Unsere erste 2005er Best Bottle

Wenn 2005 so weitergeht, könnte es ein tolles Weinjahr werden. Zu Acht hatten wir uns Mitte Januar im Düsseldorfer Restaurant Schorn zu unserer ersten diesjährigen Best Bottle versammelt.
Schon der Einstieg war perfekt. Eine 1971 Schlumberger Gewürztraminer Cuvée Christine erwies sich als perfekter Aperitif, der Lust auf mehr macht. Reife, güldene Farbe, in der Nase feine Würze, am Gaumen dezente Süße, feiner, würziger Bitterton, langer Abgang, sicher in der Liga einer hochwertigen BA und in dieser Form noch gut 10+15 Jahre haltbar - 94/100.
Schade, dass ich kein Geologe bin. Bei der unerhörten Mineralität des 2000 F. X. Pichler Grüner Veltliner Smaragd Kellerberg wären sonst sicher ein paar Aussagen über den geologischen Aufbau dieser Wachauer Spitzenlage möglich. In der Nase weißer Pfeffer, etwas Ananas, am Gaumen unbändige Kraft und Länge. Ein muskulöser, fleischiger Traumwein mit guter, reifer Säure, derzeit noch in der Wachauer Frühform und erste Reife vorgaukelnd 96/100. Sicher ein Wein mit enormem Alterungspotential.
Der 1921 Chambolle Musigny von Bourdillat aus dem Keller des Vieux Restaurant Weber in Paris hatte eine reife, bräunliche Farbe, in der Nase zunächst dier (über-)reife Frucht eines älteren Rioja, später kommen leichte Jod-Töne dazu, am Gaumen perfekt balanciert und kein Alter, zeitlos schöner, eleganter Burgunder, erst nach längerer Zeit im Glas kam am Gaumen vermehrt Säure dazu, so ein Wein darf halt nicht ewig offen bleiben. Als "Analysegerät" würde ich einem solchen Wein 94/100 geben, als Weinliebhaber kann ich ihn nur als ein unwiederbringbares, großes Erlebnis bezeichnen, das man mit Punkten nur beleidigen kann.

Erheblich langlebiger als gedacht ist bei entsprechender Lagerung Pichon Comtesse. "Austrinken" stand da schon im letzten Gabriel bei diversen wunderbaren Comtesse Jahrgängen und natürlich steht das auch wieder in der neuen Ausgabe. Da kann ich nur zufrieden schmunzeln, denn so bleiben wenigstens die Preise unten. Die 1983 Pichon Comtesse zeigte in unserer Probe keinerlei Alter und hat in dieser Form sicher noch Potential für 10+ Jahre. Man riecht und schmeckt den reifen Merlot, ein ungemein charmanter, schmeichlerischer Wein. Sicher habe ich davon in den letzten 15 Jahren gut drei Dutzend Flaschen getrunken. Durch seine enorme Zugänglichkeit schien er schon vor 12 Jahren reif und auf dem Höhepunkt zu sein. Da ist er heute noch und sicher noch eine ganze Weile 95/100.
Gleich zweimal hatten wir an diesem Abend die 1982 Pichon Comtesse de Lalande, und das war gut so. Leider hat die Comtesse in den 80ern ein kleines, übles Geheimnis. Bei diversen Jahrgängen, mindestens 82, 83 und 85 gibt es unterschiedliche Flaschen, die man am Etikett unterschieden kann. Die mit einer Jahreszahl in dünner, schlanker Schrift sind deutlich schlechter als die normalen. Ich habe zu dieser, unter Insidern bestens bekannten Tatsache einmal bei einer Probe von der Inhaberin des Chateaus, Madame Lencquesaing, Auskunft begehrt, und bin von ihr auf das übelste beschimpft worden. Seitdem kann ich auf diese "Dame" bestens verzichten. Die 82er Comtesse mit der dünnen Schrift hatte eine dichte, junge Farbe, war erstaunlich kräftig und wirkte sehr Cabernet-betont. Dezente Süße, eher etwas rustikal wirkend 93/100. Da war die "richtige" 82er Comtesse, die mit der Jahreszahl in normaler Schrift, um Kängen besser. Das war die Comtesse, wie ich sie liebe, ein hedonistischer, üppiger Weintraum, den man so man hat aus dieser Variante sicher noch etliche Jahre weiterträumen kann 99/100.
Sehr enttäuscht war ich nächsten Flight von 1984 Heitz Martha s Vineyard. Wie der problematische 85er dieses Weingutes mit der leicht korkig wirkenden Nase, Klebstofftöne. Der Fehlton des 85ers ohne dessen Dichte, mehr als die Jahreszahl - 84/100 kann man für so was nicht geben. Da wirkte der im Vergleich getrunkene 1984 Clos du Bois Marlstone Vineyard um Klassen besser. Füllig, Trüffeltöne, sehr gefällig, Bordeaux-Stylistik, ein reifer, runder Wein ohne Ecken und Kanten 94/100.
Wie gut Heitz sein kann, zeigte dann der überragende 1970 Heitz Martha s Vineyard, so dicht, so jung, so kräftig, ein noch ganz junges Riesenteil, das in dieser Form sicher noch 20+ Jahre lebt, in der Nase feine Minze, etwas Eukalyptus, am Gaumen sehr kompakt und muskulös - 98/100. Dagegen hatte es der hochgelobte 1970 Mayacamas Cabernet Sauvignon richtig schwer. Sicher ein großer Wein, der aber von 70 Heitz schier erdrückt wurde, weicher, gefälliger, zugänglicher mit mehr Schmelz und schöner Minznase, kam aber von der Kraft her mit Heitz nicht mit - 95/100. Eine sehr dichte, kräftige Farbe, die ihn deutlich jünger erscheinen ließ, hatte der ebenfalls blind dazugestellte 1945 Côte Rotie Vidal-Fleurie. Intensive Karamell-Nase, auch am Gaumen feine Süße und tolle Länge, perfekt gereifter Rhone-Wein, der sich als Pirat im 70er Kalifornien-Flight als eine Art älterer Bruder sehr achtbar schlug - 95/100.
Weiter ging es mit einer ganzen Palette großer Bordeaux aus den 80er Jahren. Meine Notizen wurden in dieser Phase dann auch zunehmend kürzer, denn wir hatten uns ein ganz schön strammes Programm verordnet.
Erstaunt war ich über die positive Entwicklung des 1986 Beychevelle, einen Wein, den ich wohl bisher deutlich unterschätzt habe. Ein immer noch sehr junger, kräftiger, fleischiger Wein, der sich zunehmend öffnet. So gut wie an diesem Abend habe ich diesen Beychevelle noch nie erlebt 94/100. Immer noch deutlich mehr Potential als Trinkgenuß bietet 1986 Mouton Rothschild. Kraft ohne Ende und eine sehr dichte Farbe. Potentiell sicher ein 100-Punkte-Wein. Vom heutigen Trinkgenuß her sind da aber bei größtem Wohlwollen max. 96/100 drin. Besitzer warmer Keller können da sicher in 3-5 Jahren drangehen. Wer einen kühlen Keller besitzt, sollte dringend auf seine Gesundheit achten, damit er den Zenit dieses Weines noch erlebt. Ich habe 86 Mouton sehr häufig in seiner kurzen Fruchtphase 1989 und 90 erleben dürfen. Hier ist etwas ganz Großes am Werden.
Höchst erstaunt war ich über 1990 Montrose. Erst im letzten Sommer hatte ich auf Sylt eine völlig zugenagelte, ungeneröse Magnum getrunken. Das absolute Gegenteil dazu diese 1tel, unglaublich offener, geiler Saft, Veilchenlakritz ohne Ende, feine, korinthige Süße, Rumtopf, in dieser Form kann ich die hohen Literatur-Bewertungen dieses Weines voll nachvollziehen 98/100. Trotzdem setzte da 1989 La Mission Haut Brion locker noch mal eins drauf. Dieser riesengroße La Mission, der sich sicher mit den größten Jahren dieses Chateaus messen kann, hat sich eigentlich nie richtig verschlossen und trinkt sich seit Anfang der 90er auf Jahrhundertweinniveau, sensationelle Nase, am Gaumen noch viel Kraft. Wie gut wird der erst, wenn er richtig reif ist? 99/100.

Da konnte natürlich ein eingeschobener 1955 Pavie nicht mit. Da war ein gut gereifter Bordeaux mit zuviel Säure, der allerdings die Klasse älterer Pavies vermissen ließ 88/100. Ein Reinfall war dann eine undefinierbare holländische Händlerabfüllung 1945 La Conseillante. Dünne Farbe, ein praktisch ungenießbares, säuerliches Wässerchen. Insider raten ja von älteren, holländischen Abfüllungen ab. Wo Holland draufstehe, sei meist auch Holland drin. Zumindest hier war es so.
Überragend wieder 1990 Pichon Baron de Longueville. Geile offene Frucht, ginge mit seiner üppigen, exotischen Aromatik locker auch als ganz großer Kalifornier durch 95/100. Ein ganz großer Bordeaux-Klassiker dann 1986 Talbot. Erinnert in der Stylistik an 86 Gruaud Larose, wirkt aber etwas offener, reifer, harmonischer 95/100.
Selbst ermüdete Gaumen konnten sich dann nicht dem Charme und der Finesse des 1945 Haut Bailly entziehen. Klassische Pessac-Nase, feine Süße, irre Länge am Gaumen, toller Wein, das können Haut Brion und La Mission auch nicht besser - 98/100.
Zum Abschluss dieser doch verdammt heftigen Probe gab es dann noch mal einen Süßwein, einen 1983 Rieussec. Von der Farbe schon fast ein Rosé, wunderbar am Gaumen mit schöner Süße und gut balancierender Säure, aber so tief in der Nacht eigentlich eine Affenschande.