Vorfreude auf den Winter

Endlich liegt Schnee in den Alpen. Das wurde auch höchste Zeit. Denn über die Weihnachtstage ist der Wineterminator wieder im Engadin. Zur Einstimmung habe ich mir noch mal meine Weinnotizen vom letzten Jahr angeschaut. Da kam dann reichlich Vorfreude auf.

Ja, ich gebe zu, wir haben heftig mit uns gerungen. Als im September der Euro fast mit dem Franken gleichstand, haben wir Prospekte von südlichen Reisezielen gewälzt. Nicht, dass uns das leicht gefallen wäre. Schließlich gehören zu Weihnachten doch eher verschneite Tannen als Palmen. Aber die Ohnehin schon extrem teure Schweiz bewegte sich im Rahmen der Währungsturbulenzen auf ein absolutes No Go Niveau zu. Und just, als wir uns für Südafrika entscheiden wollten, griff die Schweizer Nationalbank ein und legte einen Minimalkurs von 1,20 fest. Nicht, dass die Schweiz damit ein Billigziel wäre. Österreich, die Dolomiten oder das Allgäu bieten immer noch ein teilweise dramatisch besseres Preis-/Leistungsverhältnis. Aber wenigstens wandelte sich die Situation so von unerträglich in noch so gerade erträglich. Schließlich ist dieses Engadin das wohl schönste aller Alpentäler. Und so beziehen wir über Weihnachten wieder unser Stammquartier, das Hotel Walther in Pontresina, ein sehr persönlich geführtes Relais & Chateau, in der dritten Generation im Familienbesitz. Von außen hat dieses Walther im Zuckerbäckerstil der Grand Hotels vom Anfang des letzten Jahrhunderts etwas von einem Märchenschloss. Von innen ist es modern und auf dem neuesten Stand, aber trotzdem mit den hohen Hallen und dem immensen Platz, den heutige Architekten ihren Bauherren nicht mehr vorzuschlagen wagen.

15/20 gibt der GaultMillau der Stüva, dem Gourmetlokal des Walther. Die Weinkarte interessant, fair kalkuliert und bietet insbesondere genügend(für Schweizer Verhältnisse) preiswerte Gewächse. Und dann ist da noch Dino Martelli, der Maitre des Hauses. Der hat nicht nur jede Menge Weinverstand, er ist im Nebenberuf auch noch Winzer mit dem väterlichen Weingut im Trentino. Fordern Sie ihn, wenn Sie das Walther besuchen.
Natürlich haben wir uns zu den abendlichen Menüs einmal quer durch die Karte getrunken. Nicht sehr aufregend das Angebot an Weißweinen. Hier dominieren Schweizer und Italiener. Bei etlichen davon habe ich mir erst gar keine Notizen gemacht. Der 2008 Sauvignon Blanc von Salis war sauber und fehlerfrei, aber auch langweilig 85/100. Kräftiger, fruchtiger und vielschichtiger der 2007 Sauvignon Blanc vom Gumphof 89/100. Gut auch ein 2008 Capichera, ein weißer Vermentino aus Sardinien mit wunderbarer, frischer Frucht, reif mit feiner Fruchtsüße, am Gaumen Kraft, erdige Noten, sehr gute Länge. Sicher kein Wein, der gut altert, eher wie eine Feldblume, die rasch verblüht 89/100. Einer der ganz wenigen deutschen Weine war der 2004 Wolfer Goldgrube Kabinett von Vollenweider(übrigens ein Schweizer, der sich in die Mosel verliebt hat), frisch, fruchtig, traubig, saftig mit schönem Süße-/Säurespiel 88/100. Etwas dünn und wässrig wirkte der 2008 Grüne Veltliner Kalmuck vom Mauritiushof 82/100. Ein sehr feiner, fruchtiger, unkomplizierter, reintöniger Wein der 2008 Chardonnay vom Leithagebirge von Kollwentz 88/100. Deutlich spürbar das Barrique beim unfiltriert abgefüllten 2008 Viognier der Tenuta Viticola von der Familie Ferrari, leicht trübe, helle Farbe, frische Frucht, feine Anis und Kräuternote 89/100.
Deutlich besser sah es bei den Rotweinen aus. Hier waren auch etliche Namen aus Bordeaux vertreten, z.B. Leoville Barton, Palmer oder Angelus, letzter als 2000er, allerdings auch mit stolzem Preis. Sehr positiv überrascht war ich von 2001 Montrose. Vor 30 Jahren wäre das ein eckiger, störrischer, rustikaler Montrose geworden. Jetzt, mit neuen Fässern und moderner Kellertechnik wird das knöcherne, tanninige Montrose-Gerippe mit reifer, süßer Frucht umhüllt. Ein feiner, sogar schmeichlerisch wirkender Montrose, der noch zulegen kann 92+/100. Pauillac pur mit guter Struktur und kräftigen, kernigen Tanninen der 2002 Pontet Canet, der sicher noch zulegen dürfte 88+/100.
Noch etwas jung war der 2008 Pinot Noir Eichholz von Irène Grünenfelder, der an den grandiosen 2005er des Gutes nicht dran kommt, dürfte sich aber entwickeln und steht hoffentlich Weihnachten 2011 noch auf der Karte 90+/100. Einfach dekadent lecker war mal wieder einer meiner Favoriten, der 2007 H von Hermann, so eine Art Pichon Comtesse aus der Bündner Herrschaft, so ein süßer, fruchtiger schmelz, Schokolade ohne Ende, feinste Seide für den Gaumen 94/100. Der 2007 Ronco die Ciliegi Riserva der Azienda Mondo Sementina, ein Merlot mit 10% Cabernet hatte eine generöse, schokoladig-fruchtige Nase, am Gaumen gute Struktur und Säure, erinnerte an Gazins aus guten Jahren und ist mit 13% nicht so dick wie etliche Tessiner dieses Jahrgangs 92/100. Sehr fein, nachhaltig mit guter Frucht, etwas Schokolade, deutlicher Säure und an einen guten Pomerol erinnernder Struktur der 2004 Castanar Rosso Ticinese Riserva Barrique, kann sicher gut altern 89/100. Nicht sonderlich klar kam ich mit dem 2004 Kurni von der Azienda Agricole Oasi delli Angeli aus Marken. Sehr tiefe, dichte Farbe, ein überkonzentriertes Monstrum, mehr alter Balsamico als Frucht, amaronig, in der Nase stichig 86(?)/100. Ein modern gemachter, vollbusiger, schokoladiger Merlot mit süßer Brombeerfrucht und cremiger Textur war 2006 Montiano von Falesco, sicher nicht für längere Alterung gemacht 93/100. Ähnliches gilt für den purpurnen 2006 Vetus der Boega Vetus aus Toro, schmeckt einfach gut, dieser fruchtige, süße, kräftige Brombeersaft, dem die süßen, würzigen Tannine der amerikanischen Eiche gut stehen 91/100. Die beiden schönsten weine der Karte der Kategorie "dekadent lecker" aber waren zum einen der auf dem Wineterminator schon oft genug besprochene 2006 Flor de Pingus, von dem wir aus lauter Begeisterung gleich zwei Flaschen getrunken haben 95/100. Auf Augenhöhe damit der mineralische, fruchtig-würzige, am Gaumen fast explosive 2006 Aalto, der in diesem Jahrgang durchaus PS-Qualitäten entwickelt 95/100. Vom Flor habe ich reichlich im Keller. Aalto(erst kürzlich wider im Begeisterung im Saittavini getrunken) lege ich mir noch zu. Viel zu jung wirkte zumindest zu Anfang der 2006 Les Terasses von Alvaro Palacios aus dem Priorat, konzentrierte, dunkle Frucht, im jetzigen Stadium richtgehend giftig, wurde erst nach 2 Stunden in der Karaffe zugänglicher 89+/100. Ein tiefdunkler, zupackender, junger Stoff war der 2001 Barolo Campe von La Spinetta, die Eisenfaust ohne Samthandschuhe, baut enorm aus und liefert trotz des massiven Tanningerüstes ein gewaltiges Aromenfeuerwerk am Gaumen mit toller Länge, ist dabei trüffelig, erdig und wirkt wie ein La Landonne aus dem Piemont, ein kerniger Charakterstoff 94/100.

Abends nach dem Essen haben wir uns meist in Pontresina aufgehalten, das entlang der Via Maistra eine reiche Auswahl an guten Weintankstellen bietet. Gleich gegenüber dem Walther liegt das Hotel Albris mit eigener Bäckerei. Dazu ein ganztags geöffnetes Restaurant mit einer guten Weinkarte, auf der wir in den vergangenen Jahren schon so manche Entdeckung gemacht haben.

Hinter dem schnöden Namen Hotel Müller verbirgt sich ein chices Designer Hotel mit hervorragender Küche und großer Weinkarte. Hier sind wir öfters am Nachmittag zu einem Imbiss oder spätabends in der Bar noch gelandet. Getrunken habe ich hier im letzten Jahr einige der etwas reiferen Burgunder, die neu auf die Karte gekommen waren. An einen alten, staubigen Keller erinnerte der 1996 Corton Regnards von Antonin Guyon, rustikal, wenig Frucht, noch weniger Freude 85/100. Ein deutlich größeres Kaliber der 2001 Vosne Romanée 1er Cru Les Suchots von Chantel Leseure, ein expansiver, weicher, süßer, sehr aromatischer, großer Burgunder mit feinem Spiel und seidiger Textur 93/100. Der 1988 Musigny 1er Cru vom Chateau des Herbieux brauchte viel Zeit und Luft. Ein sehr feiner, eleganter Burgunder mit pikanter Frucht, der enorm zulegte und erstaunliche Kraft und Länge entwickelte, dürfte recht langlebig sein - 92/100. Chancenlos waren aber alle drei gegen einen, ebenfalls hier getrunkenen, einfach sensationell 2008 Gantenbein Pinot Noir 94/100. Burgund macht in der absoluten Spitze nach wie vor Weltklasseweine, die aber leider unbezahlbar sind. Der Mittelbau in Burgund und alles, was darunter ist, muss sich aber inzwischen zurecht vor dem Rest der Welt fürchten.
Und dann trinke ich jedes Jahr im Müller eine halbe Flasche 1993 Yquem, zumindest solange, bis die Kiste leer ist. Dieses hier war meine bisher beste Flasche. Leuchtendes, tiefes Gold, wenig Süße, viel bittere Orangenmarmelade, etwas Crême Brulée, Karamell, gute Frucht und Säure, so enorm lang am Gaumen, ein Erlebnis 94/100. Mit Yquem ist es ganz einfach. Man kauft die ganz großen Jahre, trinkt sie sofort in der meist kurzen, aber faszinierenden Fruchtphase, oder aber wartet 50-100 Jahre darauf. Dann hat man die Chance auf echte Jahrhundertweine. Alternativ nimmt man solch einen kleineren, sehr viel schneller reifenden Jahrgang. Im Restaurant bleibt ohnehin nur die letztere Wahl. Meine Jahrhundert-Yquems, z.B. der sensationelle 2001er(100/100 in der kurzen Fruchtphase und derzeit völlig zugenagelt) reifen derweil für die Nachfahren im Keller.

Neu im letzten Jahr war die Winebar der Familie Gianotti, die schnell unser Stamm-Anlaufplatz wurde. Da haben wir als Schlummertrunk unter anderem alles getrunken, was in der Schweiz rar und kaum zu bekommen ist, z.B. diverse Uniques von Donatsch. Sehr spannend war auch ein 2006 La Cura, ein reinsortiger 100%iger Merlot aus der Maremma, der in größeren 800 Liter Fässern ausgebaut wird, um der Frucht gegenüber dem Holz eine bessere Chance zu geben. Schokoladig, saftig, würzig mit viel roten Früchten und Fruchtsüße, lang am Gaumen und noch so jung 94/100. Spannend war auch ein 2005 Donna Lisa, ein Salice Salentino von alten Rebstöcken aus Apulien, herrliche Frucht, Blaubeeren und Johannisbeeren, gepaart mit Röstaromatik, Lakritz, Vanille, samtig und füllig am Gaumen 90/100. Ein verrückter, sehr vielschichtiger und ebenfalls sehr spannender Wein war 2005 Folissimo von Diego Mathier aus dem Wallis, eine Assemblage aus Syrah, Cabernet Sauvignon, Humange Rouge, Pinot Noir und Merlot), bei dem die einzelnen Rebsorten im ständigen wettstreit miteinander zu liegen scheinen 94/100. Ein urgemütlicher, sehr gut mit auch ausgefallenen Weinen bestückter Laden, der mich in diesem Jahr sicher wieder häufiger sehen wird. Die Gianottis verstehen viel Genuss und sind eigentlich Chocolatiers. Gegenüber der Winebar betreiben sie einen Traumladen für alle Schokofans. Mich bekommt man da fast ebenso schwer weg wie aus einer guten Vinothek.

Wer sich, wie wir, in ungezwungener Atmosphäre aus der umfassenden Weinkarte des Hotel Saratz (14/20 im GaultMillau) bedienen möchte, tut das am besten in der Bar, in der man zudem oft noch in den Genuss von Lifemusik kommt.

Die höchst dekorierte Küche Pontresinas hat das Kronenstübli (16/20). Die Weinkarte ist bestens bestückt. Auch die großen Namen aus Bordeaux sind vertreten und so kalkuliert, dass es mir nicht schwer fällt, 14 Tage zu warten und diese dann zuhause aus eigenem Keller zu trinken. Und doch haben wir hier einen schönen Abend, oder besser gesagt eine Nacht verbracht, nämlich die Heilige Nacht. Nach der Christmette trafen wir Mocca und Fritz Metzeler aus Düsseldorf, die in der Nähe des Lago di Bolsena östlich der Maremma mit viel Elan ein Wein- und Landgut aufgebaut haben. Und mit den herrlichen Weinen dieser Villa Caviacana, dem frischen Filippo, einer im Stahltank ausgebauten Cuvée aus 90% Chardonnay und 10% Sauvignon Blanc mit blitzsauberer, animierender Frucht, dem für einen Sangiovese erstaunlich gefälligen, weichen, fruchtig-aromatischen 2007 Eleonore und mit dem komplexen, kraftstrotzenden Spitzenwein des Gutes, dem 2007 Faustina, machten wir in geselliger Runde die Heilige Nacht zum Tag. Nur Notizen und Bewertungen machen, dazu hatte ich zu so später Stunde keine Lust mehr. Aber diese sehr interessanten Weine habe ich auf den Wineterminator schon häufiger beschrieben.

Blick über den zugefrorenen Moritz-See

Blick über den zugefrorenen Moritz-See

Den Tag verbringen wir im Engadin meist mit endlosen Winterwanderungen. Wie schön, dass da am Ende meist ein lohnenswertes Ziel liegt.
Das Morteratsch am Ausgangs- und Endpunkt der Wanderung zum Morteratschgletscher hat gerade seine Aufnahme in den GaultMillau erfahren(13/20) und verdient die Punkte sicher auch für die Weinkarte. Gut gefiel uns dort der 2007 Monolith von Obrecht, feines Spiel roter und blauer Beeren, hoch aromatisch, sehr nachhaltig und spannend mit guter Säurestruktur 92/100. Der 2008 Intrigo von Plozza ist eine Cuvée von 40% Pinot Noir aus der Bündner Herrschaft und 60% Nebbiolo aus dem Veltlin. Ein sehr feiner, eleganter Wein mit schöner Fruchtsüße 90/100.

Sehr romantisch die längere Wanderung ins Val Rosegg, die als Ziel vom Restaurant Rosegg Gletscher gekrönt wird. Regionale Spezialitäten im restaurant und eine gut bestückte Weinkarte. Fehlen wird er uns in diesem Jahr, der fair kalkulierte 2002 Lafite Rothschild. Mit einer Träne im Knopfloch habe ich davon die letzte Flasche geleert. Tiefdunkle Farbe, wunderbare, mineralische Pauillacnase mit edler Frucht, am Gaumen Eleganz pur, gepaart mit sublimer Kraft und Finesse, ein echter Aristokrat und großer Lafite, jetzt in erstem, herrlichem Trinkstadium 96/100. War ich sauer, dass meine Damen, die etwas zu feiern hatten, lieber Champagner tranken? Nein, man muss auch gönnen können. Das Thema Bordeaux verschwindet außer in den schmerzfreien Edelschuppen immer mehr von den Engadiner Karten. Auch die Supertoskaner machen sich immer rarer, weil ebenfalls kaum noch kalkulierbar. So griffen wir bei einem anderen Rosegg Besuch zu einem noch deutlich zu jungen, aber sehr feinfruchtigen, eleganten 2005 Ferrière aus Margaux 89+/100. Ebenfalls noch jung, aber schon gut trinkbar mit viel jugendlicher Röstaromatik der 2006 Campaccio Riserva 91/100.

Wer ins Fextal wandert und kulinarische Höhepunkte sucht, sollte das Tal in beiden Richtungen erwandern und dann auf der Rückkehr ins legendäre Hotel Waldhaus gehen. Es soll Leute geben, die gar nicht erst hoch ins wirklich malerische, sehenswerte Fextal wandern, sondern gleich im Waldhaus bleiben. Bei einem bestens bestückten Keller mit über 35.000 Flaschen habe ich dafür jedes Verständnis. Vielleicht sollte ich das auch mal überlegen und dafür einen der ganz wenigen Tage mit nicht optimalem Wetter aussuchen. Beim letzten Mal waren wir für eine Einkehr einfach zu spät dran.

Unsere weiteste Wanderung von Pontresina aus führt uns regelmäßig ins El Paradiso, der Sansibar der Alpen auf 2200m Höhe. Close to heaven ist der Claim dieser sehr angesagten Location, die weit mehr ist als eine Berghütte. Himmlische Aussicht in bester Sonnenlage, himmlische Speisen und himmlische Weinkarte, supernettes Serviceteam aus Serviceengeln und Bengeln, darunter oft auch Gesichter, die man aus Sylt kennt. Wer sich hier nicht wohl fühlt, dem ist nicht mehr zu helfen. Wir haben uns hier das Käsefondue genehmigt, natürlich richtig dekadent, aber saulecker mit reichlich Perigordtrüffel. Einmal im Urlaub muss das einfach sein. Ins Glas kam dazu erstmal ein 2007 Fläscher Chardonnay Barrique von Hermann, ein großartiger Chardonnay mit Frucht, Holz und Schmelz 93/100. Deutlich reifer und weicher, aber auch leider auch mit weniger Dramatik als vor zwei Jahren an gleicher Stelle der 2005 Monolith von Obrecht, vielleicht lag es am kräftigen Käsefondue 92/100. Sündiger Abschluss ein noch viel zu junger, sogar noch leicht moussierender, aber großartiger, brillianter 2009 Felseneck Eiswein von Schäfer-Fröhlich 94+/100.
Genießen kann man das Paradiso übrigens auch auf einer großen Lümmelwiese in sehr kommoden, kuscheligen Strandkörben.

Etwas rustikaler die zum Schweizerhof gehörende Clavadatsch Hütte, ebenfalls mit prächtiger Aussicht von der kleinen Sonnenterrasse. Kleines Wein- und Speisenangebot, sehr freundlicher Service und bei Andrang verdammt lange Wartezeiten, schließlich hat die Hütte nur eine Kochstelle. Kurz bevor wir draußen festfroren, bekamen wir dann zum Auftauen doch noch unser Käsefondue. Da war die erste Flasche 2008 Castel Saalegg Pinot schon leer, ein feiner, fruchtiger, aromatischer Wein 85/100. Also den noch mal als 2008 Pinot Barrique, der deutlich mehr Kraft zeigte 88/100.

Deutlich spektakulärer und höher mit dem gesamten Engadin zu Füßen sitzt man auf Muottas Muragl. Dort an einem nicht zu kalten, sonnigen Tag auf der Terrasse zu sitzen, praktisch das gesamte Engadin zu Füßen und aus einer der mit Abstand besten Weinkarten des Engadin einen guten Tropfen im Glas, das ist der Höhepunkt eines jeden Urlaubs. Hier verglichen wir zur herzhaften Küche zwei große Tessiner Merlots. Eigentlich war ich immer ein Fan dieses Weines, aber der 2007 Castello Luigi wirkte zu dick, zu alkoholisch und war auf hohem Niveau einfach zuviel des Guten 92/100. Das mag anders aussehen, wenn man in einer Weinprobe nur einen kleinen Schluck davon bekommt. Aber davon mehr trinken zu dürfen/müssen, das ist schon heftig. Deutlich besser gefiel mir im Vergleich der 2007 Sassi Grossi, ein perfekt balancierter Traummerlot mit toller Struktur und guter Säure, macht im Gegensatz zum Castello Kuigi nicht satt, sondern mit jedem Schluck Lust auf mehr 94/100. Pech hatten wir bei einem anderen Besuch auf Muottas Muragl mit 1997 Kistler Sonoma Valley Chardonnay. Die erste Flasche war korkig, auch die zweite entpuppte sich als leicht grenzwertig, das erste Glas noch ganz ok, beim zweiten nasser Hund im Pappkarton, zwischendrin ein guter Schluck, und dann ging es wieder abwärts. Einfach dekadent lecker dafür der würzig-fruchtige 2001 Flor de Pingus, der mit seiner Röstaromatik an junge Moutons erinnerte 94/100. Noch eine Ecke drüber der grandiose 1999 Ornellaia, voll zugänglich mit fantastischer, jugendlicher Frucht, reife Kirsche im Schokoladenmantel, explodierte förmlich am Gaumen, war dabei aber nicht dick sondern gut balanciert 95/100. Die 99er aus der Toskana sind derzeit ähnlich den 99er Bordeaux in einem perfekten Trinkstadium. Und da sie meist noch einigermaßen bezahlbar sind, lohnt die Suche auf Auktionen und Weinkarten.

Natürlich sind wir auch nach Champfer ins Talvo gewandert. Im letzten Jahr war das für uns so eine Art Abschiedsbesuch, denn es war die letzte Saison der Jöhris. Die Preise hier, auch in der hervorragend bestückten Weinkarte, sind deutlich auf Moritz-Niveau. Da merkte man als normaler, deutscher Tourist schon, dass man eher in die Kategorie "der arme Vetter aus Dingsda" gehört. Wir haben damals zu allererst einen 2008 Chardonnay von Gantenbein getrunken, der uns schlichtweg aus den Sockengehauen hat. Der Chardonnay der Gantis ist ultrarar und sehr gut, aber in dieser Qualität hatten wir ihn noch nie im Glas. Ein Chardonnay vom Allerfeinsten mit sehr präziser Frucht, hoher Komplexität, Kraft, feinem Schmelz und großartiger Länge 95/100. Deutlich zu jung danach wohl der sehr kräftige, etwas rustikal und stückweit verschlossen wirkende 2007 Pinot Noir Grand Cru von Adolf Boner, dem zumindest jetzt und hier die Finesse fehlte 87/100. Die Küche des neuen Pächters, der Familie Dalsass, soll deutlich leichter sein. Mal sehen, ob sich die neue Leichtigkeit auch in der Kalkulation wiederfindet. Kochen jedenfalls kann der Herr Dalsass sehr gut. Davon konnte ich mich zuletzt bei der großen Le Pin Probe in seinem bisherigen Lokal Santabbondio in Lugano(1 Stern, 18/20 im GaultMillau) überzeugen.

Absolut empfehlenswert zwischen Moritz und Moritz Bad oberhalb des Sees gelegen das Medzi von Jöhris ehemaligem Souschef Bei prächtiger Aussicht auf den Moritzsee gibt es hier in schlichtem Ambiente eine sehr aromatische, schnörkellose Küche und eine famose Weinauswahl, beides für Moritzer Verhältnisse geradezu preiswert. Wir gehehmigten uns hier einen 2001 Gantenbein Chardonnay, der zu Anfang deutliche Reifetöne zeigte, aber mit Zeit und Luft enorm ausbaute und an Kraft, Fülle und Frucht zulegte 92/100. Ein kräftiger, rustikaler Pinot war der 2006 Gian Battista Churer Blauburgunder, leicht animalisch diwe Nase, am Gaumen in seiner etwas barocken Art an den winzer erinnernd 89/100. Bei einem zweien Besuch im Medzi tranken wir den 2004 Gantenbein Chardonnay. Der war frischer, fruchtiger und mit mehr Zitrusaromen als 2001, aber nicht so komplex 92/100. Viel zu jung noch ein kräftiger 2007 Perwolf von Krutzler mit leicht animalischer Nase und guter Frucht, der aber viel Potential zeigte 93+/100.

Und dieses Jahr? Das Thema Bordeaux werde ich in der Engadiner Gastronomie mangels russischem Oligarchen-Portemonnaie wohl weitgehend vergessen können, zumindest was größere Namen und reifere Jahrgänge angeht. Ich werde also vor allem nach Schweizer Weinen Ausschau halten. Und da das Engadin immer gut mit Gantenbein bestückt ist, werde ich bei den Gantis, die natürlich inzwischen auch ihren Preis haben, hemmungslos zuschlagen. Gezielt suchen werde ich ansonsten halten nach spannenden Gewächsen unbekannterer, neuer Erzeuger und aus noch nicht so überteuerten Gebieten. Und die Alternative dazu für Hardcore-Weinfreaks und alle, die sich für Hochgenuss nicht enteignen lassen wollen? Eine Feriewohnung mieten oder ein Chalet und den Kofferraum zuknallen mit allem, was der eigene Keller hergibt. Die Champagnerluft des Engadin und den Sonnenschein gibt es gratis dazu.

Damit hätte ich meine dringenste Altschuld aus 2011 noch erledigt und habe mir gleichzeitig einen gewaltigen Durst an den Gaumen geschrieben. Die Koffer sind gepackt, der Laptop ist ebenso dabei wie die Weinnotizen der letzten Monate. Es gäbe da noch soviel zu schreiben, dass es für gut 8 Wochen Urlaub reichen würde.

Ich wünsche allen treuen Wineterminator Fans schöne Festtage mit spannenden Weinen im Glas und einen gutes Neues Jahr. Bleiben Sie gesund, bleiben Sie mir gewogen und denken Sie daran: das Leben ist zu kurz für schlechten Wein.

Die perfekte Alternative zu schlechtem Wein

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