L´Evangile und Pomerol

Was für eine Probe! Mit ihrem Goldenen Händchen und ihrem untrüglichen Gespür für große Weine hatte Elke Drescher für uns tief in ihren Pomerol-Keller gegriffen.

Keine Untiefen, durch die man waten musste, um endlich zum Kern der Dinge zu gelangen. Gleich der erste Flight war der absolute Hammer und brachte schon den wein des Abends. 1947 l´Evangile aus einer Händlerabfüllung war schlichtweg Perfektion. Einfach ein dekadent sauleckerer Wein mit Schoko und Pralinen ohne Ende, wunderbarer, leicht portiger Süße, dezent die Überreife des üppigen Jahrgangs spürbar, aber auch mit guter Struktur, hatte einfach alles, was man sich von einem großen Pomerol wünscht – WT100. Für mich war dieser Wein eine doppelte Genugtuung. Einige Wochen vorher hatte ich mit Jeff Leve zusammen mein Exemplar dieses Weines aufgemacht, erworben vor 5 Jahren bei einem renommierten, deutschen Auktionshaus. Nur steckte in dieser, von außen so einfach nicht zu erkennenden Eierdiebfälschung nicht nur ein Korken mit dem Aufdruck 1952 Corbin St. Emilion, sondern auch der entsprechende Inhalt. Echt und echt gut hier bei Elke natürlich auch die weiteren Flaschen dieses Traumflights. Der 1949 l´Evangile sehr viel feiner, eleganter, mit hoher Säure – WT95. Gleich zweimal kam dann Wineterminators Geburtsjahr ins Glas, das in Pomerol riesengroß war. Superdicht und an 50 Cheval erinnernd die Farbe des 1950 l´Evangile, enorme Kraft, Fülle und Schmelz, sehr druckvoll am Gaumen, mineralöisch, etwas Rumtopf und ein Hauch Minze, endloser Abgang – WT98. Noch einen Tick drüber mit ähnlicher Aromatik 1950 l´Evangile in einer deutschen R&U Abfüllung, auch der ohne jedes Alter – WT99. Wow! Vier solche Dinger in einem Flight.

Konnte das so weitergehen? Aber ja. Noch so jugendlich zeigte sich der kräftige 1955 l´Evangile mit wunderbarer, frischer Frucht, dazu wieder die große Schokoladenoper mit einer ganzen Packung Pralinen und einem Schuss Espresso, sehr lang am Gaumen und immer noch mit massig Zukunft – WT97+(!). Massig Zukunft auch beim eher etwas maskulin wirkenden 1961 l´Evangile, der eine enorme Kraft und Dichte zeigte, üppiges Nasenbild, am Gaumen enormer Druck und gewaltige Länge – WT96+. Nein, im schwierigeren Jahrgang 1964 mit diesem unseligen regen zur erntezeit konnte auch l´Evangile nicht zaubern. Trotzdem ist der 1964 l´Evangile ein sehr schön zu trinkender Wein, auch der kräftig mit etwas bittrer Herbe und dezent grünen Noten, aber auch feinem, süßem Schmelz – WT92. Würde ich in den nächsten Jahren austrinken. Keine Eile dagegen beim 1966 l´Evangile, der allerdings eher hohe Mineralität zeigt und Holzkohle statt Schokolade, ein wiederum enorm kräftiger, etwas verhalten wirkender Wein, bei dem sich der derzeit fehlende Schmelz im nächsten Jahrzehnt noch einstellen könnte – WT92+.

Woran erkennt man, ob ein großer, alter Wein gut gelagert wurde? Am besten und einfachsten natürlich, wenn man ihn direkt aus dem Originalkeller erwerben kann, in dem er seit Kauf unberührt gelegen hat. As dürfte inzwischen in den seltensten Fällen möglich sein. Bleiben als Indizien noch Füllstand und Farbe. Doch bei Letzterer ist Vorsicht angesagt. Ist die Farbe zu dicht und geht schon Richtung Schwarz, dann ist Vorsicht angesagt. Hier ist der Wein dann oxidiert. Zwei solcher Flaschen hatten wir jetzt vor uns. Mit eben dieser vermeintlichen Superfarbe kam der 1945 Clos l´Eglise Clinet ins Glas. Fürchterliche Nase mit Fehltönen und reichlich Möbelpolitur, dazu flüchtige Säure ohne Ende. Kaputt, hin, schade. Das galt leider auch für den 1950 Clos l´Eglise Clinet, bei dem zudem noch vor einiger Zeit der Korken in die Flasche geflutscht war. Auch hier wieder diese superdichte Farbe, flüchtige Säure und Essig am Gaumen. Aber auch spürbare Kraft und Substanz. Also beide Weine eine Suche wert. Wer sie findet, darf sie gerne mit mir trinken. Ich stelle etwas Äquivalentes dagegen.

Aber für all das entschädigte ein trotz miesem Füllstand (‚ms’) schlichtweg traumhafter 1950 Latour-à-Pomerol. So ein feiner, eleganter, absolut stimmiger Wein, immer noch mit guter Frucht und schokoladigem Schmelz, sehr balanciert und Finesse pur – WT97. Auch nicht von schlechten Eltern im vierten Glas der 1949 Clinet mit immer noch fast altersfreier Farbe, sehr fein, elegant und ausgeglichen, aber auch noch mit gutem Tannin- und Säuregerüst für eine längere Zukunft – WT96.

Erstaunlich generös mit viel dunklem Toffee der 1970 Clinet, ein wunderbarer Schmuse-Pomerol – WT92. Der 1970 l´Evangile hingegen verkörperte schon eher den Jahrgang und das weitgehend spaßfreie Jahrzehnt. Ein sehr kräftiger Wein mit guter Frucht, aber wenig Schmelz, trotzdem Jammern auf hohem Niveau – WT90. Ziemlich leichtfüßig kam der 1971 l´Evangile daher, ein schon gezehrt wirkender Wein, der schleunigst ausgetrunken gehört – WT83.

Immerhin hat der 1982 l´Evangile ja auch schon 32 Jahre auf dem Buckel. Aber dieses große Zeugs präsentiert sich immer noch so jung. Ein enorm druckvoller Power-Merlot mit süchtig machender Nase, am Gaumen maskulin und immer noch mit deutlichem Tanningerüst, dürfte zusammen mit Trotanoy zu den langlebigsten Weinen des rechten Ufers gehören und hat sicher noch 2 Jahrzehnte vor sich – WT96+. Großes Kino auch 1998 l´Evangile aus der Magnum, natürlich noch viel zu jung, aber mit erstaunlich offener, verführerischer Nase mit einfach geiler, süßer Frucht und viel Schokolade, am Gaumen geprägt von deutlichen, aber reifen Tanninen für eine lange Zukunft – WT95+. Und dann war da dieser große, komplette 2000 l´Evangile, blutjung, aber jetzt schon Suchtstoff pur. Die erste Flasche habe ich im letzten Jahr wie folgt beschrieben: Tiefdunkel die Farbe, unglaublich schon der Duft, der beim Dekantieren in die Nase stieg. Die letzten, reifen Brombeeren des Sommers, die ersten, schwarzen Perigord Trüffel, weihnachtliche Bitterschokolade, am Gaumen feine Mineralität, die deutlichen Tannine reif und süß, der rabenschwarze Puma schnurrt wie eine Hauskatze und läßt sich kraulen. Pomerol vom Allerfeinsten, hedonistische Opulenz, aber auch perfekte Struktur und gewaltige Länge, einfach ein Traum - WT97+. Das passte auch auf diese hier und eine weitere, die ich zum 7:1 von Deutschland gegen Brasilien getrunken habe. Es wird Zeit, dass ich die Kiste zunagele, sonst findet die grandiose Zukunft dieses weines ohne mich statt.

Einen Abschluss-Flight Gazins gab es noch. Gazin ist seit Ende der 80er wieder (alte Gazins können legendär sein) ein sehr zuverlässiges Gewächs mit hervorragendem Preis-/Leistungsverhältnis.Und doch zeigten diese vier Wein deutlich, auf welch irrsinigen Niveau uns unsere charmante Gastgeberin heute verwöhnt hatte. Der Gaumen gewöhnt sich schnell an hohes Niveau und reagiert dann sofort abweisend, wenn etwas weniger kommt. So beim 1988 Gazin, der mich spontan an jugendliche Laubsägearbeiten erinnerte. Ein etwas sprriger wein, Zedernholz statt Frucht, grüne Noten, etwas Tabak, rustikale, deutliche Tannine, schwierig zu sagen, ob der noch mal richtig kommt – WT88. Deutlich verschlossen hat sich 1989 Gazin, der von diesem dekadent fruchtig-schokoladigem Pomerol der sehr langen Fruchtphase nur noch Ausschnitte zeigt. Aber dieser wein mit seiner enormen Substanz kommt in ein paar Jahren noch mal wieder groß raus – WT92+. Das dürfte auch für den noch verschlossener wirkenden 1990 Gazin gelten, den ich wie den 89er lange Jahre in seiner jugendlichen Fruchtphase auf WT94-95 Niveau genossern habe – WT90+. Beide Weine stehen übrigens bei Parker mit 89 = old, 88/100 und 90=mature, 91/100. Kluge Käufer lieben solche Signale. Kräftig mit viel Substanz ist 2000 Gazin, der sich jetzt in einer ersten, offenen Trinkphase sehr fruchtig und schokoladig mit gutem Rückrat präsentiert – WT94.

Schwer beeindruckt hat mich dieser Abend, an dem uns die liebe Elke auf extrem hohem Niveau verwöhnt hat. Und wer Elke kennt, weiß, dass sie die selbst so hoch gelegte Messlatte immer als Ansporn für die nächsten Proben sieht.