April 2011

In meinem Keller schlummern sie noch in OHKs, die 2005er. Das werden sie wohl noch eine Weile tun. Nicht widerstehen konnte ich aber an diesem herrlichen Frühlingsabend, als ich bei Passion du Vin zwei kleinere, preislich akzeptable 2005er im Regal sah. Da war zunächst dieser 2005 Soutard. Parker findet den oberflächlich 86/100, Neal Martin teilt diese Meinung und gibt noch gleich zwei weniger 84/100. Mit dem, was ich da ins Glas bekam, hatte das alles nichts zu tun. Da war Kraft, gute Tanninstruktur und überbordende, reife, süße, fast etwas überreife Frucht. Der knallte richtig am Gaumen, Hedonismus pur. Gut, das war jetzt vielleicht nicht der große Finessenmeister. Aber einfach ein geiler Spaßwein zum jetzt trinken, sicher aber auch noch mit Potential für etliche Jahre 90/100. Im anderen Glas ein noch recht junger 2005 Poujeaux. Der konnte mit der offenen, üppigen, süßen Art des Soutard nicht mit, zeigte dafür aber mehr Struktur, mehr Präzision, mehr Spannung. Jetzt ebenfalls schon gut trinkbar, aber noch mit viel Potential für weitere Entwicklung 90+/100. Längerfristig sicher der bessere Wein.
2005 ist ein großartiger Jahrgang in dem es lohnt, auch abseits ausgetretener Pfade Weine zu probieren.

Wenn einfach alles stimmt

Kommt doch heute Abend auf meine Terrasse, ich mach uns was Leckeres. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Meine Gastgeberin, die eigene Tochter, ist für ihr kulinarisches Händchen bekannt. Alles stimmte an diesem Abend, wolkenloser Himmel mit glutroter, langsam untergehender Sonne, frühsommerliche Temperaturen und ein fantastisches Abendessen. Natürlich hatte ich Wein mitgebracht. Achtzehn Jahre ist es her, dass ich den 1976 Latour zum letzten Mal getrunken habe, damals am Arlberg aus der Jeroboam. Vom Hocker gerissen hat er mich seinerzeit nicht. Aber ich habe in letzter Zeit einige überraschend schöne Erlebnisse mit 76ern sowohl aus Bordeaux als auch aus Burgund gehabt. Der Jahrgang wurde zu früh abgeschrieben. Viele Weine haben sich erstaunlich gut entwickelt. So eben auch dieser Latour. Die Flasche war in sehr gutem Zustand und stammte aus einem kühlen Keller. Sehr dicht und ohne Alterstöne die Farbe, in der Nase Leder, Tabak, etwas Trüffel, pflaumige Frucht und die klassische Latour-Walnussnote, am Gaumen weich, reif, erdig, aber sehr nachhaltig, eine leicht metallische Note im Abgang verschwand rasch. Und nur der etwas kurze Abgang war es auch, in dem man das nicht ganz so überragende Jahr merkte. Die voll gerechtfertigte Punktzahl von 93/100 sagt eigentlich wenig über das große Erlebnis aus, einen reifen Latour trinken zu dürfen. Da sind in guten Flaschen wie dieser sicher noch 10 Jahre Leben drin. Ich werde wieder auf die Suche gehen.
Natürlich musste aus der anderen Flasche der Korken raus. Hier hatte ich viel erwartet und bekam noch mehr. Dieser 1978 Côte Rotie Brune et Blonde von Guigal war eine geniale Mischung aus nördlicher Rhone und großem Burgunder. Generöse Süße, burgundische Pracht und Fülle, aber auch die Würze und das leicht animalische eines großen Weines von der nördlichen Rhone, seidenweich und sehr lang am Gaumen, getragen von gut integrierter Säure, einfach ein perfekt balancierter Traumwein, der tiefes Glück verströmte 95/100. Qualitativ um Längen über dem, was heute unter diesem Namen angeboten wird.

Und endlich platzt der Knoten

1994 gehört nicht zu meinen Lieblings-Jahrgängen in Bordeaux. Mouton war eine der löblichen Ausnahmen. In seiner Fruchtphase bis 2000 war 1994 Mouton Rothschild ein von jugendlicher Röstaromatik geprägter, wunderbarer Wein, den ich oft mit 93-94/100 im Glas hatte. Danach kamen lange, enttäuschende Jahre, in denen der Mouton völlig zugenagelt und ziemlich enttäuschend war. Jetzt entwickelt er sich langsam wieder. 2009 erinnerte er mit seiner feinen Art, seiner ledrigen Bleistiftnase an den ebenfalls lange unterschätzten 83er des Gutes 92+/100. Danach noch ein paar freudlose Flaschen. Jetzt scheint der Knoten endlich wieder zu platzen, Freude im Glas, very Mouton, Bleistift, Leder, etwas Minze, würzige Frucht, Kaffee, am Gaumen offen, Mouton-sexy, die Tannine deutlich weicher, einfach wunderbar zu trinken - 93+/100, mehr in Sicht und das für mindestens 15 Jahre. Wenn Mouton groß ist, wie 1982 und 1986, dann ist er anstrengend, zumindest bis zur entgültigen späten Reife. Die vermeintlich kleineren Moutons dagegen versprühen deutlich früher eine gehörige Portion Lebenslust und Hedonismus. Solange es davon in Europa noch Flaschen gibt, und nicht auch hier alle Flaschen nach China schwimmen, sollte Mann/Frau sich davon noch eine Flasche gönnen.

Mit Franz Josef unterwegs

War schon ein geiler Sonnenmonat, dieser April. Nur eben an diesem einen Sonntag nicht. Ich war beruflich unterwegs gewesen und landete Sonntag Mittag in Düsseldorf. Noch war der Himmel ok, aber in der Ferne schob sich eine riesige Wolkenwand heran. Ich war Strohwitwer, hatte Hunger und wollte nicht alleine essen. Also den guten Franz Josef Schorn angerufen. Der hatte Lust, schwang sich für mich vom Sofa, fand kein Taxi and nahm das Rad. Ich war noch trocken bis ins Landhaus Mönchenwerth gekommen, der arme Franz Josef nicht. Den erwischte es voll. Egal, dafür bekamen wir Spargel satt und ein paar schöne Tropfen. Das 2008 Pittermännchen GG von Diel machte den Anfang. Ein barocker Riesling mit Fülle, Kraft und Länge 91/100. Der wärmte auch den guten Franz Josef auf. Den Rest erledigte dann der großartige 2000 d Aiguilhe von Stefan Graf Neipperg aus Côtes de Castillon. Ein saftiger Spaßwein auf sehr hohem Niveau mit süßer Frucht, immer noch junger Röstaromatik, voll und lang am Gaumen, der bisher este, auf diesem Gut erzeugte wein 93/100. Als Abschluss gab es noch ein Glas 2000 Franc-Maillet aus Pomerol. Der konnte dem Aiguilhe auch nicht ansatzweise das Wasser reichen, war aber ganz nett und gefällig 88/100.
Am späten Nachmittag hörte die Sintflut dann tatsächlich auf. Und irgendwie bekam ich schon wieder Hunger. Also gings zu Dritt mit Franz Josefs charmanter Lebensgefährtin Claudia in die Casa Mattoni. Da wurde der abendliche Hunger gestillt und die redliche Bettschwere erworben. Letzteres besorgte zunächst ein wunderbar würziger, vielschichtiger, kräftiger 2001 Mille et una Notte von Donnafugata aus Sizilien 91/100. Schön, wenn man solche Weine mal etwas gereifter auf einer Karte findet. Das galt auch für den 2004 Petrolo Galatrona, einen faszinierenden Bitterschokolade-Riesen, der aus diesem großen Toskana-Jahrgang erst ganz am Anfang steht, aber mit seiner explosiven Aromatik jetzt schon förmlich aus dem Glas springt 95+/100. Ich kenne diesen wein jetzt seit Ende der Neunziger und wenn ich ihn auf einer Karte finde, gibt es kein Halten. Jede Suche wert.

Spontan im D´Vine

Auch wieder so eine Schnappsidee, sich spontan für einen Samstag Abend im D Vine zu verabreden. Noch dazu, wo am letzten Abend der Tour de Menü bei komplett ausgebuchtem Restaurant überhaupt nichts ging, zumindest nicht für Weicheier. Wir dagegen machten mit Tonis und Christophs Hilfe das Unmögliche möglich. Dick angezogen verbrachten wir den im übrigen überhaupt nicht so kalten Spätnachmittag und Abend draußen. Den nötigen Brennstoff lieferten die Küche und unsere Weine, die uns der gute Toni in vorbildlicher Weise kredenzte.
Aus der sehr klug bestückten D Vine Karte waren erst mal zwei große Rieslinge dran. Noch recht jung, sehr mineralisch mit messerscharfer Präzision und toller Struktur die 2007 Hochheimer Hölle 1. Gewächs von Künstler, sehr frisch mit knackiger Säure, große Zukunft 92+/100. Schon fast erschreckend zugänglich die 2009 Aulerde GG von Wittmann, saftig, rund, üppig mit viel exotischer Frucht 92/100.
Trüffelig, portig, kräftig und lang der immer noch großartige 1970 Giscours mit schöner Süße und Kaffee 94/100. Auf den setzte der überragende 1961 Gaffelière-Naudes noch eins drauf. Auch der portig und süß, aber gleichzeitig auch sehr elegant und mit burgundischer Fülle am Gaumen, sehr lang und immer noch topfit mit guter Säure- und Tanninstruktur - 97/100. Alte Gaffelière-Naudes sind stets eine Bank und für deutlich kleineres Geld meist auf Augenhöhe mit Cheval Blanc.
1992 gehörte nun wirklich nicht zu den großen Bordeaux-Jahrgängen. Umso überraschender dieser 1992 Petrus, so fein, so unendlich elegant, so schmelzig und süß, dabei noch so jung und sehr nachhaltig, sehr vielschichtig mit großartiger Länge. Nein, ich habe mich nicht vom Etikett oder dem berühmten Namen blenden lassen. Dazu hatte ich schon zu viele Petrus im Glas. Aber das hier war ein echter Petrus-Traum, der erst ganz am Anfang steht, für den Jahrgang schlichtweg sensationell 94+/100. Moueix hatte damals keinen Aufwand gescheut, um auch in 1992 einen großen Wein zu produzieren. Mit schwarzen Plastikplanen kämpfte man gegen den Septemberregen, der damals die Ernte verwässerte. Und statt normaler 4500 wurden nur 2600 Kisten Petrus erzeugt. Bei Parker stammt die letzte Verkostungsnotiz aus Dezember 94. Mit 90/100 und "late" steht er auf Parkers Website. Sicher wird dieser Wein damit immer noch nicht zum Schnäppchen Petrus ist nun mal teuer. Aber es könnte trotzdem eine relativ günstige Gelegenheit sein, doch mal einen hochwertigen Petrus zu erstehen.
Schwer beeindruckt waren wir alle auch von 1988 Ornellaia, an dem die Jahre spurlos vorübergegangen zu sein schienen. Der zeigte sich noch so jung, so dicht, so schokoladig, meine bisher mit Abstand beste Flasche dieses Weines, gefällt mir besser als viele der modernen, alkoholischen Ornellaia-Jahrgänge und hat in dieser Form noch reichlich Zukunft 96/100. Vielleicht sollte ich der Fairness halber anmerken, dass nicht nur die beiden alten Bordeaux aus eigener, sehr kühler Lagerung stammten. Petrus und Ornellaia habe ich seinerzeit in Subskription bzw. bei Auslieferung gekauft und seitdem nicht mehr bewegt.
Die 14,2% Alkohol des 2001 Ridge Monte Bello mögen derzeit bei Kaliforniern normal sein, für einen Monte Bello sind sie aber ziemlich heftig und liegen einen guten Punkt über dem, was dieser Wein sonst auf die Uhr bringt. Und so ist dieser jugendliche, dichte Wein denn auch für Monte Bello extrem füllig, saftig und konzentriert, um nicht zu sagen dick mit herrlicher Frucht, aber auch noch massivem Tanningerüst. Wird wohl erst in 5 Jahren richtig zeigen, was er drauf hat 93+/100. Vielleicht schafft er es dann ja in die Liga des schlichtweg atemberaubenden 2004 Flor de Pingus, diesen würzigen, süßen, dekadent leckeren, hedonistischen Overkill, der in diesem Jahrgang absolute Erstweinqualität zeigt 97/100.
Zögerlich öffnet sich inzwischen auch 2005 Trilogia, der mit mächtigem Tanningerüst trotzdem noch ernster und strukturierter bleibt, als von Trilogia gwohnt. Scheint ein echter Langstreckenläufer zu werden 92+/100.
Jetzt muss zur Abwechslung mal was Frisches an Euren Gaumen, meinte Toni, und kredenzte einen 2010 Eitelsbacher Karthäuserhofberg Riesling Kabinett. Der war in der Tat sehr erfrischend und mineralisch mit reifem, süßem, grünem Apfel und einer heftigen Säure, die nur etwas für Fans ist 89/100. Und schon stand noch mal ein Roter vor uns, ein 1992 Ermitage Le Meal von Chapoutier aus der Magnum. Das war nach 19 Jahren immer noch beinahe ein Weinbaby, so jung, kein Rhone-Hammer, eher sehr fein, mineralisch, viel Kräuter, Garrigue, weißer Pfeffer, kräftige, aber harmonisch eingebundene Säure, sehr komplex und lang am Gaumen, wird sich noch über lange Zeit weiterentwickeln 96/100. Chapoutier selbst soll diesen Wein von der Silistik her als Lafite des Hermitage bezeichnen. Das ist nach dieser beeindruckenden Vorstellung durchaus nachvollziehbar.
Erstaunlich schlank für den Jahrgang die 2003 Zeltinger Sonnenuhr Auslese von JJ Prüm, immer noch sehr hefig in der jung wirkenden Nase, am Gaumen wenig Süße, aber auch wenig Säure 90/100. Eigentlich wollten wir aufbrechen, schließlich war es inzwischen Mitternacht. Und damit hätten wir dann fast die kühl gestellte 1953 Deidesheimer Hohenmorgen Riesling Auslese von Bassermann Jordan vergessen. Die hatte Kaffee in der Nase, Toffee und Wrigley s Spearmint, am Gaumen zunächst eher halbtrocken mit guter Säure, aber keinesfalls alt, wurde mit der Zeit in der Anmutung immer süßer und karamelliger mit feiner Bitternote im Abgang 90/100.

Spontan bei Michelangelo

Bei und mit Michelangelo Saitta fanden an einem ungeplanten, lauen Frühlingsabend auf der Terrasse des Saittavini zwei spannende Weine den Weg in mein Glas. Der 2007 Grüne Veltliner Smaragd Hochrain von Rudi Pichler war sehr extraktreich, mineralisch, pfeffrig, kräuterig, komplex und füllig 93/100. Ich habe nicht auf das Rückenetikett geschaut, aber gefühlt war das vom Alkohol her sicher kein Leitgewicht, trank sich aber unverschämt gut. Letzteres galt beides auch für den erstmals verkosteten 2007 Biserno IGT von der den Antinori-Brüdern gehörenden Tenuta di Biserno, ein tiefdunkles, röstiges Kaffee/Schokoladenmonster mit viel Sex Appeal 94/100.

Spontan im WineLive

Seit der Franz im WineLive kocht, zieht es meine Weinfreunde und mich immer öfter dort hin. Endlich hat das WineLive die großartige Küche, die zu dieser Weinauswahl passt. So auch an diesem Abend. Während uns der Franz kulinarisch verwöhnte, öffneten wir abwechselnd Flaschen aus dem WineLive Sortiment und aus eigenen Beständen. Faszinierend gleich der Einstieg mit dem 2007 Dellchen GG von Dönnhoff. Enorm hat sich dieser Wein gemacht. Aus dem einst so filigranen, schüchternen Dellchen ist ein richtiger Dell geworden, mineralisch, kräftig, komplex und enorm lang 94/100. Im direkten Vergleich wirkte der 2007 Halenberg GG von Emrich-Schönleber noch etwas verhalten. Auch das ein großer Wein, sehr mineralisch, die Frucht momentan etwas stahlig wirkend, messerscharfe Konturen, wird in den nächsten Jahren noch zulegen und ist für lange Jahre gemacht, also ist noch etwas Warten angesagt 93+/100. Habe ich da von Warten gesprochen? Auf vielen Weinkarten werden gerade die 2008er durch 2009er ersetzt, jammerschade.
Sicher nicht mehr Warten muss man auf den 1966 Chateauneuf-du-Pape der Union Viticole, der leicht grenzwertig mit deutlicher Klebstoffnase startete. Doch die wurde mit der Zeit immer kräuteriger, dann kam zunehmend feine Himbeerfrucht, am Gaumen dezente Süße, feiner Schmelz. Klar war dieser Wein mit seiner reifen, hellen Farbe sicher schon etwas über den Punkt und gehörte getrunken, derzeit aber noch mit viel Freude 89/100. Wobei man natürlich ältere Weine mögen muss. Mein Sitznachbar steht eigentlich eher auf jugendliche Primärfrucht und konnte dem Chateauneuf nicht viel abgewinnen. Doch glänzende Augen bekam auch er beim nachfolgenden 1959 Beaune Clos des Fêves von Chanson. Der wirkte noch so jugendlich mit dichter, junger Farbe, mit intensiver Frucht, sehr nachhaltig und lang mit enormer Kraft am Gaumen. Ein großer Wein mit gewaltigem Potential, der sich frisch dekantiert nur im Schritttempo entfaltete. Könnte locker noch 3 Stunden in der Karaffe, 5 Stunden im Glas oder 30 Jahre im Keller bleiben. Dann würden aus unseren anfänglichen 94/100 sicher noch deutlich mehr. Sind alle älteren Burgunder(die vor 1960) automatisch gut? Kann man da kritiklos zuschlagen? Sicher nicht. Auch bei älteren Burgundern gibt es viel Mist. Aber hier stimmte mal wieder die Mischung. 1959 war ein grandioses Jahr, Chanson hat damals große Weine gemacht und die Flasche selbst stammte aus exzellenter Lagerung und war in entsprechend sehr gutem Zustand. Ich kaufe nach wie vor viel ältere Burgunder, bin dabei aber sehr wählerisch.
Ein Sprung auf die andere Seite des großen Teiches, 1987 Livingston Moffett Cabernet Sauvignon Moffett Vineyard. Dichte Farbe, deutlich jünger wirkend, in der Nase After Eight, Bitterschokolade mit Minze, intensive, leicht stahlige Kirschfrucht, am Gaumen etwas bittere Resttannine und hohe Säure - 88/100. Da kommt nicht mehr viel, trocknet eher mit den Jahren aus.
Konnte das Petrus sein, was da als nächstes ins Glas kam? Zumindest wurde es am Tisch vermutet. Großartige, junge Pomerol-Nase, superdichte Farbe, so jung, so präzise in der Struktur, ein majestätischer Wein, am Gaumen noch etwas kompakt mit guter Säure und beachtlicher Länge, kann sicher noch deutlich zulegen und hat eine große Zukunft 96/100. Des Rätsels Lösung war ein 1994 Masseto. Der hat mit den heutigen Massetos überhaupt nichts zu tun. Schlanker, präziser, klassischer, sicher nichts für Vergleichsproben, in denen er gegen die heutigen Alkoholmonster dieses Gutes müsste. Aber als Solitär jetzt und in den nächsten 20 Jahren ein großartiger Wein.
Sehr dicht, kompakt und jung ein 2004 Chateauneuf-du-Pape der Domaine de la Mordorée, aber auch würzig mit deutlichen, laktischen Tönen, ein dicker Joghurt mit viel dunklen Früchten 93/100.
Ein feines Dessert hatte uns der Franz noch gezaubert. Dazu servierte uns Jochen Fricke einen 2009 Thörnischer Ritsch Riesling Auslese Lange Goldkapsel von Carl Loewen. Ein sehr extraktreicher Wein mit guter Säure und (zu)viel Babyspeck, ganz schön dick und eher BA als Auslese, Birnendicksaft pur mit etwas wenig Finesse 92/100.
Und damit gelangten wir dann noch in die Abteilung jung und bissig. Sehr schön und auch offen die Bounty-Nase des 1996 Troplong Mondot mit viel Kokos und Milchschokolade. Nur am Gaumen wirkte dieser Wein, der eine noch sehr dichte, junge Farbe hatte, streng, bitter und bissig. Trinkspaß buchstabiert man anders. Da erkannte man weder Troplong Mondot noch St. Emilion. Ganz schön bittere Kost, die uns nicht mehr als 86/100 ins Glas brachte. Da hilft nur hoffen und warten. Vielleicht ereilt diesen Wein aber auch ein ähnliches Schicksal wie 1986 Ausone, von dem ich zum Abschluss noch ein Glas bekam. Jung, bissig, monolithisch, der alte Stil von Ausone, warten auf den war wie "warten auf Godot". Ganz selten, dass da mal was richtig Großes draus wurde. Mehr als 87/100 waren auch hier nicht drin.

Kleine Best Bottle mit Seeblick

Was macht man mit einem älteren, in die Jahre gekommenen Hotel in unverbaubarer Seelage? Aufwändig renovieren, in sündhaft teure Apartments umbauen und dann verscherbeln, so geschehen mit dem Belvedere in Hergiswil am Vierwaldstättersee. Unten im Belvedere ist ein sehr schönes Lokal mit viel Plätzen und großartigem Seeblick. Der muss derzeit herhalten, um von der Küche abzulenken. Die ist zwar ambitioniert, aber derzeit hakt es da noch an einigen Stellen. Der Küchenchef, an anderer Stelle vorher schon mit Lorbeeren versehen, scheint derzeit angesichts des großen Lokals der der nicht eingespielten Brigade hauptsächlich Feuerwehrmann zu spielen. Mal klappt es, mal brennt es halt. Aber auf die wunderschöne Terrasse dieses Hauses würde ich mich notfalls auch ohne Küche setzen, zumal die Weinkarte des Hauses gut bestückt ist. Aus Letzterer tranken wir als ersten Apero einen 2009 Manna Schweizer von Franz Haas, eine Südtiroler Cuvée aus Riesling, Chardonnay, Sauvignon Blanc und Traminer. Frisch, fruchtig, in der Nase vom Sauvignon dominiert, im leicht bitteren Abgang vom Traminer, braucht niemand und fand am Tisch wenig Anklang 84/100. Also starteten wir den zweiten Aperoversuch mit einem 2009 Blanc de Lynch Bages. Der hatte eine frische, generöse Nase mit exotischen Früchten und einem Hauch Minze, auch am Gaumen war er frisch mit feinem Schmelz, dabei schlank mit wenig Holz und guter Balance, kein konzentrierter Überflieger, aber ein sehr schön jung zu trinkender wein, der einfach sexy wirkte 90/100.
Und dann waren wir auch schon mittendrin. Wer hatte denn diesen Hammer gleich an den Anfang gestellt. Mein erster Verdacht bestätigte sich schnell, das war 2000 Lamarein. Eine jugendliche Aromenbombe, sehr pfeffrig, hohe Extraktsüße, Kräuter, frisch bestückter Heuschober, Lakritz, kraftvoll und sehr lang im Abgang. Ein Phänomen, wie dieser Wein auch ohne Säurestruktur so gut altert und immer noch taufrisch wirkt. Ein Glas mit 98/100 trinke ich davon gern, mehr würde mir zu heftig und zumindest bei mir selbst wäre wohl schnell nichts mehr mit taufrisch. Den 1993 Dalla Valle Maya hat im Internet mal jemand beschrieben als promoviertes Topmodel, das im Ferrari vorgefahren kommt. Hier kam jetzt leider ihre Oma im alten Lada. Ein Maggi-Maya, der konnte einfach nur fehlerhaft sein. Dafür knallte es im nächsten Glas beim Wein des Abends um so mehr. Dieser 2000 Tertre Roteboeuf hatte einfach alles, Dichte, Kraft, Frucht, Komplexität und irre Länge und das alles perfekt balanciert, ein Megateil, das förmlich am Gaumen explodiert. In der ersten Hälfte dieses Jahrtausends habe ich diesem Wein mehrfach die Idealnote von 100/100 gegeben. Dann wurde ich geizig und gab ihm in den letzten Jahren "nur" 99/100. Schluss mit dem Geiz. Bei diesem Ausnahmewein waren an diesem Abend wieder 100/100 fällig. Ein Ausnahmewein und das beste, was auf diesem Gut je erzeugt wurde.
Und dann machten wir leider in der Maya-Klasse weiter. Hatte da einer von uns die Schätze mitgebracht, die er im Wohnzimmer unter dem Sofa lagert? Wie sonst konnte auch dieser 2000 Beaucastel so alt sein? Klar hatte er noch würzige Frucht, aber auch einen alten, müden Körper. Auch da stimmte etwas nicht. Schwamm drüber und lieber auf den 2002 Cos d Estournel im anderen Glas konzentriert. Das war ein großer, schlanker, klassischer Cos, der an frühere Zeiten erinnerte, der letzte seiner Art? Macht derzeit enormen Spaß 92/100.
Jugendlicher Traumstoff mit enormem Potential der 1986 Gruaud Larose, Cassis, Leder, Zedernholz, eine leicht animalische Note, mächtige, aber reife Tannine, Kraft ohne Ende, aber auch die Eleganz eines großen St. Julien, ein Wein für drei weitere Jahrzehnte, der noch zulegen wird 96+/100. Ein reifer, süßer, schmelziger, schokoladiger Traum dann 1998 Vinattieri Merlot. Der hatte die Klasse der Flasche, die ich letztes Jahr an der Le Pin Probe nachts noch aus Hotelbeständen mit Patrick Bopp auf seinen Geburtstag getrunken hatte 95/100. Wie gut, dass sie nicht so schmeckte wie die Flaschen, die wir damals am nächsten Tag zum Lunch bekamen .
Hedonismus pur brachte dann der 1997 Penfolds Grange ins Glas, süß, exotisch, offen, ausladend, aber nicht breit, einfach verdammt lecker und jetzt in einem perfekten Trinkstadium 97/100. Hatte ich schon häufig, aber noch nie auch nur annähernd so gut im Glas. Ich stand schon kurz davor, meine 6er OHK herzugeben. Da wird nichts mehr draus. Ich weiß jetzt, wo dieser Grange hingehört, in mein Glas! Da gehört auch der 1974 Mayacamas rein, den wir jetzt noch aus einer halben(!) Flasche kredenzt bekamen. Der war frisch dekantiert zu Anfang etwas enttäuschend, baute dann aber enorm im Glas aus. Schier unglaublich, dass der selbst aus der Halben noch so jung ist, dass er erst mal eine große Tüte Luft braucht. Erinnert an eine etwas feinere, elegantere Variante des 74 Meitz Martha s mit viel Minze, Eukalyptus, Schwarzem Pfeffer, erdiger Aromatik, Lakritz, Leder, dekadente Süße, ein riesengroßer Wein, der aus der Magnum deutlich mehr Spaß macht ist einfach mehr drin 97/100.
Und dann kam als letzter Wein des Abends noch ein 1991 Beringer Cabernet Sauvignon Private Reserve ins Glas, der sich zwar ebenfalls im Glas entwickelte, aber doch weit von der Bestform entfernt war 91/100.

Und was ist mit dem Jahrgang 1997?

Ja, ich weiß, ich bin deutlich im Verzug. Dabei mache ich gerade wieder eine alkoholfreie Woche. Wein schreiben statt Wein trinken lautet die Devise. Doch zu hoch türmen sich die Verkostungsnotizen, die noch veröffentlicht werden wollen. Von einer Toskana-Reise über die Engadiner (W)Eindrücke, zahllose, kleinere Verkostungen aus den drei ersten Monaten diesen Jahres bis hin zur gerade erst angefangenen Beschreibung von René Gabriels großer 61*61 Probe reicht das, was noch beschrieben werden möchte.
Und natürlich fehlt noch der Jahrgang 1997 als nächster in meinen Jahrgangsübersichten. Dabei bin ich eigentlich ein großer 97er Fan, nur halt nicht für Bordeaux. Dort wurden in 1997 zwar keine schlechten Weine erzeugt, aber auch keine großen. Und dafür waren sie schlichtweg zu teuer. Wer die 1999 bei der Ankunft kaufte, kam meist deutlich günstiger weg als in der Subskription. Und wer diese recht schnell alternden Weine zu lange im Keller liegen lässt, hat bald eine teure Salatsoßen-Sammlung.
Zu den langlebigeren 97ern gehört 1997 Leoville las Cases. Den hatte ich erst vor ein paar Tagen im Rössli in Stanstad. Nicht mehr so fruchtig wie in den letzten Jahren, wo ich ihn mehrfach mit 92/100 im Glas hatte. Reifer mit viel Zedernholz und Tabak, würde ich innerhalb der nächsten 5 Jahre trinken 90/100. Sehr gut gefiel mir Anfang des Monats 1997 Monbousquet, allerdings aus der Imperiale. Die hatte ich als Mitbringsel zur 10-Jahresfeier des Landhauses Mönchenwerth mitgenommen. Hier wurde er wieder deutlich, der Großflaschenbonus. Aus der 1tel macht dieser Wein sicher nicht mehr allzu viel Freude, aber aus der Impi war er noch jung und kräftig mit gutem Tanningerüst, wenn auch ohne die jugendliche Röstaromatik früherer Flaschen, mineralisch, erdig und mit guter Länge. Was aus der 1tel langsam getrunken gehört, hat aus der Impi noch 10 Jahre Zukunft und macht enormen Spaß - 92/100. Und dann war da im April noch ein großartiger 1997 Trotanoy, voll auf dem Punkt mit wunderbarer, süßer, expansiver Aromatik, kräuterig und mit viel Kaffee, nur im etwas kurzen Abgang merkte man das schwierigere Jahr - 92/100. Auch den würde ich nicht mehr ewig aufheben.
Und der Rest des Jahrgangs? Ist bis spätestens Ende Juni online, versprochen.

Osterfreuden auf Sylt

Sommerliches Wetter prägte die Ostertage auf Sylt. Während es auf Malle regnete, spielte sich auf Sylt das Leben draußen ab, der richtige Sommer kann nicht schöner sein.
Schon fast traditionell nahmen wir nach der Ankunft erst mal auf der großen Terrasse der Sturmhaube Platz, genossen die grandiose Aussicht, verzehrten ein paar der legendären Sushi und stießen mit einem jugendlich knackigen, cremig mineralischem 2007 Marienberg Rothenpfad von Clemens Busch (90/100) auf schöne Ostertage an. Highlight der aktuellen Sturmhaube-Weinkarte ist eine sehr umfassende Kollektion der 2009er Großen Gewächse aus Deutschland.
Der erste Abend führte uns ins Fährhaus in Munkmarsch, wo der gute Alessandro Pape so groß aufkochte, als seien wir für die Verleihung der Michelin-Sterne zuständig. Chapeau, das war das Beste, was wir hier je auf die Teller bekamen. Nur das Dessert war arg mickrig. Hier gehört dringend nachgebessert. Begleitet wurde unser Menü zu Anfang auf Empfehlung des Sommeliers von einem 1997 Sancerre Clos de Beaujeu von Gerard Boulay. Der erste Eindruck war deutliche Reife, aber das täuschte, der Sancerre (hätte ich freiwillig nie bestellt) entwickelte sich enorm. Großes Karamellbonbon, viel Mineralität, orientalische Gewürze, erstaunliche Frische, expansiv und lang am Gaumen, sehr spannend 92/100. Danach stürzten wir uns auf die letzte Flasche 2004 Salzberg von Heinrich. Das war großer, leicht gereifter Bordeaux vom Feinsten, wunderbare Frucht, reife Blaubeere, Cassis, Kirschen, großartige Struktur und immer noch deutliches Tanningerüst, cremige Textur, bleibt sehr lang am Gaumen und wird immer süßer im Abgang 95/100. Schon lange kein Geheimtipp mehr und leider auch kein Schnäppchen, aber jede Suche wert. Ein kerniger, zupackender Wein mit viel Tannin war danach der 2004 Terra di Lavoro, mineralisch bis zum Abwinken, Vulkanböden pur, großer, sehr komplexer Stoff, der sich über sehr lange Zeit entwickeln wird 94+/100. Und mit diesem Wein, auf sehr hohem Niveau verdammt harte Kost, starteten wir einen Selbstversuch. In der Woche davor hatte im ich Spiegel ein Interview mit Nathan Myhrvold gelesen, dem ehemaligen Microsoft Chief Technology Officer. Der sprach in diesem Interview über moderne Kochkunst und Küche vom Hyperdekantieren. Statt Karaffe 30 Sekunden in den Haushaltsmixer. Das probierten wir mit diesem Wein. Das Ergebnis? Die Nase wurde etwas offener und weicher, am Gaumen tat sich wenig. Und darüber hinaus hatte ich das verdammte Gefühl, dass dem Wein dabei die Seele flöten ging. Die Ungers in Aschau machten am selben Abend diesen Versuch mit einem verschlossenen Bordeaux und kamen zum gleichen Ergebnis. Also, statt Hyperdekantieren dann doch besser Hyperlagerung. Will heißen: verschlossene Weine in die hinterste Ecke des Kellers bis sie natürlich gereift sind. Bringt sicher deutlich mehr. Begeistert waren wir zum Abschluss noch von einem 1996 Champagne Orpale der Winzergenossenschaft Saint Gall, ein großer, komplexer, kraftvoller Champagner, der es locker mit der namhafteren Konkurrenz aufnehmen kann 95/100. Leider hat diese Winzergenossenschaft diesen einmaligen Glücksgriff bisher nicht wiederholen können.

Im Wiin Kööv in Kampen machten wir mit Freunden eine kleine, aber heftige Weinprobe. Die 2008 Abtserde von Klaus Keller war eine sehr gelungene Mischung aus Kraft und Eleganz, sehr mineralisch, hoher Extrakt, sehr lang am Gaumen 95/100. Mächtig, heftig, kräftig der 2009 Grüne Veltliner M von F.X. Pichler. M steht für Monumental, und das traf auf dieses Weinbaby zu. Das ist heute schon großer Stoff mit reifer, würziger Marille und gewaltiger Substanz, aber wer da geduldig ist und den 10+ Jahre weglegt, bekommt mal einen großen Montrachet ins Glas 95+/100. Beide Weine stammten von der spannenden Wiin Kööv Karte. Ein ungleiches Pärchen stand danach vor uns, links ein robuster, jugendlicher Wein mit sehr dichter, junger Farbe, rechts ein eleganter, hocharomatischer Schmeichler, von Klaus Kahle als eine Art Damenwein bezeichnet. Der dichte, kräftige Wein war ein 1987 Sassicaia, der wie viele große Sassicaias einfach 20 Jahre gebraucht hat, um zu zeigen, was in ihm steckt. Derzeit ganz großes Kino mit noch reichlich Zukunft 95/100. Ja, auch ich habe Sassicaia in den letzten Jahren völlig unterschätzt. Schuld daran war wohl der außerirdische, aber völlig untypische 85er, dieser 100 Punkte Knaller, der sehr früh aufblühte und auch leider auch wieder verblühte. Zeit brauchen die Sassis. Wer heute gut gelagerte 83er, 87er, 88er oder 89er findet, kann bedenkenlos zugreifen. Die trinken sich jetzt wunderschön. Und wer auf Zukunft setzen möchte, bunkert den großartigen 98er. Kommen wir zum 2001 Solaia im anderen Glas. Der ist derzeit in einem perfekten Trinkstadium, hat aber auch noch reichlich Zukunft, jugendliche Röstaromatik, Leder, Tabak, hohe Mineralität, feine Süße, gewaltige Länge 97/100. Als Solitär kam dann ein 1953 Haut Brion aus einer perfekten, belgischen Händlerabfüllung auf den Tisch. Was für ein faszinierendes, zetloses Kraftpaket, leicht animalisch, zupackend, Tabak.Leder Teer, Cigarbox ohne Ende, aber auch zunehmend ätherische Noten, Minze und sogar Eukalyptus, gewaltige Länge am Gaumen 98/100. Ich bin Zweitbesitzer dieser Flasche, die ich neben anderen aus einem belgischen Keller kaufen konnte, wo sie seit dem damaligen Erwerb unberührt gelegen hatte. Solche Glücksgriffe gibt es leider immer seltener. Auf extrem hohem Niveau ging es weiter mit 1991 und 1992 Caymus Special Selection, zwei perfekten Traum-Kaliforniern, bei denen der 91er(99/100) noch um Nuancen vor dem 92er(98/100) lag. Und ein letztes Pärchen kam noch ins Glas. Auf Augenhöhe standen da zwei stylistisch unterschiedliche Weine gegenüber. Als großer, gereifter, sehr eleganter Pauillac zeigte sich 1992 Harlan, der es auf diesem Niveau noch gut 1-2 Jahrzehnte machen könnte 97/100. Ein faszinierender Wein, der zu Unrecht im Schatten jüngerer Jahrgänge steht. Einfach dekadent lecker, betörend mit feiner Fruchtsüße und viel Schmelz, Eleganz pur, so eine Art Comtesse aus Kalifornien, der 1997 Araujo Eisele 97/100. Ein Langstreckenläufer, den ich noch nie annähernd so gut im Glas hatte. Hoffentlich nicht nur ein positiver Ausreißer, denn es gäbe davon noch.

Dürfen wir noch? Wir durften, obwohl die Zeit schon fortgeschritten darf. So kamen wir noch zu einem spontanen Ostersonntagslunch bei Carsten Wulff in Keitum. Draußen bei herrlichem Sonnenschein genossen wir zunächst eine echte Rarität. "Frische Nordseekrabben" kommen eigentlich aus Mrokko. Da werden sie mit dem LKW hingefahren, von preiswerten Arbeitskräften gepult, mit Konservierungsstoffen versehen und dann mit dem LKW zurück an die Nordsee gefahren. Klingt pervers und ist es auch. Nur kamen unsere Nordseekrabben hier von einem kleinen Betrieb aus dem nahegelegenen Friedrichstadt, taufrisch und ohne Konservierungsstoffe. Der Unterschied war wohl schmeckbar. Danach labten wir uns an einem göttlichen Kaisergranat in Olivenöl, bevor wir zur taufrischen Brosme auf Bärlauch-Spargelrisotto kamen. Durch den späten Termin war auch hier in Keitum schon alles grün. Da dann bei sommerlichen Temperaturen so ein Osteressen draußen auf der Terrasse einnehmen zu dürfen, das hatte schon was. Im Glas vor uns zunächst ein 2007 Grüner Veltliner Ried Lamm von Bründlmayer, kräftig, pfefferig, würzig, schmelzige Fülle und tolle Struktur, jetzt am Beginn einer langen Trinkreife 93/100. Und dann kam noch vom Neusiedler See ein im kleinen Eichenfaß ausgebauter 2007 Chardonnay Lehmgruben von Paul Rittsteuer, nussiger Schmelz, leicht oxidativ, sehr süffig 91/100.

Zweimal führte uns der Weg auch nach Morsum zum Landhaus Nösse. Hier hatte Jörg Müller seinerzeit auf Sylt gestartet. Ich hatte wie sträflich nichts zu schreiben dabei. Die Weinkarte ist aber, soviel weiß ich noch, sehr klug aufgebaut, insbesondere im Bereich der finanzierbaren Weißweine. Die abendliche Gourmetkarte liest sich sehr spannend. Da muss ich im Sommer mal hin. Und tagsüber ganz entspannt an der Hauswand sitzen, den einmaligen Ausblick genießen und bei einem guten Glas Wein die Seele baumeln lassen, das ist echte Lebensqualität. Der Weg von Morsum zurück führte uns stets am Morsumer Außendeich entlang durch endlose Schafherden mit putzigen Lämmern, teils erst wenige Tage alt. Die sahen aus wie von Steiff. Wer sich danach ins nächste Restaurant setzt und Milchlamm bestellt, der muss schon verdammt hart gesotten sein.

Mit viel Glück ergatterten wir auch noch mal einen der begehrten Außenplätze im Fährhaus Munkmarsch. Schließlich wollte ja auch der Ostermittag draußen in herrlicher Sonne genossen werden. Die Küche kommt mittags aus dem Zweitrestaurant, der Käptn Selmer Stube, ist aber auch nicht zu verachten. Wer das genießen möchte, sollte unbedingt vorher buchen. Ein großes Schild "Nur für Hotelgäste" schreckt ansonsten die Kaffeegeschwader ab, die diesen prachtvollen Ort mit dem einmaligen Blick übers Watt und den kleinen Munkmarscher Hafen sonst voll in Beschlag nehmen würden. Einen 2009 Grüner Veltliner Der Ott tranken wir, frisch fruchtig, würzig, einfach lecker 90/100. Deutlich dichter. Cremiger, würziger, fülliger danach der 2008 Honivogl von Hirtzberger 93/100. Und natürlich konnte ich mir nicht die letzte Flasche 2004 Charme von Niepoort entgehen lassen, burgundisch anmutende Frucht und Fülle, wunderbare Fruchtsüße, unendliche Eleganz, der Name Charme ist bei diesem großartigen Wein Programm 94/100.

Immer wieder steuerte ich in den Ostertagen Jörg Müllers Terrasse an. Doch die blieb winterlich verpackt. Jammerschade, da hätte ich gerne den ein oder anderen, gerne auch jeden Mittag oder Nachmittag verbracht. So blieb "nur" ein prächtiger Abend mit großartiger Küche und einem Vollbad in einer der besten Weinkarten Europas. Göttlich der Hummer in zwei Gängen, wobei ich den Hummer Thermidor gerne in Terminator umbenannt hätte. Von den süchtig machenden Desserts des Herrn Schwarz habe ich mir gleich zwei gegönnt. Es wären wohl auch deren drei geworden, wenn mich meine Gattin nicht mit einem deutlichen "denk an Deine Wampe" zur Ordnung gerufen hätte. Klar habe ich sofort zugeschlagen, als mir der Sommelier einen 1994 Riesling Singerriedel von Hirtzberger anbot. Leider hatte der auch nicht annähernd die Klasse des 94er Honivogl vom letzten Sommer. In der Nase feine Frucht und viel Bienenwachs, am Gaumen eher schlank, zwar mit guter Länge, aber irgendwie machte dieser Wein auf hohem Niveau einen verhaltenen, verschlossenen Eindruck 92/100. Voll da hingegen der 2004 Hildegarde von Au Bon Climat. Diese amerikanische Version eines Corton Charlemagne mit der originalen Rebsortenmischung ist ein hoch spannender Wein, der gleichzeitig Trinkfreude pur bringt, nussig, mandelig, mineralsch, Pracht und Fülle 94/100. Nein sagen konnte ich auch nicht bei einem zu sehr akzeptablem Kurs angebotenen 1978 Lafite Rothschild. Ein sehr feiner, schlanker, hoch eleganter Lafite mit pikanter, süßer Frucht und viel Kräutern, tänzelt am Gaumen und baut enorm aus, meine bisher beste Flasche, viel zu schade für Chinesen 95/100. Immer noch jung, kräftig, dicht und kräuterig der hier schon so häufig probierte 1989 Trotanoy 94+/100. Hoffentlich gibt es davon auch noch in 5 Jahren, wenn er endlich reif ist. Von der Anmutung her erinnert der 2001 Loibner Steinertal Riesling halbtrocken von F.X. Pichler eher an eine ältere Vendage Tardive aus dem Elsass mit deutlich spürbarer Restsüße, Petrol, Fülle und Kraft, durchaus spannend, aber mit Wachau hat der wenig zu tun 93/100. Spannend auch der sehr mineralische 2007 Scharzhofberger Pergentsknop von Van Volxem, ein Wein mit deutlicher Süße und immenser Strahlkraft, der aber noch zu sich finden muss. Fünf weitere Jahre Lagerung sind da eigentlich Pflicht, dann kommen auch deutlich mehr als 90+/100 ins Glas.

Natürlich haben wir auch wieder einen Abend bei André und Suzanne Speisser in Hardy s Weinstuben verbracht. Dort haben wir zur herzhaften Elsässer Küche erstmal einen 2007 Löwengang Chardonnay von Lageder getrunken, der endlich mal etwas aus sich rausging und etwas mehr Frucht, Kraft und Fülle zeigte 91/100. Oft fand ich diesen Wein aus früheren Jahrgängen zu verhalten, ja geradezu schüchtern. Danach tranken wir einen frischen, floralen 2006 Spätburgunder RS von Salwey mit reifen Beerenfrüchten, dezenter Röstaromatik und weicher, samtiger Textur am Gaumen 90/100. Aus der Provence folte dann noch der ziemlich rare (6610 Flaschen) 2007 Momentum de Roquefort, eine leicht ekzentrische Cuvée aus Syrah, Grenache und Cinsault, sehr süß, etwas ausladend und dick mit Fülle und wiederum süßem Schmelz. Ein Glas davon finde ich prickelnd, vielleicht auch zwei und mache dafür gerne 92/100 locker. Bei mehr Gläsern würde mir dieser wein zu aufdringlich.
Ob der Sylter Hochsommer im August so gut wird wie der Frühsommer im April? Ich werde berichten.

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Den Mittag des letzten Apriltages verbrachten wir auf der Terrasse des Les Tartines in Meerbusch Strümp mit? natürlich mit herrlichem Sonnenschein. Während uns Tobias Hammes mit mediterranen Ferkeleien und frischem Spargel verwöhnte, machten wir uns auf die Suche nach knackig-frischen, bezahlbaren Sommerweinen. Derer fanden wir gleich zwei. Als erstes kam der Hirsch Trinkvergnügen # 9 ins Glas, der 2010 Grüne Veltliner Hirsch vom gleichnamigen Weingut. Sommerwein pur, pfeffrig, frisch, fröhlich, fruchtig mit Zitrus und Grünen Äpfeln, angenehm leicht mit gerade 11,5 % Alkohol, ohne dabei flach zu wirken 87/100. Ein perfekter Sommer-Saufwein ist auch der 2010 Stonewashed vom Weingut Trenz, ein sehr fruchtiger, schlanker, mineralischer Riesling mit animierender Säure, bei dem jedes Glas Lust auf mehr macht 88/100. Beide Weine liegen bei etwa € 10 und bekommen meine uneingeschränkte Empfehlung. Bei je 50 Flaschen Hirsch und Stonewashed statt einer Flasche 2010 Latour sollte die Entscheidung nicht schwer fallen.