Gabriel Best Bottle

Ort des Geschehens war das Unastoria im malerischen, geschichtsträchtigen Sempach. Hier wurde nicht nur im 14. Jahrhundert eine große Schlacht geschlagen. Hier startete auch René Gabriel in dem, was heute das Unastoria ist, seine gastronomische Karriere als Keuzwirt.
Lange tobte der Kampf um die begehrten Plätze bei dieser Probe. Da mussten schon Hochkaräter aufgeboten werden, um überhaupt eine Chance zu haben. Auch ich habe deshalb tief in meinen Keller gegriffen und mich mit zwei 47er Vandermeulens für René Gabriels "Sempach sucht die Superflasche" qualifiziert.

Als wir uns dann an diesem nebligen 1. November im Weinkeller des Unastoria einfanden, war die Runde doch etwas kleiner, als ursprünglich geplant. Wenn ausgerechnet der Kantonsarzt mit hohem Fieber darniederliegt, ist das einfach Pech. Aber wenn dann jemand, der sich mit einem 1947 Petrus in diese Probe hineingeboxt und andere draußen gehalten hat, ganz kurzfristig absagt, ist das mehr als ärgerlich. Ein dringender geschäftlicher Termin, wohlgemerkt an einem Samstag, der noch dazu Feiertag war jeder benehme sich halt so gut daneben, wie er kann. Der Stimmung tat es keinen Abbruch. Natürlich hätten wir alle gerne den Petrus gekostet, aber so bekamen wir halt von den anderen Raritäten mehr ins Glas.

Spannend und überraschend zugleich schon der Willkommensschluck, ein 1990 Ca del Bosco Spumante Cuvée Annamaria Clement aus der 3l Flasche. Reif mit dezentem Mousseux, faszinierende, klassische, reife Champagnernase mit viel Brioche und dicker Brotkruste, am Gaumen frisch und pikant, machte einfach viel Spaß 92/100. Das war italienische Lebensfreude pur. Wie schön, dass da das große Format den Trend zum Zweit- und Drittschluck unterstützte.

In Viererflights ging es weiter, wobei die Zusammenstellung nicht ganz einfach war. So knallten denn auch gleich im ersten Flight Alt gegen Jung aufeinander. Richtig reif, dem Alter entsprechend war 1942 Castillo YGAY von Marques de Murietta nur in der bräunlichen Farbe. Klassische, sehr generöse Rioja-Nase, natürlich auch etwas gemüsig, aber durch die schöne Süße wirkte dieses Gemüse karamellisiert. Auch am Gaumen feine, karamellige Süße und dazu eine kräftige, tragende Säure, die diesem Wein eine erstaunliche Frische verlieh 93/100. Wissen sollte man, dass dieser Wein erst 1983 abgefüllt wurde. 1953 Vega Sicilia hätte in einer Essigprobe sicherlich Furore gemacht, als Wein konnte ich mich damit weniger anfreunden. Helle Farbe mit deutlichem Wasserrand, die Nase gezeichnet von deutlicher Schärfe, die sich am blechernen, morbiden Gaumen fortsetzte 81/100. Essig-Fans und Gaumen-Masochisten werden diesen Wein lieben.
Noch deutlich zu jung war 1990 Musigny Vielles Vignes von Comte de Vogüe. Einzig die zu Anfang sehr verhaltene Nase mit dezentem Stinker öffnete sich mit der Zeit etwas, wurde zunehmend himbeerig und pfeffrig. Aber am Gaumen wehrte sich dieses bissige, astringierende Monstrum mit Händen und Füßen dagegen, getrunken zu werden. Mit viel Fantasie waren da zum Schluss maximal 90/100 im Glas. Wer dieses superteure, rare Teil in seinem Keller hat, sollte, sofern der Arzt beim letzten Check Up nicht was von Methusalem-Potential gemurmelt hat, diesen Wein in die Kiste für die Enkel packen. Vor 2020 sind die 95+/100, die da potentiell möglich wären, wohl nicht zu erwarten. Dafür werden die Enkel den 1990 Hermitage la Chapelle von Jaboulet-Ainé nicht mehr genießen, sondern nur noch in einem der Gabriel-Bücher nachlesen können. Zumindest in dieser Flasche hier war er so reif, dass mir um meine eigenen Bestände Angst und Bange wurde. Nur die sehr dichte, schwarzrote Farbe schien noch kein Alter anzudeuten. Offen, explosiv, alles zeigend die lakritzige, sehr süße Nase mit pflaumiger Frucht, Hollunder und Schokolade. Am Gaumen sehr druckvoll und aromatisch, dabei schon erstaunlich rund und voll da 99/100. Bleibt mir nur, zu hoffen, dass das eine zu warm gelagerte Flasche war. Meine Erfahrung aus den letzten Jahren zeigte eigentlich immer eher einen faszinierenden Wein, der noch einige Jahre von der Reife weg ist. Ach ja, wenn Sie gerade keinen 90er Hermitage-la-Chapelle zur Hand haben, aber dieses lakritzig-süße Nasenbild nachvollziehen wollen einfach zum nächsten Büdchen, eine große Tüte Haribo-Konfekt gekauft und die Nase tief reingesteckt.

Glück hatten wir im nächsten Flight mit 1934 Haut Brion. In gut erhaltenen Ausnahme-Flaschen wie dieser ist das eine Legende. Tiefdunkle Farbe, ein Mörderbouquet mit Tabak, Teer, altem Balsamico, Malaga, auch etwas Minze und Schokolade. Erinnerte mich ein bisschen an die eingelegten Rumrosinen, die wir früher im Ifen nachts immer aus dem Geheimversteck des Küchenchefs für einen traumhaften Kaiserschmarrn entwendeten. Am Gaumen saftig, portig, fast mollig mit der Süße von Birnendicksaft, baute nicht ab sondern aus mit sehr langem Abgang. In dieser unglaublichen Form bleibt nur die Höchstnote von 100/100. Damit habe ich bei diesem Wein, von dem es leider nicht nur gute Flaschen gibt, jetzt zwischen 85 und 100/100 so ziemlich alles durch. Eigentlich eine Bank ist 1970 Latour, den ich in den letzten Jahren mehrfach mit 100/100 im Glas hatte. Krasse Ausnahme waren nur 2006 in der Schweiz aus einem Gastronomiekeller auf einer Versteigerung angebotene Flaschen, mit denen man mir leider mehrfach vergeblich versuchte, eine Freude zu machen. Die erinnerten so wie diese hier nur entfernt an einen großen Latour und zeigten deutliche Altfassnoten. Hier kam dazu noch ein zunehmend stärker werdender Kork. Nein, da kam keine Freude auf, nur Wehmut. Dafür entschädigte 1998 Petrus um so mehr, eine Art Harlan aus Pomerol. Was für ein riesengroßer, kompletter, hocharomatischer, dichter Wein mit unglaublicher Strahlkraft. Natürlich war der noch zu jung mit massiven, aber reifen Tanninen, doch der jetzt schon vorhanden Faszination dieser Legende im Werden konnte man sich nur schwerlich entziehen. Wird dereinst 2000 und 2005 locker in den Schatten stellen und ist auf klarem 100/100 Niveau der wohl größte Petrus der neueren Zeit. Trotz seiner Jugend ebenfalls bereits ein Erlebnis 1999 Richebourg von DRC. Angesichts der ja inzwischen aberwitzigen Preise für DRC-Weine muss man inzwischen ohnehin froh sein für jeden Tropfen, den man davon ins Glas bekommt. Feine rot- und blaubeerige Nase, am Gaumen sehr elegant und fast filigran, auf der Zunge tänzelnd, die immer noch massiven Tannine durch die Frucht gut maskiert. Wirkt derzeit so, als ob da Wilhelm Haag einen großen Burgunder gemacht hätte. Ein spannender Wein ganz am Anfang einer sicher noch über 20jährigen Entwicklung 96+/100.

Und dann ging es in die 80er zu Weinen, die heute teilweise schwindelerregende Preise auf Auktionen erzielen. Krassestes Beispiel ist 1982 Lafite Rothschild. Von Parker einst mit 100/100 geadelt, was ich noch nie auch nur ansatzweise nachvollziehen konnte, überbietet sich der Geldadel auf der Suche nach diesem Zeugs. Das ist beileibe kein schlechter Wein, eher ein feiner, klassischer Lafite alter Machart aus der Zeit, als dieses Gut noch keinen Konzentrator einsetzte. Kommt verschlossen ins Glas, öffnet sich aber rasch, elegant mit viel Zedernholz, aber auch trockenen Tanninen, delikat, finessig 93/100. Ich glaube nicht, dass da noch viel mehr kommt. Vielleicht legt er in ein paar Jahren noch 1-2 Punkte zu, aber die Wiedergeburt des legendären 59ers ist das bestimmt nicht. Persönlich ziehe ich bei Lafite den 83er vor. Der hat eine ähnliche Stilistik, ist aber noch etwas offener, aromatischer und kostet nur einen Bruchteil. Sicher der mit Abstand schlauere Kauf.
Noch so ein Wein aus der Abteilung Hoffnung & Verzweiflung ist 1982 Mouton Rothschild. Auch der mit 100/100 bei Parker und mit stratosphärischen Preisen bei Auktionen. Moutons legendärer Kellermeister Raoul Blondin sagte damals, aus dem Fass sei das ein Zwilling des 45ers gewesen und er hielt ihn für den größten Mouton seit 45. Bleibt nur die Frage, wann. In unserer Probe war das ein gewaltiges, verschlossenes Monstrum mit Tannin ohne Ende. Immerhin war da auch eine gewisse Fülle und viel Cassis, und dazu die wohl nicht ganz unberechtigte Hoffnung, dass hier noch deutlich mehr kommt 92++/100. Schließlich hatte ich diesen Mouton aus wärmer gelagerten Flaschen in den letzten Jahren schon mehrfach nahe der Perfektion im Glas. Die Flasche hier in unserer Probe wäre aber besser erst in 10 Jahren geöffnet worden. Spannend wird dann mal der Vergleich zwischen 82 und 86 Mouton.
1986 Lafite Rothschild hatten wir tatsächlich als eine Art 100 Punkte Wein im Glas, wobei sich diese Bewertung nur auf ein sensationelles Musterbeispiel von Kork bezieht. Der war so übel, so "perfekt", dass man ihn schon in Armlänge riechen konnte. Sehr schade, denn dieser Lafite hat im Gegensatz zum 82er gewaltiges Potential.
Last not least war da noch 1983 Margaux. Auch der lange umstritten, doch je nach Lagerung ist da inzwischen der Knoten geplatzt, das ist einfach ein großer Wein mit reichlich Potential für noch mehrere Jahrzehnte. Fast atypisch kraftvoll für Margaux, ein sensationelles Konzentrat mit viel Maulbeeren und Kräutern. Verband in wunderbarer Form Kraft und Eleganz, wobei in diesem, immer noch jugendlichen Stadium die Eisenfaust noch in etwas wenig Samt steckte. Aber auch das wird sich in den nächsten Jahren geben. Ein faszinierender, monumentaler Wein auf dem Wege zur Perfektion 99/100.

Und damit landeten wir im letzten Flight endlich bei den reifen Weinen. Sehr positiv überrascht hat mich 1937 Ausone. Nicht nur, weil das endlich mal ein reifer Ausone war, sondern auch, weil 1937 zwar ein großes Jahr für Burgunder, aber leider nicht unbedingt für Bordeaux war. Sehr fein, weich, elegant und aromatisch mit schöner Süße präsentierte sich der Ausone, ein harmonischer, gut gereifter Wein ohne Schwächen 94/100.
Schlichtweg absoluter Wahnsinn dann 1947 Conseillante in einer Vandermeulen-Abfüllung. Absolut überragend mit dichter, deutlich jünger wirkender Farbe und Kraft ohne Ende, ein kompletter, großer, druckvoller Wein, wie eine reifere Version des 98er Petrus 100/100.
Da kam der sonst in Vergleichsproben oft ebenbürtige 1947 Margaux, ebenfalls in einer Vandermeulen-Abfüllung, nicht mit. Der war deutlich reifer, weiter, süßer mit der unendlichen, klassischen Eleganz, die wir uns im vorletzten Jahr in der Margaux-Probe so oft vergeblich von den Weinen gewünscht hatten, mit viel Schmelz, generöser Süße und fast ewiger Länge am Gaumen 97/100.
Groß war dann leider die Enttäuschung bei 1950 Lafleur. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, den endlich mal aus einer authentischen Flasche trinken zu dürfen. Diese hier war echt, aber leider auch fehlerhaft. Zur typischen kräuterigen Lafleur-Note kam immer deutlicher ein störender Kork. Da half nur noch das umstrittene Rezept der Frischaltefolie, das hier tatsächlich in gewissem Grade wirkte. Ein Stück dieser Folie ins Glas und schon schien der störende Korkton für Momente zumindest teilweise zu verschwinden. Darunter verbarg sich ein feiner, typisch-kräuteriger Lafleur mit schöner Süße auf 95/100 Niveau, aber nicht der erwartete Hammer.

Wenn man sich zu zwölft eine Flasche teilt, dann ist vorsichtiges Nippen und Verkosten angesagt. Wer zwischendurch mal ein richtiges Maul voll Wein haben wollte, konnte sich stattdessen am von René Gabriel gestifteten Tischwein laben, einem 1998 Valandraud in der Jeroboam. Das war eine riesige Schokoladen-Operette, die auch von der Confiserie Lindt hätte stammen können. Eine gigantische Mischung edelster Schokopralinen mit Trüffeln, Mokka, Kaffee, aber auch satter, pflaumiger Frucht und Amarenakirschen. Fast burgundische Pracht und Fülle, und dabei lang am Gaumen, einfach trotz aller Jugend schon zugänglich und hedonistisch schön, mit Großflaschenbonus locker 96/100. Ruhig ist es geworden um Valandraud. Eigentlich der richtige Zeitpunkt, um nach diesen Weinen wieder zu suchen.

Und natürlich hatte unsere Probe auch ein süßes Ende. Zwei große Yquems standen noch zur Verkostung an. Wohl der falsche Zeitpunkt war es für 1990 d Yquem, den ein edler Spender aus unserer Runde in der Magnum offerierte. Der zählt zu den großen Erfolgen des Gutes, aber irgendwo ist es mit den Yquems ähnlich wie mit den Weißweinen von der Rhone. Kurz nach der Freigabe sind sie einfach göttlich, um sich dann aber um so rascher wieder zu verschließen. Nicht, dass da in dieser dunklen, verschlossenen Phase Tanninmonster ins Glas kämen. Eher gibt es da so eine Art eingebauter Spaßbremse. So wirkte denn dieser d Yquem auf hohem Niveau recht harmlos. Ein weicher, floraler Wein mit sehr viel Honig und in diesem Stadium erstaunlich wenig spürbare Säure. Ganz nett, cremig und lecker, aber einen großen Yquem hatte ich nicht im Glas 92/100. Da sind wohl noch Jahrzehnte Warten angesagt. Ganz anders 1945 Yquem, den wir mit sehr dunkler Farbe ins Glas bekamen. Das war reifer Yquem in seiner allerschönsten Form, ein riesengroßer Sauternes-Klassiker. Allein schon diese geile Nase, frisch geröstete Mandeln, die Kruste der Crême Brulée, dunkles Toffee, Bitterorange, Minze, Kräuter da könnte ich stundenlang dran riechen und immer neue Dinge entdecken. Am Gaumen animierende, süße Fülle, perfekt balanciert durch eine immer noch sehr lebendige Säure. Da wirkte nichts dick oder klebrig, einfach totale Harmonie und nicht enden wollende Länge am Gaumen. Ein einmaliges, großes Weinerlebnis, ein Wein zum Nachdenken, zum Philosophieren, zum in tiefer Dankbarkeit dafür, dass man etwas schönes Erleben darf, tröpfchenweise genießen 100/100.

René und Karin sei ebenso gedankt für die Organisation dieser Probe wie dem Unastoria-Team und dem unermüdlichen Patrick Bopp, der, obwohl eigentlich nur Teilnehmer, uns allen mit seiner intimen Kenntnis beim Dekantieren zur Seite stand. Und dann kam gleich noch so etwas wie eine Vorankündigung. Das sollte man eigentlich jedes Jahr machen, meinte René, und der 1. November ist doch eigentlich ein guter Termin. René, wir nehmen Dich beim Wort!

See you next year!

See you next year!