5mal 18xx

Zu einer großartigen Raritätenprobe hatte Uwe Bende geladen. Alleine 5mal gab es dabei Weine aus dem vorletzten Jahrhundert.

Sie werden nicht gerade häufiger, die Weine aus dem vorletzten Jahrhundert. Was getrunken wurde, ist unwiderruflich weg. Was sich noch findet, ist häufig gefälscht oder in miserablem Zustand. Da gibt es dann nur eines, wenn so ein erfahrener „Weinantiquar“ wie Uwe Bende aus zuverlässigen Quellen noch solche Weine ausgräbt: Mitmachen! Denn diese raren, uralten Weinsenioren weisen teilweise ein großartiges Standvermögen auf, und wenn sie gut sind, dann sind das einmalige Erlebnisse für Liebhaber dieser Schätze.

Begrüßt wurden wir im Dado im Oberkasseler Hotel Innside von Uwe mit einem famosen 2001 Königsbacher Idig von Christmann aus der Magnum. Unglaublich, wie der noch im Glas stand, noch voll da, furztrocken, sehr mineralisch und lang am Gaumen, ein richtiges, großes Gewächs mit noch viel Zukunft – WT96. Ergänzt habe ich das, da der gute Uwe kurz vorher 50 geworden war, um eine 1965 Johannisberger Vogelsang Eiswein Auslese von Mumm, die mit tiefer, güldener Farbe, karamellig-malziger, aber eher verhaltener Süße guter Bitternote und erstaunlicher Kraft auch als reifer Sauternes durchging – WT94.

Natürlich gehört bei solchen Proben zum Gelingen eine Menge Flaschenglück dazu. Und dieses Flaschenglück hatten wir beim 1953 Pape Clement, der sich in hervorragendem Zustand präsentierte, minzig, erstaunlich kräftig mit guter Statur – WT94. Die oxidative, üble Nase des 1949 Cos d´Estournel lud eigentlich zum sofortigen Wegschütten ein. Doch wer stattdessen wartete, wurde nach einer Weile mit einem zwar nicht großen, aber durchaus noch sehr gut trinkbaren, ausgeglichenen Cos belohnt – WT88. Gefällig mit feiner Frucht und guter Struktur der 1955 Boyd Cantenac – WT91. Und der als großer 1953er angekündigte Leoville Barton entpuppte sich bei näherem Hinschauen als 1933er, und so roch und schmeckte er dann auch, nach Friedhof.

Keine Offenbarung der ziemlich nichtssagende 1959 La Chapelle aus St. Emilion. Verhalten die Nase, der Gaumen kaum besser, immerhin ohne Schmerzen trinkbar – WT83. Klar wäre mir da der gleichnamige Wein von der Rhone deutlich lieber gewesen. Dicht die Farbe des 1959 Moulinet aus Pomerol, minzig die Nase, etwas stahlig der Gaumen – WT86. Offen und schmelzig mit feiner Kräuternote präsentierte sich dagegen der wunderbare 1959 Calon Ségur – WT93. Willkommen bei Heinemann (der bekannten Düsseldorfer Konditorei) notierte ich spontan beim 1961 Gaffelière Naudes. Der war so süß, so schmelzig, so schokoladig, und der ebenfalls dekadent leckere, schokoladige Gaumen hielt, was die Nase versprochen hatte. Gutes Rückgrat und gute Säure sorgen bei diesem Wein dafür, dass aus ähnlich guten Flaschen das Vergnügen noch lange Jahre weitergeht – WT96.

Gleich 2mal bekamen wir den 1952 Talbot aus der Magnum in die Gläser. Startete etwas verhalten, baute aber enorm aus, wurde eleganter und entwickelte feinen, süßen Schmelz – WT92. Der Unterschied zwischen den beiden Gläsern lag dabei in der Temperatur. Mir gefiel die zweite, kältere Hälfte der Magnum besser. Und dann kam eine herrliche Pralinenpackung ins Glas, der schokoladige, unwiderstehliche 1955 La Conseillante, der sich hier in bestechender Form zeigte – WT95. Völlig daneben und oxidiert leider der 1953 Cheval Blanc.

Korkig im nächsten Flight leider der 1947 Figeac, Essig der 1947 Trottevieille. Doch dafür entschädigte der dritte Wein, ein grandioser Cheval Blanc in einer belgischen Grafé Lecoq Abfüllung, allerdings ohne Jahrgangsetikett. Ob das jetzt 1947 oder 1950 war, ließ sich auch anhand des Korkens nicht feststellen. Die Periode muss anhand des Etiketts aber 1947 bis 1950 gewesen sein. Da kommen für mich anhand der irren, leicht portigen Frucht, der Eleganz, der Balance, des dekadenten Schmelzes, des gewaltigen, aromatischen Drucks und der Länge dieses weines nur 1947 und 1950 in Frage. In jedem Fall ein Riese, ganz konservative WT98. Sehr elegant und fein mit wunderbarer Frucht, einfach zeitlos schön der 1949 Ripeau – WT92. Und dann war da noch ein fünfter, von Uwe eingeschobener Wein aus seinem Geburtsjahr. Der 1965 Chateauneuf-du-Pape Mont Redon startete furios mit portig-üppiger Nase, am Gaumen furztrocken mit puristisch schöner, einfach genialer Frucht und wirkte in der ersten Anmutung noch so jung. Doch die viele Luft im Gabriel-Glas bekam ihm nicht, er wurde rasch etwas reifer und breiter – WT93.

Und damit landeten wir endlich im vorletzten Jahrhundert. Erster Wein ein 1899 Chateau Dufour mit etwas ungewisser Herkunft, möglicherweise das heutige Dufort-Vivens. Dicht die Farbe, da war noch enorme Kraft und Substanz, aber eben auch eine intensive Klebstoffnase, die Teil des Spaßes verdarb – WT85. Und dann war da dieser schier unglaubliche 1889 Margaux aus einer Bordelaiser Händlerabfüllung in sehr gutem Zustand. Was für ein Wein! Einfach riesengroßer, reifer Margaux pur. So fein, so elegant, so betörend mit immer noch wunderbarer, filigraner, fast etwas zerbrechlicher Frucht, baute enorm im Glas aus und wurde immer länger und süßer. Keine Frage, das waren WT100. Zu den legendären Weinen der Vorreblauszeit gehörte 1870 Latour. Eigentlich heute unfind- und wenn doch, dann unbezahlbar. Uwe hatte eine Flasche ergattert, die von Christies als „believed to be 1870 Latour“ markiert war, weil sie aus einem seriösen Keller stammte und alles dafür sprach, bis auf das fehlende Etikett. Hier zeigte sich jetzt, wie war der Spruch „the proof is in the bottle“ ist. Der wein hatte immer noch eine erstaunlich gute Farbe, nur die Nase war zu Anfang etwas schwierig und wirkte leicht fischig. Aber das gab sich, der Wein legte enorm im Glas zu, auch in der Nase, da war noch viel Substanz, Kraft und Länge, immer mehr kam dazu in der Nase diese typische Latour Walnussaromatik. Ein faszinierender, unsterblicher Wein, bei dem man nicht glauben musste, trinken reichte. Das war er wohl, der 1870 Latour – WT99. Unfassbar gut der vierte im Bunde der 1874 Léoville Poyferré aus einem herausragenden Bordeauxjahr. Der war noch so kräftig, so dicht und lang mit einer deutlichen Eukalyptusnase. Wirkte wie ein Heitz Martha´s Vineyard aus der Vorreblauszeit – WT100. Diese drei unsterblichen Weine, an deren Authentizität ich trotz dieser unglaublichen Qualität keinen Zweifel hatte, musste ich erst einmal sacken lassen. Da hatte der gute Uwe mit viel Glück und Geschick in die Vollen gegriffen.

Auf dem nachfolgenden Foto die Farben der vier Weine, unten links der Dufour, darüber der Margaux, oben rechts der Latour, darunter der Poyferré.

Einen fünften 1800er hatte einer der Teilnehmer dankenswerterweise noch spendiert. Eigentlich ein großes Jahr für Bordeaux und auch Gruaud, aber dieser 1869 Gruad Larose erzählte nur noch müde von vergangenen Zeiten. Sehr reif die trübe Farbe, da waren noch Fruchtreste, aber auch viel Klebstoff. Am Leben gehalten wurde dieser durchaus noch trinkbare Wein von guter Säure – WT84. Traumhaft schön wieder der 1971 Latour, ein großer, reifer Latour – WT95. Enttäuscht hat mich im Vergleich der 1970 Latour, den ich deutlich besser kenne.

Leider nix los mit einem 1964 Angelus aus einer Händlerabfülung. Großartig dagegen 1964 Figeac so fein, elegant und generös am Gauen – WT94. Mit 1964 Pichon Comtesse aus einer perfekten Kiste hatte uns Uwe Bende schon oft überrascht. Das hier war auf hohem Niveau eine der schwächeren Flaschen. Sehr fein, sehr elegant, typisch Comtesse, aber man spürte auch förmlich den Regen, der speziell auf dem linken Ufer die Trauben aufquellen ließ und einen schon als riesengroß gehypten Jahrgang richtiggehend verwässerte – WT90.

Und damit kamen wir zum Schlussakkord. Grosse Klasse wie immer der eigentlich noch zu junge 1982 Gruaud Larose – WT96+. Gut 2 Dutzend Male durfte ich diesen Wein mal etwas mehr, mal etwas weniger reif trinken. Langsam wünsche ich mir, dass insbesondere die Weinfreunde mit kühlen Kellern aufhörten, ihre Flaschen aufzureißen. Sonst ist in 5-10 Jahren, wenn dieser Gruaud alles zeigt, nichts mehr da. Von seiner besten Seite zeigte sich wieder der hedonistische 1990 Lynch Bages, der erstaunlich jugendlich und fast schlank ins Glas kam und dann unglaublich zulegte. Das ist jetzt einfach Pauillac vom Feinsten mit superber Frucht, einfach sexy, aber auch mit großartiger Struktur und Länge. Wirkt jetzt reif, hat aber sicher noch Potential für 1-2 Jahrzehnte. Meine bisher beste Flasche bisher, meine Bewertung kletterte schnell von anfänglichen WT96 auf WT99. Welcher Lynch Bages ist jetzt besser, der 89er oder der 90er? Da entscheidet wohl der jeweilige Flaschenzustand. Glücklich, wer beide Weine im Keller hat. Pauillac geht anders, aber kaum besser, schon gar nicht zu dem Preis, den die Lynch Bages damals kosteten. Selbst heute können sie je nach Quelle noch ein schlauer Kauf sein. Mit dem 1990 Beauséjour Duffau Lagarosse kam eine weitere Legende ins Glas, die eigentlich mehr Aufmerksamkeit, vor allem aber etliche Stunden mehr in einer großen Karaffe verdient gehabt hätte. Dieser Ausnahmewein ist so dicht, so kräftig mit konzentrierter, dunkler Frucht, aber gleichzeitig mit messerscharfer Präzision und hoher Mineralität, das muss man erlebt haben – WT97+. Schlichtweg ein Traum auch der letzte Wein des Abends, ein 1989 Margaux. Was habe ich über diesen Wein, dem auch Parker nur lausige 90 Punkte gibt, schon geflucht. Der war einfach ewige Zeit unzugänglich und uncharmant. Bei unserem „Coravin-Schlachtfest“ im letzten Jahr war das plötzlich völlig anders. Und jetzt hier in dieser Probe stand vor mir ein Traum-Margaux in Bestform, so elegant, so balanciert, aber auch mit enormer Kraft und Substanz, die berühmte Eisenfaust im Samthandschuh – WT99.