März 2012

Lunch mit Penfolds Winemaker Peter Gago

Der März war nicht nur der Monat der großen Proben, sondern auch der wunderbaren Lunches. Mein Gott, habe ich da schöne Weine ins Glas bekommen. Den Anfang machte ein spannender Lunch mit Penfolds Winemaker Peter Gago.

Ob ich an diesem Prowein Dienstag Lust zu einem Mittagessen in kleinem Kreise mit Peter Gago hätte, wurde ich gefragt. Natürlich hatte ich, war mir aber nicht so sicher, was mich da erwarten würde. Penfolds, Australens ältestes, 1844 gegründetes Weingut ist ja nicht nur Grange. Penfolds sind 1,4 Millionen Flaschen Wein jährlich. Und Penfolds gehört zu Treasury Wine Estates, die wiederum einer der größten Brauereigruppen der Welt gehört. Insgesamt 20 Weingüter gehören zu dieser Gruppe, darunter so illustre Namen wie Beringer oder Stags Leap. 12.000 Hektar Weinberge und 4000 Mitarbeiter sind auch eine Ansage. Bleibt bei soviel Masse noch genügend Platz für Individualität und Klasse? Würde ich jetzt einem smarten Winemanager und seinen aalglatten PR-Fuzzies gegenübersitzen? Nichts dergleichen, ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus.

Ein ungemein sympathischer, quirliger, sehr natürlicher Mensch ist dieser Peter Gago. Er macht nicht nur Wein, er lebt ihn auch. Am Vorabend war er auf der Prowein vom Institute of Masters of Wine mit dem Winemaker of the Year Award ausgezeichnet worden. Dafür hatte er was ihm sichtlich schwer fiel mitten während der auf der Südhalbkugel gerade stattfindenden 2012er Ernte den 12.000 km Trip zur Prowein gemacht. Mit im Gepäck hatte er ein paar sehr spannende Weine, die ich hier in der Form nicht erwartet hätte. Darunter waren der teuerste und der beste australische Wein, beides kein Grange.

Los ging es mit einem überraschenden 2009 Penfolds Chardonnay Reserve Bin 09A Adelaide Hills. Aussie-Chardonnays sind alle dick, alkoholisch und marmeladig? Aber nicht der. Erstaunliche Säure und Frische, das Holz nur dezent als Vanille in der nussigen Nase spürbar, am Gaumen schlank, elegant und rassig mit viel Tiefgang, mineralisch, weißer Pfirsich, reife Zitrusfrüchte, geröstete Haselnüsse, würde sich gut als Pirat in einer Burgunderprobe machen 91/100. Während in Europa die Weine immer dicker werden, macht man sich wohl in Australien erfolgreich Gedanken darüber, wie man gute Weine mit weniger Alkohol erzeugt. Und das wohlgemerkt ohne Einsatz von technischen Hilfsmitteln und in diesem Fall, wie mir Peter Gago ausdrücklich zusicherte, auch ohne Zusatz von Säure.

Immer noch recht jugendlich wirkte der 1990 Bin 389 Cabernet Shiraz, die 50. Ausgabe dieses Klassikers. Zu Anfang dominierte der reife Shiraz mit Minze, dunklen Früchten, etwas Eukalyptus und Schwarzem Pfeffer, dann kam immer mehr Cabernet und damit Schokolade, Kaffee, Tabak. Rund und ausgeglichen am Gaumen, aber mit guter Struktur und Säure 92+/100. Kann sicher gut altern und dürfte noch zulegen. Als "poor man s Grange" wird der 389 oft bezeichnet, ist aber eher ein Grange für Schlaue. Meine letzte Flasche 1969 Bin 389 vor drei Jahren war immer noch in bestechender Form ohne Alterstöne (95/100). Wenn ich, was zu selten der Fall ist, ältere Bin 389 finde, schlage ich sofort zu.
Australiens bester Wein? Als solchen hat Weinguru James Halliday den legendären, ultrararen und ultrateuren 1962 Penfolds Bin 60A Cabernet Shiraz bezeichnet. Und Englands Decanter reihte diesen Wein unter die "100 Wines to drink before you die" ein, auf dem siebten Platz von Hundert, allerdings auch mit dem Zusatz "for Millionaires only". Reif die Farbe, faszinierend die komplexe Nase mit pfeffriger Frucht, Minze, Trüffel, Zedernholz, Tabak und Sattelleder. Noch so lebendig, so vital, explodierte förmlich am Gaumen, ein balancierter, perfekt gereifter Traum mit gewaltiger Länge, unendliche Eleganz 98/100. Von den zwei Flaschen, die gerade die lange Reise hinter sich gebracht hatte, war eine hin, die andere zauberte in meinem Glas. Meine erste Begegnung mit dieser Legende. Würde ich gerne noch mal aus einer Flasche trinken, die sich vorher drei Monate von der Reise ausruhen dürfte.



Wie ein Kulturschock danach der blutjunge 2008 Penfolds Bin 620 Coonawarra Cabernet Shiraz. Der erste Bin 620 seit der legendäre Max Schubert diesen Wein zuletzt 1966 machte, ist gleichzeitig Australiens teuerster Wein. So erlebte denn dieses über € 1000 teure Luxus Cuvée seine Weltpremiere auch im November letzten Jahres in Shanghai. Reichlich Babyspeck war da im Glas, voll trinkbar wirkend, saftig, süß, junger Portwein, Bitterschokolade mit Marzipan, süßer, fruchtiger Schmelz ohne Ende, aber auch Frische und ein Hauch Minze 93+/100. Wird sich über 50 Jahre weiterentwickeln und sicher in einigen Jahren schon ganz anders schmecken. Falls es ihn dann noch gibt und er nicht schon von den Nabobs dieser Welt mit Eiswürfeln drin ausgetrunken wurde.

Und natürlich bekamen wir auch einen Grange ins Glas. Nicht irgendeinen, sondern den 1990 Penfolds Grange. Irgendwo kam der an meinem Gaumen unter die Räder der vorherigen Weine. War ich in einem schwierigen Stadium oder der Grange? Schließlich habe ich diesen Grange um die Jahrtausendwende mehrfach mit 100/100 bewertet. Aber der hier wollte nicht richtig singen. Klar, das war Jammern auf verdammt hohem Niveau. Erstaunlich reif und zugänglich wirkte der Grange, zumindest zu Anfang fast etwas harmlos, baute dann enorm aus im Glas, wurde immer dichter und komplexer mit gewaltiger Länge 95(?)/100. Gut, dass ich davon noch im Keller habe. Der bekommt demnächst eine neue Chance. Und meinen werde ich rechtzeitig(!) dekantieren.

Mit einem weiteren Ausnahmewein aus dem Penfolds-Portfolio schloss unsere kleine Verkostung. Von über 120 Jahre alten Reben stammt der 2004 Penfolds Block 42 Kalimna Cabernet Sauvignon. Ein echtes "Monster in the Making" mit schon fast ins Schwarze gehender, extrem dichter Farbe, purer, reife, aber auch roher Frucht, Teer, Holzkohle, altes Leder, erdig-mineralische Noten, massive Tannine und Säure ohne Ende. Fährt eine brutale Attacke am Gaumen und wäre ohne die Süße und die reife Frucht derzeit untrinkbar. Die jugendliche Fruchtphase dieses potentiellen Giganten ist definitiv vorbei. Klar ist da gewaltiges Potential, aber bis dieser zur Zeit verschlossene Wein sich wieder öffnet, sind sicher 10 Jahre Geduld angesagt. Dann kommen da sicher für lange Jahre 95/100 und mehr ins Glas. Ein idealer Wein für alle, die etwas sehr edles, langlebiges aus dem Geburtsjahr ihrer Kinder suchen und sich vom hohen Preis nicht schrecken lassen.

Eine beeindruckende Vorstellung war das, was Peter Gago hier ablieferte. Die Weine waren durchweg eigenständig und von hoher Qualität. Aber Penfolds weiß eben auch, was diese Solitäre wert sind, und was man wo dafür kriegen kann. Schließlich sind China und die anderen asiatischen Märkte viel näher an Australien dran als Europa.

Drei Birken in Birkenau

Nach gutem Essen war uns auf dem Wege von Düsseldorf in den Süden. Nein, es sollte keine Autobahnraststätte sein. Ein kurzer Blick in den GaultMillau verhieß in einem Restaurant namens Drei Birken in Birkenau zwischen Darmstadt und Heidelberg schmackhafte 15 Punkte. Ein kurzer Anruf von unterwegs, ja, wir durften kommen. Und dabei hatten wir noch großes Glück. Wir bekamen an einem Freitagmittag den allerletzten, freien Tisch. Spätestens nach der ersten Vorspeise wurde mir klar, warum. Hier wird wirklich großartig gekocht. Dazu tranken wir aus der klug zusammengestellten Weinkarte ein 2006 Oestricher Lenchen 1. Gewächs von Spreitzer. Reife weiße und gelbe Früchte, mineralisch, nur ein Hauch von Petrol, schöne Fülle und Länge, deutliche, aber sehr reife Säure 92/100. Da konnte der zweite Wein, ein 2008 Forster Ungeheuer GG von Reichsrat von Buhl, nicht mit. Säure ohne Ende, stahlige Frucht, zumindest derzeit wenig Trinkspaß 87/100.
Dieses gastliche Haus bekommt für alle, die von Nord nach Süd oder umgekehrt unterwegs sind eine dicke Wineterminator-Empfehlung.

Lamm in Hebsack

Nein, nur Fressen und Saufen ohne Bewegung, das ist für mich ein absolutes No Go. So war für mich auch klar, dass ich zu dieser mittäglichen Sause im Gasthaus Lamm in Hebsack mit Sicherheit nicht motorisiert kommen würde. Schließlich hatte ich da ja zwei Aufgaben, den ersten Vorabend der La Mission-Probe abarbeiten und das Mittagessen verdienen. In Klaus fand ich einen konditionsstarken Mitstreiter, der den großen 60 km Bogen über Berg und Tal bis nach Hebsack mit dem Mountainbike klaglos absolvierte. Dort saßen schon die üblichen Verdächtigen und warteten auf uns.
Wir waren ausgehungert und ausgedürstet. Da kam nach dem obligatorischen Liter Wasser der Apero grad recht, eine vorzügliche 2009 Wehlener Sonnenuhr Kabinett von JJ Prüm. Jung, aber voll trinkbar mit hohem Extrakt und feinem, schmelzigen Süße-/Säurespiel 91/100. Der stammte aus der sehr spannenden Karte des Lamm. Dieses Gasthaus im besten Sinne verfügte nicht nur über eine exzellente, regionale Küche und eine sehr charmante Wirtin, sondern auch über einen sehr Wein-affinen Wirt und eine Karte mit staunenswerten 250 Positionen.
Einer aus unserem Kreis ist Stammgast im Lamm(wäre ich in jedem Fall auch, wenn das bei mir so wie bei ihm quasi um die Ecke liegen würde) und hatte ein paar große Österreicher deponiert. Den Anfang machte ein perfekter, reifer 2002 Perwolf von Krutzler, weich, reif, hoch elegant mit wunderbarer Länge, hätte ich blind ohne weiteres nach Bordeaux geschoben 94/100. Hatte ich noch nie so gut im Glas. Sehr jung, dicht und mit gewaltigem Potential der 2006 Salzberg von Heinrich, der sicher mal die Klasse des grandiosen 2004ers erreichen kann, dafür aber noch ein paar Jahre braucht 93+/100. Und genau diesen 2004 Salzberg von Heinrich bekam ich dann auch noch ins Glas. War das hier eine Umerziehungsmaßnahme für notorische Bordeaux-Trinker? Die hätte dann sicher ihr Ziel erreicht. Dieser Salzberg ist großer, österreichischer Rotwein, der international bestens mitspielen kann 95/100. Aber er zeigt auch, dass die Österreicher nicht nur beim Weinmachen schnell lernen. Auch das Preise erhöhen haben sie schon bestens drauf und der Salzberg bewegt sich preislich bereits in absurden, bordelaiser Höhen. Und dann gab es da noch den wild-exotischen 2005 Battonage der Wild Boys of Battonage. Klar ist der überdreht, provoziert und macht an, aber er hat auch was mit seiner fruchtig-explosiven Fülle. Nur eine ganze Flasche möchte ich davon alleine nicht trinken.
Als Absacker wählten wir aus der Karte einen 2009 Riesling Schieferterrassen von Heymann Löwenstein, der noch einen deutlichen Spontistinker hatte, ein sehr eleganter, mineralischer Wein, der sich aber nicht in Hochform zeigte. Mir persönlich war die grandiose, filigrane, sehr ausgewogene, geradezu sinnliche 2010 Morstein Auslese von Wittmann deutlich lieber. Die gewaltige 2010er Säure ergänzt die jugendliche Süße dieses Weines derart perfekt, dass er voll trinkreif wirkt und einen immensen Spaß macht 93/100.

Steinheuer in Bad Neuenahr

Natürlich hatten wir auch auf der Rückfahrt von der La Mission Probe Hunger. Da wir früh dran waren(nur der frühe Vogel kriegt ein gutes Mittagessen) bot sich Steinheuer in Bad Neuenahr an. Eines meiner Lieblingslokale mit göttlicher Küche, das leider viel zu selten auf dem Weg liegt. Gerade zweimal habe ich das im letzten Jahr hierhin geschafft. Einmal natürlich zu Elke Dreschers großartiger Weihnachtsprobe im Dezember. Die ist für mich Pflichtprogramm(eine der wenigen Pflichten, die ich wirklich liebe) und ja bereits veröffentlicht. Im Sommer versuche ich aber auch stets, die Familie zu einem Fahrradausflug hierhin zu überreden. Im letzten Jahr hat das gut geklappt. Die Weine vom letzten Sommer, da noch nicht veröffentlicht, lasse ich hier mit einfließen.
Pure Sünde war natürlich wieder das, was hier auf den Teller kam. Da macht sündigen richtig Spaß. Mit Sebastian Bordthäuser hat das Steinheuer einen sehr kundigen Führer durch die gewaltige Weinkarte, dessen immenses Wissen nicht angelesen sondern hart erarbeitet ist. Auf die letzten Flaschen spezialisierten wir uns diesmal. Denn der 2004 Wallufer Walkenberg Alte Reben von J.B. Becker war die letzte Flasche. Das zusätzliche Jahr hatte diesem Wein sehr gut getan. Im letzten Jahr notierte ich noch "blutjung, messerscharfe Präzision, komplex, sehr lang, ein Riesling Riese im werden für 20+ Jahre, bekommt mit viel Luft im Glas cremigere Textur 93+/100." Jetzt präsentierte er sich deutlich druckvoller, offener mit enormer Strahlkraft und perfekter Statur, ein gewaltiges Riesling-Monument 95/100. Schade, dass so etwas in der Gastronomie schon ausgetrunken ist(in "normalen" Restaurants schon lange) wenn der Spaß erst richtig los geht. Die letzte Flasche war es auch vom 2004 Gantenbein Chardonnay. Auch diesen Wein habe ich diesmal deutlich höher bewertet als im letzten Sommer. Natürlich machen die Gantenbein-Chardonnays auch jung Spaß. Aber auch die legen mit ein paar Jahren zu und gewinnen deutlich an Komplexität. Das hier war jetzt ganz großes Chardonnay-Kino. Reif, auf dem Punkt, die Nase rauchig, mineralisch mit kandierten Kräutern und einer intensiven Himbeernote, wurde mit der Zeit immer minziger und wirkte bei aller Opulenz niemals breit, baute im Glas mächtig aus mit massig Schmelz und Fülle. Ja, wir hatten da unstrittige 96/100 im Glas gegenüber 93/100 im Vorjahr. Wie geht das? Ganz einfach, wir hatten das große Glück, den Gantenbein genau an dem einen Punkt zu erwischen, wo jeder Wein über sich hinauswächst. Da helfen keine Jahrgangstabellen, da hilft nur dieses riesige Glück dieser Sternstunde in der Entwicklung eines Weines, die wir hier und heute erleben durften. Inzwischen hatte Sebastian Bordhäuser im Keller gegraben und als Einzelstück einen 1995 Meursault Les Meix Chavaux von Roulot hervorgezaubert. Der konnte auf hohem Niveau nicht mit. Ein kräftiger, würziger, sehr mineralischer, geradliniger Wein mit großartiger Statur, den eingefleischte Burgund-Puristen vielleicht vorziehen würden, aber gegen den "Liquid Sex" der Gantis kam er nicht an 94/100. Auch der 2005 Pinot Noir von Gantenbein war die letzte Flasche, aber besser wir, als jemand anderes am Vortag. Das war kein großer Burgunder, kein intellektueller Wein, aber eine gigantische Spaßnummer mit fröhlich hedonistischen Anlagen zum hemmungslos genießen, hohes Suchtpotential 94/100. Im Vorjahr hatten wir stattdessen einen anderen Solitär im Glas, einen 2004 Gärkammer 1. Gewächs von Adeneuer. Ein großer, sehr druckvoller Spätburgunder mit wunderbarer, reifer Frucht, Himbeere, süße Kirsche, Schattenmorelle, baute enorm im Glas aus und wurde immer komplexer und länger 94/100. Und dann musste es in diesem Jahr zum Abschluss unseres fürstlichen Mahles noch eine 1996 Oberhäuser Brücke Auslese Goldkapsel von Dönnhoff sein. Immer noch so jung mit Rasse und Klasse, dekadent leckere Frucht, die Süße perfekt durch eine intensive Säure balanciert, sehr hoher Extrakt, gewaltige Struktur und Länge 95/100.
Sehr zufrieden und mit leutenden Augen verließen wir diese gastliche Stätte. Die Probe bei Elke im Dezember habe ich schon gebucht, die Fahrradtour im Sommer ist in Planung. Eigentlich sollte ich mir noch einen vierten Anlass einfallen lassen.

Hoferöffnung bei Stappen

Carmen Stappen hatte extra für uns liebenswerter Weise draußen einen schönen Sonnentisch aufgebaut. An dem feierten wir an diesem genial-sonnig-warmen Sonntagmittag die inoffizielle Hoferöffnung. Und wie sich das gehört, taten wir das begleitend zur herrlichen Stappenküche mit großen Weinen. Den Anfang machte eine fantastische 2010 Wehlener Sonnenuhr Spätlese von JJ Prüm. Bei den Prüms scheint mit Tochter Katharina frischer Wind eingekehrt zu sein. Weniger Schwefel, deutlich frühere Trinkbarkeit, mal sehen, wie sich das auf das Alterungspotential auswirkt. Diesen blitzsauberen 2012er mit seiner herrlichen Frucht und der superben Balance zwischen Süße und Säure konnte man jedenfalls mit größtem Genuss schon so wegschlabbern. Kann man einem Wein ein größeres Kompliment machen, als gleich eine zweite Flasche zu bestellen? 93/100. Aber es ist nicht nur der "frische Wind", der diesen Wein so gut früh trinkbar macht. Es ist auch die stramme 2010er Säure, von der die restsüßen Weine in der Jugend enorm profitieren. Bei den trockenen Weinen sieht es genau andersrum aus. Die müssen oft noch eine ganze Weile liegen. Das gilt sicher auch für den 2010 Sauvignon Blanc 500 des Weingutes von Winning. Ein spektakulärer Wein mit messerscharfen Konturen, sehr geradlinig mit puristischer Frucht, rassig, zupackend 91+/100. Wird noch deutlich zulegen und hat mit dem fürchterlichen Allerweltsgedusel, das sonst so als Sauvignon Blanc verkauft wird, nichts gemeinsam.
Und dann kam gleich die erste Pleite. Ausgerechnet der 1992 Petrus, mit dem wir uns den Sonntag verschönern wollten, hatte einen ziemlich üblen Kork. Und da es unser Wein war, gab es nichts zu reklamieren. Jetzt half nur noch die Nummer mit der Frischhaltefolie. Skeptisch waren sie alle, ob das wirklich funktioniert. Aber genau das tat es. Wir kriegten nach einer Stunde vielleicht einen Punkt weniger in Glas als bei diesem Wein gewohnt, einen Hauch weniger Frucht. Aber es blieb ein für den Jahrgang erstaunlich generöser, herrlich zu trinkender, weicher Wein auf 93/100 Niveau. Völlig ohne Korkton und drei Klassen besser als wegschütten!
Die Wartezeit hatten wir uns mit einem 2009 Aalto PS vertrieben, dieser genialen, flüssigen Droge aus Ribera del Duero. 2009 galt dort als sehr gutes Jahr und dieser PS präsentierte sich so, wie ich ihn aus großen Jahrgängen kenne. Jugendliches Purpur, perfekte Proportionen, süßer Schmelz ohne Ende, superbe Frucht, hohe Mineralität und dabei so unglaublich balanciert. Da ist nichts Dickes, nichts Schweres, einfach Hedonismus in seiner schönsten Form 96+/100. Wird sicher noch etwas zulegen, zeigt aber schon so unglaublich viel. Für mich ist und bleibt der Aalto PS auch mit diesem Jahrgang einer der Spitzenweine weltweit mit dem besten Preis-/Leistungsverhältnis. Wer kann, stellt diesen PS mal als Pirat in eine Blindprobe mit den so hoch bewerteten 2009er Bordeaux. Das könnte für Überraschungen sorgen. Dadurch, dass die 2009er Bordeaux so offen und sexy sind, gibt es schon gewisse Ähnlichkeiten. Nur die Preisschilder dürften bei den Topqualitäten wohl andere sein.
Als Abschluss unseres herrlichen, vorsommerlichen Sonnenmenüs genehmigten wir uns aus der Stappenkarte noch eine 2008 Graacher Himmelreich Auslese Goldkapsel von JJ Prüm. Auch das ein Prüm sches Meisterwerk, noch sehr jung und doch schon so zugänglich, exotische Früchte, Honig, feine Kräuternoten, sehr mineralisch, gewaltiger Extrakt, herrliches Süße-/Säurespiel und wieder mit dieser unvergleichlichen, tänzerischen Leichtigkeit 94/100. Sicher ein Wein, der die nächsten 30 und mehr Jahre in immer neuen Facetten begeistern wird. Das ist die Art von Wein, die probiert man jung in einem Restaurant(danke, liebe Carmen, dass Du immer wieder solche Schätze ausgräbst und die so gastfreundlich kalkuliert anbietest) und lässt sie zuhause liegen.

Ganz schön gefährlich dieses D´Vine

Wenn ich arbeite, trinke ich mittags keinen Alkohol. Und deshalb mache ich nach Möglichkeit in der Woche mittags auch einen großen Bogen um dieses D Vine. Das ist eigentlich eine Affenschande. Für nur € 19.50 gibt es dort mittags als Businessmenü zwei gut bemessene Gerichte nach freier Wahl aus der sehr ansprechenden Mittagskarte. Aber Toni ist und bleibt nun mal der große Weinverführer. So hat er mich erst kürzlich dann doch zu einem wunderbaren Glas 1979 Eitelsbacher Sang Spätlese vom Karthäuserhof überredet. Immer noch so frisch und elegant mit feiner Frucht und dezenter Süße. Kein Wunder, ist ja auch Tonis Geburtsjahr 89/100. Nur in den ersten drei Aprilwochen ist das D Vine gefahrenfreie Zone. Wenn der gute Toni dann so guckt, als habe er gerade die Flüssigkeit eines Fasses eingelegter Gurken getrunken, dann hat er das vielleicht auch. Denn in diesen drei Wochen trinkt Toni keinen Tropfen Alkohol. Und ein Eunuch ist nun mal ein schlechter Verführer.

Montepeloso Gabbro 2008

Eigentlich braucht der Gabbro, der Spitzenwein von Montepeloso ein paar Jahre zur vollen Entfaltung, aber dieser 2008er aus einer Flasche, die mir Fabio Chiarelotto im letzten Jahr mitgebracht hatte, zeigte heute schon enorm viel, dichte, süße dunkle Frucht, Tabak, gute, stützende Säure, dunkle Schokolade, cremige Textur, lang und hoch aromatisch am Gaumen, macht jetzt schon enormen Spaß und kann sicher noch zulegen - 95/100.

Draussen vor dem Saittavini

Auch das war eine Premiere, im März draußen vor dem Saittavini, Sommerfeeling noch vor Frühlingsanfang. Den 1991 Regaleali Chardonnay, den mir Michelangelo kredenzte, schien das irgendwie beflügelt zu haben. Erstaunlich präsent noch, dieser Wein, der mächtig im Glas zulegt, nussig und mit feiner Kräuternote 89/100. Traumhaft schön danach der saftig-komplexe 2009 Malterer von Huber, kräftig, lang und erst ganz am Anfang, geht blind auch als Burgunder durch 93/100. Ich bin seit langen Jahren ein großer Fan dieser Cuvée aus Weißburgunder und Freisamer. Allein die Flasche selbst, um die sich die Abbildung eines alten Wandteppichs, des Malterers, schlängelt, ist schon sehenswert. Erstaunlich weich, offen und elegant zu Anfang der 2005 Barbaresco Falletto von Bruno Giacosa mit kräuterig-lakritziger Nase und Veilchen, auch am Gaumen erst offen, doch mit der Zeit schleichen sich immer mehr die mächtigen Tannine an 92/100. Bass erstaunt war ich, als ich auf der Flasche entdeckte, dass wir die Nr. 0001 tranken. Hatte ich noch nie.

Erstaunlich gut trinkbar eine sehr rarer Senior, der 1956 Barolo von Alfredo Prunotto, immer noch voll intakt in der Farbe, etwas rustikal, aber kaum Alterstöne 87/100. Als Abschluss kam noch ein 2008 Terra di Monteverro ins Glas, der sich wie sein großer Bruder derzeit in bestechender Form befindet 93/100. Glücklich darf sich schätzen, wer solche Qualität als Zweitwein produzieren kann.

Abends vor dem D´Vine

Sollte das jetzt so weitergehen? Auch im D Vine verbrachten wir einen prächtigen Abend auf der Terrasse, natürlich in Begleitung nicht minder prächtiger Weine. Den Anfang machte, während Toni den 82er Leo schon mal in die große Badewanne goß, ein sehr schön anzuschauender 1973 Perriet Jouet Belle Epoque. Aber der Inhalt kam leider mit der Flasche nicht mit. Der prickelte nicht mehr und war auch sonst nicht mehr prickelnd, eher wie ein cremiger Sherry mit viel Toffee, Karamel und feiner Süße, als solcher ok, als Champagner eher platt. Sehr erstaunlich ein 1970 Tour de By in einer Schroeder & Schyler Abfüllung, noch so jung und voll da mit guter Struktur und feinem Schmelz 90/100. Keinerlei Alter zeigte der 1949 La Dominique aus St. Emilion, ein sehr überzeugender Wein mit Fülle, Schmelz, Eleganz und Süße 93/100. Ein Riese dann der immer noch so junge, komplexe, enorm druckvolle 1983 Lafleur, der ewig am Gaumen blieb, aber viel zu kurz im Glas, ein gewaltiger Wein, so ein richtiger Petrus für Erwachsene 98/100. Und dann gab es noch eine eindeutige, schlüssige Antwort auf die Frage: können Weine in Weinkühlschränken altern? Vor 25 Jahren habe ich diesen 1982 Leoville las Cases in meinen Eurocave gepackt. Jetzt war der immer noch so extrem jung und konzentriert, ein Wein, der bis zur Perfektion noch mal 10 Jahre braucht 95++/100. Und wenn er dann immer noch nicht reif ist, hole ich ihn aus dem Eurocave und lagere ihn unterm Bett.

Best Bottle im D´Vine

Natürlich gab es noch einen weiteren D Vine Abend. Aber das war der 31. März, also nach Frühlingsanfang. Und da hatte sich pünktlich Aprilwetter eingestellt und verscheuchte uns wieder nach drinnen.
Gemischt waren bisher meine Erfahrungen mit dem 1991 Ermitage de l Orée von Chapoutier. Doch an diesem Abend hatte dieser Wein seinen großen Auftritt. Ein enorm dichtes Kraftbündel, sehr mineralisch, extrem lang und nachhaltig, einem großen Burgunder nicht unähnlich, aber mit Turbolader 96/100. Mein Rat: rechtzeitig dekantieren (2 Stunden) und dann in die größten Burgundergläser, die sie haben. Kühl einschenken und im Glas erwärmen lassen. Immer wieder nippen und dem wein Zeit im Glas geben. Und dann, im "Magic moment", einen Riesenschluck nehmen und mit glücklichem Gesichtsausdruck langsam die Kehle runterlaufen lassen.
Schlichtweg spektakulär danach der Auftritt dieses 1947 Clauzet aus St. Estephe. Heute ist das eine kleine, unbedeutende Domaine, die einen ziemlich belanglosen Cru Bougeois erzeugt. Aber damals hatten die wahrscheinlich die gelungene Kombination aus alten Rebstöcken und enormem Glück bei der Lese. Unglaublich, was bei diesem Wein im Glas abging. Eine Wahnsinnsnase mit üppiger, hedonistischer Frucht, Sylter Rote Grütze, aber auch Tee, am Gaumen Kraft, Süße, Säure, Spannung, Struktur und Länge, ein gewaltiger, sehr nachhaltiger Auftritt 97/100. Was für ein Traum auch der 1950 Palmer in einer deutschen Abfüllung von Erdmann&Kähler. Seidige Würze, Kraft, deutlich über den Chateauabfüllungen dieses Weines, süsse Frucht, Eleganz, Länge - 93/100. Für das Alter immer noch enorm kraftvoll der 1928 Martinez Lacuesta mit dichter, bräunlicher Farbe und teeriger Nase mit viel Kaffee, aber auch mit flüchtiger Säure am reifen, weichen Gaumen 92/100. In perfektem Zustand ein 1961 Smith Haut Lafitte, sehr dichte, junge Farbe, Kraft, tolle Frucht, Teer, Cigabox, Tabak, am Gaumen feiner Schmelz ung gewaltige Länge 96/100. Auf Augenhöhe mit den großen Pessacs.
Kernig im besten Sinne der edelrustikale 1978 Hermitage von Chapoutier, ein Kraftbündel mit ganz eigenem Charme und erster Süße 95/100. Im Vergleich dazu wirkte der 1989 Beaucastel fast filigran, ein zwar sehr nachhaltiger, aber auch eleganter, zugänglicher Wein mit süßer Frucht, Erdbeeren, Himbeeren, sehr lang am Gaumen, reifer als ich ihn sonst kenne 96/100. Beim nächsten Wein war ich mir ziemlich sicher, das musste ein jüngerer Heitz Martha s sein, soviel Minze, Eukalyptus, altes Sattelleder, soviel fast brutale Kraft. War es aber nicht, sondern ein 1988 Solaia in sehr gutem Zuistand mit immer noch gewaltigem Potential 95+/100. Steht ab sofort auf meiner Suchliste. Sehr jung und stückweit immer noch verschlossen der 1988 Pichon Baron, der sich nur im Schneckentempo entwickelt. Fleischig mit pflaumiger Frucht, dominiert von immer noch mächtigen Tanninen 92+/100. Immerhin war das die bisher offenste Flasche dieses Weines, der seinen entgültigen Trinkhöhepunkt je nach Lagerung wohl erst in 5-10 Jahren erreichen dürfte. Kräftige Tannine hat auch 1995 Grand Puy Lacoste, aber die sind gut verpackt in geradezu süchtig machender, süßer, rotbeeriger Frucht. Da fällt es schwer, von zu bleiben 94/100.
Erstaunlich gut auch der (für mich) letzte Rotwein des Abends, ein 1983 Les Forts de Latour, der dem Grand Vin in der Stilistik sehr ähnlich war 92/100.
Geflüchtet bin ich seinerzeit zu später Stunde aus dem D'Vine. Genug war einfach genug. Nur war meine 1976 Tokay Selection Grains Nobles von Hugel schon geöffnet. Dumm gelaufen. Doch als ich nach 10 Tagen mittags ins D Vine kam, war dieses Riesenteil in der offenen, nicht mal mehr halb gefüllten(der Toni hatte immer eifrig dran genascht) Flasche immer noch so taufrisch mit generöser, karamelliger Süsse, bitterer, englischer Orangenmarmelade und guter, balancierender Säure. Wie eine gelungene Kreuzung aus einer TBA und einem Sauternes, mit erstaunlicher Leichtigkeit und Finesse. Aber 76 war ja auch ein grosses Elsass-Jahr und Hugel damals top - 97/100. Und wie heißt es so schön auf der Rückseite: Hugel a elevé avec amour et pour votre plaisir ce vin....