Alte gegen Neue Welt

Alte gegen Neue Welt ist ein beliebtes, spannendes Probenthema, das wir auch für unsere aktuelle Best Bottle gewählt hatten.

Eigentlich war die Ansage klar. Jeder bringt als Paarung je einen gereiften, großen Wein aus der Alten und aus der Neuen Welt mit. So lässt sich zum Beispiel prima ein australischer Shiraz gegen einen Syrah von der Rhone stellen, ein kalifornischer Cabernet gegen einen Bordeaux, oder ein Pinot aus Oregon gegen einen Burgunder. Natürlich ist das dann oft ein Vergleich Äpfel mit Birnen, aber gerade die stilistischen Unterschiede (oder Gemeinsamkeiten) machen das alles spannend und unterhaltsam. Gut, wir haben das Motto nicht ganz strikt durchgehalten, aber es kamen jede Menge interessante Paarungen auf den Tisch.

Außer Konkurrenz gleich zu Anfang zu Ehren einer jungen Dame, die uns wertvolle Chauffeurdienste geleistet hatte, zwei eher ungewöhnliche Weine aus ihrem nicht einfachen Geburtsjahrgang. Angeblich sollen ja kalifornische Chardonnays innerhalb der ersten Jahre getrunken werden. Das mag für viele der modernen Weine gelten. Nur gab es in Kalifornien mit dem Ende der 80er Jahre nicht nur für Cabernets eine Zäsur. Auch bei Weißweinen änderte sich einiges. So, wie die klassischen Kalfornischen Rotweine aus der Zeit vor 1990 häufig bessere Bordeaux waren, ähnelten die Chardonnays in der Stilistik Weißen Burgundern. Eindrucksvoll demonstrierte das ein 1979 Buena Vista Chardonnay. Immer noch frisch war dieser altersfreie Wein mit seiner klaren Frucht, das gut eingebundene Holz noch deutlich spürbar, sehr nussig, schmelzig, wunderbare Fülle, aber mit klaren Konturen, klassische, burgundische Eleganz und Harmonie, keine Spur von Alter, baute mit der Zeit enorm im Glas aus, hat sicher noch Potential für etliche Jahre 91/100. Im anderen Glas ein noch gewagteres Experiment. "this wine has bottle ageing capabilities until early 1984" stand auf dem Rückenetikett des 1979 Hunter Valley Riesling der Wyndham Estates aus Australien. Sehr gewöhnungsbedürftig erst die Nase, medizinale Töne, Phenol. Erstaunlich fruchtig der Gaumen mit guter Säure und etwas Honig. Mit der Zeit besserte sich auch die Nase, bekam den Petrolton reiferer Rieslinge, wurde floral und zeigte auch reife Aprikose. Am Gaumen kam ein sehr deutlicher Litschi-Ton, dazu etwas Schwarztee, als Riesling wurde der Wein immer stärker erkennbar und trank sich durchaus noch gut 85/100.
Franz Josef Schorn, der an diesem Abend in seinem ehemaligen Restaurant für uns den Mundschenk spielte, schob danach noch einen Wein von der Saar ein. Günter Jauch hat vor kurzem das traditionsreiche Weingut von Othegraven von seiner Tante übernommen. So bekommt dieses Gut, das in den letzten Jahren mit deutlich besseren Weinen anfing, wieder an glorreiche Zeiten anzuknüpfen, auch noch etwas Glanz und Gloria. Spontanvergoren ist der 2008 Kanzemer Altenberg Großes Gewächs. In der Nase ist er sehr würzig mit viel grünem Pfeffer und erinnert damit deutlich an Grüne Veltliner, am Gaumen sehr mineralisch, fein, elegant und vielleicht etwas leichtgewichtig. Wird sicher mit den Jahren noch etwas zulegen 88/100.

Frappierend der Unterschied zwischen dem eleganten Buena Vista und dem, was wir da jetzt im Glas hatten. Holz ohne Ende hatte der 2006 Pahlmeyer Napa Valley Chardonnay, deutlich mehr Vanille als Frucht, der Alkohol gefühlt noch höher als die 14,9 % des Etiketts. Ein Wein, der sicher noch etwas zu sich finden muss. Aber das war gleichzeitig auch der (noch) aktuelle, kalifornische Chardonnay-Stil, zu dick, zu fett, zu alkoholisch und damit eigentlich heute schon von gestern 90+/100. Natürlich ist das Jammern auf hohem Niveau, und es gibt immer noch genügend Fans dieser Stilrichtung. Doch die allgemeine Stimmung gerade auch der amerikanischen Weintrinker wendet sich zunehmend von diesen Geschossen ab. Im anderen Glas ein 1998 Meursault Vieilles Vignes von Guy Bocard. Der hatte eine faszinierende Nase, die an einen Dresdner Christstollen mit viel Puderzucker, Hefe und vor allem Zitronat erinnerte. Am Gaumen war er sehr kräftig, furztrocken, reif, mit immer noch deutlicher Säure, aber nur wenig Charme 87/100.

Schade, die nächsten beiden Weine wären formidable Herausforderer für die ebenfalls mitgebrachten Bordeaux gewesen, aber unser Sommelier wollte es aus unerklärlichen Gründen anders. So kam es zu einem rein amerikanischen Duell. Fantastisch wieder 1986 Simi Cabernet Sauvignon Private Reserve. Ein sehr feiner, eleganter Wein mit reintöniger Frucht, roter Johannisbeere, Zedernholz und etwas Tabak. Samtig und generös am Gaumen mit feiner, fruchtiger Süße, so eine Art Pichon Comtesse aus Kalifornien mit endlosem Abgang 95/100. 1990 Chateau Montelena hatte eine sehr dichte Farbe, Kraft ohne Ende, reife, dunkle Frucht, etwas Eukalyptus und Minze, wirkte aber auch für Montelena etwas zu dick und überreif. Ich habe das bei Montelena schon häufiger bei anderen Jahrgängen gehabt. In dieser Art Zwischenstadium bleibt man einfach für ein paar Jahre von diesem Wein weg, dann läuft er wider zur alter Form auf 90+/100.

In Topform zeigte sich wieder einmal 1986 Beringer Private Reserve. Der war noch so jung und frisch mit klarer Bordeaux-Stilistik, aber auch etwas Minze und Eukalytus, Eleganz pur und totale Harmonie, sehr lang am Gaumen 96/100. Auch hier gilt natürlich: Herkunft ist alles. Vom 86er habe ich auch schon einige grenzwertige und kaputte Flaschen trinken müssen. Meine eigenen habe ich vor längerer Zeit aus perfekter Lagerung erworben. Während der Beringer wohl jetzt auf dem Gipfel ist und vorsichtshalber in den nächsten Jahren getrunken gehört, war der 1986 Le Gay im anderen Glas immer noch ein hochkonzentriertes Weinbaby mit Kraft und Tanninen ohne Ende. Immerhin zeigte dieser Wein, an dem sicherlich schon etliche verzweifelt sind, inzwischen auch schon eine tolle Frucht und eine geile Süße. Da waren heute 93+/100 im Glas. Ich wette darauf, dass es da innerhalb der nächsten 30 Jahre im Glas richtig knallt.

Spannend auch die nächste Paarung. Zwei Underdogs kamen ins Glas, große Namen aus einem großen Jahrgang, die bisher alles andere als Spaß machten. Wer noch nicht wusste, wofür man einen Weinkeller braucht, der erfuhr es hier ganz deutlich. Mit lausigen 89/100 hat Parker den 1989 Latour im Jahre 2000 abgehakt und ihn als "reif" bezeichnet. Die Punkte kann ich nachvollziehen. Mehr habe ich diesem Wein bei diversen Begegnungen um die Jahrtausendwende auch nicht gegeben. Schlimmer noch, ich habe eine OHK halbe Flaschen dieses Weines für kleines Geld verscherbelt. Das tut weh, wenn man sieht, was im Verlauf von 10 weiteren Jahren aus diesem Wein geworden ist. Gut, da ist immer noch ein massives Tanningerüst, aber auch so eine pure, wohl definierte Frucht, soviel noble Eleganz, so eine gewaltige Länge am Gaumen. Noch etwas verschlossener als die außerirdische Jeroboam im letzten Herbst auf René Gabriels großer 89*89 Probe, aber mit deutlich spürbarem Potential 94++/100. Ich will meine OHK zurück!! Sprachlos machte mich auch im anderen Glas 1989 Dominus. Was habe ich den schon verflucht! Und jetzt stand dieses einstige, vermeintlich überholzte Tanninmonster als großer, gereifter Klassiker vor mir, in bester bordelaiser Art. Kraftvoll mit fantastischer Struktur, viel Leder, Minze, Tabak, schöne Süße, sehr komplex und lang am Gaumen 96/100. Warum habe ich davon nichts im Keller? Da sind jetzt gut bis zu 2 Jahrzehnte Trinkspaß auf hohem Niveau angesagt.

Leichtes Spiel hatte dann der 1994 Penfolds Cabernet Sauvignon Bin 707 mit dem 1994 Gazin. Auf dem Punkt dürfte der Penfolds jetzt sein, dieser generöse, füllige, schmelzige, minzige, süße Kalifornier Made in Australia, einfach ein geiles, hedonistisches Teil zum hemmungslos genießen 93/100. Klar könnte man da meckern, dass inzwischen etwas Struktur fehlte, dass er gegenüber früheren Jahren vielleicht etwas breiter geworden ist. Aber mir fehlte vor allem ein zweiter Schluck dieses hedonistischen Elixiers. Da hätte ich gerne den Gazin für eingetauscht. Nicht, dass das ein schlechter Wein wäre. Frucht hatte er, jung war er noch, aber eben auch reichlich sperrige Tannine und trotz dezenter Süße diese störenden, grünen Noten. Ein typischer 94er eben, Gazin geht besser 88/100.

Leider waren den verbliebenen Bordeaux die Partner ausgegangen. Aber das war nicht weiter schlimm. Wenn die besten Neue Welt Weine die mit Bordeaux-Stilistik sind, konnten wir ja gleich weiter Bordeaux trinken. So würde ich den 1986 Haut Brion ohne Probleme auch mehrmals in einer Probe nehmen. Ein großartiger Wein mit der klassischen Cigarbox-Aromatik, rauchig, teerig, erdig, der Zugänglichkeit nur vortäuscht. Das immer noch stramme Tanningerüst sorgt für ein langes Leben, und dieser Haut Brion zeigt heute schon viel, aber längst noch nicht alles 95/100. 1990 Cos d Estournel erinnert an den großen 82er. In der jugendlichen Fruchtphase ein großartiger Stoff, geprägt von üppiger Röstaromatik und toller Frucht, dann geht irgendwann die Klappe runter und die nervige Warterei beginnt. Während der 82er inzwischen wieder zu alter Form zurückfindet, sind bei 90er je nach Lagerung noch einige Jahre Warten angesagt. Mit Schlehenfrüchten in der Nase, einem dichten, schwarzen Kern und viel Tannin machte er jedenfalls in dieser Probe auf hohem Niveau noch einen recht verschlossenen Eindruck 92+/100.

Von 1983 Margaux gibt es zwei Varianten. Bei der einen überlegt man angestrengt, ob da jetzt 99/100 oder 100/100 im Glas sind. Bei der anderen Variante überlegt man nur, wem man jetzt den Rest der Kiste andrehen kann. Das Schlimme daran ist, man sieht es von außen nicht und in einer Kiste können beide Varianten traut beieinander liegen. Wir hatten an diesem Abend leider die grausige Variante im Glas, alter Pappkarton, nasser Hund, Paprika, ein großes 1er Cru Ärgernis. Dafür brillierte im anderen Glas der 1983 Cheval Blanc. Der hat einfach alles, was man sich von einem trinkreifen, großen Cheval Blanc wünscht, dieses unnachahmliche, seidig-elegante Cheval-Parfüm in der Nase, die dekadent süße, leicht portige und exotische Fülle, diese druckvolle Aromatik und diese perfekte Struktur, einfach groß 97/100. Eigentlich wäre das der perfekte Schlusspunkt unserer Probe gewesen. Auf diesem Niveau die ganze Nacht im Bett weiterträumen, das wär s.

Aber ein Absacker aus der sehr umfangreichen, gästefreundlich kalkulierten Schorn Karte musste doch noch ins Glas. Da drängte sich der 1999 Trilogia von Kokkalis förmlich auf. Ein exotischer, fruchtiger, üppiger Wein mit Nougat, Kokosraspeln und Minzfrische, einfach lecker 93/100. Das galt dann auch noch für den 1985 de Fargues, den uns Franz Josef Schorn als endgültigen Abschluss kredenzte. 1985 war kein besonderes Sauternes-Jahr mit wenig Edelfäule. Und doch war das ein sehr feiner, hoch eleganter Wein mit schöner Honignote, nicht zu süß, aber wunderbar balanciert mit endlosem Abgang 92/100. Sicher eine Suche wert. Nicht, um im Menü eine Gänseleber zu ergänzen, der de Fargues ist ein wunderbarer Solist, der alleine getrunken gehört.