Top of the Pops

Mit einer schlichtweg spektakulären Best Bottle sind wir in die Probensaison 2010 gestartet.

Nein, langsam warmlaufen wollten wir uns nicht, Vollgas hieß das Thema. So griff ein Dutzend engagierter Weinnasen tief in den jeweiligen, eigenen Keller und zauberte für diese Best Bottle spannende Weine hervor. Gut die Hälfte der Teilnehmer hatte zudem eine lange Anreise auf sich genommen, aus der Schweiz, aus Österreich, aus Sylt, von der Saar und sonst wo her.

Nicht nur optisch machte sie eine Menge her, diese lange, schlanke Magnum 1993 Eitelsbacher Karthäuserhofberg Riesling Auslese Goldkapsel, aus der der Begrüßungsschluck kam. 16 Jahre alt und doch so taufrisch und jung. Saftig, traubig, sehr elegant, mit glockenklarer Frucht und feinem Cassiston, durch die gute Säure perfektes Süße-/Säurespiel, mineralisch, sehr harmonisch und mit gewaltiger Länge, bei diesem gewaltigen Extrakt mit nur 7,5% Alkohol ein Musterbeispiel für das, was an der Mosel und ihren Nebenflüssen geht 94/100.

Und schon waren wir in einer anderen Zeit. Zwei große Weiße Burgunder standen vor uns, 1947 Le Montrachet Vandermeulen und 1955 Le Montrachet Vandermeulen. Beides Monumente und doch so unterschiedlich. Da entschied letztlich der individuelle Geschmack darüber, was hier der bessere Wein war. Gülden, cremig, weich und reif mit viel Schmelz und feiner Süße, aber auch guter, tragender Säure der 47er, ein "trockenes Karamellbonbon" formulierte es zutreffend einer aus der Runde, sehr lang am Gaumen und sicher noch mit genug Standvermögen für etliche Jahre 95/100. Deutlich heller in der Farbe und jünger in der Anmutung der 55er, knackige Säure, immer noch viel Frische zeigend, sehr mineralisch, komplex und druckvoll. Und was macht ein großer Wein mit einem leichten Korkton, wie er sich hier eingeschlichen hatte? Bügelt ihn einfach platt, so wie das dieser Wein mit seiner irren Mineralität tat. Entwickelte sich unglaublich im Glas und baute immer mehr aus, konservative 96/100, ohne den leichten Fehlton sicher mehr.

In einem alten Keller hatte Roman Niewodniczanski die beiden nachfolgenden Flaschen gefunden, die er uns kommentarlos servierte. Dass es reifere Riesling von der Mosel sein mussten, war uns allen eigentlich schnell klar. Die Mutmaßungen kreisten um 20-30 Jahre alte, gut gereifte Aus- oder Spätlesen. Aber über 60 Jahre alte, einfache, naturreine Rieslinge, Tischweine der damaligen Zeit also, da kam niemand drauf. Beide Weine stammten aus der alten Lage Trabener Gaispfad, die heute zum Cröver Engelberg gehört und wurden von der Drei-Giebel-Haus-Kellerei gekeltert. Beide Weine waren nicht nur spontanvergoren und stammten von wurzelechten Reben. In der damaligen Kriegs- bzw. Nachkriegszeit waren sie sicher auch frei von Spritzmitteln. Mit 13g Restzucker und 10,5% Alkohol war der 1943 Trabener Gaispfad Riesling naturrein auf die Flasche gekommen. Hell die Farbe, in der Nase Spearmint und zarte Himbeerfrucht, leichte Schärfe, am Gaumen feine, gut eingebundene Restsüße, insgesamt sehr harmonisch und ausgeglichen wirkend. 17g Restzucker und 11% Alkohol waren die Werte des 1947 Trabener Gaispfad. Der war etwas kräftiger, fülliger mit einem großen, dampfenden Misthaufen in der Nase. Auch dieser Wein in totaler Harmonie ohne jedes Alter mit tollem Standvermögen. Beides unkaputtbare Weine, sicher in der 90/100 Klasse. Weine, die nicht nur großen Spaß bereiteten, sondern auch nachdenklich machten.

Jörg Müller hatte seinen legendären Gänseleber-Gugelhupf aus Sylt mitgebracht. Da war nicht nur dezente Restsüße gefragt, da mussten natürlich edelsüße Schwergewichte gegen antreten. Gülden die Farbe des 1921 Doisy Daene in der Vandermeulen-Abfüllung. Karamellige, schokoladige, malzige Süße, aber auch mit kräuteriger Note, durch die gute Säure immer noch frisch wirkend, dabei sehr elegant, fast filigran 95/100. Ein brilliantes Dunkelbraun zeigte der 1937 Climens, in der Nase karamellisierte Tarte Tatin. Dichter, voluminöser, süßer als der Doisy Daene, ein gewaltiges, nach Luft schreiendes Sauternes-Kaliber mit enormem, aromatischem Druck am Gaumen und fantastischer Länge. Ein Süßwein-Monument das als Begleiter der Gänseleber immer weiter zur Hochform auflief und sicher noch Potential für etliche Jahrzehnte hat 98/100.

Und schon waren wir in der roten Abteilung. Eigentlich hat es der erste Flight nach solchen edelsüßen Giganten schwer, doch nicht der 1982 Gruaud Larose. Was für ein gewaltiges Teil, animalisch, rauchig, speckig, kernig, muskulös und tiefgründig. Kann vor Kraft kaum laufen und ist noch verdammt jung, hat aber auch feine Frucht, Tabak und viel Leder. Gewaltiger, aromatischer Druck am Gaumen, ja, der 82 Gruaud fängt endlich an, auf hohem Niveau Freude zu machen. Da kommen locker 97/100 ins Glas, und die sind immer noch verhältnismäßig Portemonnaie-schonend. Von allen großen 82ern hat der Gruaud mit Sicherheit das beste Preis-/Genussverhältnis. Da kam auch im anderen Glas der sicher teurere 1995 Cheval Blanc nicht mit, der vom Gruaud geradezu demaskiert wurde. Er wirkte im direkten Vergleich etwas gemacht und poliert. Was nicht heißt, dass dieser Cheval keinen Spaß macht. Er ist süß, zugänglich, üppig, leicht exotisch, aber auch betörend erotisch. Kein sehr großer Cheval Blanc, aber ein großer, Cheval Blanc geht eben nicht klein 93/100. Solo kommt da sicherlich, wie bei meinen bisherigen Verkostungen, noch ein Punkt zu. Also, nicht neben Gruaud stellen. Das gilt aber auch für eine Menge anderer Weine.

Oh ja, wir schwebten im siebten Weinhimmel. Doch ab und an holte uns wieder eine Schrottflasche auf den Boden. Zum Beispiel dieser 1982 Grand Puy Lacoste. Was ist das normalerweise für ein göttliches Elixier. Aber diese Flasche hier war frucht- und freudlos mit einem dieser hinterlistigen, schleichenden Korkfehler. Shit happens, leider an diesem Abend noch häufiger. Meine Probleme hatte ich auch mit 1993 Valandraud. Nur hatte der keinen Fehler, er war einfach so wie ich ihn kenne. Tiefe, junge Farbe, in der Nase viel Brett, leider nicht mehr das frühere, sensationelle, von jugendlicher Röstaromatik geprägte Bouquet, jetzt dominierten die etwas ruppigen Resttannine. Am Gaumen wirkte der Valandraud zwar kräftig und fleischig, aber auch etwas hohl, mit grasig-grünen Tönen, mit Paprika und Pepperoni. Die Nase wurde mit der Zeit etwas besser, der Gaumen blieb enttäuschend, wo ist der schokoladige Schmelz geblieben? Ein typischer 93er, der langsam austrocknet 88/100. Und wo wir schon bei den Reklamationen sind, auch der folgende 1968 Unico, eigentlich ein Weltklassewein, taugte mit seinem üblen Kork und der flüchtigen Säure nicht mal für die Kreisliga.

Mehr als versöhnt wurden wir mit einem 1967 Heitz Martha s Vineyard. Der ging mit seiner klassischen Struktur und Machart als reifer Medoc vom Allerfeinsten durch, dabei so irre druckvoll, lang und komplex mit schöner Minze, einfach ein Wein zum Niederknien 97/100. Die Heitz Weine haben ein ungeheures Alterungspotential und scheinen für ihre richtige Entwicklung auch locker 20 Jahre und mehr zu brauchen.

Zweimal Burgund war jetzt angesagt. Von der Paperform her hätte der 1978 Musigny Vielles Vignes von Comte de Vogüe der Star dieser Paarung sein müssen, doch der unglaublich schöne 1978 Chambolle Musigny Les Amoureuses Tête de Cuvée von Grivelet stahl im die Schau. Der war von der Farbe her deutlich älter, aber einfach ein perfekt gereifter, seidiger Burgundertraum mit seidiger Eleganz und mit feinem Schmelz und Süße 96/100. Möglich, dass der Vogüe da in etlichen Jahren auch noch hinkommt, oder sogar besser wird. Er hatte eine ähnliche Stilistik und auch eine feine Süße, wirkte aber insgesamt sehr kraftvoll und deutlich jünger, da fehlen noch ein paar Jahre Lagerung 94+/100. Womit wieder deutlich gezeigt wurde, dass der kleinere Wein zum richtigen Zeitpunkt dem unfertigeren, größeren eigentlich immer vorzuziehen ist. Außer natürlich, man ist Potentialtrinker(kenne ich einige von) und geilt sich an dem auf, was zwar nicht im Glas ist, aber mal draus entstehen könnte.

Staunen war angesagt beim nächsten, natürlich wie alle Weine wieder blind servierten Wein. Dunkles Braun, sehr portig mit hoher Süße, aber auch mit viel Süßholz, Lakritz und einem gehörigen Schuss Madeira. Das war 1940 Chateauneuf-du-Pape von Rayas, aber der ultrarare mit der Goldenen Kapsel, der süße Weißwein, quasi die TBA von Rayas und ganz großes Kino 96/100.

Fürchterlich danach ein nicht trinkbarer 1926 Beaune Grèves. Schade, es soll bessere Flaschen davon geben. Da machte der sehr feine, aromatische und im Abgang sehr lange 1969 Clos Vougeot von Jean Grivot schon deutlich mehr Spass 93/100.

Gewaltig war das Programm, das trotz später Stunde noch vor uns lag. Oliver Speh, der sich wieder als famoser Sommelier betätigte, machte mächtig Dampf. Aber einige der folgenden Granaten bekamen dann leider weder die nötige Zeit in der Karaffe noch die verdiente Aufmerksamkeit am Gaumen. In Dreierflights kämpften wir uns jetzt durch den Bordelaiser Hochadel. Sehr fein, elegant und finessig mit schöner Süße die 1953 Pichon Comtesse de Lalande in einer Nicolas-Händlerabfüllung, die aber nicht an das Niveau der grandiosen Chateauabfüllung heranreicht 92/100. Nicht nur ein feiner, eleganter, auch ein riesengroßer Wein könnte 1949 Haut Brion sein, wenn da diese flüchtige Säure nicht wäre. Da hilft auch die generöse, leicht malzige Süße dieses reifen Weines nicht 93/100. Übrigens kein Einzelschicksal dieser Flasche, bisher habe ich alle 49er Haut Brions so erlebt. Da war der 1959 Haut Brion schon ein ganz anderes Kaliber. Der hätte deutlich mehr Zeit in der Karaffe und in unseren Gläsern verdient gehabt. So wirkte er mit seiner dichten, fast altersfreien Farbe noch zu jung und ging als 80er durch. Ein gewaltiger, kraftvoller Wein mit sehr hohem, aromatischen Druck, die zu Anfang verhaltene Nase entwickelte immer mehr die klassischen Cigarbox-Aromen und am Gaumen kam zunehmend süßer Schmelz. Hatte sicher wieder das Zeug zur 100/100 Legende, wie ich ihn schon häufig erlebt habe, aber wir schalteten in diesem Falle zu früh auf den anderen Sender um 97/100.

Ein ähnliches Problem wie beim 59er Haut Brion hatten wir danach auch bei 1947 Conseillante Vandermeulen. Auch dieser Legende fehlten 2-3 Stunden in der Karaffe, die dieser Riese einfach braucht. Ein überragender Wein mit sehr dichter, deutlich jünger wirkender Farbe, mit Kraft ohne Ende und ungeheurem Druck am Gaumen. Wurde im Glas von Schluck zu Schluck immer besser, nur war leider bei 98/100 mein Glas leer. Etwas weiter und reifer war 1947 Margaux Vandermeulen. Das war Margaux pur, so unendlich elegant und trotz aller Kraft so fein und finessig, mit viel Schmelz, generöser Süße 97/100. Dritter im Bunde sollte ein 1945 Mouton d Armailhacq sein, aber der war einfach kaputt, pilzig käsig untrinkbar. Damit passte er zum ebenfalls vorgesehenen 1947 Mouton d Armailhacq, der wegen eines ganz üblen Korks überhaupt nicht erst in die Gläser kam.

Und dann kam der Flight des Abends. 1916 La Conseillante wirkte in Textur und Stilistik eindeutig wie ein Wein aus der Vor-Phyloxera-Zeit. So fein, so elegant mit unendlicher Länge, mit sehr reintöniger, schmelziger Frucht, Himbeere und Erdbeere, einfach ein zeitloser, perfekter Traumwein 100/100. Perfektion auch bei 1949 La Mission Haut Brion. Wirkte immer noch so jung und kraftvoll mit der unnachahmlichen Cigarbox-Aromatik, am Gaumen unglaublich druckvoll, aber auch mit feinem süßen Schmelz und irrer Länge. Besser geht Bordeaux nicht, La Mission schon überhaupt nicht, ein Wein zum Niederknien 100/100. Seit 11 Jahren hatte ich jetzt auf die Wiederholung dieses einmaligen Weinerlebnisses gewartet, dass ich in dieser Form schon mal 1999 im Valentino in Santa Monica hatte. Und wo sortieren wir bei diesem Feuerwerk jetzt den 1916 La Mission Haut Brion ein? Der wirkte noch so jung und dicht, fast jünger als 49 und war diesem in Stilistik und Aromatik nicht nur sehr ähnlich, sondern bis auf kleine Nuancen auch gleichwertig 99/100. Wieder so ein atemberaubender Wein aus dem spannenden Jahrgang 1916, der extrem langsam reifende, tanninlastige und dafür um so langlebigere, große Wein hervorbrachte.

Zwei Flaschen warteten im Keller noch auf ihren Einsatz. 1945 Croix de Gay war ein hedonistischer Traum-Pomerol, ein perfekter Spaßwein mit Süße, Fülle und schokoladigem Schmelz. Aber auch noch beachtlichem Standvermögen, da ist keine Eile geboten 95/100. Einen eindrücklichen Schlusspunkt hätte der noch sehr junge, ungemein kraftvolle 1955 Figeac mit seiner dichten Farbe setzen können. Doch der war leider korkig und gab so das Zeichen zum längst fälligen Aufbruch. Und natürlich habe ich die Zielkoordinaten des Figeac wie so manch anderen Weines in mein Suchradar eingeben.

Perfekt verwöhnt wurden wir an diesem Ausnahme-Abend natürlich wieder von der Schorn schen Küche, in der Marcel inzwischen Franz Josefs große Schuhe voll ausfüllt. Und was macht Franz Josef Schorn, der an diesem Abend übrigens wie so häufig mitkochte? In Frührente? Nur noch das Leben genießen, was er ja auch als Gastronom schon in vollen Zügen getan hat? Nein, Franz Josef baut sich jetzt gerade eine zweite Existenz als Weinhändler, Wein-Eventler und Privatkoch auf. Viele meiner Freunde haben sich in letzter Zeit schon zu hochwertigen Proben von Franz Josef Schorn zuhause verwöhnen lassen. Und wenn Sie zum runden Geburtstag mit 50 guten Freunden per Bus die Ahr oder den Kaiserstuhl unsicher machen wollen, dann macht er auch das möglich. Schließlich ist diese Fleisch gewordene Lebenslust in allen deutschen Weingebieten bestens zuhause. Einfach den guten Franz Josef Schorn mal unter 0171-2755903 anrufen.