Terroir-Probe bei Künstler

Zu einer spannenden Probe hatte das Weingut Künstler eingeladen. In sieben verschiedenen Lagen rund um Hochheim werden die Weine des Gutes erzeugt. Alle sieben Lagen haben eine jeweils andere Bodenbeschaffenheit, die sich deutlich auf Charakteristik der Weine auswirkt. Terroir pur also, was eindrucksvoll mit Weinen aus 20 Jahren erfolgreichen Schaffens von Gunter Künstler belegt wurde.

Die Augen des engagierten Geologen Dr. Peter Böhm glänzten richtig, wenn er über die Eiszeit und ihre Folgen sprach, über die Entwicklung der Böden im sonnenverwöhnten Rheingau. Um Terroir pur ging es in dieser Probe, um den Einfluss der Böden auf den Wein, wozu allerdings auch das Mikroklima gehört. Oft wird über Terroir diskutiert, ob es das überhaupt gibt und welchen Einfluss es wirklich auf die Weine hat. Klar, wer viel im Keller rumferkelt, vom gezielten Einsatz von Reinzuchthefen bis zum großen Chemiebaukasten, der muss sich über Terroir keine Gedanken machen. "Gemachter" Wein hat selten viel mit dem zu tun, was die Natur an Ausgangsmaterial liefert. Ganz anders sieht das bei Winzern wie Gunter Künstler aus, die mit viel Respekt vor der Natur in großen Lagen authentische Weine erzeugen.

Den Anfang machte die Lage Reichestal, in der das Weingut Spätburgunder anbaut. Sandiger, fruchtbarer Lösslehmboden mit guter Wasserspeicherung und wenig Kalkgehalt im Oberboden bietet die Voraussetzung für wuchtige, stoffige Spätburgunder mit guter Säure. Noch ein Weinbaby der 2006 Hochheimer Reichestal Spätburgunder trocken RR, eher helle Farbe, sehr jung, hohe Säure und massive Astringenz, die Nase entwickelt sich rasch und zeigt eine betörende Aromatik, beerig mit Johannisbeere und Brombeere, auch etwas wild und animalisch, der Gaumen bleibt verhalten 90+/100. Da sind wohl noch gut 10 Jahr Warten angesagt. Deutlich weiter und eigentlich schon voll da der 2003 Hochheimer Reichestal Spätburgunder trocken RR, bei dem man deutlich das heiße Jahr spürt. Die dichteste Farbe der drei Weine, die Nase springt förmlich aus dem Glas mit viel Röstaromatik, ein üppiger, molliger, anmachender, aber auch alkoholischer Wein, der vielleicht etwas die Komplexität der beiden anderen Weine vermissen lässt, aber derzeit einfach unglaublich viel Spaß macht 92/100. Hell in der Farbe auch die 1999 Hochheimer Reichestal Spätburgunder Auslese trocken, beginnt sehr fruchtbetont, schlank, elegant mit guter, tragender Säure, baut enorm im Glas aus und ist sehr lang anhaltend am Gaumen, in der Nase kommen neben der Frucht Noten von Tabak und Schokolade, ein enorm vitaler Wein, hat sicher gutes Alterungspotential und kann auch noch zulegen 93/100.

Zu den Ersten Gewächsen des Rheingaus zählt die Lage Weiß Erd, deren Name vom hellen Kalkmergel kommt, der diese Lage prägt. Nichts anderes als kalkreicher Meeresboden aus der Zeit des Tertiärs ist das hier, bedeckt von fruchtbarem Lößlehm. Von 10jährigen Reben stammt der 2008 Weiß Erd Riesling trocken. Trotz seiner Jugend zeigt dieser ausgesprochen gut gelungene Wein bereits eine erstaunliche Fülle und Komplexität, ist sehr mineralisch mit feiner, delikater Frucht, Weinbergpfirsich und gelbe Früchte, und weicher Säure 90/100. Zum Vergleich gereicht wurde eine 1996 Geheimrat Aschrott Riesling Spätlese trocken, ein zwar reifer Wein mit Petrolnoten, der mit immer noch guter Säure aber noch lange nicht am Ende ist und eine salzige, würzige Mineralität zeigt 92/100. Gunter Künstler hatte das Weingut Geheimrat Aschrott sche Erben 1996 übernommen.

Der Brot und Butter Wein des Gutes, der Herrnberg Riesling, wächst auf dem renaturierten Gelände eines historischen Kalksteinbruchs. Wohl dem, der eine solche Qualität als Einstiegswein anbieten kann. Sehr gut gefiel mir der 2008 Herrnberg Riesling trocken aus der Doppelmagnum. Ein sehr fruchtiger, schlanker, rassiger, pikanter Wein, sehr mineralisch, der wie eine gelungene Kombination aus Mosel und Nahe wirkt 88/100. Wie gut selbst diese Weine altern können, zeigte der immer noch taufrische 1994 Herrnberg Riesling trocken, wunderbare Frucht, Holunder, feine Süße, wiederum sehr mineralisch und immer noch gutes Säuregerüst 90/100. Etwas reifer, ziviler und verhaltener wirkte die 1992 Herrnberg Riesling Spätlese trocken. Aber auch dieser Wein zeigte noch eine erstaunliche Frische, viel Zitrusfrüchte, wirkte sehr harmonisch und dürfte immer noch Potential für 5-10 Jahre haben 88/100. Unverschämt gut trinken sich die Weine aus der Lage Herrenberg, saftig, animierend und stets Lust auf den nächsten Schluck machend.

Sandig-lehmig mit geringem Kalkgehalt die Lage Stielweg. Hier produzieren tief wurzelnde, 50 Jahre alte Rebstöcke einen nachhaltigen, wuchtigen Riesling. Sehr jung und konzentriert mit viel Potential der aus der Doppelmagnum servierte 2008 Stielweg Riesling Alte Reben trocken. Den würde ich noch etliche Jahre weiter reifen lassen. Eine reife Farbe und eine erstaunlich süße Nase mit Birnenkompott und Boytritis hatte die ebenfalls aus der Doppelmagnum ausgeschenkte 1998 Stielweg Riesling Auslese trocken. Am Gaumen war dieser Wein deutlich trockener und wirkte trotz aller Kraft weich mit reifer Säure 91/100. Große Klasse und für mich eins der Highlights der Probe die 1993 Stielweg Riesling Spätlese trocken. Helle, klare, junge Farbe, fruchtige Fülle, immer noch mit präsente Säure, dadurch noch so jugendlich wirkend mit herrlicher, aromatischer Fülle, insgesamt sehr harmonisch und ausgeglichen mit wunderbarer Länge am Gaumen 95/100. In welchen Kellern schlummern noch solche Riesling-Monumente in einer Zeit, in der die Gäste schon im Frühjahr in den Restaurants nach den Großen Gewächsen des Vorjahres fragen. Vielleicht ist Gunter Künstler mit dem, was wie ein Wein aus längst vergangener Zeit anmutet, ja seiner Zeit schon längst wieder voraus. Slow Wine als perfektes Gegenstück zu Slow Food, Weine, die Zeit brauchen, perfekt altern und dabei enorm an Komplexität gewinnen.

Nicht klar kam ich persönlich mit den Weinen aus der Domdechaney. Die Böden hier bestehen aus Lösslehm, auf den häufig zur Bodenverbesserung kalkreicher Ton aufgebracht wurde. Viel Potential deutet sich bei dem aus der Doppelmagnum eingeschenkten 2008 Domdechaney Riesling trocken an. Erdige, mineralische Fülle, sehr weiche Säure, zeigt sicher in 2-3 Jahren deutlich mehr. Überhaupt nicht spannend fand ich den 2003 Domdechaney Riesling trocken aus der Magnum, da fehlten einfach Struktur und Biss, Langeweile auf hohem Niveau 86/100. Auch den 1997 Domdechaney Riesling trocken aus der Doppelmagnum fand ich eher etwas rustikal, deftig und simpel 87/100. Klar hatten beide Weine Dichte, Kraft und Komplexität, bauten dazu im Glas aus. Aber gegenüber der Spannung und Strahlkraft der anderen Weine verblassten diese beiden. Sie wirkten auf mich eher wie eine seit 20 Jahren immer in der gleichen Form gehaltene Predigt. Möglich, dass hier längeres Dekantieren mehr bringen würde.

Als Pinot des Rieslings bezeichnet Gunter Künstler selbst die Weine aus der Lage Kirchenstück. Sehr alte Reben mit niedrigen Erträgen ermöglichen Weine, die trotz 13-13,5% Alkohol sehr fein und elegant sind. Die Weine aus der Lage Kirchenstück reifen frühzeitiger und sind trotzdem sehr lange lagerfähig.
Sehr fein und elegant der 2007 Kirchenstück Riesling Goldkapsel aus der Doppelmagnum, mit schöner Fülle und reichlich Potential, wird noch zulegen 90+/100. Was in dieser Lage mit etwas Reife möglich ist, zeigte der 2005 Kirchenstück Riesling Erstes Gewächs aus der Doppelmagnum. Das war ein echtes Monument, ein großartiger Wein, der jetzt und hier alles zeigte, was er drauf hatte. So komplex und extrem vielschichtig, sehr mineralisch und mit druckvoller Aromatik, so eine Art Montrachet aus dem Rheingau 95/100. Als reifer Wachauer Riesling ging die 1998 Kirchenstück Auslese trocken durch, gute Frucht, sehr würzig-mineralisch, reif, aber ohne Alter und Schwächen 91/100. Alle drei Weine sind eigentlich auf ihre Art unkaputtbare Monumente, die dekantiert und dann in ein großes Glas gehören.

Als letztes dann noch drei Weine aus Künstlers Paradelage, der Hölle. Sehr mineralische, rassige, ausdrucksstarke Weine mit enormer Lagerfähigkeit entstehen hier auf nach einer fossilen Muschel benanntem Cyrena Tonmergel. Erstaunlich zugänglich wirkte in der ersten Anmutung die 2007 Hölle Riesling trocken Goldkapsel mit der jugendlich-fruchtigen Extraktsüße. Doch diese Zugänglichkeit ist nur scheinbar und eher mit der jugendlichen Fruchtphase eines großen Bordeaux zu vergleichen. Diese Hölle ist ein gewaltiges, hoch mineralisches Kraftpaket mit perfekter Struktur und dabei sehr elegant. Da gibt es eigentlich nur Eines, weglegen, warten und dann in 10 Jahren anfangen, für 10-15 weitere Jahre zu staunen, wie sich hier ein 95+/100 Wein entfaltet. So wie z.B. die 1997 Hölle Riesling Auslese trocken aus der Magnum, ein immer noch so jung und frisch wirkender, sehr stoffiger, kräftiger Wein. Wirkt dabei gleichzeitig so filigran und elegant mit hoher Mineralität und immer noch guter Säure, sehr spannend und facettenreich 94/100. Und dann war da als krönender Abschluss noch ein Wein aus der Kategorie "macht sprachlos", eine 1990 Hölle Auslese trocken. Ein hocheleganter, mineralischer Traum, ein Wein, bei dem einfach alles stimmt, reife, unendliche Fülle, immense Länge, kraftvoll und elegant zugleich, totale Harmonie und bei aller Reife immer noch jung wirkend 96/100.

Gunter Künstler macht zweifelsohne große Weine, aber eben auch Weine, die polarisieren. Bei den "Spuckern" dieser Welt hat er wenig Chancen. Weder der deutsche GaultMillau noch Parkers Wine Advocate nehmen ihn richtig wahr. Aber das ist eben das Los von Weinen und Winzern, die nicht nur für den einen Moment produzieren, wo ihr Wein für 10 Sekunden als unfertiger Jungwein den Gaumen eines selbsternannten Testers beeindrucken soll, bevor er dann im Spucknapf landet und dann eine Punktbewertung bekommt, mit der er Zeit seines Weinlebens auskommen muss.
Wenn Sie selbst vorwiegend junge Weine des aktuellen Jahrgangs trinken, dann sollten Sie mal Künstlers Herrnberg probieren. Künstlers große Gewächse sind aber eher Weißweine für Rotweinfans, für Leute, die bereit sind, für diesen Moment, in dem ein Wein über sich hinauswächst, auch mal 10 oder 20 Jahre zu warten. Probieren Sie es einfach aus, es lohnt sich. Übrigens war Thomas Jefferson, der spätere Präsident der Vereinigten Staaten, auf seinen ausgedehnten Weinreisen 1788 auch im Rheingau. Dort erfuhr er, das die Besitzer der besten Hochheimer Lagen ihre Weine erst nach 15 Jahren verkaufen. Sollte man einfach mal drüber nachdenken. In der Weinbereitung mag sich seit damals manches geändert hatten. Das Terroir aber, das diese großartigen, langlebigen Weine zulässt, ist immer noch dasselbe. (wt06/09)