Cheval Blanc und der „Cheval Blanc für Schlaue“

Mit einem spannenden Thema starteten wir bei Elke Drescher in die 2016er Probensaison. Kann Gaffelière-Naudes, den ich selbst oft als „Cheval Blanc“ für Schlaue bezeichnet habe, mit dem Original mithalten? In Zweier-Flights gingen wir in kleinerer Runde (mehr im Glas!) dieser Frage nach.

Ein tiefes Braun hatte der 1928 Gaffelière-Naudes aus einer Händlerabfüllung, sehr reif aus dieser Flasche, nicht nur die Nase mit oxidativen Noten, malzige Süße am Gaumen, deutlich über den Höhepunkt hinaus – WT84. Ich habe diesen Wein aber schon mehrfach dramatisch besser mit bis zu WT98 (in 2012) erlebt. Ich würde da bei gut gelagerten Flaschen immer noch zugreifen. Erstaunlich hell die Farbe des 1928 Cheval Blanc aus einer nicht optimalen Cruse-Abfüllung, immer noch pikante Frucht, sehr elegant und schmeichlerisch mit Süßholz in der Nase, wurde auch am Gaumen immer süßer – WT95.

1947 Gaffelière-Naudes war ein 47er, wie er im Buche steht, füllige, leicht portige Nase, am Gaumen enorme Kraft, Fülle und Schmelz, baute enorm aus, nur die Eleganz und Finesse von Cheval Blanc fehlte im etwas – WT96. Wiederum wohl nicht die beste Flasche war es, die wir hier vom 1947 Cheval Blanc Vandermeulen hatten. Viel flüchtige Säure in der Nase, immer mehr Klebstoff, wirkt etwas müde, dreht aber am Gaumen enorm auf, so elegant und fein mit schönem, leicht portigem Schmelz, wunderbare Süße und Länge. Kein perfekter 47er Cheval Blanc, aber immer noch ein großer, der die Klasse dieses Weines zeigt – WT96.

Klar, jeder bekennende Weinfreak möchte mindestens einmal im Leben den 1947 Cheval Blanc im Glas haben, und wenn, dann bitte im Bestzustand. Ich erinnere mich noch gut an eine Probe, in der meiner Lieblings-Gastgeberin Elke der sehr gute 47er nicht gut genug war, und sie dann noch eine weitere, noch bessere Flasche aufmachte. Aber nicht nur der Mythos 47 Cheval Blanc, der seit 1953 voll trinkbar ist, wird irgendwann in den meisten Flaschen müde, ganz abgesehen von den unzähligen Fälschungen. Es gibt bei älteren Flaschen ebenso wenig die Garantie für das große Erlebnis wie bei jungen Flasche, wobei z.B. die Häufigkeit von Korkfehlern bei älteren Weinen dramatisch geringer ist als bei jüngeren. Worauf ich bei älteren Weinen vor dem Kauf achte, ist als erstes die Herkunft. Auktions-Wanderpokale mit vielen Vorbesitzern sind die beste Garantie für große Enttäuschungen. Natürlich ist der Füllstand wichtig. Viel wichtiger ist für mich aber eine gesunde Farbe mit rotem Kern. Und trotzdem gilt bei älteren Weinen „No Risk – No Fun“. Für die ganz großen Erlebnisse und auch die Überraschungen, die sich tief in die Weinseele einbrennen, muss man auch Enttäuschungen akzeptieren.

Jeweils aus französichen Hanapier-Abfüllungen stammten die beiden nächsten Weine. Der 1948 Gaffelière-Naudes war ein guter, kompakter, seriöser Wein, kräftig, dicht und lang – WT96. Der 1948 Cheval Blanc hatte eine absolute WT100-Traumnase, immer noch so präsente Frucht, am Gaumen war er deutlich kompakter, zwar auch mit etwas Süße, fast noch etwas unfertig wirkend mit immer noch deutlichen Tanninen. Es mag unglaublich klingen, aber da kommt noch mehr – WT97+.

Begeistert hat mich der 1949 Gaffelière-Naudes in einer belgischen Thienpoint-Abfüllung. Was für ein geiler Saft mit verschwenderischer, süßer Fülle und großartiger Länge – WT97. Und trotz dieser Klasse kam er nicht an den atemberaubenden 1949 Cheval Blanc ran, dem wohl besten wein dieser Probe. Der war einfach noch größer mit mehr Struktur, mehr Dichte und mehr Länge, dazu noch mit dem unvergleichlichen Cheval Blanc Charme, einfach ein unsterblicher Riese – WT100.

Ausgerechnet aus meinem Geburtsjahr enttäuschte mich der Cheval Blanc, den ich schon so häufig mit Perfektion im Glas hatte. Aber der 1950 Gaffelière-Naudes war einfach dichter, kräftiger, süßer und ätherischer, baute enorm aus und zeigte am Gaumen dekadente Süße, Schmelz und Länge – WT97. Da kam der etwas sehr brave 1950 Cheval Blanc aus einer unbekannteren Abfüllung eines Händlers aus Pauillac auf hohem Niveau nicht mit – WT90.

Sehr fein und elegant der 1952 Gaffelières-Naudes mit generöser Süße, zumindest für diejenigen unter uns, die genügend Geduld hatten, denn zu Anfang war dieser Wein doch etwas kompakt und ruppig – WT96. Meine WT96 sind für den letzten, absolut wunderbaren Schluck. Nicht in der normalen Klasse leider der schon leicht morbide wirkende 1952 Cheval Blanc, der eher an überlagertes, altes Marzipan erinnerte – WT89.

Hin war leider der 1953 Cheval Blanc mit deutlichen Essignoten. Aber kein Problem für Elke. Während es in anderen Proben dann oft nur „Schade“ heißt, hatte Elke sofort qualifizierten Ersatz bereit. Zwar keinen Cheval Blanc, dafür aber einen sehr spannenden 1955 Pavie, der diesen Vertreterjob sehr gut erledigte. Der 1953 Gaffelière-Naudes zeigte sich ausgesprochen fein und elegant in der Stilistik eines Cheval Blanc mit feinem, süßem Schmelz – WT95. Der deutlich robustere 1955 Pavie erinnerte deutlich an die heutigen Power-Pavies, noch so jung und sehr dicht und kräftig – WT96. Jede Suche wert.

1955 Gaffelière-Naudes gehört zu den ganz großen Erfolgen dieses Chateaus. Schon oft habe ich diesen Wein fast auf Augenhöhe mit Cheval Blanc getrunken. In dieser vorher noch nie gesehenen, englischen Händlerabfüllung von Hankey, Barrister & Co zeigte er sich so seidig weich und elegant, absolut stimmig in bester Cheval Blanc Stilistik – WT96. Da kam das Original, der 1955 Cheval Blanc in einer Vandermeulen-Abfüllung nicht mit. Eigentlich ist das ein klarer WT100 Kandidat, aber hier langte es nur für WT93.

Klarer Sieger im nächsten Flight der überragende 1959 Gaffelière-Naudes aus einer perfekten Chateauabfüllung. Übrigens die beste Flasche dieses Weines, die mir bisher serviert wurde. Der hatte noch so eine dichte, junge Farbe, immer noch wunderbare Frucht, soviel Kraft, Fülle und Struktur und eine tolle Länge. Hat in dieser Form noch eine große Zukunft – WT97+. Ja, und den armen 1959 Cheval Blanc walzte er förmlich platt. Der erinnerte bei aller Finesse mit leicht gebrechlicher Konstitution etwas an das zerfledderte Etikett dieser Händlerabfüllung – WT92. So sehr ich sonst gut gelagerte Händlerabfüllungen schätze, bei Cheval Blanc bevorzuge ich die Chateauabfüllungen, allenfalls noch Vandermeulen-Abfüllungen mit einwandfreier Herkunft. Die damaligen Besitzer von Cheval Blanc, die Familie Fourcaud-Laussac, besaßen ein eigenes Negociant-Business, über das sie Cheval Blanc auch fassweise an beliebige Dritte verkauften. Das waren sowohl Händler aus Bordeaux, Belgien und England, als auch vermögende Privatpersonen aus Belgien, die sich regelmäßig „ihr“ Fass kauften und dann in Belgien von einem Händler abfüllen ließen. Und da es der Familie Fourcaud-Laussac nicht so schlecht ging, wie vielen, anderen Chateaubesitzern, konnten sie die besseren Fässer für sich und die Chateauabfüllung behalten.

Praktisch auf Augenhöhe verlief der letzte Flight dieser Probe. 1961 Gaffelière-Naudes in einer Bordelaiser Händlerabfüllung von René Vedrenne war reif und auf dem Punkt, so süß, schmelzig und schokoladig, einfach dekadent lecker, sowohl in der Nase als auch am Gaumen, und das alles mit wunderbarer Eleganz – WT97. An Eleganz fehlte es auch dem 1961 Cheval Blanc nicht, aber der wirkte nicht nur jünger, sondern auch kräftiger, dichter und länger mit Potential ohne Ende, in dieser Form kommt da das beste erst noch – WT97+.

Und das Ergebnis unseres Vergleichs? Über perfekt gelagerte Cheval Blanc geht nichts drüber. Dieses unvergleichliche Cheval Blanc Parfüm diese betörende, seidige Eleganz. Cheval Blanc ist nicht umsonst einer der teuersten, gesuchtesten Bordeaux. Aber auf Gaffelière-Naudes wurden zwischen 1945 und 1964 große Weine gemacht, die nicht weit von Cheval Blanc weg sind und gut altern. Im Zweifelsfall ziehe ich einen gut gelagerten Gaffelière-Naudes in entsprechendem Zustand immer einem weniger guten Cheval Blanc vor. Und wenn beide in sehr gutem Zustand sind? Dann müssen Sie entscheiden, ob sie für den gleichen Preis lieber 1-2 Punkte mehr im Glas oder 1-2 Flaschen mehr im Keller haben. Da bin ich persönlich dann großer Fan des „Cheval Blanc für Schlaue“.