Stars und Sternchen

Fangen wir doch erst einmal mit einem dicken Lob an und einer Empfehlung. Ich kenne derzeit keinen Probenraum, kein Ambiente, das auch nur annähernd mit dem mithalten kann, was die Ungers in Frasdorf in ihrem neuen Gebäude bieten. Das Gefühl, an dieser langen Tafel sitzen und Weine verkosten zu dürfen, ist schwer zu beschreiben, das sollte ein Weinfreund wenigstens einmal erlebt haben. Zumal hier mit Andreas Wachter und Josef Schreiblehner zwei Vollprofis einen derart perfekten Service bieten, dass man sich kaum vorstellen kann, dass diese beiden tagsüber noch etwas anderes tun, als Weine zu entkorken und Gäste zu verwöhnen.

Billig war diese Probe sicher nicht, aber ihren Preis wert. Und ich hätte beinahe zu Anfang gleich eines der Highlights verpasst. Natürlich bekam ich auch hier zum Einstieg schon fast ungefragt ein großes Glas Milch und ließ die anderen den Champagner trinken. Alte Champagner im Rahmen einer Probe zu gerne, aber um die traditionelle Willkommensbrause mache ich doch lieber einen Bogen. Macht einfach zu schnell blau und eigentlich auch zu wenig Spaß. Diese herzliche Abneigung des Champagner-Aperos teile ich übrigens mit meinem Freund René Gabriel. Der lässt zu Beginn seiner Proben lieber einen schönen Weißwein servieren. Also lehnte ich auch hier alle Avancen ab und bestellte mir lieber noch ein zweites Glas herrlich frischer Alpenmilch. Doch Andreas Wachter ließ nicht locker. Ob ich denn nicht wenigstens einen kleinen Schluck.... Na gut, ich ließ mich zu einem kleinen Schluck überreden, dem dann aber schnell noch ein ganz großer folgte. Heiliges Kanonenrohr, dachte ich mir, warum servieren die denn hier als Apéro im Stehen einen alten Dom Perignon? Körper, Kraft und Komplexität hatte das, was da vor mir immer noch schön im Glas perlte, gut gereift aber noch längst nicht alt und mit einer faszinierenden Bitternote im langen Abgang. Für mich eindeutig ein hochklassiger, nicht mehr ganz taufrischer Champagner nur stammte er halt aus einer Gegend, in der man diese Bezeichnung nicht mehr verwenden darf. Ein 1979 Schramsberg Reserve aus der Magnum war dieses köstliche Elixier 94/100. Alte Schramsbergs sind zurecht sehr gesucht. Ich suche ab sofort mit.

Mit einem Paukenschlag begann dann die eigentliche Probe, allerdings auch mit einem unfairen Vergleich. Zwischen zwei außerweltlichen Marcassins war ein etwas verloren wirkender, einfacher Coche Dury aus einer Dorflage eingeklemmt. Nicht etwa, dass der 1994 Meursault von Coche Dury schlecht gewesen wäre. Aber Coche Dury hat nicht nur bessere Lagen, es gibt auch bessere Jahrgänge. Der hier war schon verdammt reif mit ersten, oxidativen Noten, dabei immer noch recht mineralisch mit erdigen Noten und für sich gesehen auch immer noch nachhaltig, aber er wurde von links und rechts schier erdrückt 89/100. Im linken Glas ein 1994 Marcassin Chardonnay Gauer Ranch Upper Barn. Keine Spur von Alter, perfekter Spagat von Kraft und Nachhaltigkeit auf der einen und Eleganz auf der anderen Seite, sehr mineralisch, komplex und vielschichtig mit immer noch jung und frisch wirkender Frucht. Ein außerweltlich schöner, riesengroßer Chardonnay. Für mich eine hypothetische Mischung aus einem jüngeren Beringer Sbragia und einem DRC Montrachet 97/100. Im rechten Glas ein 1994 Marcassin Chardonnay Hudson Vineyard E Block. Bei sonst nicht unähnlicher Handschrift wirkt dieses Monument etwas ernster, länger, intensiver mit noch stärkerer Burgunder-Affinität. Für mich hier 1/3 Sbragia und 2/3 DRC Montrachet, jeweils aus besten Jahren 98/100. Schier unglaublich, wie sich diese beiden Weine im Glas entwickelten, wie sie ohne Spur von Alter immer neue Facetten zeigten. Da wird einfach jeder Rotwein-Fan zum Chardonnay-Afficionado. Mir war die Gnade dieser ultrararen Edelteile schon einige wenige Male aus jüngeren Jahrgängen vergönnt, aber dieses Erlebnis reiferer Marcassins hier war auch für mich bisher einzigartig.

Großes Rätselraten beim ersten Rotweinflight. Was konnte das in den Gläsern bloß sein? Da musste mindestens ein Pirat mit dabei sein. Sehr schöner, gefälliger, eleganter und minziger Cabernet aus zu jungen Reben mit zuwenig Konzentration notierte ich mir beim ersten Wein und vergab großzügige 91/100. Etikettentrinker werden jetzt empört aufschreien, war da doch ein 1999 Screaming Eagle im Glas, der ultimative, unbezahlbare kalifornische Kult-Cabernet. Aber an diesem Abend war der Adler höchstens eine Taube, bei Aldi für 9,99 als "Cooing Pigeon"(gurrende Taube) sicher der Hit, als Screaming Eagle aber eine Frechheit. Groß dagegen 1999 Messorio von Le Macchiole. Eigentlich mit seinen fast 15% ein Alkoholmonster, aber der kam so elegant, fast leichtfüßig daher. Reife Schwarzkirschen, Minze ohne Ende, von der Art her eher Cabernet als Merlot, sehr präzise strukturiert, einfach puristisch schön mit toller Länge am Gaumen 96/100. Nasser Hund die erste Wahrnehmung beim nächsten Wein, nicht perfekt ausgereifter Merlot mit dezenten, grünen Tönen, sehr konzentriert und dabei schon fast Syrah-affin mit schwarzen Oliven und schwarzem Pfeffer, aber auch Kirschfrucht. Zweifellos war 1999 La Clusière ein guter Wein, aber er wirkte auf mich etwas gemacht 92/100.

Ohne Blindprobe wären wir wohl beim nächsten Flight vor Ehrfurcht alle auf die Knie gegangen. So aber mussten die Superstars ohne Ansage erstmal zeigen, was sie drauf hatten. Wie schön, dass wir diesmal nur Adler im Glas hatten und keine Tauben! Ein echter Showstopper 1995 Colgin Herb Lamb Vineyard. Etwas irritierend, aber einfach wunderschön die intensive Erdbeernote, wie ich sie nur von großen Chateauneufs kenne. Ein höchst erotisches Weinerlebnis mit reifer, süßer Frucht und unwiderstehlicher Aromatik, einfach sexy im besten, den Gaumen voll betörenden Sinne, dabei nicht aufsetzt oder überladen sondern unglaublich harmonisch. Für mich auf insgesamt sehr hohem Niveau der Star des Flights und einer der besten Weine des Abends 99/100. Eine echte Sternstunde schien dieser Wein zu haben und wir das Glück des optimalen Trinkzeitpunktes. 1999 hatte ich ihn zweimal in den USA getrunken, 2000 dann noch mal auf Sylt in der Sansibar. Keine der Flaschen kam seinerzeit über 95/100 hinaus. Die überwiegende Zahl der Teilnehmer gab ihre Stimme aber dem 1995 Harlan. Auch das wieder ein unglaublicher Riese, sehr konzentriert, schiere Kraft in Watte verpackt, unglaublich lang, einfach wieder die Harlansche Quadratur des Kreises, der junge, reife Latour 98/100. Und was hat der 1995 Pingus im dritten Glas mit 1985 Sassicai gemeinsam? Beides sind Legenden, beide sind ultrarar und überteuert und bei beiden läuft man einer Legende hinterher. Klar ist der Pingus wie auch der Sassicaia immer noch ein großer Wein. Aber dieses unbeschreibliche, hedonistische Erlebnis dieser frühen 95er Pingus, dieser vinologische Urknall, den ich 1999 zweimal erleben durfte, der ist vorbei. Der Pingus ist immer noch ein sehr konzentrierter, kräftiger Wein mit gewaltiger Länge am Gaumen, aber doch auch etwas ernst 97/100. Ich gebe es ja zu. Beim den ersten Auftritten dieser Weindiva war ich fasziniert vom irren Ausschnitt. Jetzt trägt sie hochgeschlossen und redet nur noch gescheit daher.

Auch im nächsten Flight war wieder ein Pirat versteckt, der in seiner üppigen, exotischen Aromatik kalifornischer wirkte, als die Kalifornier selbst. 1990 Latour ist und bleibt ein Riese, der aber etwas aus der Art schlägt. Völlig Latour-untypisch, dafür hedonistisch mit hohem Spaßfaktor 97/100. Diesem großen Kalifornier aus Bordeaux stand ein nicht minder großer Bordeaux aus Kalifornien gegenüber. Nur präsentierte sich der total verschlossen und jung mit bissigen Tanninen. Viel Fantasie war nötig, um das gewaltige Potential eines Weines zu erahnen, der in 10 und mehr Jahren der Star vieler Proben sein wird. Wer nicht nur von der Klugheit hat, sondern auch vom 1991 Dominus, der lässt seine Kiste noch ein Jahrzehnt zu 91++/100. Eine perfekte Melange aus großem Bordeaux und großem Kalifornier brachte 1991 Opus One ins Glas. Die herrliche Frucht aus Kalifornien, die perfekte Struktur aus Bordeaux, ein großer Wein, der heute voll da ist, aber noch eine lange Zukunft hat 96/100. Und dann war da noch als Vierter im Bunde der 1991 Araujo Eisele Vineyard Cabernet Sauvignon, das Erstlingswerk von Bart und Daphne Araujo aus diesem berühmten Weinberg. Ein insgesamt noch sehr jung wirkender Wein mit sehr dichter Farbe, schwarzer Johannisbeere mit schöner Fruchtsüße, hoher Mineralität, Finesse und immer noch deutlichen, aber reifen Tanninen. Sicher ein Wein, der es noch locker 10+15 Jahre oder länger macht 95/100.

Der nächste Flight hatte dann doch eher etwas von einer Arbeitsprobe. Am besten gefiel noch 1985 Opus One. Der hatte eine klassische Bordeaux-Nase mit etwas Brettanomyces und war am Gaumen reif, weich, elegant mit feiner Süße 90/100. Gehört sicher in den nächsten Jahren getrunken. Fehlerhaft muss 1985 Dominus gewesen sein, zumindest ein schleichender Kork war da sicher im Spiel. Der wirkte wie ein Gerippe, von dem die Aasgeier schon alles abgefressen haben. Nur noch bittere, trockene Tannine, Frucht Fehlanzeige 84/100. Kenne ich deutlich besser. Noch weniger konnte ich mich mit 1985 Ridge Monte Bello anfreunden. Ein anstrengender, sehr medizinal wirkender Wein mit viel Jod und Penicillin. Dazu kam immer stärker dieser kork-ähnliche Ton, der auch bei 85 Heitz so nervt und bei vielen Figeacs 81/100.

Was sollte man im nächsten Flight zu 1970 Ridge Monte Bello sagen? Erst viel Liebstöckel, dann etwas verhaltene Minze, immer mehr Malaga und auch etwas Lakritze, am Gaumen hohl und säurelastig. Da gab es nichts schönzureden, der war einfach hin 76/100. Große Probleme hatte ich auch mit 1970 Vega Sicilia Unico. Der war als solcher nicht zu erkennen und wirkte völlig nichtssagend. Seltsamerweise war dann der letzte Schluck, den ich etwas später aus der Karaffe bekam, großartig und entsprach genau Erinnerung und Erwartung. Die Ehre des Flights rettete der außerweltliche 1970 Heitz Martha s Vineyard. Ein altersfreier Gigant, muskulös, dicht, komplex, der ewig lang am Gaumen bleibt. Erinnert mit seiner faszinierenden, druckvollen Aromatik, mit seiner feinen Mischung aus Minze, Eukalyptus, altem Sattelleder und Zedernholz nicht nur an den hochgelobten 74er aus dem eigenen Stall, sondern auch an 45 Mouton Rothschild 99/100.

Die besten Zeiten schien der 1968 Mondavi Cabernet Sauvignon Unfined schon länger hinter sich zu haben. Nicht uncharmant, aber doch recht medizinal, am Gaumen schon etwas gezehrt, kurz und eher leichtgewichtig 85/100. Wird sich auf diesem Niveau sicher noch eine Weile halten. Eine Klasse besser 1962 Inglenook. Ein minziger, kräftiger, immer noch erstaunlich kompletter und sehr langer Wein 96/100. Alte Inglenooks sind unsterbliche Monumente vergangener, kalifornischer Weinbaukunst. Sie faszinieren mit ihrer Komplexität und aromatischen Dichte, die auf das "Glutamat" der modernen Winzer, den hohen Alkoholgehalt als Geschmacksverstärker, nicht angewiesen sind. Erstaunlich gut auch 1967 Heitz Martha s Vineyard, den ich so jung und kräftig noch nie getrunken habe. Wirkte in dieser minzigen Ausnahmeflasche zwar weiter als 70 und deutlich feiner mit weniger Kraft, hielt sich aber sehr gut und war irre lang am Gaumen 96/100.

Würdiger Abschluss dieser gelungenen Probe ein 1974 Mayacamas Late Harvest Zinfandel. Der war die perfekte Wahl zum schokoladigen Dessert, der hohe Alkohol gut verpackt, dezente Restsüße, exotische Aromatik, der perfekte Dessertwein für Rotweinfreaks 94/100.

Ein zufriedener Hausherr

Ein zufriedener Hausherr

Der klare Sternenhimmel kündete einen perfekten, nächsten Tag an. Bettschwere war ohnehin inzwischen genug vorhanden, aber eben auch noch Gesprächsbedarf mit den vielen, netten Menschen. Also kamen in kleinerem Kreise noch zwei alkoholarme Gaumenerfrischer auf den Tisch. Die Leichtigkeit des Seins brachten die beiden Wehlener Sonnenuhr Spätlesen von Joh. Jos. Prüm ins Glas, einmal als fülliger 89er mit viel Boytritis und einmal als schlankerer, immer noch jugendlich frischer 93er ohne Boytritis. Da habe ich aber nicht mehr bewertet und mitgeschrieben, sondern nur noch genossen, so wie anschließend auch beim Shuttle-Service der überaus charmanten, jungen Damen, die uns zurück ins Hotel brachten.(wt2008)