"Very" best Bottle

Die Ansage meines Freundes Bernd war deutlich: Wir machen eine Very Best Bottle. Jeder von Euch bringt eine absolute Top-Flasche mit. Ich stelle dagegen.

Die ersten drei weißen Weine kamen vom Hausherrn.
Fülle, Rasse und Klasse zeigte der 2000 Riesling Unendlich von F.X. Pichler, ein Kraftbolzen mit hohem Alkohol, aber auch guter Säure, etwas breit und ausladend, komplex, sehr lang im Abgang 95/100. Im direkten Vergleich wirkte der deutlich schlankere 2002 Idig GG von Christmann zunächst beinahe schmächtig, punktete dann aber mit Mineralität, Spannung, glockenklarer Frucht. Baute enorm im Glas aus, das allerdings zu schnell leer war, um mehr als 94/100 zu zeigen. Im besten Sinne fröhlich war der sehr jugendliche 2008 Bockenauer Felseneck GG von Schäfer-Fröhlich mit knackiger Primärfrucht, immer noch leichtem Sponti-Stinker und intensiver Säure, wurde mit der Zeit etwas cremiger in der Textur, erst ganz am Anfang 94/100. Ein gutes Beispiel dafür, wie groß und spannungsgeladen die besten 2008er sein können.

Erstaunlich dann, was wir als rote Weine erlebten. Hohe Parker-Punkte, viel Kalifornien, KEIN einziger Premier Cru aus Bordeaux. Da werden wir uns wohl dran gewöhnen müssen. Die neuen Premiers sind zu teuer. Die gut gereiften Älteren sind auf dem Wege nach China. Mit Lafite ging das alles los. Jetzt sind Mouton und Latour dran. Ist schon erstaunlich, in welchem Tempo da auch einige meiner Weinfreunde Kisten packen. Wusste gar nicht, dass die so bedürftig sind. Würden die auch ihre Frau verkaufen und gegen etwas Preiswerteres eintauschen, wenn ein Chinese genug bietet? Andersrum haben wir auch ohne den Bordelaiser Hochadel auf sehr hohem Niveau getrunken. Was wiederum heißt, dass Weinspaß auf hohem Niveau sicher nicht billig ist, aber längst nicht so teuer, wie Lafite, Mouton Latour & Co das neuerdings gerne hätten. Und das ist doch wiederum eine sehr gute Nachricht.

Im ersten Rotwein-Flight zweimal Kalifornien. Mal wieder sehr enttäuschend 1997 Harlan. Der einstige Superstar schwächelt auf hohem Niveau weiter, wirkt überreif, balsamisch, in der Nase immer mehr Klebstoff, am Gaumen süß, üppig und etwas breit 94/100. Ob der noch mal die Kurve kriegt? Traumstoff dagegen im anderen Glas 1997 Shafer Hillside Select, Traumnase mit wunderbarer, reifer Kirschfrucht, am Gaumen mit generöser Süße, aber nicht so üppig wie letzten Herbst auf der großen Hillside-Probe, erstaunlich schlank mit perfekter Statur, lässt für die Zukunft hoffen 97/100.

Absolute Premier Grand Cru Qualität hatte der nächste Wein, allerdings nur aus einer der beiden Flaschen. Da hatten wohl zwei Weinfreunde die gleiche, sehr wohlmeinende Idee. Nur das der 2000 Tertre Roteboeuf aus der ersten Flasche völlig zugenagelt und bissig war. So habe ich diesen Wein noch nie erlebt. Da war wohl ein massiver, schleichender Kork mit im Spiel. In der anderen Variante sprang er förmlich aus dem Glas, Traumstoff mit explosiver Aromatik, süchtig machender Nase und ewiger Länge. Wein geht nur anders, aber kaum besser 99/100 mit den 100/100 wieder in Sicht(die ich vier Tage vorher in der Schweiz im Glas hatte). Ich sollte es vielleicht nicht schreiben, weil ich selbst suche und nachkaufen möchte. Aber dieser Tertre Roteboeuf ist jede Suche wert. Wer seine Premiers verkauft, um den zu kaufen, hat mein volles Verständnis. Nach China wird es dieser Wein wohl ohnehin nie schaffen, mit drei "R" im Namen .

Total überrascht war im vom nächsten Wein, den ich noch nie auch nur ansatzweise so gut im Glas hatte. Ein mal habe ich diesem 2000 Conseillante im letzten Frühjahr aus eigenen Beständen und einer verschlossen wirkenden Flasche mal gerade 88+/100 gegeben, einmal kurz darauf aus Bernds OHK, aus der auch diese Flasche hier stammt, 94+/100. Und das jetzt hier war der Overkill. So offen, so dekadent lecker, süße Frucht, massig schmelzige Bitterschokolade, frisch aufgebrühter Kaffee, dabei nicht überladen, frisch mit wunderbarer Struktur und seidiger Textur, einfach sexy 98/100. Überhaupt dieser Jahrgang 2000, erst in den Himmel gelobt, dann wieder runtergeschrieben, und jetzt auf dem Wege zum Superstar. Vielleicht der letzte Bordeaux-Jahrgang in klassischer Stilistik, extrem hohe Qualität ohne extrem hohen Alkohol. Ich kaufe nach.

Neidisch wurde ich neulich, als ich im Internet ein Foto sah, auf dem mein Freund René Gabriel mit anderen Journalisten, von denen einer das Foto ins Netz gestellt hatte, vor einer Batterie älterer l Eglise Clinets saß. Und als ich dann noch zum 1955 l Eglise Clinet Renés Beschreibung geschickt bekam "Das war dann die Legende schlechthin: Eine unglaubliche Farbe mit viel schwarzen Reflexen. Im der Nase Pflaumen, Birnel, geröstete Himbeerkerne, dramatische Tiefe anzeigend und daraus Trüffel, Caramel und irgendwie auch Vanillemark schöpfend. Im Gaumen die mundfüllende, üppige und gleichzeitig im Fleisch sehr feste Pomerol-Droge. Das Extrakt reicht für einen minutenlangen Nachklang. Absolut intakt, zeitlos. Die Welt steht still! So viele grossartige Weine durfte ich in meinem Leben schon trinken und hätte mir nicht zu erhoffen gewagt, dass da noch einer, den ich so noch nie erlebt hatte, dazu kommen könnte 20/20" da stand für mich fest, wie ich selbst Bernds Ansage umsetzen würde. In meinem Keller lag seit 15 Jahren eine absolut perfekte Flasche 1955 l Eglise Clinet. Die war jetzt dran. Das war wirklich ein einmaliges Erlebnis. So eine dichte, voll intakte Farbe, so eine immer noch recht junge Anmutung. In den 80er Jahren war man am Tisch und nicht nur einmal fiel der Name Petrus. Herrliche, präzise, süße Frucht, reife Himbeere, so komplett, so lang, so rund und perfekt balanciert, einfach nur schön und sehr erotisch. Keiner dieser modernen Hämmer, eher mit der Leichtigkeit des Seins, wie man sie in Weiß bei Haag oder JJ Prüm findet, ein einmaliges Weinerlebnis, das sicher seinen Weg in meine Top 100 finden wird 100/100. Danke René für die lange Nase, die Du mir aus der Ferne gemacht hast.

Deutlich jünger wurde es danach nur vom Jahrgang her. Der 1994 Shafer Hillside Select war deutlich reifer, als ich ihn kenne, was ihm aber nicht unbedingt schadete. Nur die Farbe zeigte noch Jugend, sonst war er so weich, so weit, so reif, eine süße Orgie in Minze und Eukalyptus, viel Schmelz und wunderbare Länge am Gaumen 98/100. Sehr weich und geschmeidig auch der 1990 Phelps Insignia mit herrlicher Frucht und schöner Süße, besaß aber auch noch eine erstaunliche Säure und eine gute Statur 95/100. In der Toskana war ich blind beim nächsten Wein, einem 1990 Barolo Sperss von Gaja. Der hatte überhaupt nichts vom kernigen eines Barolo und wirkte erstaunlich weichgespült und generös 94/100.

Zweimal La Landonne von Guigal bekamen wir jetzt ins Glas, den langlebigsten, rustikalsten der drei legendären LaLas. 1997 La Landonne zeigte die typische Aromatik jüngerer La Landonnes, animalisch, zupackend, ein dickes, blutiges Steak vom Holzkohlengrill, rostiges Eisengeländer, erdige Terroirnoten, Trüffel, Unterholz, aber auch eine erstaunliche Süße und Zugänglichkeit 96/100. In der Aromatik ähnlich, nur in Farbe und Anmutung deutlich reifer der 1982 La Landonne, zwar auch noch sehr dicht mit dunkler Frucht, aber auch weich, reif mit feinem, süßem Schmelz 96/100.

Zwei große Spanier waren noch angesagt aus dem für mich bisher besten Jahrgang des aktuellen Jahrtausends. Hedonismus pur 2001 Pingus, schokoladig, üppig, rauchig, kräuterig mit süßer Frucht und geradezu explosiver Aromatik, aber auch immer noch gewaltigen Tanninen, wird sich über längere Zeit weiterentwickeln 97/100. Wer wissen will, wie so etwas schmeckt, greift zu 2004 Flor de Pingus. Der bietet für deutlich weniger Geld auf Augenhöhe mindestens gleichen Genuss. Im anderen Glas der noch recht jugendliche 2001 Clos Mogador, auch der mit süßer Frucht, aber auch rauchig, sehr mineralisch, viel Kraft und dabei gleichzeitig erstaunlicher Finesse, könnte langfristig der größere, spannendere wein werden 96/100.

Wir näherten uns Mitternacht und damit einem Event, den der Bernd so schamhaft bei seiner Einladung verschwiegen hatte, seinem Geburtstag. Da gab es nur eins. Schnell ein Taxi ordern, ab nach Hause, in ein ganz spezielles Fach des Weinkühlschranks greifen und mit einem 1949 Domaine de l Eglise wiederkommen. Der zeigte nicht nur die Fülle des Geburtstagkindes, sondern auch seinen Charme und seine Großzügigkeit, ein perfekt gereifter, schokoladiger, süßer, schmelziger Pomerol mit genügend Rückrat, um wieder gute Bernd noch lange Jahre Freude zu bereiten 95/100. (wt 04/2011)