Chateau Palmer Vertikale

Trinken wollten die Teilnehmer dieser Probe vor allem die Legende: 1961 Palmer. Doch auch die anderen 23 Jahrgänge dieses 3me Cru aus Margaux, die René Gabriel in einer umfassenden Vertikale öffnen ließ, waren spannend.

Serviert wurden die Weine in 6er Flights von Alt nach Jung. Und gleich der älteste Wein der gesamten Probe, ein 1921 Palmer, war für mich eigentlich der faszinierenste. Alte Weine können groß sein wenn sie noch gut sind. Dreimal hatte ich diesen fast 90jährigen Palmer schon im Glas. Zweimal war das gruftiger Mist, einmal ein traumhaftes Erlebnis. Und jetzt? Die erste Wahrnehmung war Säure ohne Ende, ich ahnte schon Schlimmes. Doch der Sauerstoff erweckte diesen Greis zum Leben. Da kam immer mehr sehr feine, rotbeerige Frucht. Der Palmer wurde himbeerig wie ein großer, alter Burgunder und entwickelte immer mehr Finesse und dazu eine schöne Süße, die kräftige Säure, die diesen Wein am Leben erhielt, wirkte plötzlich gut eingebunden, ein großartiges Altweinerlebnis - 93/100. Schade, dass meine beiden Nachbarn links und rechts den Wein auch mochten. Oft habe ich Glück und ein Nachbar mag keine alten Weine. Doch diesmal konnte ich nichts abstauben.
Sehr vielversprechend erst die generöse Schokonase des 1955 Palmer. Doch das ging leider schnell vorüber. Immer mehr kamen oxidative und etwas unsaubere Noten, aber auch eine erstaunlich feine, himbeerige Noten. Am Gaumen sowohl eine kräftige Säure, aber auch etwas malzige Süße 85/100. Kenne ich deutlich besser.
Wenig Chancen hatte 1956 Palmer. Er stammte nicht nur aus einem grausamen Jahrgang, sondern auch aus einer mit "low shoulder" eher grausamen Flasche. Trüb und ältlich war die Farbe, die Nase hatte den Charme von zu lange getragenen, alten Socken. Nur am Gaumen bäumte sich der Palmer noch einmal kurz auf mit etwas Malaga und dezenter, rosiniger Süße 78/100.
Ja und dann war da gleich im ersten Flight die Legende, 1961 Palmer. Eigentlich hätte er sofort rausstechen müssen, doch der stellte sich stattdessen erst mal verschämt hinten an. Brauchte viel Zeit und Luft, um dann enorm im Glas auszubauen. Wurde dann von der Nase her süßer, generöser mit gekochten Früchten. Auch am Gaumen zeigte sich eine komplexe Mischung aus Kraft und Eleganz, dabei sehr harmonisch, süß und mit toller Länge. Trotzdem ging es mir bei dieser Flasche wie schon bei vielen vorher. Das große Aha-Erlebnis war das nicht, von einer Legende erwarte ich mehr 95/100. Und überzogen sind meine Erwartungen sicher nicht, hatte ich ihn doch 2004 und 2005 zweimal als geniales 100/100 Erlebnis im Glas.
Viel Zedernholz und wenig Frucht hatte der eher enttäuschende 1966 Palmer, entwickelte sich etwas und wurde am Gaumen süßer und länger, aber auch der geht eigentlich deutlich besser 89/100.
Und dann war da als sechster im Bunde noch ein untrinkbarer 1967 Palmer mit einem fürchterlichen Korkfehler.

Sehr positiv überrascht war ich von 1971 Palmer. Erstaunlich feine, hocharomatische Nase mit guter Frucht. Auch am Gaumen sehr aromatisch, fruchtig, elegant und mit feinem Schmelz 92/100. Da kam 1975 Palmer nicht mit, dessen Nase mich eher an eine Altpapiersammlung erinnerte. Auch am Gaumen war der etwas metallische 75er ziemlich abweisend und zeigte die kalte Schulter 81/100.
Die 70er waren nun mal eine, von wenigen Ausnahmen abgesehen, freudlose Phase im Medoc. Das spürte man leider auch beim 1978 Palmer. Klar war das ein ziemlich konzentrierter Kraftbolzen, aber leider auch Kraft ohne Freude. Wenig Frucht, in der Nase etwas grün und bitter, man spürt die nicht voll ausgereiften Tannine. Wird sicher sicher noch länger halten. Da mag es bessere Flaschen geben(hoffentlich die, die ich im Keller habe), aber hier hatte ich nicht mehr als 86/100 im Glas. Und auch der 1979 Palmer war für mich eher bittere Kost mit leicht unsauberen Noten 84/100. Ziemlich dünn auch 1981 Palmer, aber zumindest auf niedrigem Niveau ein gut trinkbarer, feiner Wein 87/100.
Nein, dieser Flight hat mich alles andere als begeistert. Zur Ehrenrettung der Weine mag noch hinzugefügt werden, dass wir es hier an diesem Veranstaltungsort mit ziemlich unterirdischen Bankettgläsern zu tun hatten, die bestens geeignet waren, den Weinen die Seele zu rauben. Hat sich sicherlich auch auf meine Bewertungen ausgewirkt. Aus vernünftigen Gläsern sind da je nach Wein 1-2 Punkte mehr drin.

Mehr als nur Besserung war angesagt im nächsten Flight. So schlecht die Palmers in den 70ern waren, so gut waren sie in den 80ern. Schlichtweg grandios 1982 Palmer, immer noch jung, aber so komplex und mit druckvoller Aromatik am Gaumen, sehr fleischig und dicht, die eigentlich Palmer-typische Eleganz wird in den nächsten Jahren nachgeliefert. Ein Wein mit gewaltigem Potential 94+/100. Es wird spannend sein, ob er in den nächsten Jahren mit 1983 Palmer mithalten kann. Das war wieder ein hocharomatischer, eleganter Wein mit delikater Frucht, Zedernholz und burgundischen Konturen, aber auch noch massiven Tanninen, in dieser Flasche hier noch sehr jung und etliche Jahre von der Trinkreife entfernt 94+/100. Hat das Zeug dazu, mal ein legitimer Nachfolger des 61ers zu werden.
Erstaunlich schön der erste Schluck des 1984 Palmer, der dann aber rasch abbaut und zunehmend plumper wird, dabei etwas grün und unreif. Immerhin aber noch trinkbar, was man nicht mehr für viele 84er sagen kann 80/100.
Und dann kam 1985 Palmer, mein Lieblings-Palmer für den derzeitigen Genuss. Jetzt auf dem Punkt mit relativ heller Farbe und ersten Reifetönen, einfach traumhaft schön zu trinken. Eleganz und Finesse pur, feine, rotbeerige Frucht, weich und sehr aromatisch am Gaumen, eine sehr gelungene, kleinere Version des 61ers 94/100.
An einen Schwarztee, bei dem man vergessen hat, den Beutel rauszunehmen erinnert mich der sehr monolithische, bittere und immer noch tanninbeladene 1986 Palmer. Frucht ist weitgehend Fehlanzeige, dafür reichlich Zedernholz und etwas Tabak. Ein Palmer für Gaumen-Masochisten und notorische Optimisten, Vielleicht passiert ja in 10 Jahren doch noch ein Wunder 86/100. Genau dieses Wunder deutet sich nämlich, wie bei vielen anderen 88ern aus Medoc auch, bei 1988 Palmer an. Ein gewaltiger Wein mit viel Substanz und Potential, aus dieser Flasche hier oder aus diesem Glas? vor allem in der Nase verschlossener als in den letzten Flaschen. Auf diesen Palmer bin ich im letzten Jahr auf unserer 88er Probe aufmerksam geworden und habe ihn seitdem nicht nur mehrfach nachverkostet, sondern auch reichlich zugekauft. Ich sehe diesen Wein, der hier nur 90+/100 ins Glas brachte, in 10 Jahren durchaus auf Augenhöhe mit 89.
Und damit wären wir bei 1989 Palmer, einem der besten, auf diesem Gut je erzeugten Weine. Nur ist der in gut gelagerten Flaschen, von denen ich in den letzten Jahren ein halbes Dutzend probieren durfte, ein zugenageltes, tanninbeladenes Monstrum, das noch etliche Jahre von der Trinkreife entfernt ist. So war die Flasche, die wir in dieser Probe hatten, wohl eher aus Dachbodenlagerung statt aus einem kühlen Keller, denn sie war erstaunlich reif und weit. So süß, so üppig, so dicht, mit saftig-süßer, pflaumiger Frucht, knallte richtig am Gaumen. So ähnlich habe ich diesen Palmer aus seiner Fruchtphase in Erinnerung 96/100.

Mit einem 90er Flight endete diese Palmer-Vertikale. 1990 Palmer war sehr weit entwickelt. Süße, fruchtig-würzige, leicht rosinige Nase, am Gaumen sehr weich, säurearm, leicht salzig und trocken. Für das Jahr eher eine Enttäuschung und sicher kein Wein mit großer Zukunft 92/100. Für sehr viel weniger Geld gibt es die gleiche Qualität in Form des mal wieder überraschend schönen 1991 Palmer. Deutliche Reifetöne in der nicht allzu dichten Farbe, pflaumige Frucht, würzig, pfeffrig und mit schöner Süße, weich am Gaumen, ein feiner und gar nicht so kleiner Palmer 91/100. Dafür kam ich an diesem Abend mit 1994 Palmer überhaupt nicht klar. Den empfand ich eher als so eine Art aggressive Gaumenbeleidigung, wenig Frucht, harsche Tannine, ungehobelt und ruppig 84/100. Da wird auch nichts mehr draus.
Dann doch lieber 1995 Palmer, der sich an diesem Abend erstaunlich reif und offen präsentierte mit reifer, süßer Fülle, einfach ein Prachtstück von Wein, eine früh- bzw. überreife Ausnahmeflasche? 95/100. Deutlich mehr Struktur und Tiefgang hat 1996 Palmer, potentiell der größere Wein, aber durch die immer noch recht massiven Tannine noch nach etlichen Jahren Lagerung verlangend 93+/100. Und dann war da noch der recht üppig und zugänglich wirkende 1998 Palmer, ein moderner, offener voll trinkbarer Palmer mit satter, pflaumiger Frucht und einem guten Gerüst reifer, aber weicher Tannine 91/100.

Palmer ist nicht gerade ein Schnäppchenwein. Da wird nicht nur von der Qualität höher als ein 3me Cru gezielt, auch preislich ist Palmer auf der Überholspur. Für mich bieten derzeit immer noch die 80er den besten Gegenwert. Und meine Geheimtipps sind dabei 1985 für den heutigen Genuss, 1982 für morgen und 1988 für übermorgen. (wt 03/2009)