Mythos Petrus - gerechtfertigt?

Einen Ruf wie Donnerhall hat er, dieser Petrus aus Pomerol, und leider inzwischen auch den dazugehörigen Preis. Vergleichbar durchaus mit Romanée Conti aus Burgund. Und damit bewegt sich dieser Wein inzwischen in für die meisten unter uns unerreichbaren Sphären. Das war nicht immer so. Petrus war ein durchaus bezahlbarer Wein, dessen Preise erst in den 80ern stiegen und dann in den 90ern und vor allem danach explodierten.
Da ist es dann schön, wenn es noch mal Gelegenheiten wie diese Probe gibt, in der ein gutes Dutzend gereifter Petrus plus einiger Händlerabfüllungen garniert mit anderen, großen Pomerols verkostet werden können.
Mit strahlenden Augen wie auf einem Kindergeburtstag saßen Weinfreaks aus allen Teilen der Republik an einer langen Tafel bei Elke Drescher in Wachtberg und freuten sich diebisch auf das angekündigte Petrus Feuerwerk. Und von ein paar ärgerlichen Ausnahmen abgesehen hielt diese Probe, was wir alle uns davon versprochen hatten.

Eine der wenigen Enttäuschungen dann im ersten Glas, 1947 Petrus in einer Händlerabfüllung. Trübe, bräunliche Farbe, Bratensoße, alte, vergammelte Rosinen, oxidativ, etwas Hustensaft – WT81. Einfach eine schlechte Flasche und das klassische Risiko, das man bei alten Weinen eingeht. Es reicht ein nicht zu Hundertprozent dichter Kork. Und schon oxidiert der Wein munter vor sich hin. Normal ist 1947 ein Riese, dem ich schon oft die Maximalpunktzahl gegeben habe. Völlig anders daneben der 1948 Petrus. Junge Farbe, tolle, immer noch so präsente Frucht, gute, stützende Säure, Fülle Kraft und Länge. Und wenn es hier auf hohem Niveau überhaupt etwas zu meckern gab, dann war es, dass der Wein leicht monolithisch wirkte – WT97. Offener, schmelziger, runder und hedonistischer mit schöner Schokonote war der 1949 Petrus . Nur ein leicht metallischer Ton (das Papier der Schokolade) trübte leicht den Gesamteindruck dieses großen Weines, der sehr gut im Glas ausbaute und dabei süßer wurde und zusätzlich eine feine Kräuternote entwickelte – WT97. Von der Papierform her hätte der 1947 Conseillante in einer französischen Eschenauer-Abfüllung hier unter all den Petrus der arme Vetter aus Dingsda sein müssen. Doch der Conseillante sprang mit herrlicher, geradezu explosiver, schokoladiger, trüffeliger Aromatik geradezu aus dem Glas. Ein großer, kompletter Pomerol und der beste Wein dieses Flights – WT98. Dieser Conseillante zeigt deutlich, dass zu Petrus vergleichbarer oder sogar besserer Genuss auch für deutlich weniger Geld geht. Sollten Sie die Möglichkeit haben, einmal an den 1947 Conseillante in der Vandermeulen-Abfüllung (Vorsicht: sehr viele Fälschungen) dran zukommen, dann ist ein echtes WT100 Erlebnis schon fast garantiert. Eindeutiger Preis-/Leistungssieger aber war der 1947 Croix de Gay in einer Vandermeulen-Abfüllung. Ein schmelziger, runder, sehr schöner, stimmiger Pomerol mit guter Struktur und Säure. Zeigte kein Alter und dürfte eine gute Zukunft haben - WT96. Ein extrem schlauer Kauf.

Und dann kam im zweiten Flight der erste, perfekte 100-Punkte-Wein, der überragende 1950 Petrus. Einfach ein großer, stimmiger Wein aus einem Guss mit der idealen Kombination aus Kraft und Eleganz, schleicht sich wie eine große Raubkatze auf Samtpfoten an und schurrt dann nur anstatt zu fauchen. Schmelzig, generös mit dunkler Schoggi, einfach dekadent gut – WT100. Auf gleichem, perfektem Niveau und doch völlig anders der 1955 Petrus, erstaunlich frisch mit feiner Frucht, noch so vibrierend und jung, schöne, verschwenderische Süße, enormer aromatischer Druck und gewaltige Länge – WT100. Da kam der 1950 Vieux Certan nicht mit, den ich auch schon häufiger perfekt im Glas hatte. Aber aus dieser Flasche hier zeigte er schon leicht oxidative Noten, wobei er am Gaumen mit feiner, schmelziger Süße deutlich besser war als in der Nase – WT95. Perfekt dagegen der 1955 Vieux Certan, der sich in derselben, schlichtweg außerirdischen Form zeigte, wie die Magnum im letzten Jahr auf unserer Magnum Best Bottle. Ein Ausnahmewein mit superber Frucht, so stimmig, ohne jedes Alter, perfekt balanciert mit enormer Kraft und Länge – WT100. Drei perfekte 100-Punkte-Stars in einem Flight, das passiert auch mir sehr selten und war ein einmaliges Erlebnis.

Enttäuschend der normal deutlich bessere 1952 Petrus in der Vandermeulen Abfüllung. Trüb die Farbe, oxidativ die Nase, bäumte sich am Gaumen etwas auf und entwickelte etwas Süße, aber das reichte nicht – WT90. Eigentlich ist der 1953 Petrus ein großer, feiner, eleganter und sehr stimmiger Petrus, der durchaus die Maximalnote erreichen kann, aber hier störte ein leichter Fehlton den Gesamteindruck – WT96. Nie wirklich groß außer in den zahllosen Fälschungen war der immer von der starken 59er Säure geprägte 1959 Petrus. Aus dieser authentischen Flasche hier war das mit inzwischen reiferer Säure und feinem Schmelz ein sehr schöner, aber kein riesengroßer Petrus – WT96. Eindeutiger Sieger dieses Flights war der herausragende 1959 l´Eglise Clinet in einer Barrière-Abfüllung. Ein beeindruckendes immer noch so jung wirkendes Krafpaket mit superber Frucht, mit enormer Kraft, Druck und Länge, die 59er Säure reif und gut eingebunden, die Tannine immer noch präsent und eine gute Zukunft garantierend – WT98.

Sehr seltsam schon in der äußeren Aufmachung im nächsten Flight eine 1964 Petrus Händlerabfüllung eines gewissen Pierre Molleux aus Libourne. Da kam nicht viel rüber, hatte mit Petrus wenig zu tun, wirkte etwas nichtssagend und flach mit wenig Substanz – WT85. Der Himmel voller Geigen dafür dann beim absolut perfekten 1971 Petrus. Dieser elegante Petrus mit seiner verschenderischen Süße ist einfach Hedonismus pur. Petrus geht anders, aber nicht besser – WT100. Eine tiefe, junge Farbe hatte der 1964 Lafleur. Ein kerniger, robuster Wein, kräuterig, kräftig, auch etwas laktisch mit deutlichen, etwas unreifen Tanninen – WT94. Auch hier war es der 71er, der überzeugte. Der 1971 Lafleur war ein einfach geiler Lafleur mit perfekter Mischung aus Charakter und Schmelz, typisch kräuterig, auch etwas Lakritz und dezent animalische Noten, ein Kraftpaket mit guter Zukunft – WT98.

Als Solitär würde 1966 Petrus alleine schon beim ehrfürchtigen Blick aufs Etikett überzeugen. Hier musste er sich aber mit seinesgleichen messen. Und da gefiel die eckig, grün und etwas austrocknend wirkende Nase überhaupt nicht. Am Gaumen zeigte er eine enorme Kraft, aber wenig Pomerol-typischen Schmelz – WT93. Wer Elke kennt, weiß, dass sie nie aufgibt. In einer legendären Probe vor ein paar Jahren hat sie mal nacheinander 3 Flaschen 1947 Cheval Blanc aufgemacht, bis dann die dritte Flasche ihren eigenen, hohen Ansrüchen und unseren hochgestochenen Erwartungen genügte. Das hätte sie hier wohl auch getan, aber sie besaß nur noch einen weiteren 1947 Petrus, diesmal in der Vandermeulen Variante, der aber oxidiert und nicht mit Genuss trinkbar war. Dafür zeigte sich der 1978 Petrus aus der für mich bisher wohl besten Flasche in erstaunlich guter Form. Ein sehr feiner Petrusmit betörender Frucht, fast schwereloser Eleganz und einem, süßem Schmelz, sehr stimmig und harmonisch – WT96.

Da hätte jetzt als i-Tüpfelchen noch der geniale 1975 Petrus gefehlt, aber der hätte das Budget dieser ohnehin extrem gnädig kalkulierten Probe völlig gesprengt. So kam als letzter Wein der 1975 Evangile ins Glas. Der hatte eine feine, leicht parfümiert wirkende Frucht, deutliche Süße, schöne Fülle, burgundische Anklänge und ein gutes Tannin- und Säuregerüst für eine längere Zukunft – WT94.

Und, was ist mit dem Mythos Petrus? Ist der gerechtfertigt? Petrus ist zweifelsohne ein extrem hochwertiger, großer Wein. Aber er ist eben eindeutig inzwischen auch eine Luxusmarke, bei der Preis und Trinkgenuss immer mehr auseinander klaffen. Wenn man als Weinfan immer stärker in Wettbewerb zu Leuten steht, die die Zeit am Handgelenk erst ab €50.000 Euro ernst nehmen und für die selbst höchste Petrus-Preise keine Rolle spielen, dann muss man sich halt anderen Weinen zuwenden, bei denen die Qualität im Glas nicht schlechter sein muss. Und trotzdem ist es einfach schön, wenn man noch mal reichlich Petrus im Glas haben darf.

Was für eine Probe, was für ein großartiges Erlebnis in Elkes neuem Probenraum. Wo bekommt man so etwas noch ins Glas, noch dazu halbwegs bezahlbar? Gut gemacht, liebe Elke.