Winterweine

Ins traumhaft schöne Engadin habe ich mich über den Jahreswechsel wieder verkrümelt. Fast alle Tage wolkenfrei mit herrlichem Sonnenschein, genügend Schnee und dazu die einmalige Champagnerluft. Doch der Wineterminator ist kein Reiseführer. Um Wein geht es auf dieser Seite vorwiegend, und da fielen doch für mich als bekennenden Bordeaux und Altweintrinker vom strahlend blauen Himmel reichlich dicke Wermutstropfen. Schlichtweg leer getrunken sind inzwischen viele der Engadiner Weinkarten. Wo selbst vor Jahresfrist noch etliche Bordeaux zu akzeptablen Kursen zu finden waren, ist jetzt in diesem Bereich weitgehend gähnende Leere. Längst irgendwelche Kehlen runtergeflossen sind diese Flaschen. Zuviel zahlungskräftiges, durstiges Publikum, zuwenig Nachschub. Dazu sind viele Weinkarten meinem Sommer Domizil Sylt und vielen anderen, touristischen Destinationen nicht unähnlich inzwischen reine Saisonkarten. Gekauft wird von einer Handvoll Großhändler genau das, was man in den darauf folgenden Monaten zu verkaufen gedenkt, der "just-in-time"-Fertigung der Autoindustrie nicht unähnlich. Darüber zu lamentieren lohnt eigentlich nicht. Die Weinwelt entwickelt sich nun mal in diese Richtung. Kaum ein Gastronom ist heute noch bereit, längerfristig einen größeren Keller aufzubauen und die entsprechende Kapitalbindung einzugehen. Natürlich gibt es immer noch ein paar löbliche Ausnahmen, selbst im Engadin, doch werden auch die bald leer getrunken sein. Große Bordeaux werden durch kleinere ersetzt, statt des Jahrgangs 2000 jetzt vermehrt 2001er, oder gleich Italien. Das war noch der einzige, richtige Lichtblick. Solaia, Ornellaia, Guado Altasso und Tignanello gab es aus guten, jüngeren Jahrgängen zu halbwegs akzeptablen Preisen.

Traumhaft: Sonnenaufgang und Vollmond zugleich

Traumhaft: Sonnenaufgang und Vollmond zugleich

Auch mein Stammquartier, das Hotel Walther in Pontresina, gehört zu den Häusern mit einer mehr oder weniger Saisonkarte. Das ist jammerschade. Schließlich bietet dieses großartige Haus, in dem sonst fast alles auf sehr hohem Niveau ist, eine exzellente Küche. Die Stüva Bella, das à la Carte Restaurant des Hauses, hat im Gault Millau 14 Punkte, die es dreimal wert ist. Das meist fünfgängige Tagesmenü der Stüva Bella ist gleichzeitig das Abendmenü der Halbpension. So wird in diesem Hause auf sehr hohem Niveau geschlemmt. Dazu würde natürlich eine etwas aufgewertete Weinkarte gut passen. Ich habe mir vom Wehnachtsmann für das nächste Jahr einen größeren, begehbaren Weinkeller mit deutlich erweitertem Inhalt gewünscht. Mal sehen, was den Walthers dazu so einfällt. Wein Know-how ist ansonsten in der Brigade reichlich vorhanden. Die Truppe von Maitre Dino Martelli ist überhaupt eines der Schmuckstücke des Hauses. Sehr kompetent, immer freundlich, als ob der Service deren Hobby sei. Und in den Adern von Dino Martelli selbst fließt jede Menge Wein. Der nennt nicht nur privat einen sehr gut bestückten Keller sein Eigen, in seiner Familie wird im Veltlin seit Generationen Weinbau betrieben.

Verdurstet bin ich natürlich auch in diesem Jahr im Walther nicht. Unterstützt von meinen reizenden Damen und diversen Weinfreunden habe ich mich einmal quer durch das derzeitige Angebot getrunken. Bei den Weißweinen habe ich mich vorrangig erst mal auf die Schweizer Weine gestürzt. Die waren (just-in-time) praktisch alle aus dem Jahre 2006. Was macht ein solches Haus eigentlich, wenn der aktuelle Jahrgang mal in die Hose geht? Gibt es dann nur Mist auf der Karte? Bei 2006 gab es diese Bedenken gottseidank nicht. Klar, da ist nicht soviel pralle Frucht wie im Wonnejahr 2005 und eine etwas strammere Säure, aber die Weine sind insgesamt recht gut geraten. Erdig, sehr mineralisch der 2006 Fläscher Chardonnay von Boval, mit deutlichem Holzeinsatz, sehr kräftig, bäuerlich im besten Sinne 88/100. Rassiger, fruchtiger, etwas schlanker der 2006 Fläscher Chardonnay Gäba von Davaz, sehr aromatisch, komplex und lang 89/100. Ein kräftiger, rustikaler Brocken der 2006 Pinot Gris von Bohner, bei dem die Frucht gegen den massiven Holzeinsatz etwas auf verlorenem Posten steht 87/100.
Sehr süffig ein 2006 Cuvée Madame-Rosmarie von Adrian Matthieu aus dem Wallis, mit reifen gelben Früchten und gut eingebundener Restsüße 88/100. Nett, fruchtig mit Zitrone, Apfel und Pampelmuse, säuerlich und ziemlich harmlos ein 2006 Petite Arvine von Bonvin 84/100. Eher Kopfschütteln beim 2005 Vignier V von Roberto Ferrari aus dem Tessin, der ziemlich flach und ausdruckslos wirkte. Da ist wohl der Klimawandel noch nicht fortgeschritten genug, um den Viognier richtig reif zu kriegen 82/100. Als "poesia de la terra" beschreibt der Winzer seinen Wein, aber auch große Poeten fangen ja irgendwann mal als Niemand an. Eine positive Überraschung dagegen der 2006 Sylvaner von Nicolas Zufferey aus dem Wallis. Fruchtig-süße, geradezu opulente Nase, am Gaumen etwas schlanker, aber gehaltvoll, erdig, mineralisch und mit toller Länge 90/100.
Nichts für schwache Mägen der restsüße 2006 Fläscher Riesling von Hermann, der mit seiner feinen Frucht, der eher dezenten Süße und der massiven Säure eher halbtrocken wirkt 89/100. Von Christian Hermann aus Fläsch stammte auch der unwiderstehliche 2006 Pinot Noir H, bei dem sich gleich die Frage stellte: Kann so ein oberaffengeiler, süßer, hedonistisch-üppiger, fruchtiger Pinot altern? Dazu Radio Eriwan: im Prinzip ja, aber nur, wenn man ihn versehentlich im Keller vergisst. Klar wirkt dieses Teil für Pinot-Puristen neumodisch, etwas poliert, vielleicht sogar aufdringlich, nur die Gläser an unserem Tisch waren selten so schnell leer. Trank sich einfach zu gut, dieses Zeugs. Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob man einen Wein als oberaffengeil bezeichnen darf. Auch dazu Radio Eriwan: Im Prinzip nein, es sei denn, man hat einen Hermann H im Glas 93/100. Sehr gut auch wieder der 2005 Pinot Noir Grand Cru von Bohner. Ein sehr stoffiger, extraktreicher, kräftiger Pinot mit Waldbeeren und schwarzen Kirschen, deutlich vom Barrique geprägt 91/100.

Das Hotel Walther aus Schokolade

Das Hotel Walther aus Schokolade

Dem Engadin sehr nahe ist das italienische Veltlin. Von dort tranken wir einen gut gelungenen 2005 Saga Sauvignon von Terrazze Retiche di Sondrio. Sehr frisch, elegant, tiefgründig, mineralisch mit reifer Birne, Quitte und Cassis, gut eingebundenes Holz 89/100. Ebenfalls aus Tirano ein 2002 Sforzato Canua von Conti Sertoli Salis. Die Trauben für diesen 100% Nebbiolo werden jeweils bis Ende Februar getrocknet, wodurch sie bis zu 40% Flüssigkeit verlieren. Quasi so eine Art natürlicher Mostkonzentration ohne Maschine. Das Ergebnis ist ein mit 15% zwar alkoholreicher, aber erstaunlich vielschichtiger, aromatischer Wein, weich, cremig mit guter Frucht, rauchigen Barriquetönen und nur wenig Amarone-Anklängen 90/100.

Lange habe ich überlegt, ob ich aus der bescheidenen Auswahl französischer Weißweine den 1999 Meursault Santenots von Marquis d Angerville trinken sollte. Zu viele oxidierte, Weiße Burgunder aus den 90ern hatte ich in der letzten Zeit im Glas. Leider entpuppte sich auch dieser Wein als Burgunder, wie er eigentlich in die Tonne gehört, deutlich oxidative Note, absoluter Schrott 78/100. Wurde großes Lob! anstandslos zurückgenommen. Wenn ihnen da stattdessen in einem Lokal jemand etwas von der typischen Dörrfrüchtenote erzählen möchte, um einen solchen Katastrophenwein schön zu reden, gehören Wirt und Sommelier in die gleiche Tonne wie der Wein.

Eher dürftig die Auswahl österreichischer Weine. Gut gefiel mir der bis dato unbekannte 2006 Kalmuck Grüner Veltliner Federspiel vom Mauritiushof aus der Wachau. Ein sehr sympathischer, pfeffrig-würziger, frischer und erfrischender Grüner Veltliner mit herrlich reifer Frucht und Fülle, animierend und mit seinen sehr sympathischen 12,5% ein deutlich schönerer Essens- und Gesprächsbegleiter als so manch hochgezüchteter Smaragd-Bolide 91/100. Den Namen werde ich mir merken. Gut gefiel uns auch der zweite, österreichische Wein, ein 2004 Chardonnay vom Leithagebirge von Kollwentz. Würzig-fruchtiger, kräftiger Charakterstoff, sehr mineralisch, aber auch etwas metallisch wirkend mit kühler Frucht 88/100.
Aus Deutschland zierte mal gerade ein Weingut die Karte, Joachim Flick aus Flörsheim in Rheinhessen. Sein 2005 Wickener Mönchsgewann Riesling Eiswein ein purer Aprikosenlikör mit guter Süße und knackiger Säure 92/100.

Nicht gerade sehr prickelnd die Spanien-Abteilung der Karte. Sehr beliebt daraus der 2001 Alidis Crianza Barrica von Vina Mambrilla. Ich fragte mich bei diesem Wein, ob es auch Lederschuhe für Marathonläufer gibt. Wie ein solcher nach dem Wettkampf riecht der Alidis, schweißig, ledrig, aber auch wie ein alter Camembert. Am Gaumen gefällig, modern, aber auch etwas einfältig und harmlos. Und dann noch der Alkohol als Geschmacksträger, hier mit 14,5% im Einsatz. Nicht auszudenken, wie ein solches Gesöff schmecken würde mit 13% - 83/100.

Viele eher unbekanntere, italienische Weine. Absolut passend an Heiligabend der 2001 Rosso di Sera von Poggiopiano. Ein echter Weihnachtswein mit der ganzen Palette an Weihnachtsgewürzen, mit reifer, pflaumiger Frucht, mit schönem Schmelz und Fruchtsüße, die ihn stilistisch in Richtung eines Edel-Glühweines rücken 91/100. Der 2003 Tignanello erinnerte mich etwas an die Bordeaux aus diesem Jahrgang. Üppige, ausladende Frucht, aber mit etwas wenig Struktur, ein leckerer Kirschsaft, der recht bald getrunken gehört, vielleicht nicht ganz so schlabberig wie viele Bordeaux, aber erstaunlich reif und weit 92/100. Danach tranken wir einen Wein aus Sardinien, der uns deutlich besser gefiel, einen 2004 Assajé von der Tenuta di Capichera.. Auch der herrlich fruchtig mit Blaubeeren, Preiselbeeren und etwas schwarzer Johannisbeere, aber auch Kräuter und etwas Eukalyptus. Ein ehrlicher, etwas rustikaler, aber sehr guter Wein mit wohltuenden Ecken und Kanten, gegen den der Tignanello wie ein neumodischer Wein aus Übersee wirkte 93/100. Mit satter, reifer Kirschfrucht punktete auch ein sehr aromatischer, herrlicher 2003 Campaccio aus der halben Flasche, macht jetzt sehr viel Spaß, aber zu lange liegen lassen würde ich den nicht 90/100.

Bei den Bordeaux habe ich um die weniger prickelnden 2001er einen Bogen gemacht (klar hätte ich 2001 Pavie getrunken, aber solche Kaliber gab es nicht steht derzeit übrigens in Düsseldorf bei Schorn für unter € 200 auf der Karte) und mich lieber um die Restbestände aus anderen Jahrgängen gekümmert. Sehr fein, gefällig und reif der 1999 Phelan Ségur, ein guter Bordeaux zum jetzt und in den nächsten Jahren trinken 89/100. Da kam der solide 1999 Fieuzal nicht mit, allerdings hat der noch reichlich Tannine für ein längeres Leben 87/100. Der mit Abstand beste aus der Riege der verbliebenen 99er war 1999 Pontet Canet, der sich jetzt in einer wunderbaren Trinkphase befindet, ein perfekt balancierter, kerniger Pauillac mit wunderbarer Frucht 92/100. Zupackend mit dichter Farbe und sehr guter Tanninstruktur der 1998 Pichon Baron. Zedernholz ohne Ende, da wurde ein halber Wald ausgepresst, nur die Frucht geht derzeit etwas unter. Wird sich sicher in 5-10 Jahren deutlich besser präsentieren 91+/100. Deutlich offener 1998 Lynch Bages, auch der zwar kräftig und mit gutem Tanningerüst, aber mit satterer, pflaumiger Frucht und derzeit einfach viel Sex-Appeal 92/100. Gut gefiel mir auch 2000 Cantenac Brown. Noch so ein vergessenes Chateau, das langsam wieder zur Hochform alter Zeiten aufläuft. Dichte Farbe, noch ganz am Anfang, viel schwarze Johannisbeere, aber wir hatten den Eindruck, dass er sich im Glas wieder etwas verschloss. Besser 3-5 Jahre warten und dieses Chateau unbedingt im Auge behalten 90/100. Ein gewaltiges Teil und der mit Abstand beste Wein der Karte 2000 Angelus. Vielleicht der beste Angelus der neueren Zeit mit perfektem Tanningerüst, verabschiedet sich gerade aus der Fruchtphase, war aber immer noch ein unwiderstehlicher Genuss auf 94+/110 Niveau. Wer ihn besitzt und genügend Geduld hat, sollte ihn 10 Jahre in Ruhe lassen Der Angelus hat das Potential für bis zu 97/100. Nicht in dieser Liga spielte der natürlich deutlich preiswertere 2000 Bernadotte aus Haut Medoc. Da verschließt sich nichts mehr. Hat zwar eine sehr dichte, junge Farbe, ist immer noch jugendlich-kräftig mit schöner Röstaromatik, aber auch mit guter Textur und dieser Aromatik, die auch junge Pichon Comtesse immer schon so zugänglich machen. Kein Wunder, wird doch dieser Geheimtipp inzwischen vom Comtesse-Team gemacht. Wir haben in größerer Runde zur faszinierenden Boogie-Woogie Musik von Silvan Zingg (solche Spitzen-Auftritte gehören im Walther zum "normalen" Programm) mehrere Flaschen dieses herrlichen Tropfens geleert 90/100. Sehr zugänglich und weich mit zuwenig Struktur 2003 Phelan Ségur, trinkt sich recht schön, kommt aber derzeit mit dem 99er nicht mit 88/100.

Ein 2001 Chateauneuf-du-Pape Les Murets von André Brunel protze zwar mit unnötigen 14% Alkohol, war aber sonst ein sehr weicher, unkomplizierter Chateauneuf, ein weichgespülter Handels-Chateauneuf des Inhabers der Domaine Caillou, quasi ein Caillou-Cadet 87/100.

Auf der Champagnerkarte viel natürlich mein Auge sofort auf den ausnehmend gut gelungenen 1996 Perrier Jouet Belle Epoque. Ein noch sehr jugendlich-spitziger, hocharomatischer, fruchtiger Spitzenchampagner, dezent nussig, florale Töne, trank sich trotz seiner Jugend und des noch gewaltigen Lagerpotentials einfach wunderbar 94/100. Deutlich weiter war dagegen 1998 Perrier Jouet Belle Epoque, mit dem wir das Neue Jahr einläuteten, bei sonst ähnlicher Stilistik reifer, cremiger mit schönen Brioche-Noten, sicher nicht so lange lagerfähig wie der 96er 93/100. Getrunken habe ich (leider) auch wieder eine viel zu junge Krug Grande Cuvée aus viel zu kleinen Gläsern. Wenn Sie unseren Fehler nicht machen wollen, unbedingt fragen, wann die Grande Cuvée gekauft wurde. Falls gerade erst, gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit: dekantieren und aus nicht zu kleinen Weißweingläsern trinken. So bekommen sie wenigstens eine Ahnung davon, wie dieser großartige Champagner mit einem Mindestalter von 5 Jahren schmecken kann. Klar schmeckt er auch jung, aber sie bekommen vom großen Feuerwerk nur den Knall und den Rauch mit.

Das Essen im Walther war so gut, dass wir keinen Abend auch nur im Traum daran dachten, aushäusig zu dinieren. So blieben für Ausflüge auf andere Weinkarten nur ein paar Ausflugsziele. Eins davon lag direkt gegenüber, das Hotel Albris, Restaurant und Konditorei zugleich. Hier werden auch die 10 verschiedenen, hochklassigen Brotsorten gebacken, mit denen das Walther am Morgen verwöhnt. Klar habe ich da vor der Rückfahrt noch mal zugeschlagen. Zu exzellenten, hausgemachten Gnocchi tranken wir im Albris einen 2004 Syrah Alibaba der Vinattieri Ticinese. Ein sehr feiner, pfeffrig-würziger Syrah mit guter Frucht, eher von der etwas leichteren Art, aber vielleicht gerade deshalb sehr angenehm als Speisenbegleiter. Wirkt durch die gute Säure animierend und nicht so sättigend wie die internationale Konkurrenz 88/100.

Eine feine Weinkarte hat auch die Stüva im Designerhotel Müller in Pontresina. Dahin hat es uns abends noch ab und an zu einem Nachttrunk hin verschlagen. Da gab es z.B. noch zu einem akzeptablen Kurs 1995 Solaia. Was hatte ich mir an diesem einst so sperrigen Tanninmonster schon oft die Zähne ausgebissen. Doch inzwischen ist ein prachtvolles Gewächs daraus geworden, sehr schön balanciert und mit wunderbarer Frucht 93/100. Sicher inzwischen eine Suche wert. Nicht gut weg kommt in der Literatur 1993 d Yquem aus einem nicht gerade prickenden Sauternes-Jahr. Ich habe mir diesen Wein trotzdem genehmigt und es nicht bereut. Ok, das war jetzt nicht die große Oper, aber für die musste ich auch nicht bezahlen. Ein eher kleiner, aber sehr feiner d Yquem von der etwas leichteren Sorte. Dafür perfekt balanciert, fast schwerelos schön, einfach ein Gedicht mit nicht zu starker Süße, harmonischer Säure, dezenter Bitternote und Bienenwachstönen 93/100. In einer Blindprobe hätte dieser Yquem keine Chance gehabt, aber die Probe war nicht blind, der Yquem stand in einer halben Flasche alleine auf dem Tisch und ich saß ihm alleine gegenüber. Wir haben viel Spaß miteinander gehabt, der Yquem und ich.

Einer der schönsten Plätze des Engadins, wenn nicht der gesamten Alpen, ist Muottas Muragl. Hier mittags in fast 2600 m Höhe in herrlicher Sonne sitzen zu dürfen, mit dem gesamten Engadin zu Füßen, das ist einfach göttlich. Klar haben wir hier wieder mit 1989 Krug das alte Jahr verabschiedet. Da hätte ich blind genau so daneben gelegen, wie im Frühjahr auf Chateau Latour. Dieser große, komplexe, klassische Krug wirkte wieder deutlich reifer, als der Jahrgang vermuten lässt 94/100. Auch an einem 1997 Masseto konnte ich einfach nicht vorbei. Den habe ich schon häufiger getrunken, wobei meine Notizen zwischen Euphorie und herber Enttäuschung schwanken. An diesem Mittag konnte sich der Masseto wohl nicht der allgemeinen Stimmung entziehen. Er präsentierte sich einfach hedonistisch-offen und prächtig. Klar waren da die leicht kräuterige Note und der Tabak, die gewaltige Struktur, aber dieser sehr dichte und trotzdem balancierte Wein verwöhnte mit einer herrlichen Schokonote 96/100. Auch an diesem, deutlich kälteren Tag, hatte ich mich nach draußen gesetzt. Das war schon ein irrer Anblick, als der Rotwein vor mir im Glas scheinbar dampfte. Die Fortsetzung fand dann aber doch eher in den behaglichen Innenräumen statt. Hier fielen wir dann noch parallel zu einem der superben Desserts über eine 1998 Scheurebe TBA Zwischen den Seen #12 von Alois Kracher her. Was für ein fantastischer Nektar, der runterging wie Öl. Diesen hohen Extrakt und diese aromatische Dichte mit nur 6% Alkohol, das ist schon weltmeisterlich, sehr süß mit viel Boytritis, aber mit genügend Säure, um keinen Eindruck von Schwere aufkommen zu lassen 95/100. Gut gelungen an gleicher Stelle zu anderer Gelegenheit auch eine 2002 Ürziger Würzgarten Auslese Goldkapsel von Dr. Loosen, kräftiges Goldgelb, satte, exotische Frucht, viel Boytritis, reife Säure, cremige Textur 92/100.

Sehr schön auch die Sonnenterasse beim Hotel Morteratsch. Auch dort hat sich die Weinkarte deutlich verändert. Egal, wir tranken in herrlichem Sonnenschein zu Bündner Kost einen 2006 Vagabondo von der Cantina La Torre, einen frischen, nachhaltigen Wein mit reifer Birne 88/100. Bei anderer Gelegenheit, dem einzigen Tag mit Schneefall, tranken wir drinnen den wirklich fabelhaften 2005 Fabelhaft von Dirk Niepoort. Ein geschmeidiger, voll trinkbarer Wein mit cremiger Frucht, weich und einfach lecker, da muss auf nichts gewartet werden 88/100. Grandios zum Abschluss statt Dessert ein 1999 Rieussec. Herrlich Frucht, viel Süße, wunderbare Mokka- und Nugattöne, wirkte reif und zugänglich, hat aber sicher noch reichlich Potential 94/100.

Für die Terrasse des Rosegg sollte es dann doch eher Februar werden. Hier hatte ich noch im Oktober bei René Gabriels großer Margaux-Probe draußen gesessen. Jetzt zog es uns doch eher in die heimeligen Gaststuben. Zu frischen(!) Steinpilzen und Pfifferlingen konnte ich einfach nicht Nein sagen. Ebenso wenig zu 2001 Solaia. Warm-würzig mit viel Zedernholz und guter Frucht, sehr komplex und lang, vom Stil her ein großer Bordeaux aus Pauillac 96/100. Auch 2003 Guado al Tasso gefiel uns sehr gut. Von der Struktur und der Vielschichtigkeit her konnte der natürlich mit dem Solaia nicht mit. Dafür war er jahrgangsbedingt eher etwas einfacher gestrickt. Aber in seiner üppig-fruchtigen, schokoladigen Art ist das ein gelungener Spaß-Wein 92/100. Zum legendären Dessertbuffet des Rosegg musste es dann noch eine 2004 Beerenauslese Seewinkel von Velich sein. Die spannte den großen Bogen von Maracuja bis Aprikose, hatte eine gute Säure und Länge, war bei aller üppiger Frucht nicht zu süß, nur frage ich mich natürlich schon, warum solch ein Wein 13% Alkohol haben muss, wenn ein Alois Kracher mehr Extrakt und auch deutlich bessere Weine mit nur 6% hinbekommt 90/100.

Mehr zum Engadin in meinem letztjährigen Bericht und in meinem Report von René Gabriels großer Margaux-Probe.