Reife Riesling Raritäten

Es gibt Proben, die entwickeln sich einfach. Ab Vorabend der großen Cellar Devils Probe hatte ich schon eine Reihe Schweizer Weinfreunde zu Gast. Und da war die Spargelzeit bereits voll im Gange. Was lag da näher, als eine feine Probe zum Thema Spargel und Riesling. Franz Josef Schorn versprach uns ein mehrgängiges, schönes Menü zum Thema Spargel, ich ging im Keller auf die Suche nach entsprechenden Tropfen. Nein, nicht nach Spargelweinen. Meine Schweizer Freunde waren allesamt Fans großer, deutscher Rieslinge, und da musste schon etwas adäquates ins Glas. Und wie das dann so geht, wenn man im Keller wühlt und Flaschen findet, auf die man Lust hat. Es entwickelte sich die Basis für eine wirklich hochkarätige Probe, die voll mit dem mit konnte, was sich Franz Josef da anspruchsvolles rund um das Thema Spargel ausgedacht hatte.

Leicht und filgran fingen wir an mit drei netten, trockenen „Möselchen“. Perfekt (an)gereift die 2001 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Spätlese trocken von Fritz Haag. Ja, die war wirklich trocken, sehr mineralisch, Schiefer pur, Bienenwachs, deutliche Säure, noch so jung und vibrierend wirkend mit traubiger Frucht, ja, Haag kann auch trocken – WT93.Und dann war da diese 2004 Bernkasteler Lay Spätlese trocken von Markus Molitor. Sehr fein und elegant in der Nase, unglaublich stoffig und druckvoll am Gaumen mit feinem, hellem Toffee im Abgang, Potential ohne Ende – WT94+. Beim dritten im Bunde hat man das Gefühl, dass es trockenen Wein nur gibt, wenn ihm mal ein Fass durchrutsch und einfach durchgährt, ohne dass er es merkt. Dabei können die ganz wenigen, trockenen Prüms sehr gut sein. So wie diese 2008 Zeltinger Sonnenuhr Spätlese trocken von JJ Prüm mit exotischer Frucht in der Nase, mit Ananas und auch Hollunder, eher noch etwas primärfruchtig wirkend. Sehr elegant, filigran mit wunderbarer Schiefermineralität, tänzelnd am Gaumen, die Prümsche Leichtigkeit des Seins in einer faszinierenden, trockenen Variante – WT95.

Große, trockene Gewächse gab es in Deutschland schon lange, bevor der VDP diesen Begriff kreierte. Und drei der größten davon hatten wir jetzt im Glas. Darf man einem trockenen Riesling 100 Punkte geben? Warum denn nicht, wenn er sie verdient. Ein tiefes, brilliantes Goldgelb hatte dieser 1992 Nonnenberg von Breuer . Wirkte in der Anmutung sehr burgundisch, sowohl in der Nase als auch am Gaumen. Schiefermineralität, aber auch Feuerstein, nussig, sehr würzig, ging zunächst am Tisch als perfekt gereifter, großer Meursault durch. Explodierte förmlich im Glas mit wunderbarer, frischer, gelber Frucht und sehr guter Säure, ewig lang im Abgang. Der baute so enorm aus, da gingen meine ohnehin schon sehr hohen Bewertungen immer höher bis sie dort landeten, wo sie bei diesem Ausnahmewein hingehörten: klare WT100. Trotz massiver Konkurrenz setzte sich der Nonnenberg in diesem Flight an die Spitze. Und das vor ebenfalls legendären Weinen. Außer Bernd Breuer gab es noch einen Künstler namens Künstler, der mit trockenen Weinen Zeichen setzte. So unglaublich jung wirkte diese 1993 Hochheimer Hölle Auslese trocken von Franz Künstler noch. So komplex war dieser Wein, mit druckvoller Aromatik, mit der Kraft und der Fülle der Lage Hölle, aber auch mit bestechender Struktur und Präzision, sehr mineralisch, endloser Abgang und hohe Extraktsüße, brauchte ebenfalls enorm viel Zeit und Luft und baute immer mehr aus – 97/100.

Von Künstler hatten wir danach noch zwei jüngere Riesen im Glas. Die 2002 Hölle Auslese trocken war ein noch so blutjunger Wein mit großartiger Struktur und Rasse, mit Strahlkraft ohne Ende, sehr mineralisch, aber auch mit etwas opulenter Fülle, dabei sehr harmonisch und balanciert mit gewaltiger Länge am Gaumen - WT97. Hat Potential für lange Jahre. Die 2005 Hölle Goldkapsel trocken wirkte im direkten Vergleich zunächst deutlich reifer, weich und weiter mit intensiver Extraktsüße, doch gab sich das mit Zeit und Luft. Die Hölle baute enorm aus, wurde komplexer und entwickelte durchaus burgundische Konturen mit hoher Mineralität und guter Säure – WT96.

Ziemlich daneben mit viel Apfelsäure leider ein 2003 Jesuitengarten GC von Bürklin-Wolf, der wohl nicht aus dem besten Keller stammte. Nicht preiswert, sondern in jeder Beziehung einfach nur billig. Kenne ich aus eigenen Beständen direkt vom Gut dramatisch besser. Wie gut Weine aus diesem eigentlich schwierigen, heißen Jahr sein können, zeigte der 2003 Am Turm Alte Reben von Wittmann. Hell noch die Farbe, glockenklare Frucht, Finesse, Extraktsüße mit feinem Schmelz, sehr gute Säure und Länge am Gaumen, einfach unglaublich simmig und perfekt balanciert – WT97.

Noch so blutjung die 2001 Kallstadter Saumagen Auslese trocken R von Kohler-Ruprecht, glockenklare, puristische Frucht, messerscharfe Präzision, intensive, kalkige Mineralität, einfach stimmig von der Nase bis zum sehr langen Abgang – WT98+. Natürlich sind da nicht nur die WT100 in Sicht. Das wird für lange Zeit eine der Legenden im Bereich trockene, deutsche Rieslinge sein.

Ein Traum auch die immer noch so junge, perfekt balancierte 2004 Hermannshöhle GG von Dönnhoff, mit enormem Druck am Gaumen und mineralischer Brillianz – WT96. Ein Paradebeispiel für den damals so unterschätzten Jahrgang 2004, dessen bessere Weine sind schlichtweg großartig sind. Reifer und fülliger im direkten Vergleich die 2005 Hermannshöhle GG von Dönnhoff, aber auch das ein sehr spannender, großartiger Wein – WT95. Große Winzer wie Helmut Dönnhoff schaffen es halt auch in warmen Jahren, Weine mit enormer Spannung zu machen.

Zwei große, deutsche Rote habe ich noch an den Schluss gesetzt. Noch viel zu jung der betörende 2007 Wildenstein Spätburgunder R von Huber, Burgund auf badische Art mit unglaublicher Eleganz und Finesse, enormer Tiefgang, gewaltige Länge und großartige Zukunft – WT94+. Ruppig, röstig, leicht polternd kam der 2012 Melandor Pinot Noir von Metzger ins Glas, üppig, füllig, einfach ein geiler, hedonistischer wein zum jetzt aus vollen Gläsern genießen – WT94.