Sylter (W)Eindrücke 2010

Glück im Unglück hatten wir. Eigentlich sollte es schon Ende Juli für drei Wochen nach Sylt gehen. Doch ein komplizierter Fußbruch in der Familie machte uns einen Strich durch die Rechnung. So mussten wir fast bis zur Monatsmitte warten, doch das war im Nachhinein gut so. Eine noch nie gekannte Fülle hatte die Insel von Mitte Juli bis Mitte August heimgesucht. Straßen, Quartiere, Restaurants und Strände, alles war bis zum Limit und darüber hinaus überfüllt. Im Juli kam dazu die Hitzewelle, Anfang August der große Regen. Da ging es uns deutlich besser auf einer wenigstens etwas entspannteren Insel. Für den nächsten Sommer werde ich versuchen, daraus zu lernen. Da wir nicht zu Familie "Wichtig" gehören, die zu den Prommifeeten in der heißen Zeit des Jahres müssen, schieben wir unseren Urlaub in Zukunft immer etwas nach hinten. Wer Sylt von seiner schönsten Seite erleben möchte, nutzt ohnehin die Monate Mai und Juni oder September und Oktober.
Stau zwischen Osnabrück und Bremen, vor dem Elbtunnel oder auf der A7 Richtung Flensburg oder vor der Autoverladung in Niebüll? Nicht für uns. Jahrzehnte haben wir uns mit dem Auto nach Sylt gequält. Das ist vorbei. Auf Sylt selbst bewegen wir uns an den Saisonstaus vorbei mit dem Fahrrad. Und nach Sylt bringt uns statt gequälter, bis zu 10 Autostunden in gut 50 Minuten ein Airbus von Air Berlin.
Gleich nach der Landung an einem prächtigen, sonnigen Nachmittag zog es uns zur Kampener Sturmhaube. Dort genossen wir draußen auf der Terrasse mit der herrlichen Abendsonne und dem Rauschen des Meeres im Hintergrund die einmalige, Sylter Champagnerluft. Natürlich gab es zur formidablen Küche des Hauses aus der umfangreichen Weinkarte auch etwas Anständiges ins Glas. Ein 2005 Treana Mer et Soleil aus jeweils 50% Marsanne und Viognier machte mit tiefem Goldgelb den Anfang, Vanille ohne Ende, Kraft und Fülle, cremige Textur, wer das mag, gerät in Extase und gibt mehr als meine 90/100. Danach ein 2006 Sattlerhof Sauvignon Blanc Privat. Auch hier viel Vanille und Kraft, etwas mehr Säure, aber der Sauvignon Blanc wirkt etwas vergewaltigt, wo bleibt die schöne Frucht ? 87/100. Hoch bewertet ist 1998 Fox Creek Shiraz Reserve bei Robert Parker. Das war bestimmt mal eine tolle Granate, aber inzwischen wirkte er eher etwas müde und wanderte deutlich oxidiert in Richtung altem Balsamico, gehört eigentlich nicht mehr in mein Glas, sondern auf Tomate Mozarella 82/100. Da musste zum Traum-Sonnenuntergang, den wir zum Abschluss genießen konnten, noch etwas Besseres her. Das fanden wir in der letzten Flasche 1999 Barbaresco Valeirano La Spinetta des Hauses, ein spannender, kerniger, sehr komplexer Wein mit kräuteriger Note 93/100. Bei einem anderen Besuch lernten wir dann, warum die Sturmhaube so heißt. Wärend draußen Regenstürme peitschten, saßen wir schön kuschelig drinnen. Vor uns ein gewaltiger 2006 Halenberg GG von Schäfer-Fröhlich mit explosiver Frucht, nur marginal schlanker als der 2007er 93/100. Spannend und recht umfassend ist die Weinkarte, und doch enthält sie nur noch 5 Bordeaux und so Björn demnächst vielleicht keinen mehr. Ein neuer Trend? Mit Sicherheit aber eine klare Folge der immer schneller steigenden Bordeaux-Preise.

So ganz ging der nasseste August seit langem eben auch an uns nicht vorüber. Sylt war zwar in der zweiten Augusthälfte deutlich trockener als der Rest der Republik, aber von prickelndem Strandwetter konnte nicht mehr die Rede sein. Also machten wir eher einen klassischen Vor- bzw. Nachsaison-Urlaub mit langen Fahrradtouren und Spaziergängen. Lohnende Ziele in Form guter Restaurants gibt es ja auf Sylt zuhauf. Bevor ich zu unseren diesjährigen Lieblingszielen komme und den Weinen, die wir dort ins Glas bekamen, hier ein paar grundsätzliche Infos zu Essen und Trinken auf Sylt.

Viele Syltfans buchen die abendlichen Tische für ihren Urlaub schon Wochen und Monate im Voraus. Das ist für die angesagten Läden leider auch unumgänglich, zumindest in der Hauptsaison. Die besonders begehrten Tische in der Sansibar werden teilweise schon ein Jahr im Voraus geordert. Mir geht das inzwischen fürchterlich auf den Keks. Ich weiß im Urlaub am Montag noch nicht, worauf ich Freitag Hunger habe, geschweige denn 6 Wochen vorher. Und wie oft ist es mir passiert, dass ich einen langfristig reservierten Tisch in einem der Sternetempel hatte, aber just an dem Tag herrlichstes Wetter zu einem Strandtag Ende offen einlud. Gibt es einen Weg aus diesem Dilemma, und gibt es Geheimtipps, wie man auch kurzfristig an einen Tisch kommt? Na klar, hier sind Wineterminators Geheimtipps für ungetrübte Sylter Wein- und Tafelfreuden:

Gegen den Strom schwimmen. Das ist derzeit meine Maxime auf Sylt. Ich renne nicht hinter den Lemmingen her und schlage mich um die raren Abendplätze. Stattdessen essen wir oft am frühen Nachmittag an lauschigen Plätzen. Ganz entspannt geht es da in den Restaurants zu. Abends bietet sich dann immer noch ein Snack und ein Glas Wein in irgendeiner Bar an.
Draußen essen. Viele Restaurants haben Terrassen, nehmen für die aber wegen des Wetterrisikos keine Reservierungen an. Dabei liegen diese Terrassen meist windgeschützt, oft sogar zumindest teilweise überdacht und mit Strahlern gewärmt. Einfach etwas wetterfester und wärmer anziehen und schon haben Sie spontan einen schönen Tisch. So haben wir es z.B. in diesem Jahr mehrfach bei Jörg Müller gemacht. Auf dessen herrlicher Terrasse waren wir meist ganz alleine, während im Restaurant alles besetzt war. Die meisten Menschen sind halt unflexibel, da hat, wer flexibel ist, meist schon gewonnen.
Auf Risiko gehen. Immer wieder passiert es, dass Tische ganz kurzfristig abgesagt werden, oder die Leute einfach nicht kommen. Das kann eine einmalige Chance sein. Allerdings bietet sich diese Chance nur für Restaurants an, bei denen es für Plan B und C noch Ausweichmöglichkeiten nicht weit entfernt gibt.
Später kommen. Ein Tisch in der Sansibar gefällig, ohne Vorbestellung abends noch am gleichen Tag? Einfach spät kommen. Um halb Zehn abends sind meistens schon wieder die ersten Tische frei. Da bleibt noch genügend Zeit für Sansibar-Feeling. Gilt natürlich für die meisten anderen Restaurants auch.

Fangen wir doch mit den Plätzen an, wo man vor allem bei Tageslicht den Blick weit schweifen lassen kann, den schönsten Aussichtsplätzen auf Sylt. Da gehört natürlich die Sturmhaube zu. Besonders von der großen Außenbar hat man einen traumhaften Blick über den gesamten Norden der Insel und beide Meere. Getoppt wird das nur vom Waltershof in Kampen. Hier vor dem Hotel im Strandkorb sitzen zu dürfen mit einem guten Glas Wein in der Hand und dabei das prächtige Farbenspiel des Abendhimmels zu beobachten, das ist schon fast die Reise wert. Wir bestellten wir uns zunächst einen 2004 Salzberg von Heinrich, Vor Jahren habe ich diesen Wein zweimal verkostet und konnte ihm überhaupt nichts abgewinnen. Inzwischen hat er sich enorm entwickelt. Das ist jetzt ein immer noch sehr dichter, aber gut trinkbarer Traumstoff mit satter Schwarzkirsche und langem Abgang - 93/100. Nicht minder überzeugend der 2005 ET Marienthal von Triebaumer, tiefe, dichte Farbe mit Schwarzpurpur, ein gewaltiges Fruchtkonzentrat mit unerhörter Präzision, noch ganz am Anfang 92+/100.
Die Seele baumeln lassen kann man auch perfekt auf der Terrasse des Munkmarscher Fährhaus mit weitem Blick über den kleinen Hafen und das Wattenmeer. Tagsüber gibt es "nur" die Bistrokarte, aber dazu wenigstens das sehr dicke Weinbuch des Gourmet-Restaurants. So begannen wir einen der frühen Nachmittage dort(unbedingt reservieren! die Terrasse ist ansonsten für Hotelgäste reserviert) mit einem eleganten, floralen, erdigen 2008 Silvaner Sehnsucht von Horst Sauer 90/100. Dem folgte ein schlichtweg fantastischer 1996 Cabernet Sauvignon von Cathy Corison. Einfach hohe Schule war das, minzig, ledrig mit reifer, süßer Frucht, sehr elegant und vielschichtig mit wunderbarer Länge am Gaumen, und das alles mit nur 12,8% Alkohol 95/100. Eigentlich müsste ein solcher Wein all den Winzern, die mangels Fähigkeiten auf den Geschmacksträger Alkohol setzen und 15+% Boliden erzeugen die Schamesröte ins Gesicht treiben. Nicht mehr suchen müssen Sie auf der Karte nach dem 1998 La Landonne von Michele Gerin, rauchig, speckig, reife Tomate, sehr würzig und mit burgundischer Fülle 94/100. An einem anderen Nachmittag tranken wir den noch recht jungen, kräftigen 2007 Dalsheimer Hubacker GG von Keller 92/100, gefolgt von der faszinierenden 2006 Abtserde dieses Winzers, einem schlichtweg atemberaubenden Wein 95/100. Davon habe ich im letzten Jahr bei den Stappens in Korschenbroich im Laufe des Sommers einen ganzen Karton leer getrunken. Klar war das noch etwas früh, aber sonst hätte es ein anderer getan, und auch hier in Munkmarsch war es eine der letzten Flaschen. Natürlich haben wir auch einen Abend im Gourmet-Restaurant mit Alessandro Papes kulinarischem Feuerwerk verbracht. Hohen Suchtfaktor hatte der 2007 Felseneck GG von Schäfer-Fröhlich. Das ist auf der einen Seite ein feiner, eleganter, mineralischer, tiefgründiger Wein. Aber da ist auf der anderen Seite auch diese geradezu explosive, extraktsüße aber trotzdem sehr präzise Frucht, die sich förmlich in den Gaumen brennt, ganz großes Kino(und meine "Weiber schimpften trotzdem, dass sie schon wider Riesling trinken sollten) 95/100. Erstaunlich reif mit ersten Braunrändern schon die Farbe des 1997 Barolo Monprivato von Mascarello. Ein herbstlicher, reifer Wein mit Trüffeln, Waldpilzen, feuchter Erde und animalischen Noten, dazu etwas Teer und Lakritz. Dazu könnte man glatt das Jagdhorn blasen, denn hier schlich der Fuchs durchs Unterholz. Ein kerniger, eher etwas rustikaler, aber enorm vielschichtiger Wein, der mit der deutlichen Säure auch etwas von einem guten Alceto Balsamico hatte 93/100. Unser Tischnachbar, ein bekannter Sylter Weinhändler, fand ihn gruftig und schickte uns im Austausch ein Glas des 2002 Lutzmannsberger Blaufränkisch von Velich rüber. Laktische Nase wie ein Emmi-Blaubeeryoghurt, am Gaumen weich, gefällig, schokoladig und auch ziemlich simpel 85/100. Meine Mädels formulierten es noch drastischer: das ist so ein Zeugs, dass wir uns am Büdchen holen, wenn wir uns preiswert einen reinpfeifen wollen. Gut, es war ja auch der wohl preiswerteste Rotwein der Karte. Zum Abschluss unseres Abends gönnte ich mir aus der halben Flasche noch ein echtes Highlight, eine 2001 Niederhauser Hermannshöhle Auslese Goldkapsel von Dönnhoff. Ein großartiges Weinerlebnis mit süßer Frucht, reife Aprikose frisch vom Strauch, mit knackiger Säure, hoher Mineralität und gewaltiger Struktur und Länge, hat einfach von allem reichlich, aber so präzise abgestimmt, so harmonisch, bei allem Extrakt so elegant, so feingliedrig und filigran. Ein taufrisches Meisterwerk, dass am Gaumen richtig knallt und dabei erfrischender und belebender wirkt, als zwei doppelte Espressi 97/100.
Aber der Ausblick alleine machts ..noch lange nicht. Im Süden der Insel bei Hörnum oberhalb des Hotels Budersand liegt auf einer Düne mit fantastischem Ausblick das zum neuen Golfplatz gehörende Restaurant Strönholt. Der Blick auf beide Meere ist atemberaubend, der Service dafür unbeholfen, um nicht zu sagen deppig. Als wir auf Anforderung endlich Wein- und Speisekarte bekamen, wurden wir davor gewarnt, Salat zu bestellen. Der würde hier wegfliegen. Na gut, ich bestellte erst mal ein Glas Champagner für meine Gattin und für mich ein großes Wasser. Stattdessen bekamen wir dann zwei Gläser Champagner und kein Wasser. Als pflegeleichte Gäste nahmen wir die, nicht ahnend, dass das Wasser nie kommen würde, sich dafür aber später auf der Rechnung befand. Nachdem wir dann "flugsichere" Speisen und einen schönen Wein ausgewählt hatten, beschied uns der nächste Mitarbeiter, wir könnten überhaupt nichts Essbares bekommen. Da half dann nur noch das fluchtartige Verlassen dieses Etablissements. Wie schön, dass mit der Terrasse des Budersand-Hotels nicht nur eine wunderbare Alternative, sondern auch einer der schönsten Plätze der Insel in direkter Nähe zur Verfügung stand. Hier auf dieser traumhaften Terrasse mit Blick übers Meer auf die Inseln Amrum und Föhr einen Nachmittag zu verplempern, das ist hohe Urlaubsschule. Kompetent und sehr freundlich der Service, hochklassig das kleine Speisenangebot. Natürlich kann man hier auch aus der umfassenden Weinkarte des leider nur abends geöffneten Gourmettempels bestellen. Wir entschieden uns für einen 2007 Idig GG von Christmann. Ich erinnere mich noch gut an das eigene, lange Gesicht, als ich den Idig im Januar letzten Jahres auf der Kierdorf-Präsentation probierte. Nichts, ließ der raus, eine herbe Enttäuschung. Wirklich "Große" Große Gewächse brauchen nun mal 2-3 Jahre. Natürlich gibt es auch die anderen, die aufgehübschten mit an die Grenze gehender Süßreserve. Aber die gehen dann auch entsprechend früh in die Knie. Der Idig jedenfalls präsentierte sich jetzt, im dritten Jahr nach der Ernte, in der eigentlich erwarteten, großartigen Form. Ein faszinierender, saftiger Riesling mit fruchtig-süßem Schmelz, viel Tiefgang und genügend Struktur und Rückrat für eine längere Entwicklung 93/100. Nicht weit vom gelungenen 2005er des Gutes weg.

Natürlich waren wir auch in Keitum bei unseren Freunden Desche und Olli Berens, die hier seit letztem Jahr das italienisch angehauchte Amici betreiben. Dort tranken wir zwei Weine von Andreas Bender, einem jungen, engagierten Moselwinzer, der von Marketing ähnlich viel versteht wie von Wein. Der 2009 Paulessen ist ein klassisches, fruchtig-trockenes, erfrischendes Möselchen mit sehr sympathischen 10% Alkohol 86/100. Der 2009 Hofpäsch ist das edelsüße Pendant dazu, recht süß, aber auch mit guter, balancierender Säure, trinkt sich sehr gut, braucht aber für die Hochform sicher noch etliche Jahre und dürfte sehr langlebig sein 88+/100 mit reichlich Luft nach oben. Als Roten tranken wir dann noch den 2006 Il Pino di Biserno der Tenuta di Biserno, einem neuen Antinori-Projekt aus der Maremma. Reife, dunkle Frucht, jugendliche Röstaromatik, weich und für 2006 schon erstaunlich zugänglich mit feiner Herbe im Abgang 91/100.
Unbedingt empfehlenswert in Keitum ist das Restaurant Karsten Wulf mit seiner prächtigen Fischküche. Auch die recht umfassende Weinkarte ist mit viel Herzblut und Weinverstand gestaltet. Premiere waren für mich beim ersten Besuch Medaillons von der Brosme, einem eher unbekannten Beifangfisch aus der Nordsee mit sehr schönem, saftigem Fleisch. Dazu tranken wir einen 2007 Riesling Berg Schlossberg vom Weingut Georg Breuer. Ein erheblich zu junger Wein mit gutem Potential, wie aus Stein gemeißelt, mit gelben Früchten und viel Grapefruit 89+/100. Beim zweiten Besuch tranken wir einen sehr eleganten, mineralischen 2007 Morstein GG von Wittmann, der mit seiner tänzerischen Art faszinierte und an Nurejew in seiner besten Zeit erinnerte 93/100. Rund reif und schmelzig mit exotischer Frucht und reifer Säure war die glasweise ausgeschenkte 2007 Kracher BA 90/100.

Und dann ist da in Keitum noch das Pius, eine schnuckelige Weinbar, in der bezaubernde Mädels kleine Speisen und große Weine kredenzen. Dort führten wir uns erstmal einen 2008 Forster Ungeheuer GC von Bürklin-Wolf zu Gemüte, der mit seiner würzigen, rustikalen Fülle wohl erst teilweise zeigte, was er drauf hat 90/100. Deutlich eleganter, nachhaltiger und größer war der bei aller Kraft und Dichte so unglaublich filigrane 2008 Halenberg GG von Emrich-Schönleber 93+/100. Auch der noch zu jung, aber das ist halt die Krux nicht nur der Sylter Weinkarten. 2005 gibt es nicht mehr, 2006 nur ganz vereinzelt, 2007 geht zur Neige und wo heute 2008 steht, findet man nächsten Sommer die viel zu jungen 2009er. Erstaunlich offen war danach der 2001 Eglise Clinet, wie viele 2001er Bordeaux derzeit in bestechender Form. Reife Beerenfrüchte in dicker Schokokruste, feiner Schmelz am Gaumen mit erster Süße, aber auch mit guter Struktur für viele Jahre 94/100.

Pius-Namensgeber und Patron Pius Regli ist meist in seinem Stammlokal Manne Pahl in Kampen anzutreffen. In der Saison läuft hier nichts ohne Reservierung. Der Laden ist stets rappelvoll, sogar schon zum Frühstück. Wer am 1. August auf Sylt ist, sollte sich den Schweizer Nationalfeiertag nicht entgehen lassen. Pius Regli, der aus der Innerschweiz stammt, zelebriert den waschechter als viele seiner Landsleute zuhause. Was jetzt noch fehlt, ist eine knackige Weinkarte mit Schweizer Weinen, vor allem Roten aus der Bündner Herrschaft. Aber es war nicht schwer, den guten Pius mit einer mitgebrachten Flasche 2007 Gantenbein Pinot Noir zu überreden. Die trank sich traumhaft schön und erfüllte all die Erwartungen, die ich vor zwei Jahren bei der großen Gantenbein-Probe an den damals noch etwas unfertigen Wein knüpfte 93/100. Aus Pius Karte tranken wir vorher den 2009 Riesling Dachsfilet aus dem Weingut Prinz vonHessen. Ein rassiger, frischer, sehr saftiger, eher halbtrockener Riesling mit präziser Frucht und guter Mineralität, trinkt sich jetzt schon (zu?) gut, wozu sicherlich die 9g Restzucker beitragen. Warten muss man bei diesem Wein auf Nichts, und unsere Gläser leerten sich rasend schnell 89/100. Reif, weich, schokoladig, aber auch etwas simpel war ein 2007 Carato Merlot Riserva von Delea 88/100. Aus den Tiefen des Kellers zauberte Pius noch eine Risiko-Flasche hoch, einen 1976 Chateau Larriveau aus Canon-Fronsac. Doch der war immer noch voll da, rustikal, kräftig, leicht lakritzig und trank sich sehr gut 89/100.
Meine Stamm-Cantina in Kampen ist das zum Dorfkrug gehörende und dahinter liegende Wiin Kööv. Wer sich hier bei Klaus und Nina nicht wohl fühlt, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. Neben etlichen, kleineren Besuchen, Aperos und Gute-Nacht-Schlücken haben wir hier zwei größere Proben zelebriert. Die erste war zu Wineterminators Geburtstag. Los ging es mit einer 1971 Scharzhofberger Auslese des Weingutes von Hövel. Kräftiges Goldgelb, in der Nase reifer Apfel und Zitrusfrüchte, am Gaumen eher halbtrocken wirkend und durch die gute, apfelige Säure immer noch recht frisch 90/100. Aus der Magnum tranken wir danach einen 2007 Höllberg GG von Wagner Stempel. Noch sehr jung mit knackiger Säure, salziger Mineralität und hoher Extraktsüße 90/100. Deutlich zu jung auch die 2008 Hochheimer Hölle von Künstler, aber was für ein Geschoß! Strahlende Mineralität, fantastische Struktur und Präzision, jetzt schon enorm druckvoll und lang am Gaumen, wird sicher über die nächsten 10-15 Jahre ausbauen und zulegen 92+/100. Zu jung war der 1950 Beaune Grêves des Comte de Moucheron sicher nicht mehr. Aber durch die gute Säure wirkte er noch um Jahrzehnte frischer und jünger, feine Süße, sehr elegant 90/100. Robust, dicht und kräftig kam der deutlich jünger wirkende 1950 Canon daher. Bei der Superfarbe und der tollen Struktur hebe ich eine Flasche für den nächsten runden Geburtstag in 10 Jahren auf 94/100. Das gilt wohl auch für den schlichtweg perfekten 1950 Gaffelière-Naudes, den man mit seiner druckvollen Aromatik, seiner Eleganz, seiner Länge und seiner herrlichen Süße blind mit einem großen Cheval Blanc verwechseln kann 99/100. Burgundische Anklänge und enorme Fülle zeigte 1950 Nenin, reife Sauerkirsche mit Mousse von der Bitterschokolade, generöse Süße, voll da 96/100. Die jüngste Farbe der reiferen Weine des Abends zeigte der 1947 Roylland Matras Vandermeulen, aber auch die reifste Nase, balsamische Noten, viel Säure, aber auch Spannung und eine schöne Süße 93/100. Ein Prachtexemplar hatten wir auch wider vom 1955 Ducru Beaucaillou erwischt, mit burgundischer Pracht und Fülle, süßer Frucht, Minze, betörender Eleganz und süßem Schmelz 96/100. Schöner Abschluss dieses Abends ein sehr ätherischer, reifer, weicher 1983 La Mission Haut Brion, mit viel Kräutern, Tabak, Teer, Minze und einem Schuss Eukalyptus 94/100.

Kaum glauben konnte ich ein andermal im Wiin Kööv, dass vor mir ein 1993 Scharzhofberger Kabinett von Egon Müller stehen sollte. Sehr frisch mit knackiger Säure war dieser Wein, die Süße nicht mehr spürbar. Mit seiner zitronigen Frucht und mit viel Hollunder und Waldmeister war das eher ein Sauvignon Blanc als ein Riesling 87/100. Noch viel zu jung war danach ein 1999 Lafleur, der Pauillac unter den Pomerols, muskulös, zupackend, Bitterschokolade mit 90% Kakao, sehr kräuterig und lang am Gaumen, zeigt wohl erst in 5-10 Jahren voll, was er drauf hat 92+/100.
Und dann war da noch eine andere, denkwürdige Wiin Kööv-Probe, bei der uns unter anderen auch der Wirt "Muffel" Werner Stoltenberg und Neu-Gastronom Ivo Köster (Ivo & Co) die Ehre gaben. Schon ins Güldene ging die Farbe der 1971 Hochheimer Domdechaney Riesling Spätlese von den Staatsweingütern. Reif auch die Nase mit ersten Anklängen von Möbelpolitur, unter die sich aber zunehmend auch etwas Honig mischte, am Gaumen erst flach und gezehrt, bäumte sich mit zunehmender Luft aber noch mal auf und wurde erstaunlich gut trinkbar 87/100. Ein jugendliches Säuremonster war der vor Mineralität nur so strotzende 1996 Clos St. Hune von Trimbach. Nur die goldgelbe Farbe dieses würzigen, sehr komplexen Weines deutete Reife an. Da sind wohl bei gut gelagerten Flaschen wie dieser noch mal fünf weitere Jahre Warten und ein langes Leben angesagt 92+/100. Ein stark nässender Korken deutete bereits mögliche Probleme beim 1955 Clerc Milon in einer Schaffermahlzeit-Abfüllung von R&U an. Sehr guter Füllstand, eine voll intakte Farbe und eine reife, minzige Nase mit etwas Leder waren mehr als ok, aber am deutlich gezehrten Gaumen mühte sich dieser Wein vergeblich ab, das hohe Niveau der vor einigen Jahren getrunkenen Zwillingsflasche zu erreichen 84/100. Absolut göttlich dafür anschließend ein 1982 Trotanoy. Der war so dicht, so kräftige, dass man ihn kauen konnte. Gleichzeitig hatte er aber auch diesen unwiderstehlichen, schokoladigen-würzigen Schmelz der 82er Comtesse in ihren besten Zeiten und das Kräuterige eines Lafleur, sehr hohes Suchtpotential für noch 20+ Jahre 99/100. Klar hatte es danach der 1967 Vieux Chateau Bourgneuf aus Pomerol, den mir ein guter Freund nach Sylt geschickt hatte (danke, lieber Uwe!) schwer, aber auf was für einem Niveau. Ein sehr feiner, reifer, aber für den Jahrgang höchst erstaunlicher Pomerol 93/100. Den musst Du mal probieren, hieß es plötzlich, und schon hatte ich vor mir ein Glas 2009 Chardonnay von Künstler stehen. Ein erstaunlich rassiger, schlanker, feinduftiger, floraler Chardonnay mit der mineralischen Präzision eines Künstler-Rieslings. Nach dem sieht auch ein Chardonnay-Hasser diese Rebsorte mit anderen Augen 89/100. Zurück in die Rotwein-Arena, 1986 Haut Brion war angesagt. Jung, kraftvoll, mineralisch, teerig, erdig, rauchig, täuscht mit der klassischen Cigarbox-Aromatik Zugänglichkeit vor, aber das mächtige Tanningerüst verspricht noch eine lange, sehr spannende Entwicklung 95+/100. An alte Zeiten erinnerte danach ein 1994 Shafer Hillside Select, der sich nach etlichen, verschlossenen Jahren wider zur Kalifornien-Granate entwickelt 98/100. Konnte man den noch toppen? Aber ja, mit einem außerweltlichen, dramatischen, irre konzentrierten 1982 Leoville las Cases, den ich zum ersten Mal seit über 20(!) Jahren ohne Wenn und Aber endlich wieder mit 100/100 im Glas hatte. Viele meiner Freunde haben über die Jahre ihre Flaschen verkauft, ich nicht. Warten lohnt also doch! Jede Menge Dampf am Gaumen machte dann noch ein würziger, reifer, spannender, exotischer und sehr vielschichtiger 1987 Cuvaison Zinfandel 94/100. Kommt nicht oft vor, dass ich für das kurze Stück von der Wiin Kööv bis in meine Wohnung ein Taxi nehme ..

Machen wir einen Sprung in den Norden der Insel. Auf dem Wege nach List liegt die Vogelkoje, schon immer eine perfekte Destination für Weinliebhaber. In diesem Jahr aber hat sie die wohl bisher beste Weinkarte ihres Bestehens. Besonders bei den deutschen Gewächsen, insbesondere den großen Gewächsen, wurde kräftig zugelegt. Wir verbrachten einen wunderschönen Spätnachmittag in der Vogelkoje. Den Start machte ein kräftiger, etwas korpulent wirkender 2006 Grüner Veltliner Ried Lamm von Bründlmayer 89/100. Und dann kam die große Versuchung. Auf der Karte stand ein noch einigermaßen bezahlbarer 1998 Lafite Rothschild. Die Entscheidung fiel schnell. Der musste in unser Glas, nicht in irgendein chinesisches. Ein traumhaft balancierter, sehr harmonischer, eleganter Lafite, erst am Anfang einer längeren Trinkphase, aber mit hohem Suchtpotential 96/100. Klar, auf dem Niveau konnte es nicht weitergehen, aber ein 2006 Montes Alpha M war auch nicht von schlechten Eltern. Weiche, schmelzige Frucht, Cassis pur, erstaunlich fein und eher feminin in der Anmutung, trank sich sehr schön 92/100.
In List hat es uns der 200 Jahre alte Gasthof angetan. Spezialität der guten Küche sind Hummer Helgoländer Art und Fischgerichte. Da von Mittag an durchgehend geögffnet ist, lässt sich hier im lauschigen Garten hervorragend ein spätes Mittagessen zelebrieren, was wir mehrfach taten. In Erinnerung wird uns vor allem ein Lunch an Wineterminators Geburtstag bleiben. Wir hatten, trotz ungewisser Witterung um einen Tisch draußen gebeten. Den bekamen wir auch, und da es leicht nieselte, wurde ein großer Sonnenschirm geöffnet. Kaum hatten wir Platz genommen, da ging es auch schon los. Ein massives Gewitter zog über die Insel mit reichlich Blitz und Donner. Dazu schüttete es zwei Stunden lang wie aus Kübeln. Doch unser Schirm hielt und wir genossen ein Essen der besonderen Art. Als ersten Wein wählten wir einen 2003 Redoma Branco Reserva von Niepoort aus Portugal. Ein sehr erstaunlicher wein, den ich so nicht erwartet hatte, kräftig, mineralisch, frisch mit guter Säure, nussige Röstaromatik, an einen großen Burgunder erinnernd, perfekter Essensbegleiter 92/100. Weiter ging es mit einem 2002 Trilogia von Kokkalis, exotisch, fruchtig, lecker, hedonistischer Trinkspaß auf hohem Niveau 92/100.

An alte Zeiten mussten wir beim Besuch des Landhaus Nösse in Morsum denken. Hier startete Jörg Müller 1983, bevor er dann 1988 in sein heutiges Restaurant in Westerland wechselte. Küchenchef in diesem, seit 7 Jahren von der Familie Schwend geführten Haus ist seit 2009 Jens Raneberger, der seinen Feinschliff bei Holger Bodendorf erhielt. Tagsüber kümmert man sich hier mit einer kleinen Tageskarte und Frühstück bis 17(!) Uhr um Wanderer und Ausflügler. Die große, gastronomische Oper wird abends gepflegt. Wir haben am frühen Nachmittag nicht nur sehr gut gegessen, sondern mit dem 2006 Randersacker Marsberg Silvaner Spätlese trocken Trias von Schmitt s Kinder aus der sicher ausbaufähigen Weinkarte einen überzeugenden, kräftigen, erdigen Tropfen getrunken, mit cremiger Textur, langem Abgang, aber auch heftigen 14,5% Alkohol 90/100.
Ebenfalls an alte Zeiten erinnert die Weinkarte der Olive im Hotel Strandhörn in Wenningstedt. Mit viel Ehrgeiz wurde hier vor Jahren auf einen Michelinstern hingekocht. Der kam dann auch, ging aber nach ein paar Jahren wieder flöten. Aus dem Restaurant wurde ein Bistro, die heutige Olive, in der aber inzwischen wieder wie in alten Zeiten auf hohem Niveau gekocht wird. In der Weinkarte finden sich noch reichlich ältere Trouvaillen, bis hin zu einem 1953 Vieux Chateau Certan. Wir entschieden uns für einen 1996 Bacio Divino. Der hatte eine erstaunlich reife Farbe, zeigte aber in der Nase und am Gaumen kein alter. Satte Blaubeere, Leder, etwas Minze, immer noch kraftvoll, wurde mit der Zeit im Glas weicher und schokoladiger, jetzt voll auf dem Punkt 93/100.

Gerne sind wir immer wieder bei André und Suzanne Speisser in Hardys Weinstuben in Westerland, wo in der Regel ohne Reservierung überhaupt nichts läuft. So war Hardys auch bei unserem ersten, spontanen Besuch komplett ausgebucht. Kein Problem, nahmen wir halt bei durchaus erträglichen Temperaturen draußen in einem der sehr kommoden Strandkörbe Platz. Zur elsässisch geprägten Küche tranken wir einen immer noch recht jungen, immer noch von deutlichen Tanninen geprägten und für den Jahrgang erstaunlich kräftigen, konzentrierten 1999 Leoville las Cases 91/100. Für den zweiten Besuch reservierten wir dann doch lieber. Nach einem wunderbaren 2007 Schlossberg Riesling von der Cave Vinicole Kientzheim (89/100) tranken wir einen weißen 2000 Tour Leognan. Der startete mit einer seltsamen, nach Brie de Meaux riechenden Nase und war am Gaumen eher flach und langweilig 80/100. Sehr gut gefiel mir ein 1999 Tassinaia vom Castello del Terriccio, eine Art kleiner Bruder des hervorragenden Lupicaia aus gleichem Hause mit Fülle, Kraft, guter Struktur und süßer Frucht 91/100. Geduld war angesagt beim noch sehr jungen 2007 Chateauneuf-du-Pape La Folie von Bosquet des Papes. Sehr süße, dicht, kräuterig und würzig, entwickelte mit der Zeit eine ungeheure Komplexität und Länge am Gaumen 92+/100. Ich hoffe, der gute André packt davon eine Flasche weg. Würde ich gerne in 10 Jahren verkosten.

Eine sehr spannende Weinkarte bietet auch das erst in diesem Jahr eröffnete Ivo & Co in Westerland. Kein Wunder, ist Ivo doch ein Ex-Sansibar Urgestein. Unsere erste Wahl fiel hier auf einen 2006 Kongsgaard Chardonnay. Erstaunlich, wie dieses ansonsten heftige Geschoß mit viel exotischer Frucht, gerösteten Haselnüssen, guter Mineralität, aber auch deutlichem Holz und Vanille mit guter Säure noch den Spagat zu Eleganz hinbekam 92/100. Und natürlich konnte ich mir auch den 2005 Shafer Hillside Select nicht entgehen lassen. Der ist jetzt in einem traumhaften, jugendlichen Trinkstadium, Hedonismus pur mit süßer, saftiger, fruchtiger Fülle, dabei so unglaublich balanciert und harmonisch. Stellen Sie sich einfach einen bengalischen Tiger vor, der friedlich schnurrend auf ihrem Arm liegt, groß! 97/100.

So ein Strandspaziergang von Kampen nach Westerland ist eigentlich keine große Sache, auch nicht bei Sturm. Auch der massive, waagrecht fliegende Regen würde uns nichts anhabe, dachten wir zumindest. Waren wir doch fast komplett in Goretex gekleidet. Aber eben nur fast, so waren die ersten Anschaffungen in Westerland neue Schuhe und Strümpfe. Aufgewärmt haben wir uns dann im Weinhaus Schachner. Ein gemütliches Ziel mit hervorragender Weinauswahl, sehr zu empfehlen bei Regen, bei Sonne, bei Durst und auch ohne Grund. Hier habe ich unter anderem die 2006er von
Tolaini probiert, einem neuen Alleinimport von Martin Schachner. Das Gut gehört einem, ursprünglich nach Kanada ausgewanderten und dort sehr erfolgreichen Geschäftsmann, der mit Hilfe von Michele Rolland jetzt auch in der italienischen Weinwelt Zeichen setzen möchte. Von den 2005ern aus einem allerdings auch nicht so inspiererenden Jahrgang war ich im letzten Jahr nicht sehr beeindruckt. Der neue Jahrgang gefällt mir da sch besser. Gut zu trinken war der recht zugängliche, von pikanter Kirschfrucht geprägte 2006 Valdisanti 90/100. Ein gewaltiges Tanninmonster ist der Topwein des Gutes, der 2006 Picconero. Pflaumige Frucht, Kraft, Fülle, sehr konzentriert mit noch bissigen Tanninen, entwickelt sich im Schneckentempo. Nach drei Stunden in der Karaffe hatte er sich zumindest stückweit geöffnet und wirkte etwas leichtfüßiger und eleganter 92+/100. Die Wartezeit verkürzten wir mit einem 2008 Pinot Noir Central Otago von Salomon&Andrews. Ein weicher, fruchtiger, zugänglicher, charmanter Pinot mit reichlich reifer Himbeere 88/100. Der Salomon in diesem Venture ist übrigens Österreichs Biowinzer vom Undhof. Gut gefiel uns aus gleicher Hand auch der 2009 Marlborough Sauvignon Blanc, frisch, fröhlich, fruchtig mit erfrischender Leichtigkeit 88/100. Und dann hatte Martin Schachner noch ein ganz besonderes Tröpfchen parat, eine 1989 Zeltinger Sonnenuhr TBA Goldkapsel von Molitor. Ein wunderbarer Aprikosen-Likör mit feiner Kräuterwürze und nicht aufdringlicher Süße, erstaunlich zahmer Säure und viel Kraft, unglaublich dicht lang, ähnelte nicht nur im für die Mosel erstaunlich hohen Alkohol (12%) einem großen Sauternes 96/100.
Weiter ging es nach vergeblicher Suche eines Terrassenplatzes(inzwischen schien bei immer noch sehr starkem Wind wieder die Sonne) Jörg Müllers Bar bei Mohammed. Die hat den großen Vorteil, dass man aus Pesel- und Restaurantkarte essen und beide auch nach Herzenslust mischen kann. Nicht nein sagen konnte ich bei einem 1997 Zöbinger Heiligenstein Riesling von Gobelsburg, der mit klarer Steinobstfrucht und immer noch knackiger Säure keinerlei Alter zeigte 88/100. Immer noch sehr jung, giftig mit Lakritz, Veilchen der 1989 Hermitage la Chapelle 95/100. Etwas stahlig die Frucht des 1992 Red Rock Terrace von Diamond Creek. Immer noch deutliche, etwas ruppige Tannine, ob der jemals reif wird ? 90+/100. Weich, schmelzig, zugänglich, aber auch etwas einfach gestrickt der 2003 Eichkogel von Kollwentz 89/100. Da lag dann der leckere, ebenfalls reife 1989 Latour a Pomerol doch deutlich drüber 91/100.
Müller-Abende gab es bei uns noch fünf weitere. Wie den Bären zum Honigtopf zog es mich immer magisch nicht nur zu Jörg Müllers herausragender Küche, sondern auch zur Weinkarte, die nicht nur in Deutschland ihresgleichen sucht. Dicke Weinbücher als Karte gibt es ja reichlich und sicher auch Karten mit mehr als den 1200 Positionen der Müllerschen Karte. Aber vor allem die Jahrgangstiefe ist es hier neben der fairen Preisgestaltung. So kauft Jörg Müller seit über 30 Jahren Bordeaux in Subskription und lagert diese Weine solange unter perfekten Bedingungen, bis er sie für trinkreif hält. Viele Bordeaux-Jahrgänge, die z. B. in anderen Häusern längst ausgetrunken sind, warten hier noch auf ihren Einsatz.
Große Freude beim ersten meiner Jörg Müller-Abende. Im Keller war ein Karton 1994 Honivogl von Hirtzberger aufgetaucht. 2 Flaschen davon hatten doch tatsächlich bereits ihren Weg in durstige Kehlen gefunden. Die restlich 4 vernichteten wir während diverser Besuche. 1994 galt in der Wachau nicht als großer Jahrgang. Und doch haben sich die Topweine von Hirtzberger und F.X. Pichler sehr gut entwickelt. Den Honivogl hatte ich zuletzt 1998 zweimal im Glas, beide Male hier bei Jörg Müller. Damals war das ein Kraftbolzen mit gewaltigem Potential und enormer Dichte, der sich nur sehr zögerlich öffnete. Jetzt war das ein geradezu explosiver, sehr würziger, unglaublich komplexer Traum. Allein die vor 12 Jahren noch sehr verhaltene Nase sprang förmlich aus dem Glas, am Gaumen so mineralisch, so druckvoll, so lang und zeigte nicht die Spur von Alter. Da kamen bei allen vier Flaschen locker konstant 97/100 ins Glas. Ein Wein, der sicher noch gut 10 Jahre vor sich hat. Erstaunlich reif zeigte sich diesmal der 1983 Trotanoy 91/100.
Und die Küche, jedes Mal ein Fest. Aus dänischem Beifang stammt der frische Nordseehummer, von dem es hier einen formidablen Salat gab, den wir wie den Honivogl mehrfach zu uns nahmen. Frische Sylter Meeräsche, Seezunge, diverse Plattfische auch ein Spitzenkoch muss auf dieser Insel nicht zu Viktualien aus anderen Erdteilen greifen. Das gilt natürlich auch für fleischliche Gelüste. Längst heimisch geworden sind auf Sylt die zotteligen Galloways als Fleischlieferanten erster Güte. Ähnlich den Heckenrosen, die sich erst vor hundert Jahren hier eingenistet haben, sehen sie einfach Sylt-typisch aus, so als habe man die Insel nachträglich um sie drum herum gebaut.
Ein anderer Müller-Abend begann mit einem 1997 Riesling Hengst von Josmeyer. Der roch erst wie ein Benzin-Feuerzeug, baute aber dekantiert enorm aus, wurde weicher mit cremiger Textur, aber auch guter, frischer Säure und schöner Länge, in die Nase mischten sich immer mehr Honignoten 93/100. Großes Kino dann die 1985 Pichon Comtesse, bei der nur die Farbe Reife anzeigte. Das war Comtesse vom Feinsten, Ein trüffelieger, schokoladiger, samtiger Traumstoff 95/100. Auf gleichem Niveau danach ein 2000 Pape Clement, saftig, mineralisch, mit massiven, aber reifen Tanninen, kommt jetzt in ein unwiderstehliches Trinkstadium 95/100.
Nicht mehr die Klasse älterer Jahrgänge zeigte 1998 Feytit Clinet. Das war ein sehr feiner, reifer, aber eher kleiner Merlot, von dem ich mir aus diesem großen Pomerol-Jahr mehr versprochen hätte 88/100. Grandios dafür der natürlich aus diesem perfekten Keller noch extrem junge 1996 Mouton Rothschild 96/100. Erstaunlich gut immer noch ein 1990 Capannelle. Der startete mit sehr pikanter Frucht und deutlicher Säure, wurde mit der Zeit aber weicher und generöser, dabei erdiger mit Trüffeln und Schokolade 92/100.
Unser letzter Abend begann nach dem üblichen, außerweltlichen Honivogl mit einem 1989 Lynch Bages, einem hedonistischen Spaßwein auf hohem Niveau mit perfekter Tanninstruktur für ein langes Leben 95/100. Diese Zukunft hatte der 1989 Sangiovese von Robert Pepi aus Kalifornien leider schon hinter sich, ein kleiner, noch trinkbarer, völlig unscheinbarer Wein ohne erkennbaren Fehler, aber auch ohne jede Form von Höhepunkt 82/100. Da dann doch lieber eine 1997 Saffredi Doppelmagnum von Le Pupille. Diesen großartigen, in Italien produzierten Kalifornier aus Bordeaux in großen Schlucken genießen zu dürfen, das hatte was 95/100. Und was trinkt man dann zum vielleicht besten Kaiserschmarrn meines Lebend, mit dem mich Günter Schwarz, Jörg Müllers Küchenchef und Patisserie-Genie überraschte? Ich entschied mich für einen 1997 Oberhäuser Brücke Eiswein Goldkapsel von Dönnhoff, immer noch jugendlich wirkend mit glockenklarer Frucht und hoher Mineralität, die Süße durch eine knackige Säure perfekt balanciert 96/100.

Für all diejenigen, die keinesfalls eine Aufführung der gastronomischen Oper versäumen möchten, hätte ich noch einen Tipp:
Besternt Wohnen. Die vier Sternerestaurants der Insel, Jörg Müller, Fährhaus, Sölringhof und Landhaus Stricker sind allesamt auch sehr empfehlenswerte, luxuriöse Hotels mit hochwertigen Wellness-Anlagen. Wer hier wohnt, hat nicht nur bevorzugten Zugriffe auf die begehrten Tische im eigenen Hotel. Da sich die Häuser untereinander gut kennen, ist auch eine Buchung in den jeweils anderen Restaurants einfacher.

Für diejenigen, die eine Feriewohnung vorziehen oder gar Eigentum auf Sylt haben und zuhause über entsprechende Weine verfügen, gibt es natürlich noch eine andere Alternative:

Selbst Kochen. Frischen Fisch gibt s auf der Insel an mehreren Stellen bei Fisch Blum, alle anderen Zutaten in großer Auswahl und bester Qualität in Wenningstedt bei Feinkost Meyer, diesem Supermarkt, der mit seinem hochwertigen Angebot jeder Großstadt zur Ehre gereichen würde. Sensationell die Käsetheke, spannend auch das Weinangebot mit Raritätenkabinett. So kauft Feinkost Meyer seit langen Jahren selbst Bordeaux in Subskription und bietet die Weine dann an, wenn sie trinkbar sind. In diesem Jahr waren das z.B. 2000er. Ich habe dort den fleischigen, muskulösen 2000 Gazin erworben, der aber sicher noch ein paar Jahre Lagerung vertragen könnte 91+/100. Deutlich besser gefiel mir der grandiose 2000 Pichon Baron, von dem ich zu sehr fairem Preis größere Mengen erworben habe. In den Arrivage-Proben war das mit konstant 97/100 einer meiner Favoriten. Jetzt öffnet er sich stückweit wieder und macht auf diesem Niveau einfach unglaublichen Spaß, eine perfekte Kombination aus einem hedonistischen, fruchtbetonten Wein und der mächtigen Struktur eines großen Pauillac, jede Sünde wert, und natürlich jede Suche 97/100. Auch der 2006 Tignanello, einer der besten, die ich je im Glas hatte, machte mit seiner süßen Kirschfrucht, dem trotz Tanninen samtigen Schmelz und der guten Länge immensen Spaß - 94/100. Wer will, findet bei Feinkost Meyer selbst Ikonen wie Latour und Lafite in mehreren Jahrgängen.
Natürlich ist es, wenn man mit dem Auto anreist, kein Problem, eigene Weine nach Sylt mitzunehmen. Selbst Weingreise überstehen eine solche Fahrt problemlos, wenn man drei Bedingungen einhält.
1. Weine unbedingt stehend transportieren und dafür sorgen, dass sie nicht umkippen können
2. bei sommerlichen Temperaturen für Styropur-Verpackung sorgen und Auto nie mit Weinen irgendwo in der prallen Sonne stehen lassen
3. nicht wie ein Berserker fahren
Wir hatten aus früheren Jahren unter anderen noch ein paar Weißweine auf Sylt. Und so war der 2005 Hubacker von Klaus Keller natürlich eine Klasse besser und reifer als der im Restaurant getrunkene 2007er, das galt auch für den 2005 Idig von Christmann. Beides große Weine, die noch locker ein Jahrzehnt vor sich haben.

Last not least hätte ich da noch einen guten Tipp, den man sich aber über die Jahre erarbeiten muss:

Gute einheimische Freunde auf Sylt mit großem Herz und entsprechendem Keller. Die haben wir, und bei denen haben wir in Rantum "auf der Düne" wieder einen Traumabend verbracht. Den 1969 Krug Collection Magnum, mit dem wir begrüßt wurden, hatte ich schon mehrfach im Glas, auch aus der Magnum, aber noch nie so groß. Das war reifer Krug vom feinsten, immer noch sehr gutes Mousseux, sehr mineralisch mit guter Säure, schönem Brotton, nussig, sehr komplex und lang 96/100. Selten habe ich die Frage "möchtest Du noch einen Schluck" so schnell(und so oft) beantwortet. Weiter ging es mit dem Duell von zwei Weißwein-Giganten. Großartig wieder die 1999 Hochheimer Hölle Auslese trocken von Künstler, dieser Riesling für Rotweinfans. So kraftvoll, so mineralisch mit so einer unerhörten Präzision, mit hoher Extraktsüße und Fülle, explodierte förmlich am Gaumen 96/100. Seinen Meister fand der auf extrem hohem Niveau in einem Wein aus der "kaum zu glauben"-Abteilung, einem 1990 Honivogl Grüner Veltliner von Hirtzberger. Etwas schlanker als die 4, bei Jörg Müller getrunkenen 94er, feiner, eleganter, aber dabei so unglaublich mineralisch und druckvoll am Gaumen, stoffig mit beeindruckender Würze, ein Monument, das immer noch Frische zeigt und locker als großer Montrachet durchgeht 97/100. Und dann durfte ich endlich mal mit 1993 l Apparita aus der Magnum einen reifen l Apparita trinken, weich, schokoladig, reif mit viel süßem Schmelz 93/100. Fast blutjung dagegen immer noch 1982 Gruaud Larose aus einer perfekten Magnum. Da ist jedes Glas zu klein 97/100. Ratlos machte mich nur wieder 1994 l Ermita von Alvaro Palacios. Superjunge, dichte Farbe, konzentrierte, dunkle Frucht, Kraft ohne Ende, Charme ohne Anfang, erinnert an 1986 Mouton vor ein paar Jahren, man lutscht an einem Stück Holz und hofft auf bessere Tage. Ist das des Rätsels Lösung? Also geben wir diesem l Ermita noch mal 10 weitere Jahre im Keller und hoffen, dass aus den heutigen 88/100 mal 98/100 werden. Eigentlich bin ich kein großer Madeira-Fan, aber der zum Abschluss verkostete 1954 Malvasia Vintage von Henriques & Henriques wusste schon zu überzeugen. Sehr reife, dunkle Farbe, Schoko, Karamell in der Nase, in der er aber auch etwas scharf und spritig wirkte, am Gaumen die weiche Oper mit Korinthen und Fleur de Sel 93/100.

Natürlich sieht uns Sylt bald wieder, spätestens zu Jörg Müllers Weihnachtsmarkt, der an den Adventssamstagen rund um Hotel und Restaurant stattfindet.