Spannende Pärchen

Kann 1990 Les Forts mit 1990 Latour mithalten? Ist Aiguilhe im Vergleich mit Pichon Baron der bessere 2000er? Merkt man die drei Jahrzehnte Unterschied zwischen 1925 YGAY und 1952 Murrietta Gran Reserva? Nicht nur darauf gab eine klug zusammengestellte Probe überraschende Antworten.

Heute trinken wir erst mal Sachen, die es bei mir sonst nicht gibt, meinte der gute Bernd zu Beginn seiner Probe. Normal starten wir bei ihm immer mit großen, deutschen Gewächsen, von denen er reichlich im Keller hat. Beim ersten Glas waren wir uns schnell einig, dass es sich wohl um einen Chardonnay handelte. Nur nach Kalifornien hätten wir ihn nicht gesteckt. Der 2008 Hyde Vineyard Chardonnay von Hyde & de Villaine aus Carneros im Napa Valley war so erstaunlich schlank und elegant mit knackiger Säure, hoher Mineralität und Zitrusfrüchten, ohne spürbares Holz und die heftigen 14,5% unmerklich verpackt 88/100. Heftig, kräftig, deutlich restsüß mit viel Petrol und etwas ungelenk danach ein noch viel zu junger 2005 Riesling Brand Grand Cru von Zind Humbrecht. Blind hatte ich auf eine Vendange Tardive getippt, die es aber nicht war. Allerdings dürfte der Restzucker dieses Weinbabys nicht unbeträchtlich gewesen sein. Ich würde diesen Wein in die hinterste Ecke des Kellers stopfen. In 10 Jahren ist das mal ein Riese, der sich deutlich harmonischer und ausgeglichener präsentiert als heute 87+/100. Der schönste der drei Weißweine war 2006 Beaucastel Blanc, füllig, cremig, würzig, sehr erdig, spürbares Holz, geröstete Haselnüsse, exotische Früchte, viel Kraft und Länge am Gaumen 91/100. Baute enorm im Glas aus und schrie nach kräftigen, gut gewürzten Speisen, die er perfekt begleitet hätte. Rechtzeitig dekantiert aus großen Burgundergläsern und nicht zu kalt kommen da noch ein paar Punkte mehr ins Glas.

Ein Paukenschlag gleich das erste, rote Pärchen. In bestechender Form zeigte sich 1990 Conseillante, Süße, Finesse, schokoladiger Schmelz, burgundische Eleganz, Traumstoff mit hohem Suchtpotential, zum jetzt beidhändig trinken, aber nicht, ohne vorher und zwischendrin die faszinierende Nase genossen zu haben 97/100. Mehr Kraft, mehr Dichte, mehr Spannung zeigte 1989 Conseillante, der auf Dauer sicher das größere Potential und die längere Lebensdauer hat, aus dieser Flasche aber etwas verschlossen wirkte 95+/100. Den 89er hatte ich schon mit bis zu 98/100 im Glas. Wie viele andere 89er auch scheint er derzeit aber je nach Lagerung durch eine etwas verschlossene Phase zu gehen. Der 90er hatte dieses Tal vor ein paar Jahren, dürfte jetzt aber für längere Zeit auf diesem Niveau bleiben.

Beim nächsten Flight war ich mir sicher. Im linken Glas war ein großer, reiferer Kalifornier, im rechten Glas ein großer Pauillac. Der "große Kalifornier" war 1990 Latour, der sich so offen, so exotisch, so minzig und einfach dekadent lecker präsentierte, aber derzeit nicht mit der Dichte und Dramatik eines großen Latour, was sich aber wohl mit den Jahren geben wird 96/100. Der "Pauillac" im anderen Glas war fast auf Augenhöhe 1990 Les Forts de Latour, ein kräftiger, klassischer, großer Wein, ledrig mit guter Frucht und großartiger Struktur, trüffelig und mit der Walnussnote von Latour 95/100. Preislich ist der Les Forts klar die beste Wahl. Er wirkt jetzt so gut wie nie zuvor und auf dem Punkt, wo er allerdings noch länger bleiben dürfte.

Zweimal Pinot bekamen wir danach ins Glas. Suchtstoff pur der faszinierende 2005 H von Hermann aus der Bündner Herrschaft, ein herrlich zu trinkender Wein mit feiner Pinot-Süße, toller Struktur und elegantem Schmelz ohne Ende 95/100. Leider gibt es viel zu wenig von diesem Elixier. Bei Schweizbesuchen lohnt es deshalb unbedingt, in der Topgastronomie danach Ausschau zu halten. Und wenn Sie ihn nicht finden, war ich vorher da. Viel Holz, viel Vanille, viel Süße zeigte im anderen Glas der 2005 Pinot Noir von Friedrich Becker, der aber im direkten Vergleich sehr offensichtlich und auch etwas unfertig wirkte. Hat aber gutes Rückrat und sicher Potential, entwickelte sich im Glas, sollte das aber lieber noch ein paar Jahre im Keller tun 93+/100.

Trotz heller, voll intakter Farbe noch recht jung wirkte der 1952 Marques de Murrieta Gran Reserva, ein pikanter Wein mit schöner Frucht, hoher Säure, feiner Süße und sicher guter Lebenserwartung - 92/100. Merkte man beim 1925 Castillo YGAY auch nur ansatzweise die über 90 Jahre? Keine Spur, ein gewaltiger, großartiger Weltklassewein, sehr dichte, dunkle Farbe, karamellige Süße, Kaffee, Fülle, Kraft und unglaubliche Länge, gute Säure, Potential für sicher noch zwei Jahrzehnte 98/100.

Sehr spannend auch der nächste Vergleich. 2000 d Aiguilhe ging blind als großer Pauillac durch, unglaublich, wie sich dieser Wein entwickelt hat und welches Potential er noch besitzt, superdicht die Farbe, präzise und süß die reife Frucht, immer noch jugendlich die Röstaromatik, Kraft und Länge ohne Ende, der beste Wein, der auf diesem, von Stefan Graf Neipperg wiederbelebten Gut erzeugt wurde 95/100. Jede Suche und jede Sünde wert. Ich erinnere mich noch gut an René Gabriels große Lynch Bages Probe in Warendorf. Da wateten wir am ersten Abend knietief durch die schlechteren Jahre dieses Gutes. Ich hatte mir dazu unter den Tisch eine Doppelmagnum 2000 Aiguilhe aus der Karte des Hauses gestellt. Das war nicht nur der Wein des Abends. Ich habe auch noch nie so schnell so viele neue Freunde gewonnen. 2000 Pichon Baron hatte zu Anfang keinerlei Chance gegen den Aiguilhe. Er wirkte sehr süße, sehr offen, weich, füllig und kam mit der großartigen Struktur des Aiguilhe nicht mit. Mit der Zeit baute er im Glas enorm aus, wurde länger, voller, kräftiger und zeigte, dass er schon langfristig der größere Wein mit einem Potential für 97+/100 ist. Da man aber Potential nur erahnen, nicht aber trinken kann, würde ich derzeit und in den nächsten Jahren den dazu noch deutlich preiswerteren Aiguilhe immer vorziehen.

Die nötige Bettschwere holten wir uns mit dem letzten Flight des Abends. Dabei wirkte 1997 Penfolds Grange erstaunlich zurückhaltend und scheint sich wieder verschlossen zu haben. Derzeit ein kleiner, feiner, fast etwas schüchtern wirkender Grange 93/100. Eine Wuchtbrumme dagegen 1998 Penfolds Grange, ein irres Teil mit unglaublicher, explosiver Aromatik sowohl in der Nase als auch am Gaumen, offen sexy, süß und auch sehr sättigend. Da brauchte der gute Bernd kein Dessert mehr zu servieren, das hatten wir hier im Glas 96/100. Bleibt abzuwarten, ob dieses Monster mit den Jahren und Jahrzehnten die Komplexität großer Grange entwickelt. Ich habe da so meine Zweifel.