Weinreise durch 5 Jahrzehnte

Eines ist bei großen Weinen inzwischen sicher: die Preise sind hoch und steigen derzeit ungebremst weiter. Das wäre ja vielleicht noch zu verschmerzen, wenn diese Weine immer gut wären. Doch leider ist das längst nicht so. Zu einer feinen Verkostung hatten uns zwei ambitionierte, junge Weinfreunde ins Restaurant Schorn eingeladen. Das war schon sehr erstaunlich, was die beiden da zusammengetragen hatten. Umso ärgerlicher, wenn es dann in einer solchen, mit viel Herzblut vorbereiteten Probe neben Licht auch viel Schatten gibt.

Als Begrüßungsschluck bekamen wir eine 2003 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Auslese Goldkapsel #9 von Fritz Haag. Ich bin bekennender Haag-Fan, aber mit diesem Wein kam ich, wie übrigens auch die anderen Teilnehmer, nicht klar. Der wirkte etwas breit und korplent, wenig Säure, sehr traubig, fast limonadig, da fehlte einfach die klassische Haag sche Spannung und Finesse 86/100.
Im ersten Flight des Abends schlug dann gleich bei einem 2004 Uhlen von Heymann Löwenstein der Korkteufel zu. Schade, der Vergleich zum 2004 Norheimer Dellchen Spätlese von Dönnhoff wäre sicher sehr reizvoll gewesen. Das Dellchen war sehr fein und einfach lecker, offen, deutlich zugänglicher als derzeit die Hermannshöhle des gleichen Erzeugers, mit sehr guter, reintöniger Frucht, prägnantem Schieferton und guter Säure 93/100.
Schon etwas gezehrt wirkte im ersten Rotweinflight die 1979 Pichon Comtesse de Lalande. Die Farbe zeigte noch wenig Reifetöne, doch es war die nur noch ansatzweise vorhandene Frucht, die zeigte, das der Wein seinen Zenit wohl deutlich überschritten hatte. Paprikanase, rauchige Barriquenoten, immer noch gutes Tannin- und Säuregerüst. Dadurch wird die einstmals so faszinierende Comtesse auf niedrigerem Niveau sicherlich noch etliche Jahre trinkbar bleiben 88/100. Auf dem Trinkhöhepunkt dagegen 1979 Gruaud Larose, einer meiner persönlichen Lieblingsweine und in 79 immer noch ein sicherer Kauf. Feine Zedernholznoten, Trüffelnase, schwarze Johannisbeere, weiche, reife Tannine, durch die der Gruaud sehr rund und fast etwas mollig wirkte 94/100.
Völlig daneben leider ein 1928 Paternina Gran Reserva, sonst eigentlich ein sensationell guter Wein. Trübe, hellere Farbe mit deutlichen Brauntönen, oxidative Nase, aber auch etwas malzige Süße, karamellig, aber nur ein Schatten seiner selbst. Aus Spanien stammte die Flasche. Wahrscheinlich hatte sie dort in irgendeiner Bodega bei "Raumtemperatur", die ja in den Sommermonaten schon mal bei 30 Grad und mehr liegen kann, etliche Jahre in einem Regal verbracht. Ein ähnlich unterirdisches Erlebnis hatten wir schon einmal vor Jahren mit einem 1917 YGAY von Marques de Murrietta, der auch diese Symptome zeigte. Deutlich besser die im Vergleich getrunkene 1922 Martinez Lacuesta Reserva Especial. Sehr schöne Farbe, zwar mit Brauntönen, aber immer noch klar. Kaffee ohne Ende, feine Süße, gute stützende Säure, ein traumhaft gereifter, klassischer Rioja, der es in dieser Form sicher noch 10+ Jahre macht 95/100.
Sicher nicht die beste Flasche war ein 1983 Mouton Rothschild. Begann mit einer massiven Liebstöckelnase, wurde dann mit der Zeit im Glas deutlich besser, entwickelte sich und zeigte die Mouton-typischen Beistift- und Ledernoten 91/100. In guten Flaschen sind bei diesem Wein auch noch 2-3 Punkte mehr drin. Gerade bei Mouton empfiehlt es sich, sehr darauf zu achten, woher die Flasche kommt und der wievielte Besitzer man ist. Als Trophäen-Weine werden die Moutons wenig getrunken, viel ausgestellt und rumgezeigt und gerne weiterverkauft. Ebay und die Auktionskataloge sind voll davon. Ganz groß wieder 1983 La Mission Haut Brion. Bei diesem Wein habe ich das Gefühl, das er immer noch zulegt. Trotz scheinbarer Reife und der Zugänglichkeit hat dieser schon traumhaft zu trinkende, klassische La Mission genügend Rückrat für noch ein langes Leben 96/100.
Und dann kam der schiere, jugendliche Wahnsinn auf den Tisch, 2001 Shafer Hillside Select gegen 2001 Aalto PS. Shafer wieder der große Finessen- und Schmelzmeister mit irrer Frucht, aber auch fantastischer Eleganz, die Eisenfaust im Samthandschuh, der Margaux aus Napa 99/100. Völlig anders, aber auf Augenhöhe der Aalto PS. Undurchdringliches Schwarzpurpur, ein mächtiges Geschoß mit unglaublicher Präzision, wie aus Stein gemeißelt. Konzentrierte, süße Frucht, unerhörte Mineralität, gutes Säuregerüst 98/100. Beide Weine können nicht besser, nur anders werden.
Noch jünger wurde es dann auf allerdings deutlich niedrigerem Niveau im nächsten Flight. Mit 2003 Montrose hatte ich schon im Frühjahr meine Probleme. Damals stand dieser Wein völlig neben den Schuhen. Diesmal begann er mit einem deutlichen Fehlton, der mit der Zeit etwas wegging, aber nie ganz verschwand. Massive, etwas staubige Tannine, wenig Frucht, wirkte verschlossen und unzugänglich. Ich bin gespannt, wann ich bei diesem Wein, von dem ich selbst reichlich im Keller habe, mal die 97 Parkerpunkte ins Glas bekomme und ob überhaupt jemals. Den 90er Montrose zum Beispiel habe ich nur einmal richtig groß getrunken, 2000 auf einer 89/90 Bordeaux-Vergleichsprobe, und seitdem nur noch aus Flaschen, bei denen ich den Kopf schüttelte.
Im anderen Glas hatten wir den ebenfalls hochgelobten 2003 Cos d Estournel. Der war wieder üppig, füllig, jugendlich-fruchtig und kalifornisch wirkend. Ein unkomplizierter Wein der jetzt und in den nächsten Jahren viel Spaß macht, schneller Genuß mit wenig Rückrat und einem raschen Verfallsdatum 94/100.
Kopfschütteln war für mich auch im nächsten Flight angesagt. Keine Angst, ich entwickele mich nicht zum Weinmeckerfritzen. Aber großer Wein ist inzwischen so unendlich teuer, da sollte er seine Größe auch schon im Glas zeigen. Der 1996 Dominus tat das leider nicht. Ich konnte gar nicht glauben, dass das derselbe Wein war, den ich noch im letzten Jahr auf Bernd Wirtz großer Dominus-Probe mit 95/100 bewertet hatte. So süß war das, was da vor mir stand, viel zu süß, fast pappig, Milchschokolade, Marsh Mallows, ein Kirmeswein für die Cola-Generation. Der war entweder nicht echt, was ich fast vermutete, oder lief derzeit durch eine ganz schwierige Phase. Enttäuschend auch 1986 Pichon Comtesse de Lalande. Aufgeschreckt war ich vor ein paar Wochen in den Keller gelaufen und hatte eine 86er Comtesse hochgeholt. Standen da doch in der letzten Ausgabe von René Gabriels Weinwisser neben der ansehnlichen Punktzahl von 19/20 die fürchterlichen Worte "Endphase" und "austrinken". Nun, für den Bestand aus meinem sehr kalten Keller konnte ich Entwarnung geben. Etwas zugänglicher noch als vor einem Jahr war der vo 18 Jahren erworbene und seitdem perfekt gelagerte Wein, aber Eile war wirklich keinerlei geboten. Doch die hier in der Probe vor uns stehende Flasche war schon etwas merkwürdig. Da waren immer noch kräftige Tannine, nur die Frucht hatte sich verabschiedet. Nichts mehr da vom geilen Schmelz einer großen Comtesse. Aus Franz Josef Schorns unerschöpflichem Keller zauberten wir eine weitere Flasche auf den Tisch. Die wirkte etwas offener und zugänglicher, aber mehr als maximal 90/100 kamen da auch nicht ins Glas. Sehr merkwürdig.
Versöhnlicher Abschluß war dann ein prächtiger 1990 Pichon Baron de Longueville. Der hat zwar sicher noch lange Jahre vor sich, trinkt sich aber wunderschön. Ein tolles, fruchtiges Konzentrat mit viel Tiefgang, die Tannine gut durch die üppige Frucht maskiert. Hoher Sucht- und Hedonismusfaktor 95/100.

Gibt es ein Fazit, insbesondere für jüngere Weinfans, die wie unsere äußerst großzügigen Gastgeber jetzt mehr oder minder anfangen, einen Weinkeller aufzubauen? Da sind erst mal drei Dinge wichtig: Herkunft, Herkunft und noch mal Herkunft. Das schönste Ebay-Schnäppchen und das beste Auktionsangebot taugen nichts, wenn der Wein nicht anständig gelagert wurde. Und wenn man dann an sehr gut gelagerte Weine kommt, gehören die natürlich wieder in einen ebensolchen, eigenen Keller. Lieber etwas weniger gekauft und dafür in eine gute Klimatisierung des eigenen Kellers investiert. Die modernen Weine haben nicht mehr die Standfestigkeit früherer Jahrgänge. Es ist schon erschreckend, wie schnell sich zum Beispiel etliche Bordeaux aus den 90ern entwickeln und zum Teil schon wieder verabschieden. Wer da noch mit einem zu warmen Keller und/oder hohen Temperaturschwankungen zwischen Sommer und Winter nachhilft, der provoziert, dass Teile seines geliebten Weinkellers zur Wein-Leichenhalle mutieren.