Bordeaux 2005 nachverkostet

Die 2005er Schlacht ist für das Erste weitgehend geschlagen. Die Bewertungen der Weinpäpste sind schon eine Weile raus, die Preise stratosphärisch hoch und die Weine trotzdem fast alle verkauft. Nur zufriedene Gesichter habe ich bisher zumindest im deutschen Weinhandel gesehen. Klar, geht es denen doch wie der Ölbranche. Das Gut wird knapp geredet, die Preise hochgejubelt, und wenn dann etwas weniger getankt wird, gleichen das die Preissteigerungen mehrfach aus. Getankt wird weiter, gekauft auch.
Klar, wir haben alle gemeckert, ich auch. Aber gekauft haben wir trotzdem, ich auch. Wer wollte sich schon einen Jahrhundert-Jahrgang entgehen lassen. Aber ist 2005 das wirklich das Größte, was in Bordeaux je erzeugt wurde? Parker habe, wie viele andere auch, die Weine viel zu früh verkostet und zum Teil deutlich unterschätzt, heißt es. Da kam eine höchst spannende Veranstaltung der Duisburger Weinhandlung VINEA gerade recht. Zusammen mit dem Hause Moueix wurden dort zwölf 2005er Gewächse präsentiert, vom Bordeaux Superieur bis zur Legende Petrus. Das habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Schließlich sind seit den Primeur-Verkostungen im Frühjahr gut fünf Monate ins Land gegangen. Zeit, in der die Weine nach der malolaktischen Gärung, die im Frühjahr in vielen Fällen noch nicht beendet war, zur Ruhe kommen konnten und Zeit, in der die Weine sich stärker mit den Aromen des Holzes vermählen konnten. Trotzdem, das ist wichtig, handelte es sich auch hier natürlich um Fassmuster, und jeder Versuch einer Beschreibung ist nur die Momentaufnahme eines noch unfertigen Weines.

Nein, Petrus 2005 habe ich nicht subskribiert. Irgendwo ist auch für mich eine Grenze, und die € 1500, die dieser Wein kosten sollte, lagen weit darüber. Nun habe ich ihn wenigstens einmal ausgiebig verkosten dürfen. Denn das war das Schöne an dieser Veranstaltung. Hier wurde niemand am frühen Morgen durch kalte Hallen gehetzt. Wir waren ein kleiner Kreis. Wein gab es genug und kompetente Gesprächspartner auch.

Ich habe die Weine zunächst in der vom Gastgeber vorgegeben Reihenfolge ihrer Wertigkeit verkostet und bin danach zwischen einzelnen Weinen immer wieder hin und her gesprungen. Los ging es mit 2005 Grand Village. Hier zeigte sich gleich die Problematik des jetzigen Stadiums, in dem der Wein ja alles andere als fertig ist. Der Einfluss des frischen Holzes ist dominierend. Große Weine stecken das locker weg, kleinere, wie dieser hier, wirken extrem holzlastig mit bissigen Tanninen. Und da sehe ich gleich eine Problematik von 2005. Sehr gutes Traubenmaterial gab es in diesem Jahr. Aber ein kleiner Wein bleibt ein kleiner Wein. Trauben können perfekt ausreifen, aber das ändert nichts am Terroir sowie am Alter und der Qualität der Rebstöcke. Auch ein Jahrtausendsommer macht aus einem Cru Bourgeois keinen Latour. Wenn dann zu sehr an der Schraube gedreht wird, wenn zu sehr mit Gewalt versucht wird, aus etwas Kleinem etwas Großes zu machen, dann entsteht kein großer Wein, sondern ein Monster. Die unheilige Allianz aus den weltreisenden Weinflüsterern vom Schlage eines Michel Rolland und aus Weinmachern, die die Kellermeister ersetzt haben, bringt bei allen Fortschritten auch große Probleme. Es wird einfach zuviel mit dem Wein gemacht, statt gerade in großen Jahren der Natur etwas mehr freien Lauf zu lassen. Jede kleine Parzelle wird daraufhin überprüft, ob man hier nicht den nächsten Le Pin, das nächste Weinwunder erzeugen kann. Und wenn alle Tricks von der radikalen, grünen Ernte bis zur Mikro-Oxidation nicht helfen, gibt es ja inzwischen auch und gerade in Bordeaux für alles eine Maschine. Bedenken habe ich bei den vielen Geheimtipps aus 2005. Auch hier bei Grand Village, das von der Lafleur-Inhaberfamilie bewohnt wird und an der Grenze zu Fronsac liegt. Was mir an Grand Village gefiel, ist die wohl jahrgangstypische Frische. Sollte bis zur Abfüllung die Frucht wieder unter dem Holz hervorkriechen, sind bei diesem, preislich interessanten Wein sicher auch mehr als die 86-88/100 drin, die ich im Glas hatte.
Nicht auf alle 2005er wird man lange warten müssen. 2005 Chateau La Fleur Tressac aus Pomerol wirkte sehr weich, fruchtig, mit reifer Brombeere, schokoladig, viel Schmelz, reifer Merlot. Dabei kein belangloser Schlabberwein, denn hier ist gute Struktur und Säure. Dürfte zur Auslieferung gut trinkbar sein und dann in den 10-15 Jahren großes Vergnügen bereiten, in denen man auf die großen Weine warten muss, 89-91/100. Frisch, fruchtig und erstaunlich weit wirkte auch 2005 Les Songes de Magdelaine, der Zweitwein von Magdelaine. Mich störten aber leicht grüne Töne in der Nase und die fehlende Substanz. Da ist wohl bei der Selektion nur das übergeblieben, was absolut nicht in den Grand Vin passte. Ein schlanker, kleiner Wein für den frühen Genuss, 85-87/100. Sehr gut gefiel mir 2005 Lafleur Gazin. Da war Frische, Struktur und Kraft gepaart mit guter Frucht. Ein spannender Wein mit guter Säure, 90-92/100. Viel Substanz auch bei 2005 Certan Marzelle, reife, leicht schweißige Merlot-Nase, am Gaumen viel Fleisch, würzige Frucht, Süße, wirkte schon zugänglich und dürfte relativ früh trinkreif sein, 89-91/100.
Ein Riesenwein dann 2005 Magdelaine. Der muss sich im Frühjahr sehr verschlossen gezeigt haben und wurde von vielen Degustatoren sehr zurückhaltend beurteilt. Ganz anders jetzt. Da war fruchtige Fülle, Rasse und Klasse und dabei wieder diese unglaubliche 2005er Frische. So etwas Schönes konnte man gar nicht spucken, das gehörte einfach getrunken. Für mich eine der großen Überraschungen dieser Verkostung, 93-95/100. Auch 2005 Latour-à-Pomerol, in der jüngeren Vergangenheit ja eher ein grenzwertigerer Wein, gefiel mir sehr gut. Reifer Merlot mit viel Bitterschokolade, gute Struktur und Frucht, 91-93/100.
Weniger anfangen konnte ich mit 2005 Providence. Auch hier hatte ich das Gefühl, dass da ein eher kleinerer Wein mit zuviel neuem Holz vergewaltigt wurde. Der Wein wirkte sehr bissig und holzlastig, was die feine Frucht ziemlich überdeckte. Ob der wirklich genug Substanz hat, um das zu verdauen? Mit viel Glück könnten da 90-92/100 draus werden.
Ganz großer Stoff dann 2005 La Fleur Petrus. Ich schwankte zwischen der Freude über den besten La Fleur Petrus seit 1955 und dem Ärger darüber, dass ich den nicht subskribiert hatte. Sehr viel Substanz und Struktur, reife Frucht, dabei wieder so frisch und sehr harmonisch. Wird zur vollen Reife sicher länger brauchen und wird mal ein ganz großer Wein, 94-97/100. Messen muss er sich dann mit 2005 Hosanna, der für mich noch einen Tick darüber lag. Der war noch eine Spur satter, komplexer, würziger als der La Fleur. Aber auch hier nichts Dickes, Mastiges Überreifes, einfach nur eine sprachlos machende, frische, fruchtige Dichte, 95-97/100.
Absoluter Star der Verkostung war für mich 2005 Trotanoy. Da ließ sich schon dieser gewaltige, aromatische Druck erahnen, der einen ganz großen Pomerol auszeichnet. Reif wirkende, leicht karamellige, süßliche Nase, pflaumige Frucht, Kraft und Substanz ohne Ende und dabei wieder so frisch, so elegant und mit totaler Harmonie der einzelnen Komponenten. Das ist eine Legende im Werden, 97- 100/100. Ich habe am nächsten Tag solange telefoniert, bis ich davon noch eine Kiste ergattert hatte. Für mich ein unbedingter Kauftipp für Spätentschlossene. Lausige und völlig ungerechtfertigte 90-92/100 Parker Punkte haben sicher dafür gesorgt, dass hier bei einigen Händlern noch etwas verfügbar ist. Parker wird und das nicht nur hier sicher in einem Jahr deutlich nachlegen.

Und dann war da noch 2005 Petrus. Der war, für Petrus in diesem Stadium nicht ungewöhnlich, sehr schwierig zu verkosten. Von der Nase her sehr verschlossen, am Gaumen ein gewaltiges Konzentrat, ein dichter Wein mit viel Substanz und gutem Säuregerüst. Wird sicher lange bis zur Trinkreife brauchen. Da gehörte zur Verkostung schon eine Menge Phantasie. Irgendwo zwischen 95 und 98/100 werden da wohl in 15 Jahren mal herauskommen. Ich bezweifele aber, dass er mit Trotanoy mithalten kann und vom Preis-/Leistungsverhältnis her ist das ein indiskutabler Wein. So lässt sich natürlich leicht reden, wenn man ihn sich nicht leisten kann oder will. Interessant, ihn zu verkosten, war es, Spaß machte es im Gegensatz zu vielen anderen Weinen überhaupt keinen. Das wird die Etikettentrinker dieser Welt aber überhaupt nicht stören. Eindrucksvoll bekam ich das auch bei dieser Verkostung vorgeführt. Ein rundliches Dickerchen gesetzteren Alters, seriös in feinstes Tuch gewandet, griff sich in einem unbeobachteten Moment unsere Flasche Petrus, machte sein ohnehin nicht schlecht gefülltes Glas bis oben hin voll und verschwand. In einem der Nebenräume wird er sich dann daran aufgegeilt haben, Petrus in großen Schlücken zu trinken, einen Wein, er hier und heute weder in der Nase noch am Gaumen irgendetwas prickelndes hergab. Aber manchen Leuten kann man wahrscheinlich selbst Spülwasser vorsetzen, solange nur auf dem Etikett der richtige Name steht. Kein Wunder, dass Weinfälscher gerade im Bereich der Luxus-Gewächse so ein leichtes Geschäft haben.
Ach ja, Weinfälscher. Die basteln sicher schon(nicht nur) am 2005er Petrus Etikett. Die astronomisch hohen Preise laden förmlich zum Fälschen ein. Wer nicht aus seriöser Quelle subskribiert, sollte später beim Nachkaufen extreme Vorsicht walten lassen.

Zum anschließenden Dinner wurden dann noch zwei reifere Tischweine gereicht. 1995 Magdelaine war ein sehr feiner, leckerer Wein, erstaunlich reif mit reifer Kirschfrucht, aber wenig Rückrat. Wie viele andere 95er eigentlich schon fast erschreckend reif. Zeigte sehr eindruckvoll, was für ein Riese im Vergleich der 2005er werden wird 90/100. Ähnlich ging es mir bei 1998 Certan Marzelle. Der Erstlingsjahrgang, damals aus Certan-Giraud Beständen selektiert, war ein reifer, weicher, frischer, schokoladiger Pomerol. Nicht aufregend, aber ein Tischwein im besten Sinne 87/100. Auch dieser Wein aus einem ja immerhin hervorragenden Pomeroljahr rückte den grandiosen 2005er in das richtige Licht.

Klar, Moueix ist nicht gleich Bordeaux. Das war hier nur ein kleiner Ausschnitt aus 2005 und nur vom rechten Ufer. Und doch zeigt dieser kleine Ausschnitt sehr eindrucksvoll, was von 2005 zu erwarten ist. Große Weine sind gekennzeichnet durch eine perfekte Harmonie zwischen den einzelnen Komponenten. Das ist hier weitgehend gegeben. Dazu kommt eine unglaubliche Frische, das herausragende Merkmal dieses Jahrgangs. Derart hochwertige Fassmuster habe ich noch nie probiert, auch nicht 1989. Bleibt der Ärger über die abnorm hohen Preise. Als nüchterner Rechner muss man trotz der Qualität weitgehend von 2005 davonbleiben. Aber Wein hat nicht nur etwas mit Zahlen zu tun, sondern vor allem auch mit Leidenschaft. Und die macht unberechenbar, leider auch mich.