Bordeaux 2010

Ist Bordeaux 2010 der nächste Jahrhundertjahrgang, nach 2000, 2003, 2005 und 2009 bereits der fünfte in diesem noch jungen Jahrhundert? Mit Rekordwerten beim Alkohol, bei den Tanninen, aber leider auch bei den Preisen. Viele Besucher des Primeur-Marathons in Bordeaux waren euphorisch, auch Parker. Aber lohnt es, die 2010er zu subskribieren? Hier meine erste, freimütige Einschätzung.

Wie gut ist 2010 Bordeaux?

Das Maß aller Dinge sind sie immer noch, diese Parker-Bewertungen. Parker bewertet sehr hoch und setzt den Jahrgang 2010 in etwa mit 2000, 2005, 2009 und 2010 gleich, weist aber auch die hohen Alkohol- und Tanninwerte hin, die nicht unproblematisch sind. Ich empfehle dringend, nicht nur die Punkte, die demnächst überall publiziert werden, zu lesen, sondern auch das Kleingedruckte.

Und damit wären wir beim wichtigsten Punkt, der Information. Parkers Bewertungen sind leider nicht kostenlos. Sie finden sich auf seiner kostenpflichtigen Website www.erobertparker.com. René Gabriel hat seine Punkte auf www.weingabriel.ch veröffentlicht. Die Bewertungen der Weine finden sich allerdings nur im Weinwisser und demnächst auf René s ebenfalls kostenpflichtiger Seite www.bxtotal.com. Wer eine Runde durchs Internet surft, findet zahllose, weitere Berichte zu Bordeaux 2010, auch kostenlose. Für alle, die des Englischen mächtig sind, empfehle ich hier www.thewinecellarinsider.com von Jeff Leve, umfassende, kompetente Verkostungsnotizen und interessante Details. So gibt Jeff Leve bei vielen Weinen die Alkoholgrade an. Gerade erschienen ist die neue Ausgabe des Falstaff mit umfassenden Verkostungsnotizen und Bewertungen von Peter Moser, einem erfahrenen Verkoster, der den Jahrgang recht euphorisch sieht. Unbedingt lesenswert.

Einen hervorragenden Überblick über die Bewertungen der Weine durch die wichtigsten Verkoster bietet die Seite www.bordoverview.com.

Zur Qualität des Jahrgangs möchte ich insbesondere auch auf zwei deutschsprachige Berichte von Verkostern hinweisen, die den Jahrgang etwas kritischer sehen:
Da wäre zum einen der sehr erfahrene Master of Wine Philipp Schwander mit seinem Jahrgangsbericht in der Schweizer NZZ, zum anderen Thomas Boxberger-von Schaabner von Extraprima. Letzterer ist zwar Weinhändler und die leben bekanntlich vom Verkaufen und nicht vom Abraten. Seine Verkostungsnotizen und vor allem sein Jahrgangsbericht sind aber trotzdem sehr fundiert und lesenswert.


Bordeaux 2010 ist ein sehr guter Jahrgang, das steht außer Zweifel. Was mich persönlich vor allem an 2010 Bordeaux stört, sind die hohen Tannine und der hohe Alkohol. Zwar berichten viele Verkoster von einer bemerkenswerten Frische der Weine, verursacht durch die ebenfalls hohe Säure. Nur sind das die Aussagen der "Spucker". Brauche ich wirklich Bordeaux mit 14, 15 und mehr % Alkohol? Schließlich leide ich nicht an Bulimie. Ich esse, trinke und genieße, spucke aber nicht wieder alles aus, wie die Verkoster bei den Primeur-Marathons. Und da ich gerne mehr als ein Glas trinke, habe ich mit den alkoholreichen Boliden zunehmend meine Probleme. Bordeaux war da bisher eine wohltuende Ausnahme. Das ist wohl vorbei, willkommen im Klimawandel. Ganze 12,5% Alkohol hatte der hervorragende 1995 Latour, der 2010er liegt bei 14,4%. Solche Beispiele gibt es reichlich, und auf dem rechten Ufer sprengen viele Weine die 15% Grenze.

Und dann sind da die Tannine. Wenn z.B. Mouton mit 86 verglichen wird (habe ich vor 25 Jahren gekauft, liegt immer noch unberührt und weitgehend untrinkbar im Keller) oder Latour mit 1928, der erst Ende der 70er langsam trinkreif wurde, dann macht mich auch das nachdenklich.

Aber es gibt noch etwas, das mich viel mehr stört: die exorbitanten Preise. Mögliche Preissteigerungen, die in früheren Jahren die Bordeaux-Subskription interessant machten, sind nach meinem Gefühl bereits in die heutigen Preise reingerechnet. Mehr noch, in Bordeaux wird derzeit ein Schmierenstück aufgeführt mit dem Titel:

Die Gierigen und die Dämlichen

Die Gierigen, das sind die Chateaus. Die zocken derzeit auf Teufel komm raus. Mit dem 2009er haben sie neue Preismarken gesetzt, die durch nichts zu rechtfertigen sind, außer durch maßlose Gier. Künstliche Verknappung war das Mittel, mit dem diese Preise durchgesetzt wurden. Und jetzt, mit dem neuen Jahrhundertjahrgang, wird auf die 2009er Preise noch mal "maßvoll" draufgesattelt.

Rührend hat man sich während der Bordeaux-Kampagne um die anwesenden Verkoster gekümmert, mit großen Verkostungen älterer Jahrgänge auf vielen Chateaus. Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt ..

Rein zufällig fanden in Hongkong zwei Auktionen mit Lafite und Latour statt, in denen eine jeweils kleine Menge rarer, alter Jahrgänge aus Chateaubeständen zu wahnwitzigen Preisen an chinesische Milliardäre verhökert wurden.

Dabei ist Bordeaux eigentlich eine Zweiklassengesellschaft. Der überwiegende Teil der Bordelaiser Winzer kommt bei Fasspreisen von € 1 pro Liter und darunter vor Hunger nicht in den Schlaf. Währenddessen decken die namhafteren Chateaus schon mit dem Zweitwein sämtliche Kosten und schieben mit dem Grand Vin mehr als satte Superprofite ein. Da ist im Prinzip nichts gegen zu sagen. Marktwirtschaft nennt man das. Und es funktioniert nur, solange die Dämlichen mitmachen. Die Dämlichen, das sind wir, die begeisterten Weintrinker. Aber machen wir auf Dauer dieses üble Spiel mit? Lassen wir uns jede Preissteigerung als gottgegeben und mit stetem Hinweis auf den so unersättlichen, chinesischen Markt verkaufen?

Die Zeiten ändern sich. Wir leben im Zeitalter des Social Web. Weinfans tauschen sich aus, national wie international. Wer derzeit aufmerksam die Foren und Diskussionen verfolgt, merkt nicht nur wachsenden Unmut. Es wird auch immer deutlicher über Kaufzurückhaltung und sogar komplette Subskriptions-Abstinenz gesprochen. Gut möglich, dass am Ende des Tages die Dämlichen doch nicht so dämlich sind und die Gierigen in die berühmte Röhre gucken. Wäre in der Geschichte von Bordeaux nicht das erste Mal.


Platzt die Blase irgendwann?


Wie bei jeder hemmungslosen Spekulation entsteht irgendwann eine Blase, die irgendwann zu platzen droht. Sehr interessant sind in diesem Zusammenhang Parkers Ausführungen zu einer möglichen Bordeaux-Blase. Niemand weiß, wie viel von den 2009ern und den Vorgängerjahren seit 2005 wirklich an Endkunden verkauft wurden. Ziemlich wahrscheinlich ist, dass die Chateaus selbst noch auf hohen Beständen sitzen und mit künstlicher Verknappung die Preise getrieben haben. Und dann sind wohl auch die großen englischen Weinfonds nicht zu unterschätzen, die auf gewaltigen Beständen sitzen. Auch diese Bestände müssen irgendwann zu Geld gemacht werden und drängen dann auf den Markt. Wäre nicht die erste Spekulation, die irgendwann zusammenbricht. Sehr interessant in diesem Zusammenhang der Artikel "Bordeaux 2010 - Le Grand Bluff" im französischen Figaro. Lesenswert sicher auch im englischen Decanter der Artikel "Bordeaux 2010 - The Titanic Campaign".

Warum überhaupt subskribieren?

Das Subskribieren von Bordeaux ist über die Jahre immer populärer geworden. Wer subskribiert, hat eine Menge Vorteile, handelt sich aber auch ein paar Nachteile ein, die gegeneinander abgewogen gehören.

Fangen wir mit den Vorteilen an:
- freie Formatwahl wer halbe Flaschen oder vor allem große Formate seiner Lieblingschateaus haben möchte, der muss subskribieren, auch in 2010.
- die raren Chateaus wer die raren Chateaus insbesondere aus Pomerol sucht, Le Pin, Petrus, Lafleur, Trotanoy & Co, der muss subskribieren, auch in 2010
- die Ersparnis bisher war es so, dass man zumindest bei guten Jahrgängen durch die Subskription Geld sparen konnte. Ob das auch für 2010 gilt? Ich halte das angesichts der stark überhöhten Preise für sehr fraglich. Und wer etwa mit 2010ern spekulieren möchte, der bewegt sich auf ganz dünnem Eis. Wenn einer mit dem Jahrgang spekuliert, dann sind es die Chateaus selbst

Dem stehen ein paar handfeste Nachteile gegenüber:
- das Risiko Wein reichlich euphorisch waren die Verkoster der 2010 Bordeaux. Aber das war nur eine Momentaufnahme eines ungewöhnlichen Jahrgangs, wie ihn in dieser Form noch niemand probiert hat. Niemand kann heute mit Bestimmtheit sagen, wie sich die 2010er in 2 Jahren nach längerer Fasslagerung aus der Flasche verkosten werden, und wie ihre weitere Entwicklung verlaufen wird
- das Risiko spekulative Blase egal ob wir jetzt von Abzocke oder von Spekulation reden, die Chateaus pokern sehr hoch, und das in einem wirtschaftlich sehr fragilen Umfeld, wo plötzliche Einflüsse von draußen, Stichwort z.B. USA-Pleite, Griechenland, Naher Osten oder ein zweites Japan dieses Blase jäh platzen lassen könnten
- das Risiko Parker gerade erst hat Parker etliche 2008er gegenüber der Primeurverkostung vor 2 Jahren deutlich abgewertet. Macht er das in 2 Jahren mit dem 2010er ( .leider haben sich die Weine im Fass nicht so entwickelt, wie ich ursprünglich dachte .), dann hat das sofortige Auswirkungen auf Preis und Nachfrage, die spekulative Blase könnte mit lautem Knall platzen
- das Risiko Handel Ja, auch Ihr Händler ist ein potentielles Risiko. Sie zahlen heute für eine Ware, die in 2 Jahren geliefert werden soll. Wenn Ihr Händler inzwischen baden geht, haben Sie zwar einen Anspruch auf prozentuale Befriedigung aus der Konkursmasse, Ihre bestellten Weine können Sie sich aber abschminken. Wissen sollten Sie, dass Ihre Subskriptionsrechnung in der Regel sofort fällig ist. Ihr Händler bezahlt aber den größten Teil erst Ende des Jahres. So mancher Händler finanziert mit diesem zinslosen Kredit, den sie ihm da unwissentlich gewähren, sein Weihnachtsgeschäft. Deshalb bei der Subskription nicht nur auf den letzten Euro schauen, sondern vor allem auch auf die Bonität Ihres Händlers.

Und was macht der Wineterminator selbst mit 2010?

Ganz offen gesagt: ich traue dem Braten nicht. Ich möchte die 2010er in zwei Jahren selber verkosten, möchte wissen, wie sie sich entwickelt haben, wie sie das weitere Jahr Fasslagerung verdaut haben. Ich möchte wissen, wie sie aus der Flasche schmecken, und nicht nur heute aus dem besten Journalistenfass. Und ich möchte wissen, wie die Preisentwicklung wirklich weitergeht.
Natürlich werde ich dem ohne Zweifel guten 2010er in 2 Jahren eine Chance geben. Wenn er mich dann überzeugt und die Preise stimmen, kaufe ich. Dabei stört mich auch die Langlebigkeit des Jahrgangs nicht. Ich habe meinen Keller längst auf nachfolgende Generationen angelegt, was mein Vater leider nicht gemacht hat.
Aber die 2010er Subskription geht an mir vorbei. Bisher habe ich noch keine einzige Flasche 2010 Bordeaux in der Subskription gekauft. Ich gehe davon aus, dass das so bleibt. (wt 06/2011)