September 2005

Die parfümierte Bauernnutte

Geprägt hat diesen Begriff der begnadete Weinschreiber und Händler Martin Kössler. Er meint damit vordergründige, aufdringliche Weine, vornehmlich aus der Neuen Welt. Doch leider passt die "parfümierte Bauernnutte" auch auf ein anderes Ärgernis.
Anfang September. Ein lauer Hochsommerabend mit den Temperaturen, die wir im August so schmerzlich vermisst haben. Wir haben bei unserem Lieblingsitaliener zwei Außenplätze ergattert. Vor uns ein wunderbarer 2002 Malterer von Huber aus Baden, noch etwas jung, aber Karaffe und große Gläser helfen. Auch der Rotwein, ein 1998 Pago de los Capellanes El Picon aus Ribera del Duero funkelt schon in der Karaffe. Dazu herrliche, frische Steinpilze Herz, was willst Du mehr? Eigentlich nur noch nette Nachbarn, wie schon so oft in diesem Lokal, denn die zwei Plätze direkt neben uns sind noch frei. Doch das Unglück nimmt seinen Lauf. Zwei fürchterlich aufgebrezelte "Damen" werden neben uns platziert. Das geht mich eigentlich nichts an, ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie mit Makeup zugespachtelt sind wie eine alte Rostlaube. Aber was von ihnen rüberweht, das geht mich an und ist mehr als ärgerlich. Eine Parfümwolke ungeahnten Ausmaßes hüllt alles ein und betäubt die Sinne. Dieser widerlich aufdringliche, süßliche Duft findet sich plötzlich im Wein und auch in den Steinpilzen wieder. Verzehren kann man noch, verkosten nicht mehr. Statt nach Mandeln, geröstetem Brot und Nüssen riecht der sonst so großartige Malterer plötzlich nach billiger Bahnhofstoilette. Was tun? Ausweichen können wir nicht, das Restaurant ist restlos ausgebucht. Die Damen mit einem großen, feuchten Lappen einfach abzuwaschen verbietet sich auch, nicht nur, weil wir mit dem Lappen sicher im meterdicken Make Up stecken bleiben würden. Ärger, Frust und dann die plötzlich aufkommende Sehnsucht nach der eigenen, heimischen Terrasse.
Nicht, dass so etwas zum ersten Mal passiert wäre. Zuviel Parfüm ist in der gehobenen Gastronomie und bei Weinverkostungen genauso ein Ärgernis wie die zur Unzeit gerauchte Zigarre. Die subtilen Aromen großer Weine und großer Speisen haben dagegen einfach keine Chance. Nicht, dass es nur die Damenwelt ist, die hier daneben greift. Oft genug habe ich schon Rasierwasser-umnebelte, vermeintliche Weinkenner erlebt. Die hatten statt Dusche ein Pitralon-Vollbad genommen. Da kann man nur Reißaus nehmen.
Wir geben auf, zahlen und wollen gehen. Das sieht der Patron, der immer gerne mit uns ein Glas Wein trinkt. Gleichzeitig wird plötzlich ein Tisch außerhalb der "Riechweite" frei. Der Abend ist doch noch gerettet.
Zurück zum 2002 Malterer, dieser faszinierenden, im Barrique ausgebauten Cuvée aus Weißem Burgunder und Freisamer. Kräftige Farbe, Zitrusfrüchte, etwas Vanille und Röstaromen des dezent spürbaren Holzes, Mandeln, Haselnüsse, von kräftiger Statur mit viel Schmelz und toller Länge am Gaumen, erst ganz am Anfang 92/100. Der Malterer trinkt sich am Schönsten mit 5 Jahren Reife aus großen Burgunder- oder Bordeauxgläsern. Mehrfach habe ich in der letzten Zeit den 2000er getrunken und diesen großen Wein konstant mit 94/100 bewertet.
Groß auch der 1998 Pago de los Capellanes El Picon aus dem Ribera del Duero. Tiedunkle Rubinrot. Aus einer kleinen Parzelle mit 50 Jahre alten Tinto Fino Reben wird hier der beste Wein des Gutes erzeugt. Dichtes Rubinrot, dunkle Beerenfrüchte, Leder, Trüffel, sehr viel Lakritz, massive, aber reife Tannine, braucht viel Luft und große Gläser 94/100.
Noch deutlich verschlossener als der El Picon wirkte der zum Schluß mit dem Wirt und der Sommelière als "Absacker" getrunkene 1996 Ridge Monte Bello, ein Wein, der sicher 2-3 Stunden vorher dekantiert werden sollte. Das haben wir leider nicht getan, und so beraubten wir uns selst eines größeren Genusses. Ich habe den 96er Monte Bello in den letzten Jahren mehrfach getrunken und konstant mit 95/100 bewertet, ein Langstreckenläufer mit gigantischem Potential. Die auch an diesem Abend wieder störende Brettanomyces-Nase verfliegt in der Regel nach einiger Zeit.

Das Paradies einmal anders

Die Schweiz war mal ein Paradies für ungetrübten Weingenuss. Weinkarten voller Trouvaillen zu höchst akzeptablen Kursen. Was habe ich da in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht alles schon für Schätze gehoben. Doch das ist, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, vorbei. Was also tun, wenn man im Genf im derzeit angesagtesten Restaurant der Stadt, dem Parc des Eaux Vives sitzt, wo Fabrice Vulin sehr ambitioniert und ganz vorzüglich aufkocht? Einfach zu Schweizer Weinen greifen. So wie die Raritäten aus Bordeaux und Burgund von den Weinkarten verschwanden, oder in unerreichbare, preisliche Dimensionen abdrifteten, wuchsen aus der Schweiz neue, große Weine nach. Von den Gantenbeins&Co aus der Bündner Herrschaft nördlich von Chur bin ich schon lange ein Fan. Jetzt habe ich auch die Weine aus dem Valais für mich entdeckt. Die Schweiz hat eigentlich eine lange Weinbautradition. Erst in den letzten Jahren geben aber Winzer sowohl im Gebiet des Genfer Sees als auch im traumhaft und klimatisch begünstigt zwischen mächtigen Viertausendern gelegenen Wallis richtig Gas. Sehr angetan waren wir von einem 2002 Savagnin Blanc von Nicolas Zufferey, Zitrusaromen, reife Herbstfrüchte, Birne, voll und lang am Gaumen 91/100. Schön auch ein 2001 Perles du Soleil von Claude Clavien, eine sehr feine Assemblage von Petit Arvine und Chardonnay 87/100. Noch mehr beeindruckte uns aber ein Syrah dieses Winzers, 2000 Encre de la Terre, ein sehr würziger, pfeffrig-delikater Syrah, der es mit der Rhone gut aufnehmen kann 92/100. Alle drei Weine übrigens eine Empfehlung des kenntnisreichen Sommeliers dieses sehr empfehlenswerten Restaurants. Als blutiger Anfänger in Sachen Weine aus der Schweiz werde ich solch kompetente Hilfe sicher gerne noch eine Weile in Anspruch nehmen.

Der richtige Wein im richtigen Moment

Oft werde ich gefragt, ob ich denn keine "normalen" Weine trinke. Natürlich tue ich das, meine aber nicht, dass jeder irgendwo genossene Landwein unbedingt auf diese Seite gehört. Das heißt noch lange nicht, dass nicht auch und gerade solch ein Wein immensen Spaß machen kann. Genau dieses Erlebnis hatten wir zum Monatsende in 1432 m Höhe hoch über dem Lac d Annecy. Hinter uns die gewaltige Tournette, von der wir gerade kamen. Unter uns der See. Ein wolkenloser Himmel. So saßen wir auf einer Hochalm, dem Chalet de l Aup und beobachteten genußvoll den Almabtrieb der Schafe, die wie junge Gemsen über die Felsbrocken sprangen. Vor uns ein junger, frischer Wein ohne Jahrgangsangabe, ein Roussette de Seyssel von Martine und Betrand Mollex. Dieser trockene Wein aus der Rebsorte Altesse - eigentlich ein Stillwein, denn aus dieser Rebsorte wird sehr viel moussierender Wein gewonnen - paßte perfekt zu den hausgemachten Tom und Reblochon der Alpe. Weiße Früchte, etwas Veilchen, trocken und trotzdem mit einem ganz dezenten Honigton. Natürlich nicht sehr komplex, aber der richtige Wein für diesen Augenblick. Wenn der Himmel so voller Geigen hängt, mit dieser faszinierenden Beleuchtung und Stimmung, wie sie nur die frühherbstliche Sonne produziert, dann wird das einfachste, ehrliche Produkt zum Erlebnis, das sich jeder Bepunktung verschließt.
Von der Alpe aus ging es dann bergab, direkt zu Marc Veyrat. Sie ahnen vielleicht, wo ich mich wohler gefühlt habe.