Sauternes aus dem vorletzten Jahrhundert

Zehn Sauternes aus dem vorletzten Jahrhundert bis runter auf 1830, dazu die 10 besten Latours zwischen 1961 und 1990. Das klingt nicht nur verdammt gut, das war auch eine geniale Mischung.

Märchenhaft lag es da am Zuger See, das Hotel Waldheim in Risch. Sehr stimmungsvoll die weihnachtliche Beleuchtung, die Natur hatte ein Übriges mit frischem Schnee dazu getan. War denn schon Weihnachten? Zumindest für zwei Dutzend Weinnasen, die sich mit dieser seinerzeit in Lichtgeschwindigkeit ausgebuchten Probe selbst beschenkten. Jörg Richter, einer der größten Sauternes-Sammler vor dem Herrn, trennte sich für diesen einmaligen Event von 10 seiner ältesten Schätze, René Gabriel unterfütterte das mit großartigen Latours und die Waldheim-Küche lieferte die gelungene, kulinarische Begleitmusik.

Fünfmal Sauternes war zum ersten Gang angesagt. 1893 Coutet hatte eine brilliante, güldene Farbe, in der Nase Honig, Bitterorange und generöse Süße, am Gaumen feines Süße-/Säurespiel, Tannenharz und erstaunliche Frische, nur die Nase baute ab, aus Honig wurde Bohnerwachs, was mich an die frisch gebohnerten Schulflure aus meiner Schulzeit erinnerte 90/100. 1898 Coutet war deutlich dunkler in der Farbe, wirkte etwas stumpf, muffig, staubig, die Süße sehr verhalten und gut versteckt, dafür mehr alte Spinnweben, kurz der Abgang, am Tisch sprach man von Kork, ich meine, der ist einfach nicht besser 80/100. 1897 Coutet war ähnlich dunkel, in der Nase zunächst Putzmittel, Nagellackentferner, spitze Säure, wurde mit der Zeit etwas besser, am Gaumen erstaunliche, von der Säure getragene Frische, immerhin ein passables Getränk 85/100. Spannend die Nase des 1896 Filhot mit reichlich Crême Brulée und malziger Süße, der etwas dünne Gaumen kam da nicht mit, stumpf und schlapp 82/100. Irgendwie kam ich mir bei diesen vier Kandidaten so vor, als ob die Damenriege eines Altersheim neueste Bademode vorführt, das war schon leicht grenzwertig. Gut, dass dann wenigstens in Form des 1893 d Arche die wesentlich frischer und knackiger wirkende Heimleiterin noch einsprang. Das war ein großer Sauternes mit enormem Spaßfaktor, weich mit getrockneten Aprikosen und verschwenderischer, animierender Süße, wenig Säure zwar am Gaumen, aber so generös mit wunderbarer Fülle 95/100.

Latour war jetzt in zwei Chargen angesagt. Leider war die Ersatzflasche für den gefälschten 1961 Latour auch keine Offenbarung und wirkte eher wie ein Reklametrunk für Maggi, alt, schlapp, müde und oxidativ. Da muss man nichts schönreden. Auch 1962 Latour war sehr reif mit viel Liebstöckel, weit weg von der fantastischen Magnum, die ich erst vor ein paar Wochen bei Georg Weber auf Monteverro trinken durfte. Wirkte die damals wie ein junger Bursche der noch zum Bund muss, so saß diese hier auf den gepackten Koffern fürs Altersheim. Immerhin war dieser 62er noch gut trinkbar und eine der leckersten Soyasaucen, die ich je im Glas hatte 87/100. Um so mehr brillierte 1966 Latour. Was für ein Riese, Latour in Perfektion, wunderbare Frucht, Perigord-Trüffel, Walnuss, perfektes Tanningerüst, Kraft ohne Ende, aber auch sehr noble Eleganz 97/100. Gut gehalten hat sich 1967 Latour, ein kleinerer, reiferer 66er, erdig, pflaumig, weich am Gaumen mit gutem etwas spitzem Abgang, dürfte sich in guten Flaschen noch eine Weile auf diesem Niveau halten 89/100. Ein richtiger Peitschenhieb für den Gaumen war der jugendlich-vibrierende 1970 Latour, Kraft ohne Ende, Tannine, Astringenz, Spannung, noch längst nicht fertig wirkend 94+/100. Mit Petrus und Lafleur der Wein des Jahrgangs. Wer ihn genießen will, sollte ihn 3 Stunden vorher in eine große Karaffe dekantieren. Habe ich vor zwei Wochen so gemacht. Es lohnt sich. Und natürlich bekamen wir den 1969 Latour aus der vermeintlich ersten 61er Flasche, sehr schlank, säurebetont, leichte Alterstöne, wirkte durch die hohe Säure wie ein älterer Barbaresco, war aber durchaus gut trinkbar 85/100.

Seine Zukunft noch vor sich hat 1975 Latour. Heute sind da hohe Säure, harsches Tannin, Dichte, viel Kraft, aber auch etwas Zedernholz und pikante Frucht. Wer schlau ist, lässt ihn zu, bleibt noch 10 Jahre davon und freut sich dann über einen grandiosen Spätstarter 92+/100. Aus der Abteilung "macht sprachlos" dann der perfekte 1982 Latour. Ist trotz seiner Jugend seit über 10 Jahren auf dem Höhepunkt und wird da sicher noch 20 Jahre bleiben, ein 100/100 Wein ohne Wenn und Aber. Ja, das war ein Flight so richtig nach meinem Geschmack. Denn 1983 Latour wirkte zwar etwas reifer als der 82er, war aber ebenfalls ein großartiger Latour, jede Suche wert 96/100. Und dann war da mein Geheimfavorit, 1989 Latour. Seit ich den im letzten Jahr in Flims bei 89*89 aus der Jeroboam trinken durfte, suche ich diesen kleinen(89/100 bei Parker) großen(95+/100 bei mir) Latour mit diesem Irrsinnspotential, der sich mal zu einer modernen Version des 59ers entwickeln könnte. Viel weiter, offener, vollbusiger ist 1990 Latour, ein Spaßwein auf allerhöchstem Niveau, exotisch, süß mit prächtiger Fülle und jede Menge Sex Appeal, aber auch mit einer tollen, darunterliegenden Struktur. Völlig atypisch für Latour, eher eine kalifornisch angehauchte Operettenvariante, aber auf allerhöchstem Niveau. Und wer sagt eigentlich, dass ein Latour keinen hemmungslosen Spaß machen darf? René Gabriel spricht bei diesem Wein von "austrinken" und meint damit sicher das Glas, denn der 90er Latour hat noch jede Menge Zukunft 98/100.

Und dann war da noch der Tischwein, ein sehr überzeugender 1981 Latour. Eine Jeroboam hatte der gute René angekündigt, und als netter Mensch stattdessen eine Imperiale mitgebracht. Prächtig hat sich dieser lange unterschätzte Latour entwickelt. Wunderbare Nase mit Walnuss, Leder und reifem Alpkäse, am Gaumen Fülle, Kraft und eine gute Mineralität, der pikante, pfeffrige in 81 nicht perfekt ausgereifte Cabernet machte diesen Wein spannend und vibrierend, dazu noch der Impi-Bonus, so kamen locker 93/100 ins Glas. Und auch die Publikumswertung war sehr hoch, denn die Impi leerte sich in Rekordtempo. Und was macht so ein René Gabriel, wenn der Tischwein trotz Riesenflasche wegen Oberleckerheit zu früh leer ist? Steht auf, geht ans Auto und kommt mit einer kompletten OHK dieses Weines wieder. Wein-Vollpension bei René, da bleibt kein Glas leer und kein Gaumen trocken. Die 1tel hatten vielleicht nicht ganz die Klasse der Impi, aber das waren nur Nuancen. Schlaue Weinsparfüchse gehen sofort auf die Suche nach 81 Latour.

Deutlich hochklassiger der zweite Flight der Sauternes-Oldies. Ein richtiger Weihnachtswein war 1896 Guiraud. Einfach dekadent lecker mit herrlicher Fülle, sehr süß, aber auch mit guter Säure, von Lebkuchen über diverse Weihnachtsgewürze bis hin zur bei Sauternes fast obligatorischen Crême Brulée brachte der in prachtvoller Fülle alles 95/100. Am Jahrgang konnte es also nicht liegen, dass 1896 Filhot mit heller Farbe und wenig Konzentration einfach nur flach, simpel, platt und etwas muffig wirkte 80/100. Aber Filhot war halt noch nie groß, da helfen auch keine 114 Jahre Alterung. Spannender hätte da schon 1884 Guiraud sein können, aber der hatte leider Kork. Traumstoff dann 1869 Rayne Vigneau aus einem der besten Sauternes-Jahrgänge des vorletzten Jahrhunderts. Süchtig machend schon die sehr feine, elegante, süße Nase mit bestem Marzipan und Weihnachtsgebäck, auch am Gaumen mit nicht enden wollenden Abgang so fein, so elegant, perfekt balanciert, fast filigran, nicht zu süß, keinerlei Zeichen von Alter 97/100. Konnte man das noch steigern? Der älteste Wein des Abends legte noch eine Schippe drauf. Dabei war 1830 zumindest ein grausames Rotweinjahr und die Bordelaiser kauften reichlich Hermitage zu, um wenigstens etwas halbwegs Trinkbares in die Flasche zu bekommen. Aber dieser 1830 Suduiraud war so unglaublich dicht und konzentriert mit intensiver Süße. Die Farbe war ein tiefes Schwarzbraun, wie ich es von großen, uralten Yquems kenne. Dunkles Karamell in der Nase, Weihnachtsgebäck, Lebkuchen, einfach verschwenderisch und schon etwas likörhaft, am Gaumen süße, üppige Fülle, keinerlei Alterstöne, einfach extrem konzentriert, süß und ewig lang 98/100.

Und da wir ja so nah an Weihnachten waren und der Jürgen Richter ein supernetter Mensch ist, zog der noch ein As aus dem Ärmel, eine echte Weihnachtsüberraschung, 1929 d Yquem. Was für ein Wein! Flüssiges Bernstein kam da ins Glas, eine sehr reichhaltige, süße, komplexe, dekadente Nase, wiederum mit viel dunklem Karamell, Waldhonig, Bitterorange, Crême Brulée, Marzipan ein ganzes Aromenbuch könnte man darüber schreiben. Auch am Gaumen enorm komplex und vielschichtig, delikat und druckvoll zugleich, sehr finessig, kraftvoll und praktisch altersfrei mit ewigem Abgang, ein einmaliges, herausragendes Weinerlebnis, ein Wein gemacht für 100 weitere Jahre 100/100. Kann man eine große Probe schöner beenden als mit solch einem Jahrhundertwein?

Und nicht verpassen: das Kurzvideo zur Probe von unserem Chef-Kameramann Wolfi. (wt 011/2010)