1893

Zahlreiche Notizen habe ich aus 1893, einem Jahr, das fast überall in Europa wunderbare Weine hervorbrachte. Mit etwas Glück lassen sich immer noch gut trinkbare 1893er finden.

Sicher mal groß war der Cos d´Estournel, den ich 2006 auf der großen Cos-Probe aus einer ‚ms’-Flasche trinken durfte. Immer noch erstaunlich intakte Farbe mit deutlichem Wasserrand. In der leicht muffigen Kellernase entwickelten sich mit der Zeit Himbeertöne und Pflaume. Am Gaumen war der Wein weich, aber immer noch delikat – 85/100.

Eine Chateau Dauzac Jeroboam 1993 auf Rodenstock´s Arlbergprobe hätte ich blind nie für älter als 1960 gehalten, kräftige, tragende Säure, tolle Frucht, sensationelle Farbe, lediglich etwas trocken im Abgang.

Ein Mouton Rothschild 1994 aus der Magnum hatte noch eine sehr kräftige Farbe, allerdings mit sehr deutlichen Braunrändern, in der Nase deutlicher Sherryton, gut 20-30 Jahre über seine Zeit, aber immer noch mit Genuß zu trinken.

Grandios waren 1995 in Hamburg eine Pichon Comtesse Imperiale(Sehr frisch mit kräftiger, tragender Säure, entwickelte mit der Zeit zarte, wunderschöne Süße am Gaumen, tolle Altweinnote) und eine Lafite Rothschild Doppelmagnum(kräftige Farbe, Burgunder Ton von der kräftigeren Art, kräftiger, überhaupt kein Alter zeigender Wein). Der Kreis war nicht sehr groß, so daß wir nicht nur die Weine aus vollen Gläsern statt der bei Proben obligatorischen, kleinen Pfütze trinken konnten. So ließen sich auch beide Weine über Stunden verfolgen. Beide zeigten auch mehrere Stunden nach dem Öffnen noch keinerlei Schwäche. Das zeigt, um wieviel besser Weine aus größeren Formaten sein können. Noch dazu, wenn diese perfekt gelagert wurden.

Zuletzt im September 2003 ein Lanessan - unglaublich, toller, perfekt gereifter Wein mit feiner Süße, elegant, riesig, für das Alter eine absolute Sensation - und ein Leoville Poyferré - wirkte in der Nase geradezu jung, groß, leichte Kaffeetöne, am Gaumen etwas gezehrt und astringierend, gegen den außerirdischen Lanessan auf sehr hohem Niveau nur 2. Sieger. Den Léoville-Poyferré konnte ich im November 2004 noch einmal trinken. Immer noch schöne Farbe, in der Nase unglaubliche aromatische Dichte, da kam der Gaumen nicht ganz mit. Großer Wein – 95/100. An der dritten Flasche, ebenfalls wie die beiden vorherigen eine R&U Abfüllung, nagte dann doch schon deutlich der Zahn der Zeit, was sich vor allem in einer leicht astringierenden Säure zeigte, doch hielt er sich für einen über 110 Jahre alten Wein beachtlich im Glas – 90/100.

Immer noch eine zwar helle, aber intakte Farbe hatte 2008 ein Haut Brion und eine sehr feine, schmelzige, generöse Nase mit dezenter Süße. Die 97/100, die man diesem unsterblichen Weindenkmal auch von der Genussseite her locker geben konnte, werden diesem einmaligen Erlebnis aber kaum gerecht.

Großer Jahrgang für Sauternes. d´Arche war 2010 ein großer Sauternes mit enormem Spaßfaktor, weich mit getrockneten Aprikosen und verschwenderischer, animierender Süße, wenig Säure zwar am Gaumen, aber so generös mit wunderbarer Fülle – 95/100. La Tour Blanche war 2003 zwar nur zweiter Sieger gegen eine überragende Deidesheimer Kieselberg BA, aber ein perfekt gereifter, großer Sauternes - 97/100.

Ein Chateau de Fesles von der Loire war 2003 direkt nach dem Aufmachen der absolute Star eines großen Dreierflights mit noch recht heller Farbe, einer leichten, feinen Süße und einer tollen Aromatik, trotz des dann sich einschleichenden Korktons ein Traumstoff - 95/100. Ohne diesen Fehlton sicher noch besser.

In Deutschland war 1893 eins der ganz großen, wenn nicht das größte Süßweinjahr des vorletzten Jahrhunderts. Eine Deidesheimer Kieselberg Beerenauslese des Reichsrats von Buhl war im September 2003 mit kräftiger braungüldener Farbe, karamelliger Süße, viel Finesse und Länge am Gaumen der Sieger eines tollen 1893er Flights auf höchstem Niveau - 100/100. Ein Windesheimer Fels Riesling Spätlese von Karl Dielhenn II. von der Nahe war 2023 noch in erstaunlich gutem Zustand. Der muss in seiner Jugend eine gute Portion Restzucker gehabt haben, schmeckte jetzt aber knochentrocken mit guter Säure. Die Nase erinnerte zu Anfang an eine alte Bibliothek mit staubigen Büchern, wurde mit der Zeit aber immer freundlicher und zeigte sogar noch Anklänge von Frucht. Im Glas entwickelte sich der Wein sehr gut und zeigte sogar noch eine feine Cremigkeit. Da musste selbst der Weinbuchhalter in mir WT92 rausrücken. Das einmalige Erlebnis eines noch immer so lebendigen 130jährigen Weines liegt natürlich deutlich höher und lässt sich kaum in Punkten ausdrücken.