Große Probe mit kleinen Flaschen

Müssen bei jeder Probe 10 Leute am Tisch sitzen mit dem dazugehörigen Aufwand? Es geht auch kleiner und nicht minder spannend, mit einer Großen Probe aus Kleinen Flaschen. So kürzlich ganz spontan in Düsseldorf durchgeführt.

Selten trifft man sie an, diese anscheinend ungeliebten kleinen Flaschen mit der halben Füllmenge der regulären Bouteillen. Im Handel findet man sie nur selten, auf Auktionen fast gar nicht. Wer halbe Flaschen haben möchte, muss sich rechtzeitig, z.B. bei der Subskription, darum kümmern. Dabei haben diese Winzlinge einige handfeste Vorteile, nicht nur für den kontrollierten, abendlichen Weingenuss einsamer Einzeltrinker. Und einem Ammenmärchen möchte ich auch entschieden entgegentreten. Weine in der halben Flasche reifen praktisch kaum anders als in der 1tel, zumindest nicht während der ersten 20-30 Jahre.

In kleinem, feinem Kreise trafen wir uns an einem Wochenende im Düsseldorfer Dado zu einer spontanen Probe. Und da musste vorher natürlich im Keller eine wichtige Entscheidung getroffen werden. Lieber nur wenige Weine aus normalen Flaschen oder eine größere Probe aus Halben? Wir entschieden uns für Letzteres, also eine komplette Probe nur aus halben Flaschen.

Mit einer 1994 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Auslese #20 von Fritz Haag ging es los. Was für ein fulminanter Start, bescheidene 7% Alkohol und trotzdem eine enorme Extraktdichte, sehr fein und herrlich frisch mit reintöniger Frucht und guter Säure, die Leichtigkeit des Seins mit faszinierendem Süße-/Säurespiel, traumhaft elegant mit cremiger Textur, animierend und den Gaumenfluss anregend 92/100. Ist das nun ein Süßwein oder was sonst? Auf Restaurantkarten wäre der Haag wohl in dieser Kategorie zu finden, gehört da aber eigentlich nicht hin. Eigentlich sind die weltweit einmaligen Spät- und Auslesen von der Mosel mit ihrem niedrigen Alkoholgehalt eine Kategorie für sich. Hier ist nichts süß, nichts klebrig. Ich möchte all denen, die sonst nur trocken trinken, dringend ans Herz legen, mal einen solchen Wein zumindest als Aperitif zu probieren.
Grandios der erste Rotwein, ein 1994 Ridge Monte Bello. Auch der noch sehr jung und nach viel Luft schreiend, eine perfekte Melange aus reifer, kalifornischer Frucht und Bordelaiser Struktur, Sauerkirsche, Granatapfel, Minze, Spearmint, auch etwas Espresso und Bitterschokolade, dabei insgesamt sehr ausgewogen und harmonisch wirkend, mit für Kalifornien extrem bescheidenen 12.5% Alkohol. Die gute Säure- und Tanninstruktur verleicht diesem Wein eine bemerkenswerte Frische und verheißt noch langes Leben 95/100.
Eigentlich hätte auf dem Etikett des 1990 Cos d Estournel das Schild "Derzeit wegen Renovierung geschlossen" kleben müssen. Dieser einstige Superstar durchläuft derzeit eine schwierige Phase, wie wir sie ja vom 82er kennen. Geradezu schwermütig die Nase mit intensiver, dicker Rumtopf-Frucht, amaronig wirkend, am Gaumen deutlich frischer und leichter mit Lakritz im langen Abgang. Das ist derzeit nicht der 90er Cos, wie ich ihn liebte und auch nicht der, den ich hoffentlich in 5-10 Jahren wider im Glas haben werde, also ein paar Jahre warten 88+/100.

Leicht animalisch die Nase der 1989 Pichon Comtesse, Waldboden, frische Wiesenchampignons, Leder, Tabak, viel Zedernholz, im positiven Sinne herb mit viel Terroir, in 89 statt Schmuse- eher eine Charaktercomtesse, erst ganz am Anfang einer längeren Entwicklung 95/100.
Deutlich weiter, voll auf dem Punkt die fantastische 1982 Pichon Comtesse. Ein vollbusiger, üppiger Wein mit feinem Schmelz und hohem Hedonismusfaktor, ohne Ecken und Kanten, dabei kraftvoll und süß mit geradezu seidiger Eleganz 97/100.
Und dann kam einer der größten Weine unserer Zeit, 1989 Haut Brion. Das ist Haut Brion und Rotwein in Perfektion, ein Wein, bei dem von der süchtig machenden Cigarbox-Nase über den explosiven Gaumen bis hin zum endlosen Abgang einfach alles stimmt, Kraft ohne Ende, aber auch Eleganz und Harmonie, ein Weindenkmal, bei dem es verdammt schwer fällt. ein paar Flaschen aufzuheben. Doch dieser Wein glänzt auch noch in 20-30 Jahren 100/100.

Weiter ging es mit der nächsten Legende, 1986 Mouton Rothschild. In seiner kurzen Fruchtphase war das der größte Jungwein, den ich je im Glas hatte. Nach fast 20jährigem Tiefschlaf erwacht dieser Gigant jetzt zögerlich wieder zum Leben. Ein gewaltiger Wein mit irrer Power, enorm tiefgründig und immer noch mit mächtigem Tanningerüst. Konzentrierte Frucht, hohe Mineralität und ein sehr hoher aromatischer Druck am Gaumen, und der Eukalyptus des 45ers kommt hier bei seinem legitimen Nachfolger auch schon etwas durch. Klar ist da noch viel Fantasie angesagt, doch die 100/100 sind am Horizont schon wieder klar zu erkennen. Davon gehört einfach eine Flasche in jeden Keller eines seriösen Weinsammlers mit guter Gesundheit und hoher Lebenserwartung 97+/100.
Große Freude dann beim 1983 Palmer. Was habe ich diesen Wein in den letzten 20 Jahren verflucht. Auch das war in der Fruchtphase ein unwiderstehliches Riesenteil, das dann für 2 Jahrzehnte komplett zu machte. Dochjetzt geht er wider in die damalige Richtung des Jungweins, üppig, füllig, süß, mit betörender Aromatik, so elegant und einfach schön, burgundisch im besten Sinne 97/100.
Als riesengroßer, klassischer Kalifornier ging am Tisch der Dritte im Bund durch, ein 1982 Trotanoy, so dicht, so fruchtig und so kräftig war dieser vollmundige Wein, der am Gaumen schier explodierte, süß, opulent, aber auch samtig mit einer feinen Kräuternote. Eine geniale Kreuzung aus Petrus und Lafleur. Trotanoy wird in seiner Jugend oft verkannt und braucht lange, bis er zur Hochform aufläuft, und in der war er an diesem Abend, meine bisher beste Flasche dieses Weines 99/100.

Aber halbe Flaschen können doch auf lange Sicht nicht so gut altern? Wie bitte? Und warum war dann dieser 1945 Clos de la Roche von Jacques Selot wie vom anderen Stern? Immer noch dichte Farbe, so süß, so verschwenderisch in der Nase und am Gaumen, üppig mit Pflaumen in Armagnac und mit viel Kaffee, leicht portig und dezent, aber nicht störend medizinal. Ok, das war jetzt kein jugendlicher Liebhaber mehr, ein gewisses Alter war bei diesem 64jährigen spürbar. Aber da war auch gleichzeitig noch soviel Konzentration und Kraft, dass es locker noch für 1-2 Jahrzehnte reichen würde 97/100.
Ein unkaputtbares Weinmonument und ein großer, perfekt gereifter Rioja im anderen Glas der 1941 Imperial Gran Reserva von CVNE. Faszinierende, schmeichlerische, leicht zimtige Nase, am Gaumen erstaunliche Kraft und ein immer noch voll intaktes Tannin- und Säuregerüst, das noch ein langes Leben garantiert 94/100.

Ab ging es jetzt noch in die süße Abteilung, obwohl die halben Flaschen inzwischen fast mehr Standvermögen zeigten als wir. Als erstes war ein 1989 Tokay Pinot Gris Heimbourg Selection des Grains Nobles von Zind Humbrecht angesagt. Ein schlichtweg spektakulärer, extrem konzentrierter Süßwein mit irrer Süße, die aber durch eine außergewöhnlich rassige Säure perfekt balanciert wurde, Aprikose pur, auch Honig und eine Geschmacksdichte, die man erlebt haben muss, dabei nichts Klebriges und eine erstaunliche Frische, sicher ein Wein, der endlos altern kann 97/100.
Aber selbst diesen süßen Riesen konnte man noch toppen, nämlich mit einer 1981 Welschriesling TBA von Triebaumer, die sich in bestechender Form zeigte. In Süße, Dichte, Komplexität und balancierender Säure stand sie dem Zind Humbrecht in Nichts nach, packte aber noch ein Quentchen mehr Eleganz und Finesse obendrauf, schlichtweg atemberaubend 98/100. (wt09/09)