Oktober 2012

Der verkannte Jahrhundertwein

Die Flasche war leer, die Karaffe auch, aber im Glas war noch ein großer Schluck. Und das von einem lange verkannten Jahrhundertwein, dem genialen, immer noch so jungen 1988 Mouton Rothschild. Tiefe, undurchdringliche Farbe, Cassis mit Minze pur, Bleistift, Sattelleder, perfekte Struktur, immenses Tanningerüst und gewaltige Länge. Macht jetzt schon enormen Spaß(falls mindestens 2 Stunden dekantiert) und wird das sicher noch mindestens 20-30 Jahre tun. Da waren locker 98/100 im Glas. Diese Erlebnis hätte ich mir gerne geteilt, aber da war sonst niemand. Das muss man dann einfach abkönnen. Aber ganz offen gesagt konnte ich sehr gut damit umgehen. Und dann freute ich mich auf den letzten Schluck.
Und natürlich freue ich mich auch auf die nächsten Flaschen. Schier verzweifelt bin ich lange am bissigen, zugenagelten 88er so wie an vielen, anderen Bordeaux des Jahrgangs auch. Und dann kam 2008 in der Schweiz eine große Probe, die mir die Augen öffnete. Danach habe ich gezielt und heftig zugekauft.

Spontan und gut

Was für ein geiler Abend war das im Antichi Sapori, einem sehr authentischen, italienisch sardischen Restaurant in Düsseldorf. Ganz spontan hatten wir uns zusammengefunden. Spontan war auch die vorherige Weinauswahl im Keller. Kein langes Grübeln, keine großen Planungen. Spontan habe ich einfach in die Fächer gegriffen, bei deren Anblick mich große Weinlust überkam. Und es passte. Wir hatten enormes Flaschenglück. Wir bekamen dazu superbes Essen auf den Teller, und wir wurden von einer lebenslustigen Crew verwöhnt. Der Laden wird mich noch häufiger sehen.
Angefangen haben wir mit einem einmaligen 1995 Riesling Brand Vendange Tardive von Zind Humbrecht. Ein enormer, druckvoller Wein, der allerdings seine Restsüße nicht verbergen konnte 93/100. In ihrer Jugend mag ich diese weine überhaupt nicht. Da sind sie mir zu süß, zu diffus, zu ungelenk. Nach 20 Jahren sieht das völlig anders aus. Dann entstehen daraus wie harmonisch trockene, enorm druckvolle, komplexe Weine. Im letzten Jahr haben wir die Zwillingsflasche auf einer Best Bottle länger vorher dekantiert, was ihr sehr gut tat. Der Gedanke daran ging diesmal bei aller Spontaneität und der Gier, endlich was ins Glas zu kriegen, verloren, was uns sicher 2 Punkte Genuss kostete.
Immer noch so jung präsentierte sich danach der schmezig-schokoladige, elegante 1990 Ornellaia 94/100. Als großer großer Pomerol ging danach der 1995 Masseto durch, dem Petrus des Jahrgangs sicher mindestens ebenbürtig 98/100. In Bestform zeigte sich mit einem Pfauenrad an Aromen und einer exotischen, süßen Würze der enorm dichte, einmalige 1999 La Turque, Guigal at ist very best 100/100. Als großer perfekt gereifter Pauillac mit der klassischen Mouton-Aromatik aus Cassis, Minze, Sattelleder und Bleistift zeigte sich der 1985 Mouton Rothschild, der aus dieser Flasche noch recht jung wirkte 94/100. Aus anderen Flaschen kenne ich ihn auch schon leicht schwächelnd. Und dann hatte ich last not least noch einen wunderbaren Schmuse-Bordeaux mit. Schmelz ohne Ende zeigte diese erotisch schöne 1985 Pichon Comtesse 95/100. Was für ein Traumabend.
Eigentlich war ich glücklich und bettfertig. Doch aus unserem Kreise hatte noch jemand zwei Flaschen dabei, und Gefangene wollten wir keine machen. Also raus den Korken aus dem 2008 Meursault Les Chevalières von Lucien le Moine. Ein kräftiger, würziger, sehr mineralischer, noch jung wirkender Meursault, der sicher noch zulegen kann 90+/100. Und als ob ich noch einen letzten Rest Bettschwere gebraucht hätte, erledigte das der hedonistische, üppige, sehr eigenständige 2008 Composition Reif von Josephus Mayr vom Erbhof Unterganzner in Südtirol. Die Verwandtschaft mit dem Lamarein kann dieser Wein aus Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon, Merlot, Petit Verdot und Lagrein nicht verbergen, zumal ein Teil der Cabernet-Trauben am Stock getrocknet wird. Ein heftiger, aber faszinierender, fleischiger, großer Wein 94/100. Sicher nichts für Filigrantrinker und auch nicht zum persönlichen Genuss einer ganzen Flasche geeignet. Aber davon ein letztes Glas, das setzte mich auf eine große Wolke und ließ mich ins Traumland entschweben.