll? Weil man da nicht soviel anziehen muss, wie im rheinischen Februar Schmuddelwetter. Im letzten Jahr habe ich den Karneval in Taormina auf Sizilien erlebt, Straßenkarneval vom Allerfeinsten mit fetziger Musik und fantastischen Kostümen. Rio kann kaum schöner sein. In diesem Jahr zog es uns über die Karnevalstage nach Madeira. Wir hatten die Kälte satt und wollten mal wieder Sonne sehen. Die bekamen wir reichlich mit frühsommerlichen Temperaturen und natürlich auch herrlichen Weinen(Bericht folgt). Und das, was die sieben Samba-Schulen der Insel beim großen Umzug am Samstag boten, war eine echte Augenweide.

Nur in Bochum ist alles anders. Da saßen dann am Samstagabend die Spaßfreien und nippten an 1727 Apostelwein, an 1870 Niersteiner und an 1947 Cheval Blanc. Aber ich musste notgedrungen draußen bleiben, draußen im Atlantik. Dumm gelaufen.

Mit dem Fahrrad war ich eine Woche später unterwegs zu Elke Drescher nach Wachtberg. Große, alte Vieux Certans waren da angesagt(Bericht folgt ebenfalls). Man glaubt gar nicht, um wie viel besser eine Nase riecht, wie befreiter so ein Gaumen ist, wenn man sich die 100 km auf dem Rad antut, und alles mal heftig auslüftet. Knapp ein Drittel hatte ich hinter mir, da ging mein Handy. Der gute Uwe Bende war dran. Wir sehen uns doch heute Abend, sagte er, wann kommst Du denn an? Ich hatte eigentlich vor, gemütlich in einem schönen Restaurant Mittagsrast zu machen. Doch dann machte mir der gute Uwe ein Angebot, das ich einfach nicht ablehnen konnte. Schon gewaltig, wie Vorfreude das Durchschnittstempo auf dem Rad steigert.

Mit einem Pilotenkoffer reiste Uwe Bende an. Aus dem zauberte er eine ganze Batterie von kleinen Fläschchen, wie man sie gemeinhin aus Apotheken kennt. Nur waren da keine Tinkturen drin und schon gar keine Urinproben, sondern Reste und Depot der Bochumer Raritätenprobe vom Vorwochenende und der vorhergehenden Best Bottle. Und das soll gehen, vor einer Woche geöffnete Weine aus solchen Miniflaschen? Es geht sogar verdammt gut, wenn man ein paar Dinge berücksichtigt. Ich erinnere mich noch gut an solch kleine Probenfläschchen, die ich in den 90ern von Jürgen Drawert aus Berlin bekam. Daraufhin habe ich dann selbst Weine in solche Behältnisse abgefüllt. Wichtig ist, dass das Fläschchen randvoll gefüllt wird ohne zusätzliches Luftpolster. Dann hält sich auch ein älterer Wein durchaus mehrere Wochen. Das Glas kann man später spülen und mehrfach verwenden. Nur die Deckel mit dem Kunststoffeinsatz sollte man nur einmal verwenden. Die Fläschchen mit beliebigen Füllmengen von 0,05 bis 0,5l besorgt Ihnen Ihr Apotheker. Bei größeren Mengen bietet es sich an, direkt im Großhandel zu kaufen(sorry, habe dafür derzeit keine Adressen). Wichtig für die Überlebensdauer gerade älterer Weine in diesen Fläschchen ist, dass sie diese möglichst früh befüllen, also möglichst direkt nach dem öffnen oder dekantieren des Weines. Die Vorteile sind immens. Sie können selbst eigene Proben nach einer Woche noch mal Revue passieren lassen. Sie können Weine mit Freunden tauschen. Rare Flaschen lassen sich so über Wochen strecken. Statt einer halben Flasche, die ja sehr selten ist, trinken Sie aus der 1tel die Hälfte und heben den Rest in kleinen Flaschen für viele weitere Abende auf. Oder sie machen es wie der gute Uwe, und lassen den Wineterminator an einer verpassten Probe teilhaben.

Also rein ins Vergnügen. Uwes Flaschen warten, da es ja "nur" intelligente Resteverwertung war, zum Teil erst recht spät abgefüllt worden. Da musste man dann teilweise kleinere Anstriche machen. Zum Avinieren des Gaumen gab es als erstes einen genialen 1983 La Mission Haut Brion. Herrliche Nase mit Cigarbox, Tabak, Teer, getrockneten Kräutern, Minze und ätherischen Noten, malzige Süße und immer noch so viel Kraft und langer Abgang 95/100. Dieser voll trinkreife 83er wird sich noch lange auf diesem Niveau halten und zählt zu meinen persönlichen Favoriten. Für deutlich weniger Geld macht er derzeit und wohl noch eine ganze Weile mehr Spaß als der konzentrierte 82er des Gutes. Laktisch die würzige Nase des 1949 Chateauneuf-du-Pape in einer Barrière-Abfüllung, schwächelte aber leicht am Gaumen 86/100. Voll da war der aus einer Magnum stammende 1955 Pontet Canet, enorm kräftig, druckvoll, männlich, herb, Pauillac pur 90/100. Spannend die Nase des 1952 Pavie aus einer belgischen Händlerabfüllung mit Teer, Tabak und Minze, am Gaumen sehr kräftig, aber nicht ganz auf dem Niveau der Nase 92/100. Rabenschwarz war 1943 Clinet, alter Balsamico, Bitterschokolade mit 80% Kakao, die Säure eines alten Barolo, die Süße kaum noch spürbar 93/100. Wie viele andere Bordeaux aus diesem besten der Kriegsjahre hat der wahrscheinlich etwas länger im Fass gelegen, um ihn nicht für die deutsche wehrmacht abfüllen zu müssen.

Eine schier unglaubliche Süße und Fülle zeigte der deutlich jünger wirkende 1928 Clos Grand Murailles, recht jung auch noch die Farbe, pikant die Frucht mit Himbeere und walderdbeere 96/100. Die Weine aus 1928 sind sehr langlebige Spätstarter. Ich möchte nicht wissen, wie kratzbürstig dieser hier in den ersten Jahrzehnten seines Daseins geschmeckt hat. Einen deutlichen Stinker in der Nase hatte 1928 Gruaud Larose, frischer Dung, wurde immer käsiger, auch am Gaumen nicht sauber. Soll in der Probe riesengroß gewesen sein. Schade, der ist wohl wirklich zu spät in die Minibouteille gekommen.

Und dann kam der Stoff, aus dem die Träume sind. 1949 Conseillante aus einer Händlerabfüllung war ein sehr feiner Schmuse-Pomerol auf hohem Niveau, eher auf der eleganten Seite, nicht so ein Hammerteil wie 47, einfach rund mit sehr generöser Süße 96/100, am Probenabend waren da sicher noch mal 1-2 mehr im Glas. Die 200km mit dem Fahrrad nach Wachtberg und zurück war für sich alleine schon der perfekte 1947 Cheval Blanc in einer Loubat-Abfüllung wert. Keinerlei Schwäche zeigte dieser legendäre Wein, nicht mal das etwas späte Umfüllen in die Miniflasche hatte irgendeinen Einfluss gehabt. Dicht, kräftig, portig, sehr lang und komplex, Fülle und Süße ohne Ende, ein Riese, der ewig am Gaumen bleibt, 100/100 ohne wenn und aber. Da hatte ich fast Tränen in den Augen, das war 47 Cheval wie ich ihn aus den besten Flaschen kenne. Es ist schon schwierig genug, überhaupt noch eine echte Flasche zu erwischen. Und wenn man dann mal eine hat, ist der Inhalt oft schon etwas müde. Auch ein 47 Cheval Blanc lebt halt nicht ewig. Ja, dieser Schluck eines großen Weines aus einer großen Flasche tat richtig gut. Leichte Schwierigkeiten hatte ich mit der dritten Legende, einem 1929 Petrus. Das war so ein dichtes, süßes, fülliges, deutlich jünger wirkendes Monster, sehr konzentriert mit Massen an süßer Frucht, durchaus faszinierend, aber auch etwas offensichtlich wirkend. Ich kenne diesen Wein eigentlich anders(siehe meine Beschreibung beim Jahrgang 1929), möchte mir hier aber kein vorschnelles Urteil erlauben. Nur tue ich mich inzwischen halt mit dem Glauben an den Weihnachtsmann sehr schwer. Aber da war ja noch quasi wie ein Vorgriff auf den späteren Abend Legende #4, ein riesengroßer 1955 Vieux Chateau Certan, nahe der absoluten Perfektion, kraftvoll, dicht, sehr lang mit schöner, schokoladiger Süße 99/100.

Und dann waren da noch etliche Burgunder in der großen Batterie der Miniflaschen. Erstaunlich gut trinkbar war der 1935 Clos Vougeot Chateau de la Tour von Morin. Gut, da war Schärfe in der Nase und auch eine deutliche Säure am Gaumen, aber auch eine schöne, schmelzige Süße, die immer stärker in den Vordergrund trat. Für den nicht gerade prickelnden Jahrgang ein sehr spannender wein 92/100. Eher eine Enttäuschung für das Riesenjahr war der 1937 Vosne Romanée Les Malconsorts von Grivelet. Der war sehr ausgewogen, weich, reif mit seltsamerweise nussiger Fülle und feiner Süße, aber von dem Jahr hätte ich mir mehr versprochen 90/100. Großes Kino dagegen der 1945 Nuits St. Georges Richemondes von Moillard-Grivot, sehr helle, reife, bräunlich-orangene Farbe, aber so fein, so elegant, filigran, fast schwerelos, tänzerisch mit feiner Süße, Schokolade und Nougattönen, sehr lang, Burgund vom Feinsten 97/100. Auf den Boden zurück holte uns der 1945 Corton von Mollard-Gaulin. In der grenzwertigen Nase verschimmeltes Brot, am Gaumen plumpe Süße, die eher an Snickers als an Burgund erinnerte und im Abgang wieder dieser eklige Schimmelton 78/100. Erstaunliche Kraft und Fülle hatte ein 1949 Moulin-à-Vent von Piat, der mit Beaujolais nichts zu tun hatte, das war einfach großer Burgunder 94/100.

Und dann war da noch ein 1870 Niersteiner von einem unbekannten Winzer bzw. Abfüller. Nicht nur ein faszinierendes Zeitdokument, sondern auch ein immer noch sehr gut trinkbarer Wein, der, getragen von guter Säure, eine erstaunliche Süße und Fülle zeigte mit einem feinen Bitterton im Abgang. 93/100 für den reinen Genusswert, für das Erlebnis eine Ecke mehr.

Wer meint, wir müssten jetzt unter dem Tisch liegen, der sollte bedenken, dass wir uns zu zweit jeweils ein solches 0,05 Mini Fläschchen geteilt haben. Nur vom allerletzten Wein, einem 1970 Montrose, hatte Uwe Bende eine größere Flasche und goss mir großzügig ein. Ich hätte es mir denken können, der hatte Kork. Aber eben auch eine Mörderfarbe, gewaltige Frucht und sehr viel Substanz, ein Montrose für mindestens 30 weitere Jahre.